[flugzeugmäßig von oben]

Ein fahrendes Flugzeug fühlt sich an, wie eine Spülmaschine. Wegen des andauernden Druckes im Antrieb, es fühlt sich an, unter Volldampf zu stehen, das ist ungemein beruhigend, ich hatte mir das eher wie Bahnfahren vorgestellt, wo man den Fahrtdruck nicht so spürt, weil Bahnfahren ja eher ein Gleiten über Schienen ist, das wäre in der Luft aber zu fragil, ich muss also gedacht haben, Fliegen wäre fragiler, jedenfalls hatte ich es so in Erinnerung. Fragil. Aber letztes mal warvor siebzehn Jahren, und ich hatte damals einen ziemlichen Kater, als ich in Wien in den Flieger stieg. Zudem war ich schlecht gelaunt und ziemlich deprimiert. Und Wien war seit Monaten bewölkt und grau gewesen.

Boah, die Leute essen hier tatsächlich während der Fahrt. Mir wird schon schlecht weil ich den Speichel schlucken muss.

# Man kann wirklich Europa sehen, so googlemaps-mäßig von oben, ein bisschen zu eingezoomt um den kompletten Überblick zu haben, aber das macht es nicht minder gut. Wiesen, Dörfer, Städte. Ich kann manchmal nicht runterschauen, zu unwirklich ist mir die reale Entfernung zum Boden, es wird mir ganz leer im Magen. Aber manchmal kann ich schauen. Eigentlich immer, aber oft nur aus den Augenwinkeln. Ich hätte aber gerne den Namen der Ortschaften auf die Landschaft projeziert. Labels anzeigen. Ich kann witzigerweise schon in mein Notizbuch schreiben, da schaue ich in das Buch, habe Europa in Augenwinkel und kann atmen. K redet manchmal mit mir, ich schaue ihr dabei ins Gesicht, registriere aber nur ein Drittel von dem was sie sagt. Ich lächle zurück.

# Ich halte meinen Seatbelt gefastened. Europa bekommt ein ganz neues Gesicht, wenn man es in Flugstrecken betrachtet. Nicht mehr die weiten Landilinien sondern spielzeugmäßig verkleinert, total erreichbar, zusammengeschrumpft. Das lässt sich vermutlich auf die ganze Welt anwenden, das mit dem Schrumpfen meine ich.

# Meine erste Turbulenz. War ok.

# OK Bier gekauft. Wackelt ziemlich. Bin eh zu aufgeregt zum Kotzen.

# Ich schwitze die Blätter des Notizbuches voll, die Blätter bleiben während des Schreibens dieser Zeilen an meinen Handballen kleben.

# Ich glaube ja, dass das Bordpersonal dafür bezahlt wird, entspannte Grimassen zu ziehen. Niemand unterhält sich während des Starts eines Flugzeuges dermaßen überbordend. Das habe ich mir vorhin gedacht. Und jetzt machen sie es wieder.

# Ich bin fortwährend am Ablenken. Also, ich will schon den Flug mitbekommen, sehr wichtig ist das, ich kann aber nicht am Fenster sitzen, auch wenn ich dauernd rausschauen will, schaue ich nämlich zu wenig hinaus, schuaue ich zuviel in das Flugzeug hinein, und wenn ich zu viel in das Flugzeug hineinschaue, dann habe ich zuviel von den tausenden Metern Luft unter mir im Bewusstsein.

# Gegen Ende hin bekommt das Wackeln etwas beruhigendes, wegen der Heimeligkeit wenn es wackelt, dann ist die Maschine nicht mehr nur der Antrieb und das statische in-der-Luft-sein, sondern man spürt die Maschine mit ihrem ganzen Innenleben, wie sie ächzt, wie das Möbiliär mitwackelt, wie man kleine Maschine im Wetter ist, das ist viel beruhigender als man sich das vorstellt, viel Verständlicher, weil mechanischer. Keine schlechte Erkenntnis (sage ich mir so).

