[Sonntag, 15.8.2021 – Autos, erstes Saisonspiel]

Die Nachrichten im Zusammenhang mit Afghanistan machen mich völlig fassungslos. Wie die westlichen Regierungen hier handeln, das ist. Ich kann das gar nicht klar formulieren.

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Wir wollten schon früh am Morgen Sport machen. Wir bereiteten alles vor, zogen uns entsprechend an und dann lehnten wir uns aus dem Fenster. Und wir blieben da ziemlich lange aus dem Fenster gelehnt. Zuerst kommentierten wir die Passanten, dann regten wir uns über den Verkehr auf bzw wir machten uns darüber lustig, wenn Leute nicht einparken konnten oder wenn sie beim Aneinandervorbeifahren ängstlich waren.

Dann redeten wir auch über Autos. Wir reden nie über Autos. Wir überlegen uns tatsächlich ein neues Auto zu kaufen. Wir brauchen kein neues Auto, wir haben auch wenig Ahnung von Autos, aber der Citroen C3 hat es uns angetan, nachdem wir ihn einmal auf der Autobahn gesehen hatten. Die sind klein und auch gar nicht teuer, sie sehen aber nicht so bieder aus wie Autos von Volkswagen. Volkswagen designt ihre Autos im Stile niedersächsischer Unsexyness eines IT Beraters auf dem Parkplatz von Kaufland.
In unserer Strasse steht ein roter C3, den wir öfter schon von unseren Fenstern aus gesehen haben.

Natürlich werden wir kein Auto kaufen, aber es gibt immer so viele Themen, wenn man zusammen aus dem Fenster hängt und eigentlich Sport machen müsste.

Nach dem Sport assen wir etwas, schauten Cecilia Blomdahl, die sich gerade in Portugal aufhält und dann gingen wir eine Runde spazieren. Auf dem Weg beschlossen wir, Autos zu bewerten. Es gibt keine, die uns richtig gefallen. Die großen Autos sind alle so klobig, ausserdem kommt es uns nicht in den Sinn, viel Geld für ein Auto auszugeben. Mir ist vor allem wichtig, dass es mit Automatik-Getriebe fährt. Ich hasse schalten. Ich hasse schalten total. Ich fahre eigentlich immer nur in drei Gängen. 1., 2. und 5.
Und ich hätte gerne Software im Inneren. Ein großes Display mit Dingen drauf, die ich bedienen kann. Ich hätte zB gerne Knöpfe für Geschwindigkeit. Das würde das kollektive Autofahren wesentlich besser machen. In einer Dreissigerzone möchte ich auf den 30-Knopf drücken und in einer 50-er Zone auf 50. Undsoweiter. Mich nervt diese Unschärfe im Strassenverkehr, wenn alle unruhig und gestresst ihre eigenen Geschwindigkeiten fahren, überholen und beschleunigen. Und auf der Autobahn. Wenn alle diesen 130 Knopf hätten. Das wäre total entspannt.

Aber gut. Auch der C3 hat so etwas nicht.

Als wir zurück in unserer Strasse sind suchen wir den roten C3. Wir schauen ihn uns von innen an. Er sieht bequemer aus als unser Volkswagen UP. Und die Bezüge sind stylischer, das Cockpit sieht moderner aus. Es prangt ein großes Display in der Mitte.

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Um 1730 beginnt das erste Ligaspiel von Hertha. Wir spielen gegen Köln. Ich bin guter Dinge. Ich habe für die Saison eine leichte Hoffnung. Wir haben ein paar gute und wichtige Spieler im Kader und in der Vorbereitung kein einziges Testspiel verloren.
Das Spiel beginnt sehr gut, wir führen ziemlich schnell mit 1:0. Nach einer halben Stunde verliert meine Mannschaft den Faden und es steht auf einmal 1:3. Dabei bleibt es auch. Die Laune sinkt wieder beträchtlich. Vielleicht ist es aber auch ganz gut, nicht zu optimistisch in die Saison zu gehen.

[Samstag, 14.8.2021 – schleifen]

Ich habe gestern gar nicht erwähnt, dass Freitag der 13 war, ich mag ja dieses dumme Gesabbel vonwegen uh, heute ist ja Freitag der Dreizehnte. Meine ich ernst.

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Wir arbeiteten heute wieder an den Fenstern. Abschleifen, auskratzen und kitten. Ab 14:30 ging die Fussballverichterstattung los, da stellte ich mich in die Küche und schnitt Gemüse. Währenddessen schaute ich Männern in kurzen Hosen zu.

