[Do, 2.11.2023 – Paketlieferung, Metallica]

Ich hatte die 30 Kilo Hundefutter extra online bestellt, damit sie jemand anders zu mir nach Hause schleppt. Die Lieferung sollte am Dienstag kommen, weil am Dienstag jemand zuhause sein würde. Aber die Lieferung kam erst heute, wo natürlich niemand zuhause war. Die 30 Kilo wurden auch nicht bei den Nachbarinnen abgegeben, sondern in der 1km entfernten Postfiliale. Das ist weiter weg als Futterhaus.

Also fuhr ich mit dem Auto in die Postfiliale. Dort bediente mich die zierliche, junge Blonde. Ich sagte, es gäbe ein Dreissigkilopaket für mich. Wir scherzten ein wenig, sie ist immer sehr lustig, dann holte sie das Paket aus dem Lagerraum, dabei stöhnte sie dramatisch, gab röhrende Töne von sich und wies darauf hin, wie glücklich sie mit ihrem neuen Fitnessstudio sei. Sie sagte während des Schleppens aber auch, dass das nie und nimmer 30 Kilo seien. Sie legte das Paket auf die Waage – eine geeichte Waage–, wie sie betonte und diese zeigte lediglich 24 Kilo an. Ich sagte nur: nunja.
Was sollte ich auf so viel Präzision schon erwidern.

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Vorm Einschlafen lagen wir im Bett, ich spielte “Regale sortieren” auf dem Telefon, meine Frau hörte Coverversionen von Metallicas Fade to Black. Die Covers sind eigentlich durchgehend schöner als die dumpfen Versionen von Metallica. Ich hörte als Jugendlicher Metallica, das war die Zeit von “…and Justice for all”, aber die älteren Alben hatten es mir mehr angetan, vor allem “Ride the Lightning” und “Master of Puppets” und als Teenie war ich auch ganz besonders diesen schwermütigen Balladen angetan. Fade to Black war eine dieser Balladen. Weil es so umständlich war, die Plattenspielernadel nach Ende des Liedes immer wieder auf den Beginn des Liedes einzugrooven, nahm ich Fade to Black auf eine Kassette auf. Das selbe Lied, immer hintereinander, 90 Minuten lang Fade to Black. Nach 45 Minuten musste man die Kassette allerdings umdrehen.

Das Lied handelt von Depressionen. Fade to Black. Als Teenie romantisierte ich dieses Abdriften in Dunkelheit. Ich verwechselte klinische Depression mit Melancholie. Ich hatte ja keine Ahnung. Wobei “fade” ja eher ausbleichen oder ausblenden bedeutet. Ausbleichen ins schwarz. Das wäre auch ein schöner Titel.

Es gibt viele Liveversionen, sie spielen es auch noch in 2022 auf Konzerten. Erstaunlich ist, dass James Hetfield immer noch “Cliff” dazwischenruft. Cliff Burton starb bevor ich Metallica hörte, da war ich 11 Jahre alt. Ich fand heute heraus, dass der tödliche Busunfall in Schweden passiert war, damit hatte ich nicht gerechnet und zwar gerade mal anderthalb Stunden von unserem Häuschen entfernt. Man könnte da mal hinfahren, sagte ich, da gibt es bestimmt ein Denkmal.
Nein, sagte meine Frau.

[Tagebuchbloggen. Samstag, 13.3.2021]

ir hatten für heute eigentlich einen Ausflug geplant gehabt, aber wegen Wetter alles abgesagt. Seit es diese Apps vom Katastrophenschutz gibt, sind die Wettermeldungen ja immer amtlich, und wenn auf dem Display dann eine “amtliche Warnung” aufpoppt, klingt es als würden draussen Aliens patrouillieren.

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Sport. Ich habe 2013 für einige Monaten bei einer Fitnessstudiokette gearbeitet. Nicht im sportlichen Bereich, aber im technischen. Da ich italienisch und (etwas) spanisch spreche, war ich verantwortlich für den Rollout der IT in Italien und Spanien. Die Fitnessstudios wurden mit Monitoren und einer Videostreaming-Technologie erweitert. Ich flog unter der Woche also mit einer dicken USB-Festplatte durch Spanien und Italien und kopierte Fitnessvideos auf die lokalen Server.