[…]

Blöd ist wahrscheinlich, dass ich morgenfrüh nach Schottland fliege. Nicht Schottland ist blöd, sondern das Antibiotikum, das ich gerade nehme. Noch blöder ist es für K, die morgenfrüh mit dem Antibiotikum anfangen wird. Weil: wenn einer schon Eiter im Hals hat, dann hat es der andere auch. Auch das ist blöd. Das Blödeste von allem aber, sozusagen das übergestülpte Blöde, ist Schottland, also nicht Schottland an sich natürlich, sondern unser Vorhaben in Schottland ausgerechnet alle unsere Lieblingswhiskydörfer abzuklappern. Gefühlt werden wir von Distillery zu Pub, von Pub ins Bett und vom Bett an den Frühstückstisch mit Haggis stolpern. Also nicht Haggis ist das Blöde, sondern das Antibiotikum. Verträgt sich nicht so mit der gebrannten Gerste. Andererseits kann das auch eine Mähr sein. Ein holländischer Kieferchirurg vertraute mir in einem konspiratorischen Augenblick an, dass ich bloß nicht kotzen dürfe, weil Du weisst: wenn Kotze kommt, kommt auch Antibiotikum. Und alles ist umsonst gewesen. Das hat mir immer gefallen.
Aber vielleicht ist auch das nicht blöd.
Das Blödeste von allem ist vielleicht nur der Flug, nicht übergestülpt blöd, sondern so vorgeschoben blöd, danach kann ja vieles gut werden, aber ich steige seit siebzehn Jahren das erste mal wieder in ein Flugzeug. Scheiß Antibiotika. Oh was bin ich unerträglich larmoyant.

[…]

Was ich im aktuellen Diskurs um Sarrazin vermisse, ist hauptsächlich jemand der den Islamgegnern erklärt, dass sie Angst haben. Jemand, der in einem ruhigen und unarroganten Tonfall erklären kann, dass es hier nur um Angst geht, dass Sarrazin ihnen nur das Gefühl vermittelt, mit Ihrer Angst nicht alleine zu sein, weil er die Ängste – sei es vor der sogenannten Überfremdung, vor der Kriminalität, usw. –, durch seine Kraftsprache zu mindern weiß. Sarrazin ist sozusagen ein Mutmacher.
Das ist alles. Sarrazin hat keine Meinung, sondern eine Haltung.
Mit dieser Haltung gibt es aber nur zwei mögliche Wege das Problem zu lösen: die kritisierten Menschen zu vertreiben, oder sie zu demütigen/unterwerfen.
Dass beide Lösungswege keine Lösungswege sind, sollte mittlerweile hinlänglich bekannt sein.

Dass es Probleme gibt, aber auch. Wenn die Mehrheit (als Gegenteil von “Minderheit”) aber, nicht über die Angst hinwegkommt, dann wird sie nie verstehen warum sich die Minderheit hinter Radikalismus versteckt, sich in ihre Ghettos zurückzieht, auf “Kosten des Staates” lebt, sich in dem “anderen” Rassismus flüchtet. Das ist die Angst des Unzureichenden. Das ist Selbstschutz.
Und es ist nunmal der Stärkere, der auf den Schwächeren zugehen sollte. Und der Stärkere ist nunmal die Mehrheit.

Ich bin ja guter Hoffnung und gehe davon aus, dass die Menschen nicht unbedingt Rassisten sind, sonder nur Menschen, die Angst haben. Und falsche Mutmacher hat es schon zu viele gegeben.

[…]

Habe ich schon erwähnt, dass ich gestern die Heizung angeschaltet habe? Nein? Habe ich nicht? Nunja: ich habe gestern die Heizung angeschaltet

#
Vorhin, vor dem Supermarkt stehen drei Rentner beisammen und reden über die unerzogene Jugend. Ganz klassisch, wie man sich das so vorstellt: sie stehen beisammen, reden von der unerzogenen Jugend und stammeln mantraartig Wortfetzen wie “schlimmschlimm”, oder “unfassbar”, “Und dann sagte er:”.
Ich bekomme das mit, weil ich genau daneben stehe und mein Fahrrad belade. Ich versuche mühsam zwei große Plastiktaschen zu befestigen, eine Großpackung Toilettenpapier, und einen Karton mit einer Büchersendung. Dabei fällt mir das Fahrrad um, eine der Taschen geht auf, ein Joghurt platzt und das Gemüse rollt über den Bürgersteig. Die Dreiergruppe nimmt es zur Kenntnis und widmet sich wieder dem Gespräch über Erziehung.

Weissnich. Die Rentner von heute sind auch nicht mehr das was sie früher mal waren.

