Ich singe meiner Hündin manchmal Lieder vor. Dabei bilde ich mir ein, dass sie es mag. Auch Pflanzen mögen Musik und Babys sowieso. Dass meine Hündin Musik mögen würde, liegt auf der Hand. Schon als sie ein Welpe war, sang ich ihr ein Lied von den EAV vor. Dafür dichtete ich „Burli“ in „Wollie“ um. So heißt sie nämlich. Statt „Burli, hat links und rechts drei O(ua)hrli“ singe ich „Wollie, hat links und rechts nen Knollie“. Mir macht das gute Laune und vier Jahre lang dachte ich, dass es auch bei ihr für gute Stimmung sorgt. Aber so recht schlau wurde ich daraus nie. Gestern schaute sie mich lange an. Sie hatte dabei wieder diesen ausdruckslosen, aber nachdenklichen Blick. Nach einer Weile sagte sie: „Mach das nicht.“
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Dafür ist gerade perfektes Wetter. Wolken und 21 Grad. Ich mochte auch dieses schwül-kühle Nieselwetter vom Freitag.
Abends sitze ich lange auf dem Balkon und lese. Gerade sitze ich an diesem Reisebericht von Léonie d’Aunet, der Französin, die 1839 in die Arktis fuhr. Anfangs fand ich das Buch ganz anregend, wie sie Amsterdam, Hamburg und Kopenhagen schilderte. Das ist alles 200 Jahre her und es lässt sich immer noch eine Essenz rauslesen, die auf die heutige Zeit zutrifft. Lustig fand ich auch, wie sie die Schwedinnen beschrieb. Dass es alles schöne Frauen mit unfassbar schlechten Zähnen waren, oder wie sie diese schwedischen Mittelstädte beschrieb, als lieblose Siedlungen mit quadratischem Straßenmuster. Zwar sind die erwähnten Städte heute durchaus ansehnliche und belebte Orte geworden, aber dafür gibt es landeinwärts unzählige solcher quadratischen Siedlungen mit einer Tankstelle und einem Supermarkt. Diese Ästhetik, die man auch im ländlichen Nordamerika überall findet. Ich finde das ja durchaus charmant.
Dennoch langweilt mich das Buch mittlerweile. Die Autorin ist nicht besonders neugierig. Sie beurteilt alles durch ihre Paris-Brille aus 1839, das Paris, das damals zweifellos der Nabel der Zivilisation war, und deswegen bewertet sie ständig nach Maßstäben der Mode und des Reisekomforts und des Essens. Was es einerseits zu einem interessanten Zeitdokument macht, andererseits wird man aber auch schnell müde davon, wie sie ständig über die ärmlichen Verhältnisse und den Gestank der Leute herzieht. Zudem stellte ich irgendwann fest, dass sie zum Zeitpunkt der Reise 19 Jahre alt war, und will mich jetzt nicht des Ageisms bezichtigt sehen, aber die Gedanken von privilegierten neunzehnjährigen Menschen interessieren mich eher so mittelmäßig, wenn sie mir eine Arktisreise aus dem neunzehnten Jahrhundert schildern.
Seltsam ist auch, dass sie niemals ihren Mann erwähnt, den sie auf ihrer Reise eigentlich begleitet. Er kommt schlichtweg nicht vor. Es erweckt den Anschein, dass sie alleine reist. Dabei ist sie sogar Teil einer richtigen Expedition. Ihr Text wirkt, als würde sie sich auf einer kuratierten Reise befinden, auf der sich zwar in jedem Hafen und bei jedem Aufenthalt jemand um ihr Wohlergehen kümmert, aber hätte sie am Anfang des Buches nicht die Expedition erwähnt und wie sie sich ihre Teilnahme daran mit List ergattert hatte – man würde es aus dem Text nicht herauslesen können. Vielleicht liebte sie ihren Mann auch nicht genug. Das war François-Auguste Biard, ein damals recht bekannter Maler. Vier Jahre nach dieser Reise hatte sie eine langjährige Affäre mit Victor Hugo und kam deswegen ins Gefängnis. Wo sie später von Victor Hugos Ehefrau besucht wurde, die ihr wiederum dabei half, ihre Texte zu veröffentlichen. Verrückte Geschichte.
