[Mi, 31.1.2024 – Rentierfell, Gegen den Winterblues, Gefühlsausschläge]

Als meine Frau das Rentierfell auspackte, war das Interesse der Hündin geweckt. Sie folgte meiner Frau andächtig mit gestreckter Schnauze, um dieses grosse Fell zu verstehen. Meine Frau lief damit durch die Wohnung und suchte einen geeigneten Ort, um es abzulegen. Die Hündin immer an ihren Fersen. Die Entscheidung fiel auf den Schaukelstuhl. Meine Frau breitete das Fell über den Stuhl aus und begutachtete es. Dann begann die Hündin zu knurren. Sie knurrte das ausgebreitete Fell an und versteckte sich hinterm Tisch. Sie kam wieder hervor, knurrte, machte einen Bogen um den Stuhl und versteckte sich wieder.

Das war lustig.

#
Sonst waren die letzten beiden Arbeitstage unglaublich produktiv. Es geschah lange nicht mehr, dass ich abends nach Hause komme und das Gefühl habe, richtig viel erledigt zu haben.

#
Übrigens gibt es ein Interview mit einer amerikanischen Psychologin auf Spiegelplus, das mich sehr begeistert hat. Über Winter und wie man den Winterblues verhindert. Schlichtweg, indem man ihn zu lieben lernt. Es bringt nichts, sich den ganzen Winter lang zu wünschen, im Park zu sitzen, wenn es der Winter nicht hergibt. Deswegen muss man die Dinge anders angehen. Z. B. Gemütlichkeit zulassen, Ausgehstress runterfahren, Lichter anschalten etc.

Ein paar lustige Passagen:

SPIEGEL: Gibt es Regionen, in denen die Menschen besonders anfällig für den Winterblues sind?

Leibowitz: Ja, das sind vor allem diejenigen, die ihre Heimat in den mittleren Breitengraden haben. Dazu zählen etwa Städte wie Berlin, London oder New York. Man würde denken, dass es dort, wo die Winter deutlich dunkler und extremer sind, auch zu mehr Fällen von Winterblues und Winterdepression kommt, aber das ist nicht so. Nach meiner Auffassung und Forschung ist der Grund folgender: Wenn man in extremen Wetterverhältnissen lebt, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich anzupassen, sich vollkommen in den Winter hineinzuwerfen und ihn zu umarmen.

SPIEGEL: Und wie umarmt man den Winter? Was machen die Menschen in den nördlichen Teilen der Welt anders als wir hier in Deutschland?

Leibowitz: Die Kultur ist vollkommen anders und deutlich besser an die kalte Jahreszeit angepasst. Die Menschen ziehen sich wärmer an, die Infrastruktur der Städte ist auf die Kälte und den Schnee eingestellt, die Häuser werden effizienter geheizt, so etwas hilft natürlich. Menschen, die in den nördlichen Breitengraden leben, sind außerdem deutlich mehr dazu geneigt, ihr Verhalten und ihren Rhythmus an die dunklen Wintermonate anzupassen. Korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege, aber in Deutschland ist Gemütlichkeit kein relevantes kulturelles Konzept, oder?

SPIEGEL: Es ist auf jeden Fall kein Volkssport, würde ich sagen, nein.

#
Am Abend fand das Pokalspiel gegen Kaiserslautern statt. Ich sass zu Hause und sah eine eher traurige Niederlage. Ich hatte meine Dauerkarte für dieses Spiel bereits im Dezember vergeben, ich weiss aber auch nicht, ob ich die Niederlage mit Freunden im Stadion anders verarbeitet hätte. Seit anderthalb Jahren ist bei mir eine gewisse Egaligkeit bei Niederlagen eingetreten. Ich interpretiere das als Selbstschutzmechanismus, vielleicht ist es aber auch etwas anderes. Es äussert sich leider auch darin, dass mir Siege weniger Freude bereiten als früher. Bei der Audiobearbeitung nennt man das „normalisieren“. Wenn man die Ausschläge oben und unten wegfeilt. Das machen auch Antidepressiva. Oben und unten wegfeilen. David Foster Wallace nahm sich deswegen das Leben. Weil er nicht nach unten und nach oben fühlen konnte. Klingt jetzt sehr dramatisch, wenn ich das so schreibe, ich bin nicht sonderlich suizidal, aber der Vergleich bot sich gerade an. Vielleicht sollte ich mit dem Fussball aufhören.