Und ich dachte natürlich gleich: hey, musst Du bloggen. Dabei wäre es viel witziger gewesen wenn sie mir geholfen hätten und ich hätte dann schreiben können:

Weissnich. Die Rentner von heute sind auch nicht mehr das was sie früher mal waren.

[wwrrrr]

Was genau der Auslöser war, weiß ich auch nicht, Interesse für Autos kann es nicht gewesen sein, der Magel daran auch nicht. Wir sprachen am Morgen im Büro aber über Autos. Welche Autos es so gibt, wie es sich damit lebt, und seitdem ging mir der Führerschein nicht mehr aus dem Kopf. Ich dachte den ganzen Tag nur noch an Führerscheine, rechteckige, biegbare, bliep, Führerscheine und wie man so mit einem Auto lebt. Beim Essen wollte ich darüber reden, vor den Meetings bis die Leute eintrafen, dazwischendurch. Als ich dann nach hause radelte, hielt ich bei der Fahrschule in meinem Kiez, fragte was das koste, fragte wo ich meine Unterschrift machen solle, und weil sie dann sagte “Herr Pfeifer, bleiben Sie doch, in zehn Minuten fängt der Theorieunterricht an”, blieb ich eben und lernte die Theorie.

Irgendwie habe ich siebzehn Jahre dafür gebraucht.

[hautung]

Ich habe noch nie jemanden gesehen, der eine Jungfrau auf seinem Schulterblatt tätowiert hätte, oder eine Waage auf dem Knöchel. Skorpiongeborene aber machen das oft. Zugegeben, so ein Spinnentier mit Stachel gibt schon etwas her, das hat etwas kämpferisches und schmerzhaftes, die Assozation, das ganze auf die Haut zu übertragen, mit Schmerz und der damit einhergehenden kämpferischen Pose, drängt sich geradezu auf. Ich mag Skorpiongeborene üblicherweise sehr gerne, eine meiner Schwestern ist Sternzeichen Skorpion, viele liebgewonnene Menschen sind Skorpion. Einmal wurde ich in einem fremden Bett wach und schaute an die Wand, dort saß ein dicker, schwarzer Skorpion, und tat, nunja, eben: sitzen. Da ich vor Aufregung nicht mehr schlafen konnte, weckte ich die andere Person und sagte: hey, da ist ein Skorpion an der Wand. Die Person wälzte sich und sagte, ich solle ihn aus dem Fenster schmeißen. Das klang damals sehr logisch. Auch heute noch. Deswegen nahm ich eines der geleerten Weingläser am Bettende und stülpte es über den Skorpion. Mitten im Vorgang des Überstülpens wurde ich allerdings nervös, ich hatte dem Tier in die Augen gesehen und es wurde mir auch bewusst, dass ich es gerade mit einem Skorpion zu tun hatte, mensch, ein Skorpion, das sind ja die Tiere aus den Westernfilmen, was hatte der eigentlich hier im Schlafzimmer zu tun, das fiel mir so ein, und dann sah ich auch den fetten Stachel, war der nicht giftig?, ich meine, er hielt ihn nicht aus Eitelkeit in Position, wobei ich schon sagen muss: sieht verdammt gut aus, so einen Stachel in Position zu halten, aber ich war ein wenig unbedacht in Aktion getreten, das Weinglas jedoch schon in Überstülpmodus, und viel zu spät merkte ich auch, dass das Glas viel zu klein für das Tier war, himmel, ich war gerade wach geworden, es tat mir wirklich leid für das Tier, ich drückte also den Rand des Weinglases auf den fetten Stachel des Tieres, merkte, dass es viel zu spät war und, nunja, das war dann ein bisschen blöd: ich nackt, das Weinglas an die Wand drückend, darunter ein gequälter Skorpion und ich keinen weiteren Plan.
Ich bat die Person im Bett um eine Postkarte, aber es gab keine Postkarten in der Wohnung, ich bat sie um etwas Flaches, aber es gab nichts wirklich Flaches in der Wohnung. Letztendlich bekam ich eine Ausgabe des Corriere della sera, den ich als ganzes Bündel, weil ich ja Widerstand haben wollte, zudem effizienten Schutz gegen den Stachel, unter das Glas schob, als das dann irgendwie schief ging. Der verwundete Skorpion entwischte und fiel in den Kleiderhaufen auf dem Boden.
Das ist das Ende der Geschichte mit dem Skorpion. Wir sahen ihn nicht mehr wieder.
Sonst kenne ich Skorpione eigentlich nur aus Bildern, meist von Tätowierungen.
Man sieht sie auch, aber weitaus seltener: tätowierte Stiere. Aber irgendwie ist ein Stier zu bullig, er scheint sich nicht durchgesetzt zu haben, es fehlt dem Stier die Eleganz, Frauen mögen ungerne bullig wirken, oder sich mit Bulligkeit identifizieren. Unbullige Männer auch, welcher Mann will schon bullig sein, außer die Schweine vielleicht, aber aber aber: hätte der Stier bloß nicht diese Hörner! Die haben schon was. Man denke nur an die Silhouette des Madrilenischen Stieres auf rotem Hintergrund. Die geschwungenen Hörner, Teil eines Schattens, majestätisch, mysteriös, unbesiegbar.
Auch Löwen böten sich an, auch wenn das schon ein sehr aufgeblähtes Bild ist, so großkotzig von Königen und Zigarettenmarken missbraucht.
Ich bin ja Wassermann. Zwei übereinanderliegende Wasserwellen, oder: ein schuppiger Typ mit Fischernetz und Riesengabel. Weissnicht. Die Wellen kokettieren vielleicht mit einer ästhetischen Symbolik, aber Symbolik ist nur gut, wenn sie so etwas ist wie eine Brandmarkung ist, Erkennungszeichen unter zu tode geweihten, oderso, Astrologie ist mir da zu humbugmäßig, zudem bin ich Aszendent Löwe, und seit mitte zwanzig viel mehr in meinen Aszendenten hineingewachsen, dass mir Wasserwellen und überdimensionierte Gabeln ohnehin so Wurscht sind wie Käsekrainer. Aber egal.
Was ich vielleicht sagen wollte: man sieht wieder zu viel Haut. Herbst, komm über mich.

