[Do, 26.6.2025 – wenn ausgeschlossen]

Ein Kollege aus der Ex-Firma in Amsterdam schrieb mir. Er käme heute nach Berlin und bliebe für ein paar Tage, er würde sich freuen, mich zu treffen. Da meine Verabredung wegen des angekündigten Sturmes abgesagt hatte, war ich praktisch frei, und so schrieb ich ihm, dass ich auch spontan heute könne. Also trafen wir uns noch zu später Stunde auf den Treppen am Frankfurter Tor und tranken ein „Wegbier“, wie er wusste, dass es heißt. Als echter Amsterdamer hatte er doch tatsächlich sein rostiges Fahrrad aus den Niederlanden mitgebracht und kam damit zur Verabredung. Weil ich darüber staunte und es lustig fand, erzählte er mir, wie gerne er mit seinem Rad unterwegs sei. Es sei Baujahr 1959 und es reite sich wie ein Pferd, dem man vertraue.

Wir redeten über die Firma. Er wurde im November entlassen. Die ganze Abteilung hatte man geschlossen. Er konnte die Entscheidung allerdings nachvollziehen, es war nicht die Schuld der Firma. Die Firma ist ja ein queeres Datingportal. Nach der Wahl in den USA haben sowohl Twitter als auch Facebook und Insta die Kanäle der Firma geblockt und gelöscht. Von solche Aktionen kriegt man in den großen Medien nichts mit. Die Konten wurden nach einigen Monaten wieder reaktiviert, aber alles ist leer, der gesamte Content, Bilder, Videos, Reels, Likes, Follower, Kommentare, alles ist weg. Aus Gründen der Unsittlichkeit. Während auf Twitter weiterhin Pornografie und auf den Zuckerberg-Kanälen Softpornos laufen. Aber wenn zwei Männer sich küssen, dann ist das unsittlich.

Lediglich TikTok ließ den Account unangetastet. Ausgerechnet die Chinesen. Kannste dir gar nicht ausdenken. Immerhin ist die Firma jetzt damit vor Gericht gezogen.

Aber für meinen Ex-Kollegen und die Social-Media-Abteilung war damit trotzdem Schluss. Es gab schlichtweg nichts mehr zu tun. Nicht, dass er unglücklich damit ist. Er sagte, nach fast einem Jahrzehnt in der Firma fühlte es sich wie eine Erleichterung für ihn an. Er hätte sich als schwuler Mann dort schon sehr in seiner sicheren Arbeitsblase eingerichtet und wurde jetzt sozusagen zu einer Entscheidung gezwungen, die er länger schon in Betracht zog, sich aber nicht zutraute. Jetzt ist er wieder draußen in der Welt, sagte er, und fühlt sich für alles bereit.

Ich konnte die Freude verstehen, wenn man zu einer Entscheidung gezwungen wird, die man als Befreiung erlebt. Dennoch wunderte ich mich darüber. Mir wurde es in dieser Firma erst so richtig bewusst, was es bedeutet, schwul zu sein. Da half es nichts, dass ich vorher mit schwulen Männern befreundet war und Herthasticker mit Regenbogenfahne verklebte. Erst in der Firma und im Arbeitsalltag verstand ich in der gesamten Tiefe, was es bedeutete, eine soziale Minderheit zu sein, wie sich die Dynamik ändert, wenn man plötzlich zu einer Mehrheit gehört, der Duktus, die Körperlichkeit, der Umgang, man ist nicht „der Schwule“, vor allem wurde ich damit konfrontiert, wenn stinknormale, also heterosexuelle Dienstleister für Projekte zu uns in die Firma kamen und sie irgendwann herausfanden, dass ich mit einer Frau verheiratet war, wie sie mich plötzlich als einen der ihren betrachteten, uff, „die Schwulen“ sind schon alle sehr nett, aber – ja aber, es gab dann immer diese harmlos gemeinten ABERS. Umgekehrt war ich dort als nicht-schwuler Mann in der Minderheit, und ich merkte durchaus, dass man mit mir anders über die Partys am Wochenende sprach, als sie es untereinander taten. Klar, ich war der Chef und mit dem spricht man immer anders, aber die juicy Details von den Fisting-Partys bekam ich immer nur aus dritter Hand erzählt, während der schwule CEO ganz selbstverständlich dazugehörte.

Neulich, als wir bei der Verwandtschaft meiner Frau in Schweden zu Abend aßen, erzählte ich dem gutbürgerlichen, akademischen Ehepaar von diesem Safe-Space. Ich sagte, als schwuler Mann in einer gewöhnlichen Firma ist man halt doch immer der schwule Mann. Es ist nie böse gemeint, aber du gehörst in einer Runde von zehn heterosexuellen Männern halt nie zu hundertprozent dazu. Bei den unterschwelligen Witzen, bei den kumpeligen Kommentaren, bei den Berührungen auch.

Die Cousine wollte das nicht glauben. Mit einer gehobenen Augenbraue fragte sie, ob das in Deutschland echt noch ein Problem sei, in Schweden sei man ja sehr tolerant. Ich sagte, das habe wenig mit Toleranz zu tun, und in Schweden sei das sicherlich nicht anders. Das sind nur die feinen Linien, die man als Teil der Mehrheit nicht wahrnimmt. Man nimmt keine Alltagsrassismen wahr, keine Alltagsdiskriminierung, keinen alltäglichen, meist auch nur unbewussten Ausschluss. Als Mehrheit sitzt man immer gottgleich drüber und wähnt sich in Toleranz.

Ja, wissen wir alles. Muss ich jetzt nicht weiter ausführen. Habe mich nur ein bisschen in Rage geschrieben. Mein Ex-Kollege sagte: „Ja, das stimmt auch wieder.“ Aber es ist ihm egal. Er will halt nicht in einer Blase sitzen. Es beunruhigte ihn mehr, wie schnell die Firmen ihre Diversity-Programme aufgaben und die Regenbogenfahnen wieder abmontierten. Das fühle sich wiederum wie ein Dolchstoß an. Wie man plötzlich fallengelassen wird. Es kam fast über Nacht.

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Themenwechsel.

Der mit vielen Warnungen angekündigte Sturm kam fast aus dem Nichts. Ich ging mit der Hündin kurz raus, um dem Sturm voraus zu sein. Die Luft drückte bei 31 Grad. Aus dem Westen bauten sich finstere Wolken zu bedrohlichen graublauen Strukturen auf. Plötzlich wurde es laut, die trockene Erde im Park wurde zu Staub aufgeweht, ich hatte Sand in den Augen, dann kam der Regen. Die Hündin und ich liefen nach Hause. Und dann war es wieder vorbei. Irgendwie underwhelming. Unterwältigend. Allerdings stellte sich später heraus, dass es in diesen zehn Minuten Schwerverletzte gab und die Feuerwehr fast tausend Einsätze fuhr. Es soll nicht wie eine Beschwerde klingen.

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