6 Kommentare

  1. Nachdem ich schon in verschiedenen Deutschen Städten gewohnt habe, und Weihnachten meist der Familie wegen in New York verbringe: Berlin ist, was Winter angeht, ein echtes lokales Minimum. Die Tage sind kürzer als im Süden von Deutschland, oder, was das angeht, besonders in New York. Berlin liegt auf dem 52. Breitengrad oder so und New York auf dem 40. Auf der Höhe von Rom. Das noch als „mittlere Breiten“ zu etikettieren ist schon sehr grenzwertig. Mein Mann musste, bevor er nach Europa kam, eigentlich niemals im Dunkeln aufstehen. Der reine Luxus. Das Aufstehen im Dunkeln! Wir haben uns einen Tageslichtwecker gekauft, weil es zu brutal war. Die Berliner Häuser sind im Vergleich mit kleineren Städten höher und lassen weniger Licht der ohnehin kurzen Tagen in die Straßen. Durch die großen Alleen und Chausseen bläst ungebremst ein ungemein unfreundlicher Nordwind, und der Himmel hat gefühlt von November bis März die Grundfarbe Grau, während in den Bergen und auch in New York klare Winterhimmel strahlen. Wir hatten mal sehr nette Australier gekannt, die ein Cafe aufgemacht hatten, aber nach einem besonders argen Winter sich entschlossen, das mit Berlin jetzt wirklich sein zu lassen, und wieder nach Thailand und Australien abzuziehen. Die meisten Cafes und Restaurants wissen auch nicht gediegen mit Samptportieren und Fußmatten Winterluft und Matsch draussen zu lassen, denn Gediegenheit ist halt nicht das Ding der Berliner. Dazu meist kein Schnee. Der Winter war, bevor ich nach Berlin gezogen bin, meine liebste Jahreszeit, seitdem nicht mehr. Scharfsinnig wurde sogar die Berlinale in den Winter verlegt, um das touristische Loch zu stopfen, denn klar will hier im Winter eigentlich niemand herkommen. Eislaufen könnte man vielleicht aber das Eisstadium Neukölln ist jetzt auch geschlossen geblieben, etc etc.
    Überhaupt die Städte der „mittleren Breite“ über einen Kamm scheren zu wollen, ist grundsätzlich falsch, den jede Stadt hat ihren eigenen Charakter und auch eigenen Winter.
    London ist auf andere Art scheußlich im Winter, denn da wird man andauernd in der Kälte naßgeregnet. Brüssel ist ohnehin eine bedrückende Stadt, da passt der graue Winter dann dazu. Die Brüsseler nehmen es mit Humor. Paris kann sowieso nichts falsch machen, manchmal färbt der Saharasand dort den Schnee rosa. New York ist im Vergleich mit Mitteleuropa oft unglaublich Kalt gewesen, dafür schneit es meist entweder gar nicht oder lädt so viel Schnee ab, dass die Müllwagen zu Schneepflügen umgebaut werden.Etc Etc.

    Nach Jahren der Forschung an all diesen Tatsachen und der Heterogenität der Städtejahreszeiten vorbeizublicken spricht nicht gerade für diese Frau, oder eben gegen ein weiß gott wie zusammengebasteltes Interview. Lustig auch, dass sie denkt, Deutschland könnte das nicht mit der Gemütlichkeit, dabei ist gerade das eines der berühmtesten Deutschen Wörter mit oft fehlendem Gegenstück in anderen
    Sprachen – hier mal eine tiefergehende Betrachtung
    https://www.tegut.com/marktplatz/beitrag/gemuetliche-atmosphaere.html

    Hoffe, sie hat zumindest mal erwähnt, dass zB in Russland aber auch anderen nordischen Ländern das Baby auch mal tagsüber zum Schlafen im Kinderwagen (mit decken und so natürlich sonst ist es dann tot) nach draussen gestellt wird. Es soll der Abhärtung dienen und die Kinder sollen so besonders gut schlafen. Sehe schon, dass einem dann vielleicht später im Leben der Winter keine Angst mehr macht, evtl. muss man dann eher an der frühkindlichen Prägung arbeiten.

