[Dienstag, 20.12.2022 – über das Lesen]

Ich will wieder Fiction lesen. Ich habe seit längerer Zeit keine Romane mehr gelesen. Mir fällt es seit Jahren schwer, mich auf eine erfundene Geschichte in Schriftform einzulassen. Die Tatsache, dass Geschichten erfunden sind, scheint mir bei Serien oder Filmen nichts auszumachen, es ist nur in Büchern so, ich glaube es hat also eher mit der Nähe zu tun, in die mich eine geschriebene Geschichte zwingt. Dieses Wort für Wort aufgedrückte. Ich lese jeden Satz und weiss, dass er erfunden ist. Buchstabe für Buchstabe, wie die Wörter aneinandergereiht sind, es ist alles erfunden. Ich kann mich nur schwer davon lösen, das meine ich mit Nähe, die Wörter die ich da sehe, die Sätze, die zwingen mich, wesentlich näher an der Erfundenheit der Dinge zu sitzen, als in einem Film. Vielleicht, weil mir das Handwerk des Schreibens nahe liegt, weswegen ich immer das Gefühl habe, ich durchschaue die Dinge, die Tricks, das Handwerk. Filme passieren einfach, sie gehen über mich hinweg, schütten alles aus, sobald ich im Film das Handwerk erkenne, ist schon die nächste Szene da, der nächste Dialog.

Jetzt habe ich wieder angefangen zu lesen. Ich lese Ray Bradburys „Illustrierter Mann“. Es fällt mir leichter, in diese Geschichte hineinzufinden, als mit einem zeitgenössischen Text, vielleicht weil das Handwerk in den Fünfzigern anders war. Es scheint sich eine Lage dazwischenzuschieben, ich achte weniger auf Details. Ich wollte eigentlich Brabdburys „Dandelionwine“ lesen. Das Buch wurde neulich von der Pornodarstellerin und Podcasterin Bettie Bondage in einer ihrer Insta Storys besprochen. Es ist eine gefühlvolle Coming-of-Age Geschichte ohne eine Coming-of-Age Geschichte zu sein. Ich weiss den Inhalt ihrer Besprechung nicht mehr im Detail, aber weil ich Bradburys „Fahrenheit 451“ und die „Mars Chroniken“ gelesen hatte (wobei mir vor allem zweiteres eindrücklich in Erinnerung geblieben ist), hat mich Bettie B’s Besprechung sehr eingefangen. Dandelionwine wurde auf deutsch unter dem Titel „Löwenzahnwein“ veröffentlicht. Das gibt es leider nicht als Ebook und auch die papierne Version ist vergriffen. Ich finde online zwei gebrauchte Exemplare, eines wird für 40€ zum Kauf angeboten, das andere für 80€. In Originalsprache will ich es nicht lesen. Auch wenn mein englisch mehr oder weniger einwandfrei ist, bleibt mir beim Lesen von englischsprachiger Literatur immer ein Gefühl übrig, dass über dem Text ein Filter liegt, dass ich nicht richtig an den Text herankomme, dass irgendwas sich mir nicht ganz erschliesst. Das hat sicherlich damit zu tun, dass es nicht meine erste Sprache ist und ich den Text dadurch mit einer gewissen Verkrampftheit und auch Skepsis lese. Auf niederländisch oder italienisch habe ich diese Verkrampftheit seltsamerweise nicht. Auch wenn ich behaupten würde, dass mein englisch über die Jahre hinweg wesentlich besser ist, als mein italienisch.

Ich kaufte stattdessen also „Illustrierter Mann“ und auch „Das Böse kommt auf leisen Sohlen“. Ersteres ist strenggenommen kein Roman, sondern eine Sammlung lose miteinander verbundener Kurzgeschichten. Es gilt aber als Höhepunkt Bradburys Werk. Das andere Buch spielt auf einem Jahrmarkt der zwanziger Jahre und kann dem Genre „Dark Fantasy“ zugeschrieben werden. Kann ich keinem sagen, dass ich Dark Fantasie lese, aber wenn man Ray Bradbury erwähnt, dann kriegt es einen intellektuellen und poetischen Anstrich.