[ncptn]

Das ging so: es war ziemlich undefinierbares Wetter, Wolken gingen zusammen, bewegten sich auch in gegensätzliche Richtungen, dazwischen schien die Sonne unheilvoll durch, und ich dachte noch, komisch, dass mir gerade die Sonne so unheilvoll vorkommt, wobei es ja die Wolken sind, die irgendwie überdüstert da oben in Ketten hängen.
Wir machten uns an dieser Luke zu schaffen, K war dabei, ein Freund aus alten Schultagen war dabei, und noch zwei Männer, die ihr nicht kennt, wir stiegen nach dem Öffnen in die Luke hinunter, das Ziel war klar, nur fiel es mir nicht mehr ein, dabei hatte ich das Kommando. Unten war es dunkel, nur langsam glichen die Augen die Lichtverhältnisse aus, während sich dort alles zu bewegen schien, nicht unheimlich, keine wilden Tiere mit gelben Zähnen oder blutunterlaufenen Augen, sondern die Dunkelheit und die später angepasste Halbdunkelheit, sie bewegte sich, leicht schwankend, und biegend, wobei der Boden unter den Füßen, trotzdem stabil zu bleiben schien, auch wenn ich mir darüber nicht mehr sicher bin, Fakt jedenfalls war, dass niemand von uns umfiel, aber das vergaß ich schnell, weil wir bald, ganz am Ende dieser Dunkelheit, die irgendwie zylindrisch zuzulaufen schien, sahen wir diesen roten Vorhang, der schwer, vor dem Ende dieses zulaufenden Zylinders zu hängen schien. Scheinwerfer erleuchteten ihn, ohne dass Licht in de umgebenden Dunkelheit reflektieren würde, es wurde schlichtweg aufgesogen, was schwarz halt so generell macht: aufsaugen. Wir gingen auf den Vorhang zu, die anderen ließen mir den Vortritt, ich hatte ja den Plan im Kopf, auch wenn ich keinerlei Ahnung davon hatte, aber die Sache mit dem Vorhang war ja offensichtlich, da mussten wir hin, also schob ich den Vorhang beiseite, doch da war nur eine Mauer aus Backstein, ich drehte mich zu den anderen um, die ich nicht sah, weil auch sie von dem Schwarz drumherum aufgesaugt waren, also ihre Reflektionen jedenfalls, und wir sehen mit unseren Augen ja nur die Reflektion des Lichts in unserem Umfeld, das weiß ja jeder, aber das muss man sich in einer solchen Situation auch vergegenwärtigen, ich sagte also: nur eine Mauer. Es kam jedoch keine Anwort von meinen Kumpanen, ja warum auch, dass es eine Mauer war, war so selbstverständlich wie wie wie. Wie das Licht das von der Mauer reflektierte. Ich legte mein Ohr auf die Mauer um etwas zu hören. Ich hörte eine Wiese. Schmetterlingsflattern und Löwenzahnflugflocken die vom Wind mitgenommen wurden. Mein Gesicht ging in die Mauer über, fließend, so als wäre die Schwerkraft in der Mauer, und man würde mich als Sahneeis darauf schmelzen lassen, nur schneller, ich schmelzte sozusagen waagerecht in die Mauer über, aber nicht, dass ich über die Oberfläche der Mauer mich zerrinnen würde, sondern ich verschmolz mit der Mauer und kam am anderen Ende irgendwie raus. Irgendwie, weil ich irgendwie