Trotz der auftretenden Langeweile werde ich weiterlesen. Sie befindet sich gerade in Hammerfest und wird bald nach Spitzbergen übersetzen. Damals gab es Longyearbyen noch nicht, das wurde erst 70 Jahre später gegründet, als man da Kohle abzubauen begann. Es gibt eine Karte ihrer Reise. Sie wird ganz hinauf bis zur Packeisgrenze am 80. Breitengrad segeln und an mehreren Stellen an Land gehen. Auf dem Rückweg wird sie über Alta, Finnland, Luleå und Umeå bis nach Stockholm fahren. Ungefähr die Strecke, die auch ich letztes Jahr fuhr. Ich werde mindestens bis zu ihrer Ankunft nach Berlin lesen. Berlin im Herbst 1839. Da war Preußen noch ein mittelmäßiges Königreich. Berlin muss ein unfassbar langweiliges Loch gewesen sein. Darauf freue ich mich. Ob ich danach noch Leipzig → Kassel → Mainz usw. lese, weiß ich allerdings nicht.

hah, ähnliche gefühle habe ich bezüglich den immergleichen businessinsider artikeln die das internet mir irgendwie partout zuschieben will. Da beschwert sich in der regel so ein Junior Millenial/Senior Gen Z dass zB das Backpacken durch Europa oder der Erwerb eines leerstehenden Hauses in Japan mit Anstrengungen verbunden ist, und nicht nur so ne coole Spaßparty wie es auf Instagram erscheint. Meistens sind das Amerikaner und die Message ist, dass es auch erst mal ganz schön verwirrend ist wenn man aus den USA raus ist, und alles ist irgendwie ungewohnt und nicht persönlich auf einen eingestellt. Ich roll da so mit den Augen weil ich mir denke, hey, sieht so aus, dass du da vielleicht einfach nicht mehr im besten Backpacker Alter bist, und das heisst nun mal man spart Geld und nimmt dafür Unbequemlichkeit in Kauf. und ja überraschung, allen bemühungen des Kulturimperialismus zum Trotz ist halt Europa doch noch irgendwie anders. dito mit dem haus in Japan. da braucht man also sprachkenntnisse etc.
Wenn ich schon höre dass jemand wegen instagram irgendwas macht, dann rolle ich inzwischen mit den Augen. die illusion ist ja das produkt. Die französin hat sich das evtl. auch alles anders vorgestellt, pittoresker halt. da würe einen interessieren, welche bilder ihr Mann zeitgleich gemalt hat, denn entweder hat er versucht, aus diesen spartanischen vierkantorten noch dramaturgisch eine idylle herauszukitzeln oder er hat das genauso festgehalten. v. hugo ist natürlich dann irgendwie der höhepunkt der Romantik. Hoffe, sie hat dann auch das Gefängnis ordentlich aufregend gefunden.
Ihr Mann hat von der Reise zB dieses Bild gemalt:
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/13/Magdalena_Bay.jpg
Schon sehr instagrammable.
Oder das da: FIghting Polar Bears:
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/9c/Biard-FightingPolar_Bears.jpg
Allerdings sind sie auf der Reise keinen Eisbären begegnet. Sie haben nur Schlachtfelder gesehen, die diese hinterließen. Es ist also Fantasy.
total interessant, man würde gar nicht denken dass das vom selben maler ist. beim ersten bild gibt er sich ja extrem viel muehe mit atmosphäre, wasser, eis, licht und wie alles so durchsichtig bzw. halb opak ist, und die leute sind auch eher naturalistisch gestorben, während das zweite ding so ein echt konventioneller schinken ist. dafür hätte er sich ja keinen schritt aus paris rausbegeben müssen, denn die landschaft ist da echt lieblos hingeklatscht, und den bären hat er sich wahrscheinlich eh nach einem ausgestopften bären gemalt. das fell ist ja für schwimmende bären unnatürlich fluffig. und aufs fell hat er hier all seine energie verwendet. hat sich vermutlich gedacht dass er das so wohl gut im pariser salon ausstellen kann. war es im salon?
Habe mal Claude.ai für mich recherchieren lassen und folgendes fand sie für mich heraus:
„“Fight with Polar Bears“ wurde 1839 im Pariser Salon ausgestellt, kurz vor seiner Abreise zu einer Expedition nach Spitzbergen.
François-Auguste Biard war ein regelmäßiger Teilnehmer des Pariser Salons. Er stellte seine Werke zwischen 1818 und 1861 wiederholt im Pariser Salon aus.“
Das Bild stammt also von _vor_ der Reise, wenn das stimmt. Habe Claude mit dieser irreführenden Info konfrontiert. Sie stimmte zu, dass das komisch ist, dass eventuell ihre Quellen falsch sind.
Aber das würde die seltsamen irrealen Gletscherformationen im Hintergrund erklären.
Wunderbarer Text, vielen Dank!
<3
Erster Gedanke der mir zu begleitenden Partner:innen kam: wie viele Ehefrauen wohl nie in einem Reisebericht erwähnt wurden? 😉
Ups 😅 bin reingetappt