[So, 24.9.2023 – Kaffeemaschine, alte Textilien]

Heute früh beendete meine Kaffeemaschine ihr Arbeitsleben. Sie produzierte noch etwa 20 ml Kaffee und geriet dann in eine endlose Schleife des Pumpens und des Abdampfens. Ein schneller Blick ins Netz verriet mir, dass dieses Verhalten nicht gut ist, und im Wesentlichen wohl das Ableben der Maschine bedeutet. Ich fühlte mich etwas hilflos. Zwar besitze ich noch irgendwo zwei Espressokocher, aber es gibt in meinem Haushalt eigentlich nur noch ganze Bohnen, die Mühle funktioniert nicht mehr und Espressokocher brauchen ja vorgemahlene Bohnen. Auf der Suche nach einer Lösung irrte ich durch die Wohnung und wusste nicht so recht, was ich jetzt machen sollte, ich würde das Problem ja nicht nur heute haben, sondern auch morgen und übermorgen undsoweiter. Dabei glaube ich nicht, dass ich süchtig bin, es ist eher so, dass meine Routine kaputt gegangen war und ich habe schon nicht viele Routinen, ich habe eigentlich nur eine einzige Routine und diese Routine ist es, morgens aufzustehen, die Hündin zu begrüssen, ihr den Bauch zu kraulen und zur Kaffeemaschine gehen. Danach setze ich mich an den Schreibtisch und öffne sämtliche Nachrichtenseiten, dann korrigiere ich den Tagebuchtext, spreche ihn ein, bringe ihn online, dann ist der Kaffee fertig und gehe mit der Hündin raus.
Das kann ich alles nur leisten, weil ich meinen Kaffee habe. Das ist die samtene Begleiterin, durch diese morgendliche, magische Zeit.

Ich wusste heute also nicht, was tun und ging etwas irrend mit meiner Hündin in den Park. Ich erzählte allen Menschen die ich traf, dass meine Kaffeemaschine kaputtgegangen sei. Dabei wurde viel Mitleid an mich herangetragen. Alle schienen meine Gefühle nachempfinden zu können.

Auf dem Rückweg ging ich in der Bäckerei vorbei und holte zwei Kaffees. Meine Frau würde schliesslich vor der gleichen kaputten Maschine stehen. Die Bäckerin fragte mich, ob ich Hafermilch wolle, ich sagte erfreut: ja gerne!
Zwei Sekunden später fand ich die Frage ziemlich amüsant. Ich fragte in die Runde: Sehe ich aus, als würde ich Hafermilch trinken? Die Chefbäckerin sagte nichts, die Gehilfin wagte nicht zu grinsen, sie bekam aber rote Wangen.

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Heute trafen wir die ersten Vorbereitungen für die Reise. In Longyearbyen ist schon Winter, ich musste also an die Wintersachen ran und plötzlich war im ganzen Zimmer ein Textilchaos herangewachsen. Das nahm ich als Anlass, alte Kleider zu entsorgen. Vor allem die alten Tshirts, die ich nicht mehr trage, aber auch einen Hoodie und Hosen.

Die Kleider brachte ich zum Forckenbeckplatz, dort gibt es an der südwestlichen Ecke des Platzes ja diesen Zaun an dem man alte Kleider spenden kann. Dort hing ich alle Sachen auf. Vor allem die Tshirts sind gut. Sie sind alle mit von mir ausgesuchten Motiven bedruckt, die ich dann bei Shirtinator produzieren liess. Eines mit Knoblauch, eines mit einem Teller scotish Breakfast, eines mit Regen, eines mit zwei Chilis, eines mit Suhsi usw. Sie sind kaum getragen, mir gefiel der Schnitt der Tshirts von Shirtinator einfach nicht, ich sah sehr unförmig darin aus.

Dabei hing ich auch zwei Tshirts mit dem Logo meiner Firma auf. Lustigerweise machte sich eine Romafamilie sofort über diese beiden Tshirts her. Es wird vielleicht lange dauern, bis sie verstehen werden, dass sie mit dem Logo einer sehr bekannten schwulen Datingapp herumlaufen.

