[2017]

Wenn ich keine Böller und Raketen anzuzünden habe, dann hasse ich Feuerwerk zu Silvester, wenn ich aber aus irgendeinem Grund an eine Rakete oder einer Böllerpatrone gelangen bin, dann liebe ich es.
So einfach ist das. Da ich das Silvestergeknalle aber natürlich total verachte, kaufe ich nie welches und so verbleibe ich in der Nacht des Jahreswechsels immer mit Hassgefühlen, die ich aber mit Alkohol ganz gut im Griff bekommen habe.
Es ist ja nicht so, dass ich ordentlichem Drama nicht zugeneigt wäre, auch im öffentlichen Raum, Landfriedensbruch finde ich durchaus annehmbar, zumindest wenn ich auf der richtigen Seite stehe. Bei Böllern stehe ich natürlich auf der falschen Seite und ich komme nicht darum hin, es eigentlich blöd zu finden, und um dieser Unausgeglichenheit meiner Gefühle auszuweichen, habe ich es mir irgendwann abgewöhnt Silvester zu feiern, oder zumindest mir etwas großes vorzunehmen. Das beste Silvester, nein das allerbeste Silvester hatte ich mit K und zwei Freunden auf Amrum, der Schneesturm war von der Nordsee her hereingebrochen, wir waren mit der letzten Fähre auf die Insel gekommen und danach konnte sie drei Tage nicht mehr fahren. In der Nordsee trieben Eisschollen die bis ins Watt gespült wurden. Das war sehr schön. Es war auf eine Art es-ist-Katastrophe-aber-wir-sitzen-safe-in-unserer-Ferienwohnung-schön. Ich hätte da nie mehr runter gemusst. Zumindest so lange es Essen gab.
Wenn irgendwie möglich versuche ich Silvester zu verreisen. Irgendwo wo es nicht spektakulär ist. Ich bin ein totaler Stadtmensch, ich bin wirlich total durchverstädtert, aber es gibt eine Nacht im Jahr an der es mir erstrebenswert scheint, nicht in einer Stadt zu sein. Zumindest wenn ich mich darin bewegen muss. So gab es dieses wunderbare Silvester an dem K und ich zuhause vor dem Fernseher saßen und die 100 besten Hits der Deutschen auf RBB schauten. Dabei mit Laptop und Bier im Internet herumhingen was andere Leute so machten. Der beste Hit der Deutschen ist übrigens ein Lied mit dem Namen “Komm hol das Lasso raus”.
Aber in der Stadt herumirren und den Anspruch zu haben auf der angesagtesten Party zu hopsen. Nö. Ich komme mir dabei vor wie ein gackerndes Huhn. Und ich sage euch: kein gutes Gefühl.
Dieses Jahr gehen wir zu unseren Freunden. Sie wohnen gegenüber. Wir haben uns überlegt mit den Pantoffeln über die Straße zu gehen. Aber am Schuhwerk merkt man den Menschen als erstes an, wenn sie dabei sind, den Bach hinunter zu gehen.
Wir gehen also mit guten Schuhwerk zu unseren Freunden auf die andere Straßenseite. Ein sehr kurzer Nachhauseweg. Mit dem Anbrechen des neuen Jahres verbindet man ja immer Umbrüche oder man setzt sich Ziele, es ist ja alles so symbolisch. Mit so einem kurzen Nachhauseweg kann 2018 eigentlich nur ein gutes Jahr werden.

[bummbumm]

Neulich fuhr ich nachts auf der Autobahn von Südtirol zurück nach Berlin. Ich hatte mich mit geräucherten Kaminwurzen vom Metzger meines Vaters eingedeckt und ich fuhr wie ich halt immer fahre wenn ich alleine auf den Straßen unterwegs bin: mit 80 km/h. Ich bin ein 80 km/h-Fahrer. Wenn ich nicht auf die Geschwindigkeit achte sondern in Gedanken versunken bin, dann lande ich irgendwann immer bei 80 km/h. Natürlich kann ich auch sehr konzentriert und schnell fahren (OK, mein Auto kann nur 140. Abwärts.), jedoch passiert es immer wieder, dass ich mich irgendwann auf der rechten Spur wiederfinde und 80 fahre. Das ist vermutlich mein Lebensbeat. Meine Basslinie.