3 Kommentare

  1. Hey, ja das mit den Romanen ist interessant: zB habe ich in meiner ersten großen Romanlese- Zeit so 15-25 in der Fackel-Gesamtausgabe meines Bruders herumgelesen, und Karl Kraus schreibt, bei einer Rezension einer Biographie (glaube ich- irgendein Ritter- glaube ich) so ungefähr „ich lese ja keine Romane weil ich mag mir nichts erzählen lassen“. Mich hat diese Haltung damals sehr befremdet, weil ich ja viele Romane sehr wunderbar fand, war auch Nabokov-Zeit damals und „Der idiot“ und so, und manchmal war ein Buch tragisch und komisch und ich sass mit Lachkrämpfen lesend im Bett und Karl Kraus tat mir leid, dass ihm das alles so entgagen war (sieht auf fotos auch immer verbittert und verkrampft aus), natürlich finde ich die Stelle nicht aber bei seinen Aphorismen so

    „Einen Roman zu schreiben, mag ein reines Vergnügen sein. Nicht ohne Schwierigkeit ist es bereits, einen Roman zu erleben. Aber einen Roman zu lesen, davor hüte ich mich, so gut es irgend geht.“

    Dabei habe ich ihn natürlich immens verehrt. Wären wir aber nicht zusammengekommen er und ich.

    Hab aber festgestellt, dass ich mit der Zeit auch immer mehr Sachbücher und Biographien lese, gerade wenn es ums verstehen geht, und manchmal bei Romanen denke ich schon so „na wenn Du schon so anfängst Roman“. Viel schlimmer ist es aber zB bei Filmen und Serien inzwischen, gerade bei dem was NXXXX so produziert. Habe mal eine Kubrick doku gesehen, wo unter anderem erzählt wurde, dass Kubrick eine Menge Leute beschäftigt hat, die immens viel Material (va Bücher) durchgearbeitet haben, um einen wirklich guten Plot für den nächsten Film zu finden, der einsatz ja so hoch, im Grund hat er sich ja nie so wirklich festgelegt mit den Filmen, aber der Plot musste eben gut sein.

    Manchmal denke ich, dass NXXXXX sich irgendwie die Materialsammlung der abgelehnten Kubrick Plots gerissen hat, oder auch im YA Bereich bisschen nach Schema F produziert, auch wenn das alles so jung und frisch sein soll dann ist das doch irgendwie alles sehr viel schrott und der hauch der 50er mit diesen kecken jungen dingern, und auch bei hochgelobten Sachen ärgere ich mich oft, wie stilisiert und am wesentlichen vorbei das geht, zB hat mich „Hannibal“ (die Serie) total aufgeregt, weil die bibliothek des menschenfressers so unbrauchbar und blöde eingerichtet war.

    inzwischen schaue ich dann oft die sachen die ich prinzipiell gut finde lieber mehrmals, denn ich habe inzwischen schon horror davor, einen film zu beginnen und nach einer Minute zu denken „ach komm mir nicht so, NXXXX“.

    Ist „Dandelionwine“ nicht das Buch, das in diesem Film vorkommt, als letzte Bestellung?

    https://www.imdb.com/title/tt3127022/

    Wurde der film hier empfohlen? Jedenfalls habe ich den Film gesehen und fand ihn schon sehr gut. Das langsame mahlen so über Jahre hinweg.

  2. Regt mich bei Filmen im übrigen auch noch viel mehr auf, das Erfundene, denke dann, ist ja schön und gut so einen Unsinn der sich irgendwie billig und gut verkaufen lässt weil er irgendeine Ebene im menschen anspricht, aufschreibt, aber dass man dann wirklich lebende Menschen dazu zwingt sowas eindimensionales mit sagen wir mal wogenden Busen und gequälten Blicken oder Menschenfresserei also entweder irgendwelcher gutaussehenden Flachheit oder etwas total abseitigem zu erfüllen, und das dann auch noch so unkritisch abfilmt, das ist dann doch irgendwie viel schlimmer als so ein simpel gestricktes Buch.

  3. Jemand kluges sagte vor einiger Zeit einmal: früher hatten wir viele schlechte Filme, seid wir so viele Serien haben, haben wir auch noch viele schlechte Serien.

    Als die grossen ersten Serien in Kinoqualität aufkamen, mit The Wire, Six Feet Under, Lost etc. dachte man manchmal, es würde sich eine neue Welt öffnen. Aber dann wollten plötzlich alle Serien produzieren und die schlechten Geschichten wurden einfach auch ins Serienformat übertragen.

    Mich stört vor allem, dass die Geschichte vieler Serien halt nicht 8 oder 12 Folgen hergibt, sondern sie wäre wesentlich besser in 4 oder 5 Folgen erzählt worden, weil es aber offenbar diese Erwartung an 8 oder 10 Folgen gibt, ziehen sich auch wirklich gute Geschichten in die Länge und büssen damit total an Qualität der Erzählung ein.

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