Es ist das letzte Heimspiel. Wir müssen heute gewinnen. Verlieren wir oder spielen wir Ausgleich, steigen wir ab. Es ist ein gutes Spiel meiner Mannschaft, in der 63. Minute köpft uns Tousard in Führung, es ist der letzte Strohhalm, die Mannschaft hält den Gegner auch gut vom eigenen Tor fern, ein paarmal ist es haarig, aber sonst geht es gut. Bis zur 93. Minute. Als ein Spieler von Bochum etwas höher springt und der Ball in unser Netz geht.
Es ist plötzlich still in der Kurve. Richtig still. Niemand redet. Sechzigtausend Leute starren auf das Spielfeld. Nur weit entfernt hört man den Gästeblock jubeln. Es klingt wie aus einer Tauchglocke. Die Fahnen werden niedergelegt.
Nach Abpfiff setzt die Mannschaft den Gang in die Kurve an. Auf den Rängen klatschen die Menschen trotzdem. Bei uns in der Kurve ist es gemischt, viele klatschen, in der Reihe hinter mir schimpfen sie vor allem. Die Ultras geben der Mannschaft Zeichen, dass sie wieder umkehren sollen. Unten rechts stehen eine handvoll Hools am Zaun und es wirkt, als würden sie gleich den Platz stürmen. Es bleibt aber alles ruhig.
Die Kurve leert sich. Ich setze mich und schaue noch lange aufs Feld. Neben mir setzt sich ein junger Mann. Wir schauen beide aufs Feld. Ab und zu kommen Freunde vorbei, wir klatschen ab, wir sehen uns nachher noch am Rondell. Ich bleibe mit dem wildfremden Mann dort noch eine Weile sitzen, wir reden über die letzten schlimmen Jahre, über Windhorst, Klinsmann, Preetz, Bobic. Wir reden vor allem auch über die Zukunft, zumindest die nächsten paar Jahre. Nach einer Dreiviertelstunde ziehen auch die Ultras ab, als geschlossene Gruppe, wie immer, mit ihren Trommeln und Geräten.
Der Mann und ich sind fast die letzten im Stadion, dann gehen auch wir zum Rondell, bei den Bahnen ist es immer noch voll. Ich trinken noch ein Bier. Eigentlich wissen wir alle schon seit Wochen, dass wir absteigen werden, aber man geht dennoch mit Hoffnung in jedes Spiel. Es ist heute gar nicht deprimierend. Dieser Abstieg kam mit langer Vorlaufzeit aber gleichzeitig scheint der Verein in sich zu ruhen. Das ist bei Hertha ungewöhnlich.
Und wir stehen nächste Saison ja eh wieder am Rondell.
Bevor ich zur Sbahn gehe, treffe ich noch den jungen Mann, mit dem ich im sich leerenden Stadion sass. Ich bedankte mich bei ihm, den Moment mit mir geteilt zu haben. Auch er bedankte sich. Es habe ihm gut getan, das alles einzuordnen. Er nennt seinen Namen, ich nenne meinen Namen, wir verabschieden uns.