Wie ich so in Gedanken versunken durch die Nacht fuhr und auf salzigen Kaminwurzen herumlutschte, dachte ich, das könnte ich in alle Ewigkeit so machen, mit 80 fahren und auf salzigen Kaminwurzen herumkauen. Lebensbeat. Das Universum und ich. Wir haben den gleichen Herzschlag wenn ich Kaminwurzen kauend mit 80 km/h durch die Nacht fahre.

[metoo]

Wie damals bei #aufschrei fühlt es sich beim Herunterlesen von #metoo genau so an: als endlose Playlist der Arschlocherei. Ich finde die Aktion wieder gut, ich glaube Veränderung lässt sich nur über coolness herbeiführen, wenn es uncool ist, auf so eine Playlist der Arschlocherei gesetzt zu werden. Es ist illusorisch, breiten Gesellschaftsschichten Empathie beizubringen. Außerdem ist #metoo so etwas wie eine öffentliche Stimme, ein mutmachender Resonanzraum, der es zukünftigen Betroffenen vielleicht erleichtert, dem “nein” auch mal eine Ohrfeige folgen zu lassen.

[haare]

Bei meiner neuen Frisörin am Kottbusser Damm brauche ich keinen Termin. Wenn ich anrufe und um einen Termin bitte, sagt sie, ich solle einfach vorbeikommen. Wenn ich vorbeikomme, warte ich höchstens fünf Minuten, dann hat sie oder ihre Mitarbeiterin Zeit für mich. Sie putzen in ihrem Salon nur wenig. Die Haare lassen sie so lange auf dem Boden liegen bis keiner der fünf Stühle ohne Haare auf dem Boden mehr frei ist. Sie fragt nicht ob ich die Haare waschen will. Ich kam von draußen, vom Regen, sie schnitt mir die Haare einfach so, mit halbfetten, verregneten Haaren, ohne mich an diesen Waschbecken mit den Kopfkerben zu bitten. Sie fragt, wann ich das letzte Mal bei ihr war, ich sage, drei Monate. Dann schneidet sie mir drei Monate ab.

Ich bin an einem Punkt angekommen an dem ich diesen Mix aus Einfachheit und Lieblosigkeit heilsam finde. Und wenn ich bei Dingen, auf die ich keinen Wert lege, einfach das bekomme, was ich will. Hier: kürzere Haare. Niemand der Kreationen mit meinen Haaren macht, oder sich Styliste nennt, sondern mir einfach die Haare schneidet.

[the rain it hammered down]

Als am Donnerstag wieder die Sonne anfing zu scheinen musste ich an Nick Caves “… and the ass saw the angel” denken. Als der dreijjährige Regen aufhörte und Euchrid seinen Schatten auf dem Boden sah, der wie ein lange vergessener Begleiter wieder in sein Leben auftauchte.

K und ich waren in unseren jungen Jahren beide Nick Cave Fans. Unabhängig voneinander. Am Donnerstag hörten wir beim Kochen the Carny. The Rain Came Hammering Down. The Rain Came Hammering Down. And The Rain Came Hammering Down. Nach dem Essen zogen wir “… and the ass saw the angel” hervor. Sie hatte das Buch damals furchtbar gefunden. Ich hatte es hingegen geliebt. Dieser dreijjährige Regen. Es gab wenige Kulissen die nachhaltig so lange in mir drin weitergeregnet haben. K hatte das Buch auf englisch gelesen, sie störte sich an der schwülstigen Sprache die unter Zuhilfenahme der Bibel und einem alttestamentarischen Synonymenwörterbuch geschrieben zu sein schien. Das konnte ich überhaupt nicht nachvollziehen. Ich zog meine deutschsprachige Version aus dem Bücherregal, wir lasen einander Passagen vor. im Original und in der Übersetzung. Ein erstaunlicher Unterschied. Die englische Fassung ist kaum lesbar, schwülstig, gestelzt, dann in diesem geschriebenen Südstaatenslang, während die Übersetzung einen ganz anderen elegant düsteren Tonfall herunterprasselt. Schlechte Übersetzung, wenn man so will.

