[So, 29.6.2025 – soziale Bindungen, Realität, Boyle]

Es hat dann tatsächlich Natascha Gangl den Bachmannpreis gewonnen. Die Kandidatin, über die ich gestern so lobend schrieb. Freut mich sehr. Außerdem gewann sie auch den Publikumspreis.

#

Am Vorabend waren wir bei den Nachbarn auf ein kurzes Abendessen eingeladen. Die Idee war es, einfach vorbeizukommen, etwas abzuholen, etwas zu essen und wieder zu gehen. Ich hege gerade den Wunsch, unkomplizierte, aber sozial bedeutende Bindungen zu unterhalten. Zweckmäßig und verbindlich. Dass nicht jedes Treffen immer ein Gelage wird. Ich bilde mir ein, dass das in Dörfern so abläuft. Dass man Teil einer Community ist, die Kontakte sind oft zweckmäßig, weil man einander braucht, schließlich ist niemand vollständig autark und autonom, aber andererseits können die Kontakte gleichzeitig trotzdem verbindlich und bedeutsam sein.

In der Stadt habe ich das Gefühl, dass wir oft eher alleine leben oder eben im Paarverbund, und wenn man mit Menschen in Kontakt tritt, dann ist es meist eine Verabredung, die sorgfältig geplant und zelebriert wird, für die man sich viel Zeit nimmt. Das gilt auch fürs Ausgehen, wenn man jemanden auf einen Drink trifft. Es ist selten ein Drink, es ist immer ein Abend, auch wenn man es nicht so nennt. Es gibt selten einfaches Essen, sondern immer etwas Besonderes. Das finde ich an sich sehr schön, andererseits sorgt das auch für Entfremdung und es erhöht die Schwelle, soziale Kontakte zu pflegen.

Es geht natürlich nicht allen so. Ich spreche vor allem von mir. Vielleicht sollte ich generell mehr von mir reden.

Letztendlich blieben wir drei Stunden. Das kann ein gutes Zeichen sein, dass es einfach nett war, oder auch ein schlechtes, dass Treffen einfach nie unkompliziert und kurz sein können. Wahrscheinlich war es einfach nett.

#

T. C. Boyle. Neulich las ich von T. C. Boyle. Dass er vor allem in Deutschland gelesen wird, sogar noch mehr als in seinem Heimatland USA. So etwas finde ich ulkig, und dann will ich sofort verstehen, was es damit auf sich hat. Seine Romane interessierten mich vom Thema her nie, deswegen gingen seine Bücher weitgehend an mir vorbei. Jetzt, wo ich aber diesen Umstand mit der deutschen Leserschaft kenne, kaufte ich mir „Blue Skies“.

Zuerst lese ich aber noch Knausgårds „Sterben“, den ersten Roman aus der autobiografischen Reihe. Ja, ich verstehe, warum man das gerne liest, ich verstehe die Schonungslosigkeit, die aber natürlich auch immer von der eigenen Sichtweise und Erinnerung geprägt ist, das ging mir auch bei der Springweg-Novelle so. Ich bin mir sicher, jemand anderes von meinen damaligen Weggefährtinnen hätte die Geschichte anders erzählt, mit einem anderen Fokus und auch mit einer anderen Beschreibung der handelnden Personen. Knausgårds Ex-Frau, der in diesen Romanen eine bedeutende Rolle zukommt, äußerte sich dazu: „Seine Sicht auf mich war beschränkt, er sah nur das, was er sehen wollte.“ Und entsprechend verärgert war sie über viele Jahre hinweg, weil natürlich auch sie „schonungslos“ beschrieben wurde.

Ich lese das trotzdem durchaus gerne, der Text hat unglaublich starke Passagen, vor allem in jenen Momenten, in denen sie schmerzen. Andererseits ist es auch ein wülstiger Strom an Gedanken und Beschreibungen, wovon sich vieles sehr belanglos anfühlt. Und oft habe ich das Gefühl, dass er sich einfach gerne beim Schreiben zuhört.

Am Nachmittag kam meine Frau rein und legte sich zu mir aufs Bett, als sie TC Boyle auf der Fensterbank liegen sah. Sie sagte, sie hätte vier Bücher von ihm gelesen. Ich meinte, ich hätte 14 Seiten gelesen, ich fände es bisher aber ziemlich uninteressant. Natürlich würde ich weiterlesen, ich gebe jedem Buch 50 Seiten Zeit, mich zu überzeugen. Aber weil sie sich gerade neben mir gelegt hatte, legte ich Knausgård zur Seite und bat sie, mir aus TC Boyle vorzulesen. Sie kann wirklich gut vorlesen. Sie nuschelt nicht, sondern liest klar und deutlich, zudem intoniert sie sehr lebendig. Wenn ich meiner Frau vorlese, dann schläft sie immer ein. Sie sagt, das läge an meiner warmen, wohligen Stimme. Zumindest sagt sie das, wenn sie gut gelaunt ist. Einmal, in einer anderen Laune, sagte sie schon einmal, dass ich sehr monoton lese und nuschele. Alle diese Fakten stimmen übrigens. Was ich damit mache, weiß ich aber auch nicht. Ich wollte die Novelle ja einmal als Hörbuch einlesen und auf Spotify hochladen. Vielleicht tagge ich sie mit ASMR und Einschlafhilfe.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

To respond on your own website, enter the URL of your response which should contain a link to this post's permalink URL. Your response will then appear (possibly after moderation) on this page. Want to update or remove your response? Update or delete your post and re-enter your post's URL again. (Find out more about Webmentions.)