[Sa, 23.9.2023 – Kajak auf dem Landwehrkanal, Rentierjagd]

Die Nachbarin und ich gingen heute spontan mit unserem Kajak aufs Wasser. Zuerst überlegten wir in der Rummelsburger Bucht zu paddeln, aber wir entschieden uns für den Landwehrkanal, da dort das Wasser etwas ruhiger ist. Also fuhren wir mit dem Auto zum Urbanhafen. Dort vor dem Krankenhaus kann man prima mit den Booten ins Wasser. Die Nachbarin hat ein aufblasbares Kajak, meines ist zum Falten. In zehn Minuten waren wir fertig und paddelten los.

Wir paddelten runter bis Neukölln, bis zur Kreuzung am Weichselplatz. Auf dem Hinweg beschäftigte ich mich noch viel mit der Steuerung, aber auf dem Rückweg waren wir im Flow, wir schwebten zenartig übers Wasser und unterhielten uns die ganze Tour lang, als würden wir spazieren.

Die Fahrt dauerte ewig. Als wir aber zurück am Urbanhafen waren, sahen wir, dass wir gerade Mal anderthalb Stunden gepaddelt hatten. Und in der Summe waren es gerade mal 5 Kilometer. Es fühlte sich wie 100 an.
Da das Boot der Nachbarin noch etwas trocknen musste, legten wir die Kajaks auf der Wiese vor dem Krankenhaus in die Sonne und ich holte uns zwei Kaffees, die wir dort im Gras tranken.

Es ist wirklich erstaunlich, dass in Berlin kaum jemand aufs Wasser geht. Dabei ist die ganze Stadt mit Wasserstrassen durchzogen. Wir begegneten auf dieser ganzen Strecke nur zwei weiteren Kajaks und einem kleinen Motorboot. Neben zwei Ausflugsdampfern. Mir fallen jetzt nur Amsterdam und Utrecht als Vergleich ein, aber dort sind die Menschen ständig auf dem Wasser, kommt mir vor.

Beachtlich sind auch die vielen Zelte und Obdachlosenbehausungen am Neuköllner Ufer des Kanals. Ich kenne die Gegend von der Strasse aus, da nimmt man diese aber nicht wahr. Vom Wasser aus sieht man die Zelte und die Bretterkontruktionen. Und man sieht auch die Ratten. Eine Konstruktion besteht aus verschraubten Paletten, die in einem Brückenkopf einer Versorgungsbrücke eingebaut ist.

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Am Abend kam meine Frau aus Helsinki zurück. Ich holte sie mit dem Auto am Ostkreuz ab. Sie hatte finnische Spezialitäten mitgebracht, unter anderem eine Rentierpastete. Auf Spitsbergen ist übrigens gerade Jagdsaison. Man darf Rentiere erlegen. Das finde ich seltsam. Rentiere verhalten sich dort wie Haustiere, bzw wie Kühe, sie spazieren durchs Dorf und grasen vom spärlichen arktischen Tundraboden. Alle fotografieren sie und alle lieben sie. In der Jagdsaison erschiesst man sie. Wie gesagt: finde ich komisch.

[Fr, 22.9.2023 – müde Hündin, Herthajacken, Helmholtzkiez]

Die Hündin war wegen der Umstände von gestern etwas angeschlagen. Auf der morgendlichen Gassirunde trottete sie in 10m Abstand hinter mir her und blieb an jeder Strassenecke stehen, wo sich mich jedes Mal vorwurfsvoll anstarrte, ob wir hier nicht abbiegen und wieder zurückgehen könnten.
Auch auf andere Hunde schien sie keine Lust zu haben. Sie war also ganz glücklich über einen langweiligen Tag im Homeoffice.

Am Nachmittag ging ich zur Änderungsschneiderei. Etwas, das ich hier im Blog nie oder zumindest selten thematisiere, ist meine Unzufriedenheit über Hertha Jacken. Ich kanalisiere diese Unzufriedenheit hauptsächlich über meine Fussballfreundinnen. Ich suche schon seit Längerem die Nike Jacken, die zwischen 2015 und 2017 für Hertha produziert wurden, aber sie sind schlichtweg nicht mehr auffindbar. Meine Lesezeichen bei Kleinanzeigen.de oder Ebay bringen nie die richtigen Jacken hervor. Nach 2017 gab es bei Hertha nur noch furchtbare Nike-Jacken mit seltsamen Brustringen oder ungelenken Verzierungen, oder wir diese Saison, da ist sie weiss und hat einen seltsamen blauen Fleck auf einer Seite. Seit Jahren warte ich zu Saisonbeginn immer auf die Vorstellung der neuen Saisonjacke, dabei werde ich aber von Jahr zu Jahr enttäuscht.
Eine Freundin fand einmal die Jacke aus 2017 auf Ebay und schenkte sie mir zum Geburtstag. Das war eines der schönsten Geschenke, das ich je bekam. Leider war die Jacke in Grösse M, und sagen wir so: in M würde ich auch gerne hineinpassen, aber davon bin ich weit entfernt. Sie ziert meinen Kleiderständer, aber ich kann sie nicht tragen.