Nach drei Monaten kündigte ich den Job. Ich mochte es nicht, ständig unterwegs zu sein. Ich war von Montag bis Freitag immer unterwegs. Zwar an vielen netten Orten wie Barcelona, Verona, Mailand, Sevilla und vielen italienischen, sowie spanischen Kleinstädten, aber dieses ständige Hotelleben, diese seltsame, permanente Oberflächlichkeit, mit der man sich den Orten nähert, das war nichts für mich.
Drei Wochen lang machte das Spass, weil es so aufregend war, weil es das totale Gegenteil eines Alltages war, aber jeder Tag an einem anderen Ort, immer als unverbundener Fremdling, das war dann nicht so meins. Vielleicht wäre es anders gewesen, wenn ich mindestens zwei Wochen an jedem Ort verbracht hätte, aber jeden Tag einen Ortswechsel, das war mir eine zu hohe Schlagzahl. Ich kann mich vor allem daran erinnern, wie ich am Ende der Woche in meinem Bett in Berlin lag und versuchte meine Erinnerungen der Woche in Bildern zu rekonstruieren. Wie diese Bildermasse aus den Erinnerungen zu einem namenlosen, grauen Brei wurde.

Was ich an dem Job jedenfalls übrigbehielt, war diese dicke Festplatte mit hunderten Fitnessfilmen. Diese Filme verwende ich noch ab und zu, wenn ich das Bedürfnis habe, Sport zu betreiben. Ich spiele sie auf meinem Fernseher ab und lege los.

Eines meiner Lieblingsvideos war früher “Bodyshape” mit einer Trainerin namens Judith. Fünfzig Minuten einmal den ganzen Körper durch. Es ist ein paar Jahre her, dass ich diesen Judith-Kurs trainiert habe. Heute aber wieder.
Ich strenge mich ein bisschen zu sehr an. Das viele Gewicht, das ich verloren habe, lässt mich etwas übermotiviert an das Training rangehen. Nach den 50 Minuten merke ich, dass ich nicht mehr richtig laufen kann. Meine Beine fühlen sich übermüdet an. Beim Gehen knicke ich immer wieder ein. Mir ist das schleierhaft. Ich fahre jeden Tag etwa 55 Minuten mit dem Fahrrad und ich habe sehr muskulöse Oberschenkel. Aber das sind vermutlich ganz andere Oberschenkelmuskeln.

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Dass wir gegen Dortmund verlieren würden, war jetzt nicht ganz unwahrscheinlich. Und es ist einigermaßen OK. OK in dem Sinne, dass es jetzt nicht für übermäßig schlechte Laune sorgt, vor allem, weil die Spiele, die wir gewinnen müssen, erst noch kommen. Aber es sieht schon sehr düster aus. Wir haben zur Zeit weniger Punkte als zur gleichen Zeit in der letzten Abstiegssaison. Wir werden also von Spieltag zu Spieltag zittern.

[woran ich mich erinnern will. Erste Aprilhälfte]

Es gibt dann erstaunlich wenige Dinge an die ich mich erinnern will, wenn ich den ganzen Tag zuhause sitze. Was frustrierter klingt als es gemeint ist. Es gibt weniger Highlights zuhause und wenn ich zuhause bin, gebe ich mich vollends meiner Nerdigkeit hin und das ist ja eher der Standardzustand als ein Highlight.

Aber wir haben viel Filmkultur nachgeholt. Während des Kochens hörten wir die Musikclips auf dem Jungelbuch, also das “Bear necessities” und das “Trust me” und das Lied von King Louie sowie der Marsch der Elefanten. Bear necessities blieb uns tagelang als Ohrwurm hängen, einige Tage später schauten wir deswegen Jungle Book, alle verschiedenen verfilmten Versionen, die die näher am Roman sind und die die näher am Trickfilm sind. Aber nirgendwo tanzt Balou so schön mit seinem dicken Hintern als im Zeichentrickfilm.