    • NEIN!
      (nicht mit dem Fußball aufhören! Geht doch eh mehr um das Treffen, das Lachen zusammen, das gemeinsame Erleben, nicht um den Profi-Fußball an sich…)

    • Liebe E. Du hast natürlich recht. In meiner Welt, die vornehmlich aus Breitengraden besteht, ist mir der schiefe Vergleich mit NYC natürlich sofort aufgefallen. Finde es dennoch lustig.
      Ich stimme dir mit dem winterlichen berliner Grau vollkommen zu. Aber wenn in Berlin Häuser bunt angemalt oder auffällig gebaut oder irgendwie anders aus dem grau-oder-eierschalengelb-Muster herausfallen, kommt ja immer die Geschmackspolizei tatütata daher.
      Ich bin ja bekanntlich auch kein Fan davon die Städte mit Bäumen vollzustellen (ja, ich sehe gewisse Vorteile, aber sie müssen jetzt nicht überall rumstehen), aber sechs Monate im Jahr sind Laubbäume einfach dunkelgraues Gestängel.

      Jedenfalls Danke für den verlinkten Artikel. Die Historie dazu war mir gar nicht bewusst. Dennoch, bezogen auf meine heutige berliner Realität, fällt es mir schwer, ein Zelebrieren der Gemütlichkeit zu finden. Jetzt mal vom Klischee des fränkischen oder alpenländischen Dörfchens abgesehen.

      • Ja, ich denke immer Berlin könnte, will aber nicht, weil es sich so eine Armutsästhetik aufgebaut hat, die im Winter einfach nicht funktioniert, wenn es draußen nicht üppig und grün ist. Ich sage gar nichts gegen grau, das kann ja auch beruhigen. Die Bäume sind unsere Freunde und müssen auch mal schlafen. Zu meinen, dass man Depressionen mit bunten Farben löst, das ist auch eher sehr direkt gedacht. Die Frau mit dem Gemütlichkeits Artikel beschreibt es aber sehr gut, einerseits denke ich braucht man genug Licht, anderseits eine Art Höhle, in der sich der instinktive Teil des Menschen wohlfühlt. Verschiedene Texturen,mit denen sich der Mensch die Welt nach drinnen holt, die er gerade nicht erleben kann. Im Grund ähnelt diese Beschreibung sehr der Beschreibung des Kaffeehauses in diesem Enrichtungsguide
        https://www.gastro-inn.de/ratgeber/klassisches-cafehaus-so-schaffen-sie-die-wohlfuehl-atmosphaere-fuer-ihre-gaeste/

        „Das klassische Caféhaus strahlt Gemütlichkeit und Behaglichkeit aus – es ist sozusagen wie ein zweites Wohnzimmer. Typische Elemente sind beispielsweise:

        • kleine Tischchen mit Marmor-Tischplatte, häufig in runder Form
        • bequeme Thonet-Stühle zum Zurücklehnen
        • gemütliche, stoffbezogene Bänke in kleinen Nischen
        • altes Parkett, Dielenboden oder auffällig gemusterter Fliesenboden
        • Antiquitäten oder Möbel mit deutlicher Patina
        • Vorhänge, teilweise aus schweren Stoffen wie Brokat oder Samt
        • viel dunkles Holz, sowohl in den Möbeln als auch in aufwändigen Wandvertäfelungen
        • schwere Kronleuchter oder auffällige Lampen, die jedoch ein eher indirektes, gedämpftes Licht ausstrahlen
        • große Vitrinen, in denen die angebotenen Speisen präsentiert werden
        • auffällige Spiegel
        • insgesamt eher dunkle Farben, gerne auch mit Mustern und Ornamenten“

        (Ich möchte hinzufügen, dass im winter ein extrem wichtiges element die Schleuse vom Winter in den Innenraum darstellt, wo man sich hinter der Tür aber vor einem kreisrund aufgehängten Vorhang den Schnee abstößt und dann in eine angenehm mollige wärme tritt. Im Australischen Cafe brachte jeder Gast einen Stoß Eiseskälte in den Raum und schloff mit matschigen Schuhen übers Linoleum.)

        Und jetzt die Frage: Gibt es solches in Berlin? Irgendwie ja nicht, oder nicht mehr, denn die einigermaßen ehrlich gemeinten Berliner Versionen, wo man in den frühen nuller Jahren noch in den Kleidern der Eltern auf den Möbeln der Großeltern saß, scheinen ja inzwischen samt und sonders untergegangen, das Cafe Einstein ist derart repräsentativ gemeint, dass es gar nicht atmen kann.

