[Tagebuchbloggen. Samstag, 3.4.2021]

Zum Frühstück schauten wie diese Doku vom RBB aus der Covid Station der Charite. Drei Folgen nur. Darüber, wie das Pflegepersonal in der Krise lebt. Darüber, wie die Leute wegsterben. Über Angehörige.
Zu Beginn musste ich das Frühstück weglegen. Diese große, junge Frau, die da auf dem Bauch liegt und künstlich beatmet wird. Wie sie da so hilflos liegt. Das war kein Film. Das war Realität und vielleicht 3 Kilometer Luftlinie von meinem Sofa entfernt.

Die Betten werden wieder voll. Es geht immer um Betten, Betten, Betten.

Das Telefonat der Pflegerin. Wenn sie den Angehörigen ankündigt, dass die Patientin heute sterben werde. Ob man sie begleiten möchte. Die Angehörigen die dann abwinken. Wie die beiden Pflegerinnen dann an dem Bett sitzen, die Hand der Patientin halten und die Herzlinie zum erliegen kommt. Boah, Kloss im Hals.

Gleich erging es mir eine Folge später. Bei der kleinen, dicken Frau mit dem Hoodie. Wie sie zuerst über ihre Mutter schimpft und danach Abschied nehmen muss.

Die Mutter ist längst nicht mehr da, sie wird nur noch beatmet. Der Arzt erklärt der Tochter, was passieren wird. Die Temperatur wird heruntergefahren, der Körper werde sich selbst überlassen, aber er versichterte ihr, dass ihre Mutter Mittel bekäme, damit sie nicht leide. Ihre Tochter geht raus, kommt wieder rein, geht raus, kommt wieder rein, fässt noch einmal die kalte, blaue Hand der Mutter an. Geht wieder.
Diese Hilflosigkeit der Gefühle.
Ich habe wieder diesen fetten Kloss im Hals. Ey, ich habe seit Jahren nicht mehr geweint, ich weiss nicht, was los ist.

Danach kommt das Pflegepersonal. Sitzt daneben. Die Kurve auf den Monitoren verflacht wieder. Einer geht zum Fenster und kippt es. Das machen sie offenbar immer. Damit die Seele raus kann. Der andere geht zur Maschine mit den hundert Knöpfen. Er schaltet sie alle einzeln aus. Buchdeckel zu. Das nächste bitte.

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Ja, das Sterben an sich hat nichts mit Corona zu tun. Dennoch: Während es sich bei den einen um Betten Betten Betten dreht, stehen die anderen in Stuttgart herum und brüllen, dass das alles ein Witz ist.

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Meine Frau möchte zum Ostkreuz spazieren. Bevor wir aus dem Haus gehen fragt sie, ob ich die Schlüssel und meine Hertha Sticker dabei habe.
Als sie das sagt, muss ich kurz innehalten. Dieses Bild. Die 47-jährige Professorin erinnert den 46-jährigen Manager an seine Herthasticker, damit er den Kiez vollkleben kann.
<3
Mich überfällt ein spontanes Knutschbedürfnis.

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Wir besuchen wieder den Eisladen. Nachdem ich gestern aufschrieb, dass sie immer das gleiche Eis nimmt und immer sehr glücklich dabei wirkt, während ich mit Experimenten meistens danebengreife, griff ich diesmal zu Altewährtem und Traditionellem: Straciatella und Vanille. Ja, war OK. Glücklich hat es mich aber nicht gemacht. Sie nahm hingegen eine warme, belgische Waffel mit Vanilleeis und Sahne. Das hätte mich auch gereizt, aber das wäre ja ein Experiment gewesen.
Sie wirkte sehr glücklich damit.

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Zuhause legten wir uns ins Bett und ich las Sarah Raich vor. Kurzgeschichten. Ich folge Sarah Raich auf Twitter, nachdem ihre Texte so gut besprochen wurden. Ich las drei Geschichten vor. Die Texte fingen mich aber nicht sonderlich. Zwar mag ich diese seltsame Belanglosigkeit. ZB die Geschichte mit der verlorenen Katze. Also eine Katze verschwindet, die Protagonistin macht sich auf die Suche nach ihr, es passiert dies und das, unter anderem besucht sie eine Nachbarsfrau die ein bisschen seltsam ist, die aber ihre Katze nicht hat, später ist sie dann wieder zuhause und dann kommt diese Nachbarsfrau zu ihr, die jetzt die Katze doch bei sich hat. Die Katze war wohl schon seit einigen Tagen bei ihr. Eigentlich ein gutes Setting für eine Kurzgeschichte. Es gibt ein paar schöne poetische Momente, wie dieser seltsame Moment, an dem die Katze zurückgegeben wird, die Unentschlossenheit der Nachbarsfrau bei diesem doch folgenschweren Entschluss.

Dennoch haben mich die Texte nicht eingefangen. Aber ich übersehe vermutlich etwas. Vielleicht war ich auch zu müde.

Meine Frau schlief nach dem ersten Absatz ein. Das sagt aber nichts über den Text aus. Sie schläft immer ein, wenn ich vorlese.

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Wir machen uns Pizza aus Tortillas. Schmeckt phantastisch.

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Danach schauen wir Harold and Maude. Ich habe tatsächlich noch nie Harold and Maud geschaut. Am Ende stirbt sie. Was ist denn los heute mit diesem Gesterbe? Kloss und Hals und wieder fucking feuchte Augen.

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Morgen ist Derby.