Als ich mich neulich wieder einmal über die Jacken bei Hertha beschwerte, schlug ein Freund aus dem Fanclub mir vor, einfach eine schöne Jacke zu kaufen und mir ein Logo von einem Trikot umnähen zu lassen. Diese Idee war so einfach, und so genial.
Letzte Woche fand ich schliesslich eine schicke Retrojacke von Nike in diesem neuen, sanften Herthablau. Also kaufte ich sie. Mit der Jacke und mit einem alten Trikot, ging ich heute in die Änderungsschneiderei und liess mir das Logo umnähen. Das kostet 10€ und wird nach meiner Arktisreise fertig sein. Püntklich zum nächsten Heimspiel.

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Am Abend ging ich zu Frau Casino. Wir waren auf einen Drink in ihrem Kiez verabredet. Natürlich nahm ich auch meine Hündin mit, es gehört alles noch zur Eingewöhnungsphase, weil die Hündin ab nächstem Wochenende für eine Woche bei ihr wohnen wird.

Wir setzten uns an den Helmholtzplatz in ein Café und redeten über die Dinge. Über Freundschaften, darüber wie wichtig es ist, Freundschaften nicht einfach hinzunehmen (eher ein Männerthema), über die Beziehung zu den Eltern, zu Vätern auch, wie sehr sich Familienverbindungen normalen Freundschaften ähneln, oder auch nicht, und wenn man sie nicht pflegt werden sie eher zu Last.

[Mi/Do, 20./21.9.2023 – Bürostuhl, Notfallpraxis]

Mir ging es gestern wieder nicht gut. Als wäre ich wieder krank. Oder vielleicht immer noch krank. Im Laufe des Tages schlief ich dann viel, danach ging es mir wieder besser. So kam ich schliesslich nicht dazu, den Tagebucheintrag zu verfassen. Zugegebenermassen passiert aber auch nichts erzählenswertes, wenn man im Bett liegt. Zumindest nicht, wenn man dabei alleine ist.

Vor einem Monat hatte ich ja einen Bürostuhl bestellt. Heute fiel mir während eines Meetings dieser Stuhl wieder ein. Die Lieferzeit war mit 14 Tagen angegeben, deswegen rief ich bei der Hotline an und fragte nach dem Status. Die Frau am Telefon klärte mich auf, dass die Lieferzeit keine 14 Tage betragen würde, sondern 14 Wochen. Also dreieinhalb Monate.
In 14 Monaten ist Weihnachten. Das sagte ich so. Sie sagte: ja. Sie sagte auch, dass sich um Weihnachten herum die ganze Logistik in einem Engpass befände, es könne also gut sein, dass der Stuhl erst Anfang Januar käme.
Sie bot mir an, die Bestellung zu stornieren, ich bat aber um Bedenkzeit. Es hing schliesslich davon ab, ob ich einen anderen Stuhl sähe, der mir ausreichend gefällt. Es war ja schon schwierig diesen einen zu finden.
Nach einigem Herumgooglen fand ich einen ähnlichen, aber nicht ganz so schönen Stuhl, den ich nun stattdessen bestellte. Mit einer Lieferzeit von drei Tagen. Tagen, genau. Habe ich extra noch danach geschaut.