nicht ganz am anderen Ende angekommen war, nur ein Teil von mir, zwar nicht die Hälfte, sondern als Ganzer, aber ein anderes Ganzes war noch auf der anderen Seite der Mauer geblieben und lauschte der Wiese auf der ich jetzt stand, eine Verdoppelung sozusagen. Dann hörte ich meine Kumpanen auf der anderen Seite, die Warnungen abgaben, wir sollten nun besser zurückkehren, es werde zu instabil, wir befänden uns mittlerweile auf der zwölften Ebene, und da fiel es mir wieder ein, ich musste beim stetigen Vordringen in Wände und Luken und Türen und Gräben, langsam vergessen haben, dass wir schon durch unzählige Wirklichkeitsebenen in die Tiefe vorgedrungen waren, dass ich irgendwo, ganz weit oben, in einer ganz anderen Zeitgeschwindigkeit, so etwas wie ein wirkliches Leben hatte, mit Alltag, Abwasch, Fahrrad, wir würden aber niemals mehr an die Oberfläche kommen können, das wusste ich als einziger, ich hatte es den anderen nur verheimlicht, um vielleicht so etwas Beklemmung zu verhindern, die oberen Ebenen waren nämlich geflutet worden, wir würden ertrinken, es gab eigentlich nur diesen einen Weg, weiter nach unten vorzudringen, und hoffen, dass auch die Zeitebenen stimmen, und wir der Flut so immer ein Stück weit voraus sind, vielleicht auch mit genügend Zeit, uns irgendwo da unten Jahre aufzuhalten, Kinder zu kriegen, in einem Garten Blumen zu pflanzen, man wird es sehen, ich sagte also: kommt rüber, wir müssen über die Wiese, hinunter ins Tal, aber es kam keine Antwort zurück, also lehnte ich mich an die Mauer, die diesseits keine Mauer war, sondern ein unsichtbarer Widerstand auf der Wiese, man konnte drauf durchsehen, und man sah: Wiese. Ich legte mein Ohr an die unsichtbare Mauer und hörte Fluten, und durch die Fluten hindurch hörte ich gedämpfte Schreie, wie man sie aus Filmen kennt, wenn jemand unter Wasser schreit, panisch und mit Luftbäschen.
Ich merkte, dass ich das war, der da schrie, ja dumm auch, ich stand ja noch auf der anderen Seite der Mauer, mit dem Ohr angelehnt, und starb also, dann ging es ziemlich schnell, ich verstand die Logik des Traumes, wusste, dass dann auch ich sterben musste, als geträumte Existenz des Ertrinkenden, ganz logisch, ich bekam keine Luft mehr, und wurde mit einem gewaltigen Kraftakt zwölf Ebenen nach oben gerissen. Und wurde wach.

(Die Nacht nach Inception. Ein gutes Dutzend solcher Träume.)

[tagebuchnotizen Sverige]

Meine bisherigen äußersten Positionen in den Himmelrichtungen waren:

Osten: In Vilnius, Lithauen, auf dem Platz wo die Kriviu Gatve in die Polocko Gatve mündet. Ich hätte noch ein Stück weiter Richtung Osten laufen können, aber das schien mir, für später, wenn ich meinen Ostrekord brechen wollen würde, zu undefiniert. DIE KREUZUNG KRIVIU/POLOCKO hingegen, ist eher eine Landmarke in Kapitalbuchstaben, die sich auf inneren (und äußeren) Landkarten gut festnageln lässt.