Gegen 4 traf ich Klaus. Er hat neue Sticker gemacht und ich wollte ein Stapelchen davon. Wir setzten uns auf eine Parkbank und plauderten. Mit Klaus zu plaudern ist immer ein bisschen wie ein gemeinsames Bad in einem Gedankenfluss.

Danach kümmerte ich mich um das Abendessen. Nach dem Abendessen sassen wir noch lange auf dem Balkon.

[Freitag, 13.8.2021 – Wahlwerbung, Hausbesetzergeschichte]

Heute war ich ungemein produktiv. Ich hatte lediglich ein einziges reguläres Meeting und konnte mich den Rest des Tages auf mehrere Themen fokussieren. Um 16 Uhr liess ich dann den Hammer fallen und sprach mit meiner Frau ab, dass sie mir zu Fuss entgegenkäme, damit wir dann ein Stück zusammen wieder nach Hause spazieren können. Das machen wir öfter. Das taten wir dann genau so.

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Auf dem Weg nach Hause stiessen wir auf eine Gruppe von Frauen, die vor dem Supermarkt Dinge machten. Sie hatten Zettel, Schleifen, und Aufsteller. Wir liefen vermutlich sehr langsam und auffallend neugierig blickend an ihnen vorbei. Sie machten Sachen am Boden bzw verschoben Gegenstände. So kommt es mir in der Erinnerung vor.
Dann stand eine der Frauen auf, kam auf uns zu und drückte meiner Frau eine Broschüre in die Hand. Darauf war eine lächelnde Frau abgebildet. Es war Wahlwerbung für die SPD. Die Frau sagte etwas zu uns und nannte einen Namen. Während sie den Namen nannte zeigte sie auf eine auffällig gekleidete Frau unter den anderen Frauen. Jene Frau strahlte uns an. Sie stand inmitten der anderen Frauen. Alle wirkten stolz auf sie. Es schien, als wäre ein Vorhang aufgegangen. Es war die Frau auf der Broschüre.

Warum schreibe ich das auf? Es kommt mir in meiner Erinnerung seltsam irreal vor. Wie eine Marienerscheinung.
Aber nix gegen die SPD.

Ich hätte gerne gesagt, dass ich kein deutscher Staatsbürger bin und deswegen nicht wählen darf. Aber so destruktiv wollte ich nicht sein.

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Am Abend fing ich dann wieder an, mich einer alten Hausbesetzergeschichte zu widmen. Die Geschichte erschien ursprünglich 2004 hier im Blog. Der Text ist autobiografisch und handelt von der Besetzung eines alten Hauses in der Utrechter Innenstadt. Den Text hatte ich damals eher hingerotzt, weil ich dachte, es sei eine schnell erzählte Geschichte, die ich mal eben an einem Abend runterschreiben kann, ich merkte aber bald, dass ich viele Details zu erzählen begann und ich die Geschichte letztendlich als eine Vierteiler veröffentlichte. Ein hingerotzter Vierteiler. Hingerotzt, weil er eher der schnellen Unterhaltung diente. Nach der Veröffentlichung im Blog nahm ich mir vor, den Text mal zu überarbeiten, weil der Text durchaus unterhaltsam und er ein ziemlich detailiertes Zeitdokument ist. Ausserdem ist es auch einfach eine gute Geschichte. Aber so wie sie im Blog stand, konnte man sie nicht stehenlassen, ungeschliffen und voller Fehler.

Erst in 2012 oder 2013 nahm ich die Arbeit an dem Text auf und es entstand eine fast hundertseitige Novelle. Mein Problem mit dem Text war immer, dass ich das Hingerotzte nie aus dem Text bekam, so liess ich ihn wieder liegen, allerdings mit dem festen Vorsatz, ihn irgendwann weiter zu bearbeiten.
Das tat ich dann erst wieder Anfang 2020, noch vor Corona, dort begann ich an einer größeren Überarbeitung und gab ihn zwei Personen zum ersten Gegenlesen. Die Rückmeldungen waren sehr hilfreich, aber immer wenn ich drüberschaute, merke ich dem Text die Rotzigkeit auf die der Text basiert, noch an. Und es ist keine gute Rotzigkeit, es ist eher eine ungekonnte Schlampigkeit, die mich unter der Textoberfläche hervorgrinst.

Ich fing jedenfalls wieder an, an dem Text zu arbeiten. Vermutlich werde ich ihn am Ende auf eine Ebook Plattform hochladen. Leserinnen dieses Blogs bekommen ihn natürlich umsonst.

