[remember, remember]

Morgen also Preislesen. Ich lese aus meinem Romanprojekt vor. Ich habe eine Viertelstunde. Ich werde vermutlich den Anfang lesen, oder ein paar ausgewählte Szenen. Es ist eine Art Liebesgeschichte, sie handelt vom Verlust, von der Obsession, zudem erkläre ich darin die Welt. Und noch viel mehr. Ab und zu taucht dabei eine Henne auf. Und am Ende stehen wir in Brandenburg, während Berlin hinter uns in Rauch aufgeht. Aber vielleicht lasse ich das mit dem Rauch auch weg.

Morgen um 19Uhr im Horns Erben, Leipzig. Eintritt 2.-

[hr]

Mein Schreibtisch im Büro steht am Fenster und ich schaue oft hinunter in den Hof. Unter dem Flügel unseres Büros führt sich ein breiter Durchgang hindurch, durch den Menschen laufen, wenn sie in die Firma kommen oder nachhause gehen. Ich sehe täglich Männer von oben. Ich sehe laufend Männer, deren Haupthaar sich oben in der Kopfmitte lichtet, wie bei Mönchen, von innen nach außen, die sieht man nicht von der Straßenperspektive aus, ich habe von meinem Schreibtisch aus sozusagen den Blick auf die Evolution, und es werden immer mehr, an manchen Tagen ist es ganz schlimm, ich sehe nur noch runde Hautflecken zwischen den Haaren, ich versuche dann vernünftig zu arbeiten, aber ich kann dann nur noch der Welt beim Haareverlieren zusehen. Das macht mich fürchterlich deprimiert.

Bitte abstimmen

Heute bin ich auf diesen Schreibwettbewerb gestossen. Daraufhin habe ich mein Blog nach ein paar kurzen Mehrzeilern durchstöbert und sie auf hundert Wörter zurechtgestutzt. Das nennt sich Drabble. Und auf jener verlinkten Webseite wird den drei besten Drabbles ein Preisgeld von 500, 200 und 100€ ausgezahlt.
Jetzt habe ich sechs Drabbles geschrieben und will, dass ihr entscheidet, welche drei ich einreiche. Wenn ich einen der drei Preise gewinne, dann kaufe ich für das Preisgeld Bier und Salzstangen und lade euch alle (Bekannte und Unbekannte) in meine Wohnung ein um das Preisgeld zu verfeiern.

Und nein, ich habe kein freundschaftliches oder geschäftliches Verhältnis zu Bloomsbury/BerlinerVerlag. Ich habe nur Lust zu feiern und dieses Poll-Plugin zu probieren.

Hier die sechs Drabbles, und unten bitte abstimmen.

I

ch war früh da, am Flughafen. Ich dachte, genug Zeit mitzunehmen sei gut, ich warte immer gerne an Flughäfen. Zeitungsläden durchstöbern, auf die Uhr schauen, auf Anzeigentafeln schauen, das ist sinnlich. Heute bin ich dann durch das Oktogon gelaufen. Im Kreis, mehrmals. Alle Terminals im Kreis. Ich habe über Tegel gelesen, dass er weit über seine Kapazitäten hinausgewachsen ist, Tegel platzt sozusagen, und so lief ich durch das Oktogon im Kreis, an Polizisten vorbei, an den Wartenden vorbei, an den Brötchenverkäufern vorbei und dachte die ganze Zeit: Tegel ist am Platzen, irre das, alles irre, Tegel hat seine Kapazitäten überschritten.

I

n der U-Bahn sitzt ein junger Mann Mitte dreißig und liest ein Buch auf seinem eReader. Ich habe das noch nie live gesehen und fühle mich entsprechend in die Wirklichkeit geholt. Am Bahnhof Weinmeisterstraße steigt eine junge Frau hinzu, sie hält einen eReader locker in der Hand, und setzt sich dem jungen Mann gegenüber. Sie bemerken einander nicht sofort, schließlich ist es aber soweit. Sie sehen sich, und lächeln sich mit einer wissenden Geste an.
Ich lese Kafka auf meinem Handy. Ich fühle mich ausgeschlossen. Aber vielleicht bin ich auch nur neidisch auf das Lächeln, das er bekommen hat.