Westen: Dieses Problem habe ich nämlich mit meinem Westrekord, die Sinagoga del Transito in Toledo, Spanien. Ich weiß nämlich nicht mehr, ob ich nach den dem Besuch des Geländes, auf dem Weg in die Innenstadt, den Weg um das Gebäude herum genommen habe, oder den direkten Weg. Würde ich den Weg drumheurm genommen haben, wäre dies mein Westrekord. Das ist so undefiniert, das stört mich.

Süden: Wie vorher: Die Sinagoga del Transito in Toledo. Oder: Der Weg südwestlich um die Sinagoge herum.

Norden: Mein Nordrekord war jahrelang der Verbindungsweg zwischen Ost- und Westküste der schottischen Northwestern Highlands. Der nördlichste Punkt ist dort in dieser Kurve bei Corriemoilie. Zwar ist dieser Punkt keine LANDMARKE im vorher angedeuteten Sinne, aber dieser Punkt ist so markant und einsam in der schottischen Landschaft, dass ich ihn auf jeder Landkarte, ohne Anfahrt oder Bedenkzeit sofort anzeigen kann.
Letztes Jahr wurde mein Nordrekord allerdings gebrochen. Durch einen Ausflug in die Nähe des schwedischen Falköping. Auf einer Anhöhe steht dort ein kleines Restaurant annex Segelschule. Der nördlichste Punkt ist das rechte, der sechs kleinen Häuschen mit dem hellen Dach. Es klingt vielleicht albern und konstruiert, aber ich will nicht lange drumherum reden, dass es sich um die öffentliche Toilette des Geländes handelt. Das soll jetzt kein Witz sein. Isshaltso.
Jetzt sitze ich im Zug nach Stockholm, jede Sekunde, die tickt, ist mein neuer Nordrekord, das fühlt sich an, wie, sich mit einem Raum-/Zeitpflug vorne an die Lokomotivnase geschraubt, durch den schwedischen Wald zu gleiten.

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Ich bin ja nicht weit herumgekommen. Zwar bin ich viel herumgekommen, aber nicht weit. Die Sache mit dem Fliegen behindert mich da schon sehr. Nicht, dass ich Flugangst hätte, aber da oben zu sitzen und abzustürzen ist mir zu ungut.

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Stockholm. Es ist wunderbar eng hier, wunderbar körperlich, weniger hager als ich es mir vorgestellt habe. So war mein Bild von Stockholm ja eher immer geprägt von einer gewissen Perspektive, vielleicht die Perspektive auf die Altstadt Gamla Stan, vom Wasser aus, auf die romantische, erdfarbene Häuserfront, sehr schwedisch, sehr sauber, sehr blond, aufgeräumt, zurückhaltend malerisch, respektvoll auf Abstand, eine Eigenheit, die mir an Menschen neurdings missfällt.
Dabei erinnert mich das bisherige Stockholm eher an die Düsterkeit Prags, oder an die Köperlichkeit einer mittelitalienischen Stadt im Sommer. Verschwitzt, erotisch.

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Beim warmen Sommerregen sitzen K und ich unter der Markise bei einem Italiener und essen unsäglich lieblose Pizza. Eine fünfköpfige italienische Familie rettet sich unter die Markise, der Vater ruft erfreut: Ah! Una Pizzeria Italiana!
Sie tragen alle Windjacken. Die Mutter trägt dazu Mütze, Schal und Handschuhe. Wie man sich im Süden das ewige Eis vorstellt.

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Dieser tadellose orangene Teint der jungen Frauen hier. Ich meine sie immer mit den Fingern anschnippen zu müssen und sie dann in tausende, porzellanene Einzelteile zerklirren zu sehen. Diese willkürliche Boshaftigkeit ist nur oberflächlich, sie entstammt einer spielerischen Phantasie, wie man als Kind manchmal Sandburgen einstürzen machte, weil die Dinge nicht für die Ewigkeit gemacht werden wollten. Oderso. Vielleicht auch nur das Gefühl, die Bläschen von Luftpolsterkissen auszudrücken.