Und weil wir gerade dabei waren, schauten wir auch noch verschiedene Versionen von Tarzan. Nein, nicht die mit Weissmüller, weil ich ein bisschen Angst hatte, dass ich den knödligen Jungelruf zu albern finde, aber dafür die späteren Versionen, sogar die Version in der Tarzan faktisch schon in der Gegenwart lebt und wieder zurück in den Jungel muss.
Während des Kochens (wir kochen gerade jeden Tag und ausgiebig) lasen wir uns die Hintergründe zu Tarzan aus Wikipedia vor, das ist immerhin eine komplexe Geschichte mit seiner aristokratischen Herkunft und den Ansprüchen auf ein nicht-gewolltes Leben und den verschiedenen Interpretationen über das Zusammenleben bzw. dem Kennenlernen von Jane etc. mich hat das schon sehr begeistert, also die Filme fand ich weniger spannend, aber was aus dieser Kulturfigur Tarzan gemacht wurde, wie die unterschiedlichen Epochen der modernen Filmgeschichte ihren eigenen Tarzan schufen. Das klingt so als sollte man das unbedingt einmal kulturwissenschaftlich aufarbeiten; nein ich habe das noch nicht gegoogelt.

Tarzan, boah.

Außerdem: nachdem wir (ungewollt) fast nur noch Filme und Serien schauen die in Schnee und Eis stattfinden, ist der afrikanische Jungel eine spannende Auszeit.

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Herthainsel. Am 64. Breitengrad (Süd) auf der sogenannten antarktischen Halbinsel gibt es mehrere vergletscherte Inselketten. Eine dieser Ketten heißt Robbeninseln. Das Pack- geht dort in das Meereis über insofern war es immer schwierig Inseln von gewöhnlichen Erhebungen zu unterscheiden. Eine solche Erhebung wurde in 1893 als eigenständige Insel identifiziert. Diese wurde kartografiert und mit einem Namen versehen. Herthainsel. Ich als Herthafan kann mich für diesen Namen natürlich sehr begeistern. Zumal es diese seltsame Parallele mit meinem Fußballclub gibt, beide Herthas sind nämlich nach einem Schiff benannt. Die Insel nach einem der Expeditionsschiffe mit dem man sie entdeckt hat und mein Fußballclub nach einem Haveldampfer. Überhaupt: es gab zwischen 1864 und 1905 insgesamt 6 Schiffe die Hertha getauft wurden und einen Wikipediaeintrag haben. Dinge ohne Wikipediaeintrag sind ja das neue Dunkelziffer. Wie hoch die Dunkelziffer an Herthaschiffen also sein mag, kann man nur spekulieren.
Und dass diese Insel den Namen meinen Clubs trägt aber auch noch in der antarktischen Eiswüste liegt weckt in mir, den Fan von Eiswüsten, fast schon religiöse Gefühle.

Das Problem mit der Herthainsel ist nur: es gibt sie nicht auf Googlemaps. Man kann sich natürlich zu ihr hinscrollen, aber sie heißt eben nicht, sie hat da keinen Namen. Man findet sie allerdings bei Bing Maps und auf Openstreetmaps. Aber eben nicht auf Google. Mich ärgert das, also probiere ich die Funktion aus einen fehlenden Ort hinzuzufügen. Man kann Google nämlich immer Vorschläge machen um das Kartenmaterial zu verbessern. Diese Vorschläge werden dann geprüft und nach Kontrolle den Karten hinzugefügt.
Also mache ich das, die Herthainsel ist schließlich auf mehreren wissenschaftlichen Portalen verbrieft. Google will nur den Namen, den Ort und eine Kategorie kennen. Namen (Herthainsel) und Ort (Antarctica) sind einfach, aber bei Kategorie gibt es nur ein Pulldownmenü. Das Menü ist zwar sehr, sehr lang und reagiert auf Sucheingaben, aber es gelingt mir nicht eine passende Kategorie zu finden die für Googlemitarbeiterinnen einigermaßen glaubwürdig klingen würde. Ich suchte natürlich zuerst nach nach “Island” oder “Landscape” oder “Archipelago” aber solche generischen geographischen Kategorien gibt es dort nicht und ich kann auch keine Hinzufügen. Zur Auswahl stehen mir Kategorien wie “Fitnessstudio”, “Arzt” oder “Tankstelle”. Auch “Eis” ist kein hilfreicher Versuch, da gibt es lediglich “Eisdiele” oder “Eisenbahngesellschaft”. Es gibt auch komplexere Kategorien wie “Makrobiotisches Restaurant” oder “Aerobics Instructor”.
Kann ich natürlich machen. Aber wenn Googlemitarbeiterinnen auf die Herthainsel einzoomen sehen sie natürlich wenig Kundschaft für einen Aerobics Instructor mitten im ewigen Eis.
Meine Streetcredibility bei Google würde sinken und wenn Google einmal die UN übernommen haben, da will ich lieber im anonymen Untergrund gegen Google kämpfen und nicht gleich als der Betrüger entlarvt werden, der sich den Namen einer vereisten Insel im antarktischen Ozean erschleichen wollte.
Jetzt weiß ich halt auch nicht.