Ich bin froh, nicht das Original gelesen zu haben (so einen Satz wollte ich immer schon mal schreiben).

[loses über den Regen]

Am Kottbusser Damm auf dem Weg zur Apotheke von Markise zu Markise gehopst. Und unter jeder Markise dieser Optimismus der Leute: wird schon gleich aufhören. Etc. Hab mich total anstecken lassen. Als es nicht weniger wurde, bin ich weitergehopst. Unter der nächsten Markise wieder, dieser Optimismus der Leute: wird schon gleich aufhören. Hab mich wieder anstecken lassen.

Dann diese umwerfende Symbolik. Heute wird über die Ehe für alle abgestimmt. Derweil hämmert der Regen sintflutartig auf das berliner Pflaster, Straßen stehen unter Wasser, über den Bürgersteigen fließen Bäche, der Tag verfinstert sich ständig. Es würde mich freuen wenn die gottesfürchtigen Konservativen kollektiv zu ihren Bußgürteln greifen. Um uns zu bewahren vor ihren Sünden. Mit richtig langen und spitzen Nägeln an der Innenseite.

Drinnen: hach, romantischer Sommerregen

Draußen: ≈

 

[NCE]

Wir tragen unsere Termine immer in den Kalender am Kühlschrank ein. Terminname und Kürzel. K ist der Kürzel für meine Frau und M ist der Kürzel für mich. Vor einigen Wochen wollte ich für dieses Wochenende den Termin “Nizza M” in den Kalender eintragen. Da stand bereits ein Termin. Das ist durchaus gewöhnlich.
Diesmal aber stand “Nizza K”. Gleiche Stadt, gleiches Wochenende, unterschiedliche Termine. Wir arbeiten in ganz unterschiedlichen Branchen, haben andere Hotels, haben nicht kompatible Termine, ganz andere Abendgestaltung. Wir sind in der gleichen Stadt 1000km von zuhause entfernt und werden einander nicht sehen.

Gestern Nacht beim Einschlafen, jeder in seinem Hotelzimmer in seinem eigenen Einpersonenbette. Es gibt ja diese Apps wo man den jeweils anderen auf einer Karte anzeigen lassen kann. So sind wir dann eingeschlafen. Mit dem Blick auf die Geokoordinaten des jeweils anderen. Weit weg von zuhause.

Ich finde das bringt Romantik auf eine ganz neue Ebene.

[was schön war, KW14]

Es war schlechtes Wetter und nach Svens Geburtstagsparty hatte ich eine große, fette, männliche Katze in mir und meine Zunge war ein belegter Leberstreifen der mir zum Hals heraushing. Ich hing ein bisschen zuhause rum, schaute Fußball, aß salzige Sachen um mich besser zu fühlen, dann fingen meine Schwestern plötzlich an Gute-Laune-Fotos in unsere Geschwistergruppe auf Whatsapp zu schicken. Besser gesagt Schöne-Wetter-mit-Gute-Laune-Fotos. Die eine Schwester wohnt am Gardasee und die andere Schwester im immer sonnigen Meran. In Berlin gab es weder Gutes Wetter noch gab es Gute Laune, aber weil ich mich irgendwann unter sozialem Druck wiederfand beschloss ich ein Selfie auf dem Balkon zu machen. So schob ich die Vorhänge beiseite und staunte, dass die Sonne schien. Ich hatte so viel Schlechtwetter in mir drin, dass es mir unmöglich schien draußen Schönwetter vorzufinden. Also setzte ich mir die Sonnenbrille auf, schenkte mir Wasser in ein großes Kugelglas, setzte mich in den Liegestuhl auf den Balkon und schoss ein Gute-Laune-Selfie. Dann blieb ich noch lange sitzen. Ging mir sofort besser.