Am Abend gab es dann Action auf die ich überhaupt keine Lust hatte. Ich lief mit der Hündin zum späten Spaziergang durch meine Strasse, dann riss sie plötzlich an der Leine und wollte umkehren. Das unterband ich natürlich, aber sie zog dermassen fest an der Leine, dass ich neugierig wurde. Ich wollte wissen, was sie erschnüffelt hatte. Sie macht das öfter mal, wenn sie irgendeine interessante Rüdenmarkierung an einer Strassenlanterne riecht. Wenn sie an der Leine ist, dann ziehe ich sie aber immer mit, das ist die Regel. Heute war sie aber sehr von dem Geruch überzeugt, also liess ich es nach einiger Bedenkzeit geschehen. Ich war neugierig.

Ich kann mich nur noch ganz wage an Bildern erinnern. Sie schnüffelte sich an Bürgersteig und Hauswand entlang. Ich scante mit meinem Blick mit, ich sah nichts Auffälliges, nur die eine oder andere Verpackung hier und da und ein Stück türkisfarbenes Plastik. Einige Sekunden später hatte sie ihre Schnauze in einem grössere Öffnung neben einer Regenrinne gesteckt und frass ganz offensichtlich etwas. Ich riss sie sofort zu mir und öffnete ihr das Maul, griff ihr mit dem Finger unter die Zunge und in alle Ecken, in denen sie Futter verstecken kann, sie hatte es aber bereits geschluckt. Anfangs dachte ich, nunja, wieder ein Stück Döner, aber dann fiel mir auf, dass ich das türkisfarbene Stück Plastik nicht mehr sah.

Es war ein handtellergrosses Stück Plastik. Vielleicht gross wie ein halber Handteller. Vielleicht war es auch rosa, es sah aber nicht nach Lebensmittel aus, deswegen hatte ich es ignoriert. Es muss aber offensichtlich stark gerochen haben, sonst hätte sich meine Hündin nicht so sehr danach verzehrt. Aber Rattengift riecht ja nicht stark, mit Gift präparierte Köder allerdings schon.

Und damit fing die Panik an. Zuerst dachte ich: ruhig bleiben und beobachten. Aber das mit dem Ruhigbleiben klappte nicht wirklich. Ich rief meine Frau an, die sich gerade in Finland befindet, sie wurde auch panisch, sie schlug vor Frau Casino anruzufen, die kennt sich ja mit Hunden aus. In der Zwischenzeit lief ich in den Park. Frau Casino meinte, dass man sich nie sicher sein kann, türkisfarbene Sachen sind in der Regel nichts Gutes. Sie würde eher in Erwägung ziehen, in die Notfallpraxis zu fahren. Als ich im Park stand, sprach ich andere Umstehende an, was sie so tun würden. Die meisten würden ruhig bleiben und beobachten, aber ja, türkise Farbe klingt nicht gut.

Also stieg ich ins Auto und fuhr nach Biesdorf in die Notfallpraxis für Tiere.

Die Hündin war freudig erregt, so viel Action, so viele Leute und Gerüche von anderen Tieren, aber als sie den Fieberthermometer bekam, begann ihre Laune zu sinken. Als sie schliesslich eine Kotzspritze bekam, merkte sie schon, dass wir hier nicht auf einer Hundeparty waren. Nach der Spritze schloss man uns in einen kleinen Raum, der mit ein paar Papiertüchern und einer Plastikschüssel ausgelegt war. Sie sollte sich in die Schüssel übergeben und ich sollte gut darauf achten, dass nichts danebenginge.
Das grosse Kotzen begann dann auch ziemlich schnell. Zuerst rülpste sie, dann ging es in Schüben los. Es landete alles gut in die Schüssel.

Der Spuk dauerte etwa 30 Minuten, danach bekam sie wieder eine Spritze, aber diesmal gegen das Kotzen. Die Arzthelferin und ich studierten gemeinsam die übergebene Masse. Sie stocherte interessiert darin herum und klärte mich über den Inhalt auf. Neben Hundefutter und Gras befand sich eine ganze, unverdaute Salami darin. Das war wahrscheinlich das, was ich als handtellergrosse Fläche in Erinnerung hatte. Nicht türkis, aber immerhin salamirosa. Eine dieser billigen, hochverarbeiteten Salamis, kein Wunder, dass ich dachte, es sei Kunststoff.

