[hggs]

# Eines der vielleicht beachtlichsten Dinge in Schottland, sind die überschminkten, dicken Frauen in enganliegenden Kleidern oder Leggings. Frauen, die anderswo als ordinäre verachtet werden. In Glasgow prägen sie am Samstagabend das Straßenbild. Ich bin hingerissen von der selbstbewussten Art, wie sie hier auftreten, sich schön finden, und laut lachen. Solche Frauen tauchen oft in meinen Träumen auf. Dort sitzen sie auf grünen Sofas.

# Linksverkehr. Linksverkehr krempelt immer meine Orientierung um. Ich verliere sogar das Gefühl für die Windrichtungen. Am verblüffendsten fand ich die Entdeckung, dass auch die Fußgänger sich links halten. Ich wich immer rechts aus, die Lokalen immer links. So standen wir uns oft im Weg. Doch die Schotten sind so freundlich und entschuldigen sich immer laut und deutlich. Kein dahingeworfenes “so’y”, sondern ein ausgesprochenes “Oh, excuse me, lad”

# Übrigens wurde das Salz aus der schottischen Küche herausgelöst. Würstchen sind salzlos, Fish&Chips sind salzlos. Sogar Haggis ist salzlos. Ich musste alles immer nachsalzen. Es muss ein guruartiger Küchenschönling in der Art eines Jamie Oliver ins Land gekommen sein und den Schotten ins Gewissen geredet haben. Sowas wie: ihr trinkt zu viel und ernährt euch zu schlecht, ihr werdet alle sterben. Salz wegzulassen ist vielleicht ein radikaler Schritt, aber immerhin besser als das Trinken sein zu lassen.

# Ja, natürlich habe ich Haggis gegessen. Das ist eine ausgezeichnete Speise. Das einzige unangenehme an Haggis ist das Naserümpfen von den Nachbartischen.

[flugzeugmäßig von oben]

Ein fahrendes Flugzeug fühlt sich an, wie eine Spülmaschine. Wegen des andauernden Druckes im Antrieb, es fühlt sich an, unter Volldampf zu stehen, das ist ungemein beruhigend, ich hatte mir das eher wie Bahnfahren vorgestellt, wo man den Fahrtdruck nicht so spürt, weil Bahnfahren ja eher ein Gleiten über Schienen ist, das wäre in der Luft aber zu fragil, ich muss also gedacht haben, Fliegen wäre fragiler, jedenfalls hatte ich es so in Erinnerung. Fragil. Aber letztes mal warvor siebzehn Jahren, und ich hatte damals einen ziemlichen Kater, als ich in Wien in den Flieger stieg. Zudem war ich schlecht gelaunt und ziemlich deprimiert. Und Wien war seit Monaten bewölkt und grau gewesen.

Boah, die Leute essen hier tatsächlich während der Fahrt. Mir wird schon schlecht weil ich den Speichel schlucken muss.

# Man kann wirklich Europa sehen, so googlemaps-mäßig von oben, ein bisschen zu eingezoomt um den kompletten Überblick zu haben, aber das macht es nicht minder gut. Wiesen, Dörfer, Städte. Ich kann manchmal nicht runterschauen, zu unwirklich ist mir die reale Entfernung zum Boden, es wird mir ganz leer im Magen. Aber manchmal kann ich schauen. Eigentlich immer, aber oft nur aus den Augenwinkeln. Ich hätte aber gerne den Namen der Ortschaften auf die Landschaft projeziert. Labels anzeigen. Ich kann witzigerweise schon in mein Notizbuch schreiben, da schaue ich in das Buch, habe Europa in Augenwinkel und kann atmen. K redet manchmal mit mir, ich schaue ihr dabei ins Gesicht, registriere aber nur ein Drittel von dem was sie sagt. Ich lächle zurück.

# Ich halte meinen Seatbelt gefastened. Europa bekommt ein ganz neues Gesicht, wenn man es in Flugstrecken betrachtet. Nicht mehr die weiten Landilinien sondern spielzeugmäßig verkleinert, total erreichbar, zusammengeschrumpft. Das lässt sich vermutlich auf die ganze Welt anwenden, das mit dem Schrumpfen meine ich.

# Meine erste Turbulenz. War ok.

# OK Bier gekauft. Wackelt ziemlich. Bin eh zu aufgeregt zum Kotzen.

# Ich schwitze die Blätter des Notizbuches voll, die Blätter bleiben während des Schreibens dieser Zeilen an meinen Handballen kleben.

# Ich glaube ja, dass das Bordpersonal dafür bezahlt wird, entspannte Grimassen zu ziehen. Niemand unterhält sich während des Starts eines Flugzeuges dermaßen überbordend. Das habe ich mir vorhin gedacht. Und jetzt machen sie es wieder.

# Ich bin fortwährend am Ablenken. Also, ich will schon den Flug mitbekommen, sehr wichtig ist das, ich kann aber nicht am Fenster sitzen, auch wenn ich dauernd rausschauen will, schaue ich nämlich zu wenig hinaus, schuaue ich zuviel in das Flugzeug hinein, und wenn ich zu viel in das Flugzeug hineinschaue, dann habe ich zuviel von den tausenden Metern Luft unter mir im Bewusstsein.

