Gegen Mittag machte ich mich auf dem Weg zum Flughafen. Das war auch der Moment, an dem ich verstand, dass ich genau so gut morgen Mittag hätte fliegen können. Meine Termine in Amsterdam wurden dermassen herumgeschoben, dass ich erst morgen Nachmittag in den Niederlanden hätte aufschlagen müssen. Das fand ich sehr ärgerlich, weil ich überhaupt nicht in Reisestimmung war.
In Amsterdam fuhr ich direkt ins Hotel. Dort stand ich dann an der Rezeption und offenbar war kein Zimmer für mich reserviert. Wie ich nach Überprüfung meiner Unterlagen herausfand, wurde mir statt des Hoxton an der Herengracht das Hoxton Lloyd irgendwo JWD im Osten an den Oosterdoks gebucht. Da gibt es keine U-Bahn, keine Bars und auch sonst nichts, ich hätte mir für jede Bewegung ein Uber rufen müssen.
Glücklicherweise liess sich mein Zimmer unkompliziert und ohne Stornierungskosten umbuchen, da beide Hotels derselben Kette angehören. So blieb ich in der Innenstadt und muss nicht für jede Kleinigkeit lange Wege auf mich nehmen.
Ich machte dennoch nicht viel. Ursprünglich hatte ich geplant, Antoon in Utrecht zu besuchen. Er und seine Frau haben ihr zweites Kind bekommen und er sprach vor wenigen Monaten noch eine sehr herzliche Einladung aus. Aber ich musste im Hotel noch ein paar Arbeitssachen erledigen, danach würde es zu spät werden. Utrecht ist zwar nur eine 35-minütige Bahnfahrt entfernt, aber. Genau, aber.
Dafür ging ich zu McDonalds und ass einen Burger. Kann man ja mal machen. Ich hatte keine Lust, mich in ein Restaurant zu setzen und dort alleine an die Decke zu starren. Trotzdem ging ich danach in einen Irish Pub und setzte mich an den Tresen. Warum fühlt sich das heutzutage so seltsam an, alleine am Tresen zu sitzen? Früher taten „wir“ das doch ständig, taten wir nicht? Heute fühlt man sich wie eine einsame, bemitleidenswerte Seele. Früher sass man einfach alleine am Tresen und schaute seinen Gedanken hinterher. Vielleicht habe aber auch nur ich mich verändert. Vielleicht sah das früher auch seltsam aus.
Ich trank jedenfalls ein Guiness. Ich habe bestimmt seit zehn Jahren kein Guiness mehr getrunken. Weil es mir so schmeckte, bestellte ich direkt ein zweites hinterher. Neben mir am Tresen sass ein österreichisches Paar mit ihrem Sohn. Sie sprachen österreichisch und ich tat, als würde ich es nicht verstehen. Ich hatte wirklich keine Lust, mich österreichischem Gegrantle auszusetzen. Ich werde fast selber zum Grantler wenn ich dieses langgezogene Waaaast und hoooost und wisoonedda höre. Das macht mir schlechte Laune. Fast alle Freunde aus meiner Jugend sind nach Wien gezogen. Wegen diesen Sprachsound besuche ich sie nicht mehr. Auch meine Frau wohnte in Wien. Ganze acht Jahre lang. Sie unterstützt meine Abneigung, das ist sehr wohltuend.
wien und wienerisch: agree to disagree
finde das wiener gegrantel so lustvoll choreographiert und mit liebe ausgeführt, dass ich mir das ewig anhören könnte, derart hypnotisch ist das. Erinnere mich aber mal an eine Session zwischen einem Würstlbudenbesitzer und dem Stammgast, wo das Gegrantel etwas aus dem Tritt kam, weil der Würstlbudenbesitzer irrigerweise dachte, gerade müsste er das Stichwort für eine weitere Grant-Entladung geben, dabei war der Dauergast noch gar nicht beim Grantteil angelangt. Hatte was mit der Rückkehr aus den Ferien und der angestauten Post zu tun, soviel weiß ich noch. Deshalb ist das Grantln ein eindrucksvolles Pas de Deux, aber das gegenüber muss geduldig beobachtet und angeregt werden. Thomas Bernhard ist auch so ein Supergrantler, so meändern die Bücher auch immer dahin. Besonders toll ist auch das Buch „meine Preise“ wo es die unsäglichsten Geschichten gibt, die sich alle toll lesen. Bernhard hasst nämlich erst mal alle die ihm Preise verleihen (ausser der Trafikantenvereinigung, denn er hat mal Trafikant gelernt oder so, oder Kleinkrämer, und hat Expertenwissen über Kaffeesorten), dann gibt es aber die Geschichte, wo er vor den entsetzten Augen der Lieblingstante ein komplett ruinöses Bauernhaus kauft, das auch noch halb überschwemmt ist, und ab da muss er die Preise alle annehmen, denn er braucht ja Geld fürs Haus. besonders erwähnenswert ist auch der Staatspreis-Skandal, oder, wie mein Augsburger Kollege sich erinnert, die ausführliche Beleidung der Stadt Augsburg. gibt auch irgendwie 2 stunden grant auf film von bernhard und irgendwie ist „alle menschen san ma zwieder“ eingebaut. Es ist Kunst. Natürlich nix für Leute, die mit so viel Energie positiv ins leben hauen und „so“ rufen und sich auf die Beine klatschen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Staatspreis-Skandal
Ausserdem ist es ansteckend. Wie die Pest.
Aber die österreichische Staatsbeleidigung unterstütze ich natürlich aus ganzem Herzen. Augsburg sicherlich auch, ohne diese zu kennen.