N

eulich bei der Friseurin gesessen. Sie hatte lilane Haare, dunkel umrandete Augen, Ringe in der Lippe und in der Nase. Und Beine, die mir bis zum Hals reichten. Ich schaute ihr verträumt beim Schneiden meiner Haare zu. Das war so verspielt, wie sie mit den Fingern durch meine Haare fuhr, die Länge schätzte, und in kurzen Schnippen, mit einem kecken Blick in ihren Augen, meine Frisur stutzte. An einer Seite ging ihr lilanes Haar in einem langen geflochtenem und verfilztem Zwirbel bis unter ihre Hüfte. Wären meine Träume als kleiner Junge etwas unanständiger gewesen, wäre sie wohl mein Rapunzel gewesen.

A

n jenem langen Tag im Büro, als mir das Wasser bis zum Hals stand, gab ich meinen Kollegen keinen Abschiedsgruß, sondern ging wortlos in die Hocke. Um zu warten. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Geräusche der Oberfläche hören konnte, oder ob es nur die Bewegungen des Wassers waren. Die dicken Fische mit den Glubschaugen sahen mich verwundert an, weil ich zum Spaß große Luftblasen hochblubbern ließ. Sie versammelten sich bei mir, und der größte aller Glubschaugenfische schnitt mir Grimassen und ich machte dicke Wangen, und ließ dabei Luftblasen aus der Nase wachsen, wie ein närrisch gewordener Unterwasserstier.

E

ines der beachtlichsten Dinge in Schottland, sind die überschminkten, dicken Frauen in enggezurrten Kleidern oder leopardenfellmusternen Leggings. Frauen, die anderswo als ordinäre, dumme Hühner verachtet werden. In Glasgow prägen sie am Samstagabend das Straßenbild. Ich bin hingerissen von der selbstbewussten Art, wie sie hier auftreten, sich schön finden, und laut lachen. Solche Frauen tauchen oft in meinen Träumen auf. Dort sitzen sie auf grünen Sofas, haben toupiertes Haar und die Fingernägel rot lackiert. Sie essen nicht und trinken nicht, sie sitzen nur da und sehen zu mir herüber. Manchmal schauen sie ein bisschen böse. Doch ich weiß nie warum.

V

or dem Supermarkt stehen drei Rentner beisammen und reden über die unerzogene Jugend von heute. Ganz klassisch: sie stehen beisammen, reden von der unerzogenen Jugend und stammeln kopfschüttelnd Wortfetzen wie “schlimmschlimm”.
Ich stehe daneben und belade mein Fahrrad. Ich befestige mühsam zwei große Plastiktaschen, eine Großpackung Toilettenpapier, und eine Büchersendung. Dann fällt mir das Fahrrad um, eine der Taschen geht auf, ein Joghurt platzt und das Gemüse rollt über den Bürgersteig. Die Dreiergruppe nimmt es zur Kenntnis und widmet sich wieder dem Gespräch über Erziehung.
Weissnich. Die Rentner von heute sind auch nicht mehr das, was sie früher waren waren.

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[TXL]

Vorhin habe ich K am Flughafen Tegel abgeholt. Ich war zu früh da. Ich dachte, ein wenig Zeit mitzunehmen sei gut, ich warte immer gerne an Bahnhöfen und Flughäfen. Zeitungsläden durchstöbern, auf die Uhr schauen, auf Anzeigentafeln schauen, das ist sehr sinnlich. Heute bin ich dann durch das Oktogon gelaufen. Im Kreis, mehrmals. Alle Terminals im Kreis. Ich habe über Tegel gelesen, dass er weit über seine Kapazitäten hinausgewachsen ist, Tegel platzt sozusagen, er muss noch zwei Jahre durchhalten, bis der neue Flughafen Schönefeld fertig ist, er hält aber noch, und so lief ich durch das Oktogon im Kreis, an Polizisten vorbei, an den Wartenden vorbei, an den Brötchenverkäufern vorbei und dachte die ganze Zeit: Tegel ist am Platzen, irre das, alles irre, Tegel hat seine Kapazitäten überschritten.

[…]

Ich schaue neuerdings immer die Tagesschau. Wegen dieser sortierten Häppchen Weltgeschehen, die dem Terminus Chronik die nötige Zeitlosigkeit geben. Perfekt inszeniert, perfekt glatt, der perfekte Tonfall, perfekt im Hintergrund, nur das Sujet nach vorne, mit niemandem anecken, die pure Sachlichkeit, aber niemals hölzern, immer leicht freundlich. Die Tagesschau ist der perfekt inszenierte Mainstream. Ich könnte das stundenlang sehen.