        Der Zustand der berliner Kaffeehäuser wird hier aufgedröselt.
        https://www.deutschlandfunkkultur.de/wiener-kaffeehauskultur-in-berlin-herr-ober-einen-100.html
        Problematisch ist auch bei den gemütlicheren Läden die extreme Platznot, es sind eben kleine Lädchen, nicht große Hallen, und der Geistesarbeiter der stundenlang vorm Kaffee sitzt ist eben nicht erwünscht, im Prinzip wäre es ja nicht so falsch, dort zu sitzen und zu arbeiten, auch wenn der Computer der Höhle etwas den Charme nimmt. Zum Kaffeehaus gehört halt auch das Inventar an Gästen, die da ewig sitzen, auch das hätte was ruhiges winterliches.
        Jeder muss sich auch im seinem präferierten Kaffeehaus wiederfinden, und es gibt schon in Berlin gute Orte, es sind aber eher zu wenige und oft nicht wintertaugliche. Was ich gerne mochte, war das Operncafe, gerade weil es nicht so schick war, dass hippe Leute da hingegangen wären, sondern die Omas, die sich was gönnten, in ihren besten Pullis. Es war riesig, also wurde man niemals weggejagt. Das ist aber ja nun nicht mehr. Das Cafe **** bei uns quasi vor der Tür lebt zumeist am nettesten auf seiner Terrasse, hat aber immerhin ein Hinterzimmer, mein Mann benutzt es als erweitertes Arbeitszimmer und hat schon öfters Kollegen dorthinbestellt. Er hatte aber schon mehrfach Ärger als das Cafe eine „Kein Laptop“ Richtlinie eingeführt hatte. Aber irgendwie wurstelt er sich dort durch. Ich habe auch schon öfters miteigentümer hingeführt, um mal eben die nächste Eigentümerversammlung zu besprechen. Im Winter ist es aber eigentlich auch zu klein. Und und und. Ich glaube hier im Blog wurde mal das „Haus am See“ erwähnt, keine Ahnung wie das im Winter wirkt.

        Zuvorderster Teil meines 10-Punkteplans gegen den Winterblues wäre also:
        1. ordentliche Kaffeehäuser.

  2. Für den ersten Punkt des Manifests würde ich sogar auf die Strasse zu gehen 🙂

    Aber bezüglich gesellschaftlicher Innenräume ist es in Berlin gar nicht so schlecht bestellt. Ich ziehe oft eine Anekdote hinzu, als ich in 2016 in einer Neuköllner Szenekneipe den Geburtstag einer Freundin feierte. Draussen war es sehr kalt und drinnen unterhielt ich mich mit einem jungen Mann, ein geflüchteter Journalist aus Syrien. Er schwärmte von diesen schönen Innenräumen in Berlin. Er zog den Vergleich zu Damaskus, wo kalte Tage furchtbar deprimierend seien, weil man sich nicht auf der Strasse aufhielte, andererseits die Wohnungen aber eng und dunkel, mit kleinen Fenstern und ungemütlich seien. Er schwärmte zuerst von den Kneipe in Neukölln, dass es überall Sofas gäbe, überall gedimmtes Licht und intime Ecken in denen man zusammensitzen könne und er liebte diese berliner Wohnungen mit den hohen Decken und Holzböden und ihm sei es aufgefallen, dass Menschen in Berlin sich viele Gedanken über die Einrichtung einer Wohnung machten. In Damaskus macht man das nicht.
    Das klang für mich sehr schlüssig. In Damaskus verbringt man vermutlich weniger Zeit in einer Wohnung.

    Bezüglich Kaffeehäuser bzw gemütliche neuköllner Szenekneipen. Beide haben ja eine ganz unterschiedliche Gemütlichkeit. Während ich wirklich gerne auf Sofas irgendwelcher schummrigen Bars mit einem handwerklich gebrauten Bier herumlungere, stört mich jedoch meist die Einseitigkeit des Publikums. Immer junge, hippe Menschen. Das fiel mir in Hamburg auch auf. Im Schanzenviertel gibt es keine alten Menschen. Und das ist in der Weserstrasse oder am Helmholtzkiez oder in F’Hainer Südkiez etc. auch so.

    Kaffeehäuser ziehen eine gesündere Mischung aus Menschen an. Das ist in Berlin selten.

Kommentare sind geschlossen.