Ob es ein Giftköder sei, könne sie nicht sagen. Üblicherweise erkenne man es schon, wenn etwas präpariert ist. Auf der Röntgenaufnahme sah es aus, als sei das Fleischstück aufgerollt gewesen, aber in der Schüssel war es schlichtweg eine ganze Salamischeibe. Der Fundort war aber seltsam. In dieser grossen Öffnung neben der Regenrinne, ein bisschen höhergelegt auf Sand oder so. Zumindest war es in meiner Erinnerung so. Da verirrt sich doch keine Salamischeibe hin.

Nun. 200 Euro später fuhren wir nach Hause.

Das Tier war nachher ziemlich apathisch. Es war spät geworden. Die Hündin stand lange verdattert mit hängendem Kopf im Hausflur und starrte vor sich hin. Ein sehr rührender Anblick. Ich streichelte sie lange. Ob sie verstanden hat, was da alles passiert ist, weiss ich nicht. Vermutlich wird sie auch nicht die Verbindung zu der leckeren Salami ziehen. Nächstesmal würde sie es wieder schlucken.

[Di, 19.9.2023 – Fernsicht, Gleitsicht, das Eis]

Neulich liess mich eine Freundin durch ihre neue Gleitsichtbrille schauen und an jenem Tag stellte ich fest, dass ich ohne Brille nicht mehr wirklich scharf sehe. Das war eine seltsame Erkenntnis.
Mir fiel bereits länger auf, dass ich manchmal nicht ganz klar sehe, vor allem im Strassenverkehr, aber auch mal in dunklen Räumen, wie Bars oder Restaurants, ich schob es meistens auf zu viel Sonne oder zu wenig Sonne, oder auch mal auf den Alkohol (natürlich nicht im Strassenverkehr), dass ich mit der Brille der Freundin aber auf Entfernung die Dinge wesentlich schärfer sehen konnte, überraschte mich schon sehr.
Auf kurzem Abstand kenne ich das schon, ich brauche beim Lesen und am Bildschirm seit drei oder vier Jahren eine Lesebrille, das passiert altersbedingt offenbar bei vielen Menschen, damit kann ich leben. Sonst war meine Sicht aber immer vortrefflich. Überhaupt konnte ich mich immer auf meine Sicht und mein Gehör verlassen.

Die Augenschwäche beim Lesen ist eine Sache, dass aber meine Fernsicht nachlässt, verstimmt mich dann doch etwas. Jetzt schränkt sich meine Sicht von zwei Seiten ein. Vom Buch her und von der Ferne her. Ausserdem bedeutet eingeschränkte Fernsicht, dass man die Brille auch in Alltagssituationen tragen muss, nicht nur beim Lesen oder wenn man am Bildschirm sitzt. Ich werde zu einer Person mit Brille werden.

Ich war heute also bei der Optikerin, bei Mister Spex am Leipziger Platz. Ich habe offenbar 1 Dioptrin und man wird mir eine Gleitsichtbrille anfertigen. Eigentlich wollte ich die Brille mit in die Arktis nehmen, damit ich das Eis, die Fjorde und die Berge richtig scharf erkennen kann, aber die Herstellung der Gläser dauert wohl zwei Wochen, die Zeit wird nicht reichen. Jetzt werde ich in ein unscharfes, verschwommenes Winterland reisen.

Aber vielleicht fällt es mir gar nicht auf. Es ist mir bisher ja auch nicht richtig aufgefallen.

[Mo, 18.9.2023 – bald zum Nordpol, halbe Oktave zu hoch]

Ich rede jetzt eigentlich nur noch von meiner bevorstehenden Reise. Ich sage allen: ich fahre nächste Woche zum Nordpol. Das stimmt so natürlich nicht, Zum Nordpol sind es von da aus noch einmal etwa 1000 Kilometer, aber das klingt schlichtweg gut: ich fahre nächste Woche zum Nordpol.

Ansonsten geht es mir wieder besser. Ich glaube, meine Erkältung ist vorbei, dennoch schmerzt mir der Hals und der obere Brustbereich, aber ich glaube, das liegt am gestrigen Stadionbesuch, dieses ständige Gesinge reisst mich immer mit und dann singe ich zu hoch und zu laut, das schlägt sich auf meine Stimmbänder nieder. Fangesänge sind immer eine halbe Oktave zu hoch, davon muss ich husten.

Dafür habe ich am nächsten Tag eine schöne, leicht angerauchte Stimme.

[So, 17.9.2023 – dreizunull]

Bei Heimspielen in der zweiten Liga fährt man ja schon am Vormittag zum Olympiastadion.

