Beim Morgenspaziergang stand ich mit einigen Hundehalterinnen im Park herum, als ich auf einmal mehrere nicht ganz unbekannte Sträucher mit stacheligen, grossen Beeren sah. Ich zückte das Telefon und scante einen dieser Sträucher in Google Lens ein, woraufhin mir der Verdacht bestätigt wurde: es handelte sich um Stechapfel.
In mir läuteten gleich sämtliche Glocken.
Es gibt zwei Dinge, vor denen ich in meinen jungen Betäubungsmitteljahren immer grossen Abstand hielt, das waren Heroin und Stechapfel. Heroin aus den offensichtlichen Gründen und Stechapfel- nunja, die Gründe sind auch bei Stechapfel eher offensichtlich. Die Horrorgeschichten über schlechte Stechapfeltrips – und Stechapfeltrips waren in den Schilderungen der Leute ausnahmslos sehr heftige Horrorfilme – , konnte ich mir nur allzu gut ausmalen. Aus Angst vor Horrortrips hörte ich irgendwann mit allen halluzinogenen Substanzen auf, sogar mit den eher gutmütigen Pilzen, weil jeder Trip immer unterschwellig den Horror mit im Gepäck trug, man fühlte immer, dass er da ist, aber man tat glücklicherweise die richtigen Dinge und war von den richtigen Menschen umgeben, sodass er ganz unten im nebligen Bewusstsein schlummerte, aber eigentlich nur auf einen Fehltritt wartete. Ein falsch abgebogener Gedanke, ein falscher Mensch vor dir, der den Horror in dir wachrütteln würde.
Bei allen Menschen, die ich kenne, weckte der Stechapfel dieses schlummernde Monster. Die Erinnerungen daran wurden nie heldenhaft vorgetragen, es war immer von Entsetzen geprägt. Zwei Bekannte verschwanden nach einer Sommerparty für mehrere Tage in den südtiroler Wäldern und tauchten unterkühlt sowie verletzt, viele Kilometer voneinander getrennt, wieder auf. Die beiden erzählten nur davon, dass sie andauernd flüchteten. Einem anderen Bekannten zog sich das Monster über mehrere Jahre nicht mehr zurück. Mittlerweile hat er die Psychosen medikamentös einigermassen im Griff.
Ich googelte „Hund Stechapfel“. Es ist auch für Hunde hochgiftig. Dreissig Meter daneben befand sich ein Kinderspielplatz. Als ich zuhause war, schrieb ich sicherheitshalber eine Mail an das Grünflächenamt Pankow mit einem Foto der Lage im Park.
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Ich kam heute nicht dazu, am Text weiterzuarbeiten, stattdessen rahmten wir Ausstellungsplakate und Kunstdrucke ein. Das wollten wir schon lange machen. Bilder von Schiele, Jeanne Mammen, Wangechi Mutu, aber auch Basquiat. Und ein Print eines Buckelwales, der durch einen nebligen Wald schwebt. Der Buckelwal ist digital Art und vielleicht etwas zu fantasymässig, aber ich mag dieses Motiv, das sind die Bilder, mit denen ich mich nachts in die Träume hinab begebe.
Hm, bin ja großer Schiele Bewunderer aber mit vielen von seinen Bildern könnte ich nicht im selben Raum leben. Den Wal find ich aber gut für die Wand. Ist ja immer lustig, was Menschen als grenzwertig kitschig empfinden. Was ich zB gut finde: Bilder von verlassenen Orten, aber unsentimental. Was ich hasse: Bilder von verlassenen Orten, die durch diesen bestimmten Filter gejagt worden sind, durch den sie immer gejagt werden.
ist halt eine Frage, ob man zB zum nachdenken draufschaut und sich damit auseinandersetzt (dann gehen aber nicht viele), oder ob die bilder so im vertrauten hintergrund aufgehen und quasi unsichtbar werden.
wäre interessant, zu hören, wies so läuft, wenn die Bilder alle hängen. hab selbst viele bilder und nicht alle hängen, muss aber ja auch nicht.
Wenn es um die Bedeutung von Kunst geht, muss ich immer an Wilson Fisk in der ersten Staffel von Daredevil denken, wenn er vor diesem übergrossen, fast weissen Gemälde in seinem Penthouse steht. Das Gemälde erinnert ihn an seinen gewalttätigen Vater, der ihn jahrelang zwang die weisse Wand anzustarren und dabei darüber nachzudenken, wer er einmal sein wolle. Schliesslich tötete er seinen Vater.
Siehe Foto hier:
https://www.tor.com/2018/10/26/wilson-fisk-is-a-true-villain-because-he-is-incapable-of-appreciating-art/