Zweifellos schön allerdings, die orangene Gesichtshaut, darüber das ungenierte Blond gelegt, dazwischen die freundlich verträumten Augen. Ich möchte eine dieser Frauen entführen, sie in eine Ecke stellen und malen. Wenn ich keine Lust mehr auf Malen hätte, dann würde ich ein schwarzes Tuch darüber legen und warten. Würde ich sie eine Woche später wieder enthüllen um mit dem Malen fortzufahren, sähe sie noch genauso aus, hätte einen makellosen orangenen Teint, die blonden Haare perfekt sitzend und dazwischen würden mich die Augen verträumt lächelnd anstrahlen.
Möglicherweise müsste ich sie nach einer ganzen Woche allerdings aufziehen, hinten am Nacken, an der kleinen Schraube, damit sie sich bewegt, mit den Wimpern klappert, oder den Schein aufrecht hält.

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UBahn in Stockholm. Man hört sie nicht. Sie hat die Fahrhaptik eines ICE. Nach den klapprigen Berliner Bahnen ist das ein eigenartiges unurbanes Gefühl. Aber Urbanität ist ja ohnehin Subjektiv, kein Anspruch hier die Urbanität zu werten. Ich dokumentiere ja nur.
Das Ticketsystem ist mir unergründlich, genauso die Farbgebung der drei UBahnlinien. Eine ist Dunkelblau, die andere in einem helleren blau und die andere in einem noch helleren Blau. Ich dachte ja, UBahnsysteme ließen sich nur noch über Farben definieren.

Oh und die Menschen lächeln hier immer, und wenn sie nicht lächeln, dann tragen sie zumindest einen Ausdruck von Weltfrieden auf dem Gesicht flanieren, als wäre die ganze stockholmer Bevölkerung mit einem gewissen Grundglück ausgestattet, oder eine gewisse Grundsorglosigkeit, Rundumgrundsorglosigkeit, ein bisschen wie man sie im südlichen Prenzlauer Berg auch oft sieht, aber dann eben über die ganze Stadt ausgeweitet, OK, Stockholm ist zwar nur doppelt so groß wie Prenzlauer Berg, aber immerhin. Trotz Referenz an den Prenzlauer Berg meine ich das mit der Freundlichkeit gar nicht sarkastisch, im Gegenteil, ich finde den Prenzlauer Berg voll okay, und Stockholm sowieso, die Freundlichkeit hat jedoch etwas ansteckendes, und zwar nicht nur in den betuchten Vierteln wie Östermalm oder in Teilen von Södermalm, nein auch bei den Jugendgangs am Bahnhof, oder um den Plattenbauten in Skärholmen, jeder seine eigene Art der Freundlichkeit, aber überall so, als wären sie von einer Art Polarlicht geblitzt und würden jetzt nur noch rosa Flecken sehen.
Das hat mir gefallen.

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“[…] diese HipHop-Touren, wie sie neuerdings in den Städten immer angeboten werden, das haben wir gemacht […]”
Sie meinte die HopOn-HopOff-Bustouren.

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Neuer Nordrekord. Wie einfach man sich heute mit GPS auf dem Handy orten und herumkommandieren lassen kann. Engelbrektsgatan Ecke Karlavägen. Nördliche Häuserecke, dort unter dem goldenen Elch.

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Die orangene Haut lässt mich nicht in Ruhe. Im Zug von Kopenhagen nach Hamburg sitze ich neben einer jungen Frau in kurzen Jeans. Sie ist blond und hat orangegebräunte Haut. Mir ist schon klar, dass man das so nicht sagen kann, da eine Bräunung ja braune Farbe voraussetzt, es müsste daher so etwas aufgesetztes wie “orangiert” oder “georanget” sein, oder “zu orange mutierte Hautpigmente”, was nicht nur schlecht und umständlich klingt, sondern auch physikalisch nicht geht, Hautpigmente die sich orange verfärben, wobei wir wieder bei der Unnatürlichkeit dieser Hautfarbe wären, ich weiß nicht.
Aus der Nähe wirkte die Haut ledriger als im Vorbeigehen auf der Straße. Das erschreckte mich.
Ich schielte jedenfalls ein bisschen zu lange auf ihre Beine. Sie hat es gemerkt und ihre Jacke drauf gelegt.

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Der Witz mit Orangenhaut undso, höhö, jaklar, aber das ist ein bisschen zu offensichtlich. Nur: bevor jetzt jemand in den Kommentaren damit kommt.

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