[Donnerstag, 12.8.2021 – Hamsterrad, Personaldienstleisterinnen]

Es ist seit gestern viel Mist in der Firma los. Ich habe es im gestrigen Eintrag bloss nicht erwähnt, da ich das Berufsleben aus dem Blog eher raushalten will. Zumindest die heiklen Sachen.
Diesen Morgen wurde ich dann um 5 Uhr wach und wurde von Hamsterradgedanken heimgesucht.
Schlafen ging natürlich nicht mehr, deshalb beschloss ich, ein frühes Frühstück einzunehmen. Erfahungsgemäss werde ich von Essen immer müde. Wie man sagt: nach dem Essen sollst du ruh’n oder tausend Schritte tun. Da ich um 5 Uhr Morgens noch keine tausend Schritte tun wollte, funktionierte das mit dem Ruhen aber ganz okay. Gegen sechs Uhr schlief ich.

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Zu Mittag war ich dann mit zwei Personaldienstleisterinnen verabredet. Sie hatten in ein italienisches Restaurant am Potsdamer Platz eingeladen. Ich wollte, dass unser interner Recruiter an dem Lunch teilnimmt, damit sie einander kennenlernen und wir keine Themen auslassen. Wir googelten gestern noch das Restaurant und sahen, dass es ein Lokal mit weissen Tischtüchern und Kellnerinnen mit Westen war, wir sprachen also ab, ein Hemd zu tragen, sonst sieht man gleich so derangiert aus, zwischen all den Leuten. Es wird ja wieder wärmer und in diesen Coronazeiten laufen wir alle rum wie auf einem Campingplatz.

Einer von den beiden Personaldienstleisterinnen war ein junger Mann. Über ein paar Nebensätze kamen wir zum Fussball. Er spielte früher in der Jugend von Union, ist mit Union aber total durch, das sei so ein undurchsichtiger Zirkel, wie er sagte, kommste rein, oder kommste nicht rein. Er ginge lieber zu Hertha, das sei für ihn der bessere Verein. Ich sagte zu ihm: jetzt bin ich dein Freund.

Als ich zurück im Büro war, googelte ich seinen Namen. Der hat ein Profil bei Transfermarkt.de. Ich fand das so lustig. Das kann man aber nur verstehen, wenn man weiss, dass ich diese Seite sehr oft besuche um mich über Spielerinnen zu informieren. Ich kenne jetzt also jemanden, der ein Profil bei Transfermarkt.de hat. Ich checkte seine Leistungsdaten über seine gesamte Karriere hinweg, als wäre es ein milionenschwerer Transferkandidat.
Seine Karriere war allerdings nicht sonderlich erfolgreich. Über die sechste Liga ist er nie hinausgekommen. Aber in den Jugendakademien hatte er ein paar gute Adressen besucht. Wir schrieben uns noch ein bisschen hin und her. Er sagte, ich solle ihm Bescheid geben, wenn ich mal wieder zu Hertha ginge.

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Es war ein langer Tag im Büro.

[Mittwoch, 11.8.2021 – Rote Nase, Rosengarten]

Heute hatte ich wieder ein längeres Gespräch mit einem Mitarbeiter auf der Wiese unweit des Büros. Es maß 24 Grad und es war sehr angenehmes Wetter. Bis die Sonner hinter den Wolken hervorkam und mir ins Gesicht brannte. Wir lagen schon etwa 15 Minuten lang da und wir waren mitten in einem wichtigen Thema worüber wir uns angeregt unterhielten, deswegen war es mir dann zu umständlich einen anderen Platz zu suchen. Am Abend schaute ich in den Spiegel und hatte ein rotes Gesicht. Rote Nase, rote Wangen. Vor allem diese Nase. Ich leuchte wie ein Clown.

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Seit gestern hängen wieder überall Politikerinnen an Lichtmasten der Stadt. Es fing am Montag an, mittlerweile hängen sie schon fast überall. Vor allem die SPD.

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Nach der Arbeit war ich mit einem Freund verabredet. Wir trafen uns an diesem Rosengarten an der Karl-Marx-Allee. Ein merkwürdig unpassender Ort, der mir viele Jahre lang nicht aufgefallen ist. Es ist, wie der Name sagt, ein Rosengarten. Ein kleines Pärkchen direkt an der großen Allee, auf einer Aussparung in der Häuserreihung der sogenannten Stalinbauten. Das Pärkchen ist durchgestaltet, Bäumen gibt es nur am Rande, in der Mitte ist eine Wiese mit unterschiedlichen Rosenbeeten. Um den Beeten und der Wiese herum läuft ein viereckig angelegter Weg mit viele Bänken. Wir hatten uns schon ein paarmal dort getroffen, weil er für uns beide praktisch gelegen ist. Was mir auffällt: obwohl er an der großen Allee gelegen ist, bekommt man vom Verkehr nicht viel mit.