In der Sbahn setzt sich ein kleiner Junge im Herthatrikot gegenüber mir. Er ist in Begleitung seiner Mutter und seines Grossvaters. Der Junge ist vielleicht 5 Jahre alt und redet englisch. Seine Muttter sitzt daneben mit einer aufgerollten blauweissen Fahne und spricht mit ihm französisch. Wir kommen ins Gespräch. Mutter und Grossvater sprechen fliessend deutsch mit mir. Ich frage, ob es sein erstes Spiel im Stadion ist, er antwortet mir auf deutsch: mein zweites! Er und seine Mutter wohnten in London und gingen zu Arsenal. Aber Hertha mag er lieber.
Ich stelle keine Warum-Fragen. Ich finds nett. Er trägt dieses Retro-Trikot mit dem neuen hellblau, das neuerdings bei Fanmerch oft verwendet wird. Das finde ich wesentlich schöner als das kältere Königsblau.

In der zweiten Liga passiert alles um zwei bis zweieinhalb Stunden früher. Wenn man nicht aufpasst, trinkt man schon am Vormittag Bier. Lässt man sich allerdings ein bisschen Zeit, trinkt man das erste Bier erst kurz nach zwölf, dann ist es offiziell schon Nachmittag, das klingt besser. Ich treffe Benny und ein paar Leute meines Fanclubs. Wir beschliessen früh reinzugehen und steigen gleich hinunter in unseren Block.
Dort treffe ich Nats, wir reden über die Arktis. Sie hätte gerne einen Stein aus der Arktis. Ich denke, das kann ich regeln. Das bringt mich auf die Idee, selber einen mitzubringen. Einen Stein aus der Arktis, ja warum eigentlich nicht, das klingt auf einmal so magisch.

Das Spiel geht richtig gut los und endet mit einem 3:0 für Hertha. Nach dem Spiel kommt die Mannschaft in die Kurve und wird von uns allen sehr laut gefeiert. Beachtlich finde ich auch den neuen Ton, den die Ultras setzen. Weniger Anspruchsdenken, die Ansage an die Mannschaft ist, dass es egal ist, ob wir verlieren, solange wir unseren Weg gehen. Was dieser Weg ist, bleibt natürlich nicht näher definiert, aber es ist klar, dass die Leidenschaft der Mannschaft mit ihren ganzen Fehlern akzeptiert wird.
Wir stellen uns eben auf ein paar Jahre zweite Liga ein.

Nach dem Spiel gehen wir zu dritt hoch in Block 1 und nehmen unsere drei Banner ab. Unser Fanclubbanner, das Banner des schwullesbischen Fanclubs, und das kilometerlange Banner der Stadioninitiative. Es gab Anfang der Saison ein paar Mal Stress mit Leuten von einem Fanclub, die Frakturschrift in ihrem Banner tragen. Die hängen ihren Banner neuerdings neben unserem. Es sind keine offensichtlichen Rechte, aber sie verhalten sich eben so, wie sich Leute verhalten, die Banner in Frakturschift malen.
Seitdem sind beim Abhängen immer mehrere Leute von uns vor Ort.

Nach dem Spiel stehe ich noch am Rondell und trinke eine Cola, ich warte, bis der grösste Ansturm auf die Sbahn vorbeigezogen ist. Währenddessen unterhalte ich mich mit einem jungen Mann, der Ende Oktober für die Nachwahl im Präsidium kandidieren will. Es wurde ihm gesagt, er solle nach dem Spiel zum Rondell kommen und sich vorstellen. Offenbar haftet meinem Fanclub die Reputation an, dass man sich mit unseren Mitgliedern gut zu stellen hat, wenn man etwas erreichen will. Es gibt noch andere Organisationen und Clubs, die grösser und wichtiger sind, wahrscheinlich sind wir aber einfacher anzusprechen als beispielsweise die Ultras. Es hat aber niemand Lust sich mit ihm zu unterhalten, die meisten Leute sind ja mittlerweile beim fünften oder sechsten Bier oder sie sind siegestrunken vom 3:0.
Der junge Mann bewirbt sich regelrecht bei mir, wir unterhalten uns dennoch nett, ich sagte ihm aber auch, dass das schlecht skaliert, wenn er mit jeder potentiellen Wählerin eine halbe Stunde redet. Er gibt mir recht, er wird sich aber auch noch auf zwei offiziellen Veranstaltungen in einem grösseren Rahmen vorstellen.