# Nicht so perfekt, aber eigenartig lieblich ist hingegen die Abendschau im RBB. Ich freue mich jeden Abend auf die Abendschau. Zu allem Überfluß habe ich jetzt die Abendschau mit einem Herzchen versehen. Das ging beim Programmieren meines neuen Fernsehers, als ich versuchte Kanäle zu verschieben und ich deswegen mit Prioritäten und Favoriten arbeitete. Seitdem hat der RBB ein Herzchen oben rechts. Was uns das jetzt sagen soll, weiss ich auch nicht

[…]

Das positive an "Black Swan" ist vielleicht, dass so viele Menschen sich genötigt sehen, etwas zu dem Film zu sagen. Das andere Positive ist vielleicht, dass alle Meinungen total anders sind. Das Negative an dem Film ist nur, dass er total öde ist.

[werner bräunig]

Zweitausendundelf fing zwar nicht ganz so gut an, aber vor wenigen Tagen kam eine Nachricht der besseren Art. Nächsten Monat werden wir nämlich Wettlesen. Ich gehöre zu den sechs Finalisten um den Werner Bräunig Literaturpreis in Leipzig. Dotiert mit einem Verlagsvertrag beim Aufbau Verlag und einem Vorschuß von 5000Euro.

Das habe ich jetzt schön unaufgeregt und lassiv hingeschrieben, finde ich.

Am 12.2. um 19Uhr, im Horns Erben, Leipzig.

[…]

Mittlerweile gibt es ein neues Sortierungssystem in meinem großkotzigen Bücherregal. Während ich früher nach selbstgeschriebenen Büchern und nicht selbstgeschriebenen sortierte, so ordne ich sie neulich auch nach: Büchern von Leuten die ich kenne. Das ist eine beachtlich schnell wachsende Kategorie. Am schönsten sind diese Bücher mit persönlicher Widmung. Ah, das erinnert mich an etwas: Mek, lass Dir von Lisa und Bov noch die Bücher signieren.

[Ephedra vulgaris]

Wick MediNait auch. Ich schlafe seit Nächten damit. Da ist Ephedrin drin. Damit dopen sich die Sportler, bevor man sie erwischt. Das sollte vielleicht beunruhigen, wenn man es genauer betrachtet. Ich aber schlafe damit, schlafe tief, schlafe tief und fest, tief wie am Meeresboden, tief wie die Tiefsee, unten am Grund, hebe kleine Steinchen hoch und Muscheln, piekse Krebsgetier und schnarche Luftblasen so groß wie Kettenperlen.

[in]

Zu Silvester sind wir dann nicht mehr in die Blaue Maus gegangen, die Klöpse und das Bier haben uns aufgehalten und als wir anfingen, über später nachzudenken, war es schon elf. Um zehn vor zwölf sind wir dann auf die Südspitze hinaus und haben die Leuchttürme auf den Halligen mit Feuerwerksschiffen verwechselt. Auf den Inseln ist Feuerwerk nämlich verboten, man befürchtet zu recht Dünenbrände, oder brennende Reetdächer. Wir gingen deshalb davon aus, es stünden Schiffe vor der Küste von Amrum, Schiffe, die Raketen in den Himmel schießen, ich weiß nicht mehr, wer uns das eingeredet hat, oder wie wir darauf kamen, total blöde Idee eigentlich, Himmel, Schiffe vor der Insel, die Feuerwerk in den Himmel schießen. Es sind dann aber nur Leuchttürme gewesen, keine Feuerwerkschiffe.
Um Mitternacht schließlich: Stille.
Wir waren die einzigen vier auf der Südspitze. Vor uns die gefrorene Nordsee, hinter uns das gefrorene Wattenmeer. Wir wussten uns nicht so recht auf Mitternacht zu einigen. Üblicherweise gehen ja die Raketen hoch, deshalb mussten nun die Telefone herhalten, aber die verdammten Smartphones haben ja keine Sekundenanzeige, R fing daher an im iStore nach Sekunden-Apps zu suchen, oder Countdown-Apps oder Silvester-Apps. Bis mein Telefon auf 00:00 sprang. Allerdings nur bei K und mir, die anderen beiden waren ja bei der Telekom und da war es noch 23:59, die Pest ist das. Irgendwo in Süddorf ging dann eine illegale Rakete hoch und so fielen wir einander in die Arme, glückliches 2011 und so.
Statt in die Blaue Maus sind wir schließlich in die Keksdose gegangen und haben den Leuten ein gutes 2011 gewünscht. Dann Friesengeist getrunken und Gin Tonic und Sambuca und Bier, und dabei die Pet Shop Boys auf dem Fernseher verfolgt. Irre, das.