Die Sorgen eines Mannes

Ich bin nicht dick. Nicht wirklich. Ein gestandener Mann halt. Etwas abgestanden vielleicht, aber mein stetig und entschlossen heranwachsender Körperumfang, vor allem in den letzten Jahren, macht mir etwas zu schaffen. Dabei habe ich nichts gegen dicke Menschen, schon gar nicht bei Frauen. Lieber etwas mehr auf den Hüften als zu wenig. Das ist schliesslich ein Zeichen von Reife, und überreif ist auch gut, letztendlich ergeben überreife Äpfel auch den besten Schnaps.

Aber ich bin halt ein Mann. Letztendlich ein Jäger. Ich muss stark sein und mein Revier verteidigen. Ich pinkle zwar schon seit tausenden von Jahren nicht mehr in die Ecken um heranpirschende Männer vor meiner Anwesenheit zu warnen, aber wir Männer sind nunmal umgeben von gefährlichen Feinden. Ob es nun der ältere Herr an der Supermarktkasse ist, der sich versucht vorzudrängeln, oder bloss der Nachbar im Kino mit dem man sich zwei Stunden lang, wortlos aber entschlossen, einen erbitterten Krieg über den Anteil der Armlehne auskämpft. Wir Männer sind tagein tagaus vom Schwund unserer Dominanz bedroht, und damit die absolut nötige Verbreitung unserer Gene. Ja unsere ganze Existenz steht auf dem Spiel, während wir unsere Damen widerwillig ins Kino begleiten. Die haben es leicht, die gucken irgendeiner Liebesgeschichte zu, lassen Tränen in Strömen fliessen, die wir einhändig zu trocknen vermögen, oder sie drücken uns bei spannenden Szenen, bis zur Bläue hin, die Pulsadern des rechten Armes zu, während wir mit dem linken Arm, auf der Armlehne, eine blutige Schlacht um den Erhalt unserer Gene auf dem Weltmarkt austragen.
Natürlich erzählen wir ihnen nichts von unseren tragischen Kämpfen, weil wir gestandene Männer bescheiden sind, die Ehre im Herzen tragen, und still und nachdenklich am Feuer sitzen, wenn wir uns erholen von unserer täglichen Odysee ins Büro.

Aber ich merke, dass ich als Mann, mit zunehmendem Gewicht meine Chancen verspiele. Das erkennt man an Kleinigkeiten. Wenn zB. die Dame mich darum bittet, das Fahrrad in die Wohnung hochzuschleppen, dann mache ich das natürlich sofort und ohne Widerrede, weil wenn ich schon keine Wildschweine und Bären mehr erlegen darf, dann muss ich halt meinen Wirkungsradius in die urbanen Gefilde verschieben und mich den hiesigen Jägeraufgaben widmen. Es ist jedoch enttäuschend festzustellen, dass man, mit dem schweren Damenfahrrad Stahlross, oben angekommen ist und erstmal eine Minute vor der Wohnungstür schweigend, jedoch laut um Atmeluft ringend, ausharrt, bevor man stolz, das Fahrrad lässig an der Schulter baumelnd, die Wohnung betritt.
Das ginge ja noch, schliesslich kann man sich im Geheimen etwas erholen, schmerzhaft für die eigene Männlichkeit wird es jedoch erst so richtig, wenn man nach dem Betreten der Wohnung merkt, dass man immer noch völlig ermüdet ist, und somit nicht fähig wäre, eine Frau, die sich dann uns starken Männern, voller Stolz an den Hals schmeissen würde, zu begatten, weil irgendwann muss man ja auch dazu kommen die Gene zu verstreuen.
Traurigerweise, oder in meinem Fall muss ich sagen glücklicherweise, sagt die Dame dann immer bloss ein dahingeworfenes Dankeschön, und denkt nicht die Bohne daran, befruchtet zu werden.