Irgendwann ist der Ansturm auf die Sbahn kleiner geworden, dann fahre ich auch.

[Sa, 16.9.2023 – Vorfreude Reise]

Meine Freunde gingen heute aufs Wasser. Ich war schon sehr neidisch. Dafür bekam ich viele Fotos per Whatsapp.

In zwei Wochen fliegen wir in die Arktis. Heute schneite es zum ersten Mal in Longyearbyen. Ein bisschen nur, aber das ganze Dorf liegt unter einem weissen Flaum. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass wir noch etwas mehr von der Braun-orangenen Jahreszeit mitbekommen, mit dem Schnee gibt es diese Farbtöne natürlich nicht mehr. Es misst jetzt 0 Grad. Wenn das Thermometer noch für ein paar Stunden auf 1 Grad Plus steigt, dann schmilzt die Schicht wieder, wenn es aber kälter wird, dann bleibt es so. Aber eigentlich ist es egal. Ich habe unfassbar viel Vorfreude auf diese Reise, ich weiss gar nicht wo ich mit dieser ganzen Vorfreude hin soll.
Ab Montag sinkt das Thermometer auf -5 und bleibt die ganze Woche so, ich hatte eher mit Temperaturen um die 0 Grad gerechnet. Minus erfordert eine ganz andere Jacke. Wir wollten eigentlich mit Handgepäck reisen, aber wenn es so kalt ist, nimmt das Volumen der Kleidung natürlich etwas zu. Es ist egal: wenn das so ist, dann ist das eben so.

Heute ging in Longyearbyen die Sonne um 20:05 unter. Am Samstag in zwei Wochen, wenn wir landen, schon um 18:07. Jetzt geht es schnell. In 5 Wochen beginnt bereits die Polarnacht.

Ich freue mich aufs Packen. Ich freue mich nie aufs Packen, aber diesmal freue ich mich sogar darauf.

[Do/Fr, 14./15.9.2023 – etwas schlapp]

In den letzten beiden Tage ging es mir nicht so gut. Es ging mir auch nicht schlecht, aber eben nicht gut genug, irgendwas vernünftiges zu sagen zu haben. Heute musste ich ausserdem ins Büro, weil ich einen unverschiebbaren Termin hatte. Dabei merkte ich aber, dass die ganze Anstrengung zu früh kam. Den Rest des Tages war ich ziemlich geschafft. Morgen bin ich mit Freunden zum Kajakfahren verabredet. Wir wollen uns in Kreuzberg am Eingang des Landwehrkanals treffen und durch Neukölln und Kreuzberg paddeln. Das stellte ich mir ungemein schön vor. Am Abend beschloss ich aber, dass ich körperlich dafür noch nicht bereit bin und sagte deswegen vorsichtshalber ab.

Anfangs fühlte ich mich ein bisschen schuldig, weil die Tour meine Initiative war, aber die Paddelgruppe ist gross genug geworden, sodass meine Teilnahme aus sozialer Sicht nicht unbedingt notwendig ist. Eine alte Freundin, die mittlerweile aus Südamerika zurück nach Berlin gezogen ist, ist zur Gruppe gestossen und die Frau meines Freundes, sowie sein Sohn, machen jetzt auch mit. Zusammen mit der anderen Freundin sind es also fünf Menschen. Ich kann mich also noch etwas schonen und vielleicht bin ich dann auch fit fürs Stadion am Sonntag.

[Mi, 13.9.2023 – Kaltschweiss bei 20 Grad]

Hab mich dann noch einen Tag krank gemeldet. Immerhin kühlte das Wetter heute ab. Kaltschweiss bei 20 Grad ist irgendwie angenehmer als bei 31 Grad.

Komischer Satz.

Tatsächlich schlief ich heute ziemlich viel. Die letzten beiden Nächte waren nicht sehr erholsam, aber schlafen hält mich auch einfach vom Kranksein ab, das macht es ungemein einfacher. Am späten Nachmittag kam meine Frau aus Frankreich zurück. Immerhin hatte die Hündin dann etwas mehr Bespassung.