# Gegen Ende hin bekommt das Wackeln etwas beruhigendes, wegen der Heimeligkeit wenn es wackelt, dann ist die Maschine nicht mehr nur der Antrieb und das statische in-der-Luft-sein, sondern man spürt die Maschine mit ihrem ganzen Innenleben, wie sie ächzt, wie das Möbiliär mitwackelt, wie man kleine Maschine im Wetter ist, das ist viel beruhigender als man sich das vorstellt, viel Verständlicher, weil mechanischer. Keine schlechte Erkenntnis (sage ich mir so).

[…]

Blöd ist wahrscheinlich, dass ich morgenfrüh nach Schottland fliege. Nicht Schottland ist blöd, sondern das Antibiotikum, das ich gerade nehme. Noch blöder ist es für K, die morgenfrüh mit dem Antibiotikum anfangen wird. Weil: wenn einer schon Eiter im Hals hat, dann hat es der andere auch. Auch das ist blöd. Das Blödeste von allem aber, sozusagen das übergestülpte Blöde, ist Schottland, also nicht Schottland an sich natürlich, sondern unser Vorhaben in Schottland ausgerechnet alle unsere Lieblingswhiskydörfer abzuklappern. Gefühlt werden wir von Distillery zu Pub, von Pub ins Bett und vom Bett an den Frühstückstisch mit Haggis stolpern. Also nicht Haggis ist das Blöde, sondern das Antibiotikum. Verträgt sich nicht so mit der gebrannten Gerste. Andererseits kann das auch eine Mähr sein. Ein holländischer Kieferchirurg vertraute mir in einem konspiratorischen Augenblick an, dass ich bloß nicht kotzen dürfe, weil Du weisst: wenn Kotze kommt, kommt auch Antibiotikum. Und alles ist umsonst gewesen. Das hat mir immer gefallen.
Aber vielleicht ist auch das nicht blöd.
Das Blödeste von allem ist vielleicht nur der Flug, nicht übergestülpt blöd, sondern so vorgeschoben blöd, danach kann ja vieles gut werden, aber ich steige seit siebzehn Jahren das erste mal wieder in ein Flugzeug. Scheiß Antibiotika. Oh was bin ich unerträglich larmoyant.

[…]

Was ich im aktuellen Diskurs um Sarrazin vermisse, ist hauptsächlich jemand der den Islamgegnern erklärt, dass sie Angst haben. Jemand, der in einem ruhigen und unarroganten Tonfall erklären kann, dass es hier nur um Angst geht, dass Sarrazin ihnen nur das Gefühl vermittelt, mit Ihrer Angst nicht alleine zu sein, weil er die Ängste – sei es vor der sogenannten Überfremdung, vor der Kriminalität, usw. –, durch seine Kraftsprache zu mindern weiß. Sarrazin ist sozusagen ein Mutmacher.
Das ist alles. Sarrazin hat keine Meinung, sondern eine Haltung.
Mit dieser Haltung gibt es aber nur zwei mögliche Wege das Problem zu lösen: die kritisierten Menschen zu vertreiben, oder sie zu demütigen/unterwerfen.
Dass beide Lösungswege keine Lösungswege sind, sollte mittlerweile hinlänglich bekannt sein.

Dass es Probleme gibt, aber auch. Wenn die Mehrheit (als Gegenteil von “Minderheit”) aber, nicht über die Angst hinwegkommt, dann wird sie nie verstehen warum sich die Minderheit hinter Radikalismus versteckt, sich in ihre Ghettos zurückzieht, auf “Kosten des Staates” lebt, sich in dem “anderen” Rassismus flüchtet. Das ist die Angst des Unzureichenden. Das ist Selbstschutz.
Und es ist nunmal der Stärkere, der auf den Schwächeren zugehen sollte. Und der Stärkere ist nunmal die Mehrheit.

Ich bin ja guter Hoffnung und gehe davon aus, dass die Menschen nicht unbedingt Rassisten sind, sonder nur Menschen, die Angst haben. Und falsche Mutmacher hat es schon zu viele gegeben.

[…]

Habe ich schon erwähnt, dass ich gestern die Heizung angeschaltet habe? Nein? Habe ich nicht? Nunja: ich habe gestern die Heizung angeschaltet

#
Vorhin, vor dem Supermarkt stehen drei Rentner beisammen und reden über die unerzogene Jugend. Ganz klassisch, wie man sich das so vorstellt: sie stehen beisammen, reden von der unerzogenen Jugend und stammeln mantraartig Wortfetzen wie “schlimmschlimm”, oder “unfassbar”, “Und dann sagte er:”.
Ich bekomme das mit, weil ich genau daneben stehe und mein Fahrrad belade. Ich versuche mühsam zwei große Plastiktaschen zu befestigen, eine Großpackung Toilettenpapier, und einen Karton mit einer Büchersendung. Dabei fällt mir das Fahrrad um, eine der Taschen geht auf, ein Joghurt platzt und das Gemüse rollt über den Bürgersteig. Die Dreiergruppe nimmt es zur Kenntnis und widmet sich wieder dem Gespräch über Erziehung.

Weissnich. Die Rentner von heute sind auch nicht mehr das was sie früher mal waren.

Und ich dachte natürlich gleich: hey, musst Du bloggen. Dabei wäre es viel witziger gewesen wenn sie mir geholfen hätten und ich hätte dann schreiben können:

Weissnich. Die Rentner von heute sind auch nicht mehr das was sie früher mal waren.