Aber der Gedanke, dass ich körperlich nicht mal imstande wäre, in jenem Moment der männlichen Stärke, meine Nachkommenschaft zu sichern, reisst tiefe Löcher in mein Bild von einer guten und heldhaften, zukünftigen Welt. Auch reisst es tiefe und blutige Wunden in meine letztendlich warme und liebende Seele, aber das ist Nebensache, es geht um das Ganze, das Grosse.

Bewegung muss her. Viel Bewegung. Weil Diäten sind für Memmen. Schliesslich glaube ich mittlerweile den Grund für meinen Körperumfang zu kennen. Ich esse nämlich mehr als ich mich bewege. Eine äusserst interessante Entdeckung.
Ich bin nun aber kein träger Kerl, der abends bloss am Fernseher sitzt, sich statt Wildschwein eine Tüte Chips in den Rachen drückt, mit einer Hand die Abstandsbedienung hält und mit der Anderen das Bier wärmt, sondern ich bin eher der Typ, der nachts noch aus dem Bett springt, weil ihm eingefallen ist, dass der Müll noch raus auf die Strasse muss. Zum Glück denke ich nie an den Müll wenn ich im Bett liege und komme daher auch nie in diese Situation, aber ich will ja nur ein Bild der Möglichkeiten skizzieren.
Ich fahre auch immer Fahrrad zu meinen Verabredungen, schnell und geschwind durch den Wind, und wenn nur irgendwie möglich, laufe ich.
Höchstens verbringe ich manchmal zu viel Zeit am Computer, und das auch nach meinem Burojob, bei dem ich auch bloss sitze und mich nur erhebe, wenn ich in die Kantine spaziere, oder mir Butter aus dem Kühlschrank hole.

Aber, ich esse halt gerne. Und das nicht wenig. Natürlich aus dem Gefühl heraus, dass ich mich stärken muss, es kann ja nicht sein, dass mir die Haut an den Rippen anliegt, was wäre das denn für ein Bild von einem stattlichen Ernährer. Die Wildschweine würden mich auslachen, wenn es sie noch gäbe. Es ist schliesslich unter anderem eine Sache des Gewichtes, wenn man den Platz an der Supermarktkasse behaupten will.

Deshalb ersann ich mir vor drei Tagen eine Strategie, wodurch ich den angesammelten Winter-, Fruhlings-, Sommer- und Herbstspeck abtrainieren könne. Fahrradfahren, also so richtiges sportliches Fahrradfahren, ist nicht besonders wirksam, finde ich, und überdies kann es nichts gutes bedeuten, wenn man stundenlang mit der Prostata, die ja schliesslich die Röhre ist, die mein wertvolles Erbgut vom Hoden hinaus in die weite Welt transportieren soll, auf einem mickrigen Sattel sitzt, der sich einen dauernd in den Darm schiebt.
Die andere Option wäre ein Fitnesscenter. Sicherlich, sehr wirksam, eine Institution, die nur dazu dient, das Fett vom Körper zu schwitzen. Trotz wiederholter Empfehlungen hege ich jedoch einen tiefe Abneigung gegen solche Einrichtungen. Der Fitnesstrainer, mit den weissen Zähnen und dem knappen Höschen das seine muskulösen Arschbacken bedeckt, könnte morgen ja schon neben mir an der Schlange vor dem Bankomaten stehen. Ich würde mir die Zähne zerbeissen, wenn er mit hervorgehobener Brust andeutet, als nächster an der Reihe zu sein. In solcher Situation bliebe nichts übrig von der männlichen Würde, und wozu kastrierte Ochsen imstande sind, wenn sie merken, keine baumelnden Hoden mehr zwischen den Beinen zu haben, will ich gar nicht schildern.
Und dann sind in einem Fitnessstudio ja auch noch die anderen, schwitzenden Männer, die einem, sichtlich beschämt, nicht in die Augen schauen können. Man kann auch noch so oft sagen, dass ein Fitnessstudio neutrales Gebiet ist, wo keine Territorien verteidigt werden. Es werden aber auch keine Friedensverträge geschlossen, und da haben wir schon das Problem. Fitnessstudios sind Orte der Erniedrigung, der Selbstbestrafung, der gnadenlosen Ausmerzung jeglicher Aussicht auf strahlenden Erfolg. Leidende Männer unter sich. Die Geburtsstätte der Metrosexuellen. Nach der kollektiven Demut sitzen sie beim Bier, in ihren verweichlichten Klamotten nebeneinander, und reden leise und verständnisvoll von den Tücken des Lebens.

Und darum nahm ich gestern eine Bohrmaschine in die Linke, einen kleinen Vorschlaghammer in die rechte Hand, zog mich bis auf die Unterhose aus, betrat fern jeglicher fremder Augen das Schlafzimmer und fing an zu Joggen.
Ob man nun weiterkommt oder nicht ist ja egal. Es geht um die Bewegung. Ich hob auch die Beine extra an, damit ich so richtig viele Kalorien verbrennen würde, und dazu auch noch rythmische Bewegungen mit meinen Armen, in denen ich die schweren Werkzeuge hielt. Eine Stunde lang, nahm ich mir vor. Schon gleich in der dritten Minute stiess ich die Spitze, der Bohrmaschine, bei der ich unglücklicherweise nicht die Notsache gesehen hatte, den Steinbohrer zu entfernen (eine Borschmaschine ohne Bohrer ist ja nur so ein halbes Ding), in mein linkes Knie.
Für einen richtigen Mann ist eine Wunde jedoch nur ein zusätzlicher Antrieb, der uns befiehlt weiter zu machen, den Schmerz verdrängen, (nun, vielleicht nicht ganz verdrängen, aber eben noch so ein kleines bisschen dalassen, damit man nicht vergisst wie mutig man ist) und tief durchatmen.
Der Vorschlaghammer streifte mein Knie allerdings ein paarmal derart knapp, dass ich es vorzog, das Werkzeug wegzustecken und dafür zwei Mineralwasserflaschen zu nehmen. Bei einem kaputtgeschlagenen Knie würde ich vermutlich einknicken und vor allem fiele mir keine vernünftige Ausrede ein, mit der ich den Unfall erklären könnte.

Das mit den Wasserflaschen ging besser, nur bei den Kniebeugen hatte ich das Gefühl ich verbrenne so wenig Kalorien, das doofe Auf und Ab des Oberkörpers kam mir so uneffizient vor, dass ich derart wild mit den Armen herumwedelte, dass mir eine der Mineralwasserflaschen entglitt und wie ein Überwassertorpedo quer durchs Schlafzimmer raste und nur zehn Zentimeter neben dem Glasfenster des Kleiderschrankes aufschlug. Ich sah schon den ganzen Schrank in tausende Holzsplitter zerfetzen, aber stattdessen geschah gar nichts. Sogar das Glas überlebte. Vielleicht bloss männliche Überschätzung, wer weiss.

Die Stunde habe ich dann nicht vollgekriegt. Nichtmal ansatzweise. Nach einer Viertelstunde Joggen, Kniebeugen, Situps, Liegestützen, gingen mir plötzlich die sportlichen Disziplinen aus. Neben diesen vier kenne ich nämlich nur noch Schwimmen, Skifahren, Langlaufen, Fussball und Sackhüpfen. Aber die restlichen fünf konnte ich in diesem kleinen Schlafzimmer unmöglich ausführen. Eigentlich war ich sehr froh darüber, weil ich, während ich über weitere Disziplinen nachdachte, keuchend auf dem Bett lag, da mir die Liegestützen den Garaus gemacht hatten.

Als die Dame nach Hause kam und durstig zur Mineralwasserflasche griff, die nach dem Öffnen fast explodierte und ein Viertel des gesamten Inhalts sich über ihr Oberteil entleerte, guckte sie erst verblüfft auf die Flasche und warf mir dann einen äusserst argwöhnischen Blick zu. Ich wusste natürlich von nichts.