Wir redeten über Nierensteine. Er hatte gerade eine ziemlich dramatische Episode mit Nierensteinen hinter sich. Ich will alles darüber wissen. Vom ersten Zucken, über die verschiedenen Krankenhausbesuche, bis zur Schwellung und bis alles vorbei war. Wir reden angeregt und interessiert über Krankheiten. Was man eben so macht, ab vierzig.

In diesem Rosengarten gibt es mehrere Ratten, die ziemlich offen und furchtlos herumlaufen. Hinter unserer Bank im Gebüsch wühlte eine. Eine andere Ratte näherte sich eine Stunde lang immer wieder einem Mann, der auf einer der Bänke ein Buch las. Dieser verscheuchte die Ratte immer wieder, aber sie liess sich nicht davon abbringen. Einmal lief sie im Vollsprint zu ihm, durch seine Beine hindurch und verschwand im dahinterliegenden Gebüsch. Wenn ich schreibe: durch seine Beine hindurch, dann meine ich durch seine Beine hindurch.
Ich zog meine (kurzbehosten) Beine auf die Bank hoch.

Und dann Biographien. Die Biographien der Leute. Wenn ich vor ein paar Jahren noch einen Ausblick in meine persönliche Zukunft legte, dann höchstens fünf Jahre. Seit einiger Zeit beschäftigt es mich, was Menschen ab 55 oder ab 60 machen. Wie sich das Leben auf die wirklich wichtigen Dinge runterzubrechen scheint. Ob man diese Dinge nun bekommen hat oder nicht, ist erstmal nebensächlich. Ich muss dieses Thema mal gesondert aufarbeiten, es ist zu groß für einen Tagebucheintrag. Beschäftigt mich jedenfalls.

[Dienstag, 10.8.2021 – Pandemielog, Macbook]

Coronalog. Seit Anfang Februar schreibe ich nun konsequent und täglich diese Tagebucheinträge. So lange war ich noch nie konsequent. Die Einträge waren als eine Art Pandemielog gedacht, damit ich in zehn, zwanzig, dreissig Jahren darauf zurückschauen kann. Die Pandemie spielt aber längst keine vordergründige Rolle mehr in meinem Alltag, obwohl sie ja immer noch da ist, aber an viele Dinge habe ich mich einfach gewöhnt. Vermutlich werde ich mich in zwanzig Jahren darüber wundern, warum in diesen Einträgen keine Bars und keine Kneipen vorkommen, Restaurants kommen ab und zu noch vor, ich schreibe aber nicht, dass wir da ausschließlich draussen saßen und dass wir mit Masken auf die Toilette gingen.
Gut, die Pandemie ist nicht mehr apokalyptisch, wie sie im März/April 2020 war, als die Strassen ausgestorben waren und man keine Flugzeuge am Himmel sah, wo man sich auf den Bürgersteigen symbolisch aus dem Weg ging, wo man bei einer Familie auch einmal den Bürgersteig wechselte.

Was ich ja immer noch mache: wenn ich einer größeren Menschengruppe begegne, halte ich den Atem an um keine Aerosole einzuatmen. Mal schauen wie lange es dauert, bis ich diesen Habitus ablegen kann.

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Heute machte ich die Macbooks klar. Ein Macbook Air für meine kleine Nichte und ein Macbook Pro, auf das ich Linux installieren wollte. Ich habe es mit MacOS probiert, aber ich werde so gar nicht damit warm. Ich verstehe durchaus den Reiz daran, dieses einheitliche Design, alles funktioniert auf Anhieb, es fühlt sich aber alles auch sehr limitiert an, man stößt schnell an Grenzen, es fühlt sich wie betreutes Arbeiten an, wie ein Wandern auf einem schönen Pfad durch ein Auenland.

Nach einigen Wochen habe ich jetzt einfach Linux darübergebügelt. Es ist ein erstaunliches Gefühl der Freiheit.

[Montag, 9.8.2021 – Michelle, Herthadoku]

Früher musste ich meinen Nachnamen am Telefon nur selten buchstabieren. Ich sagte immer „Pfeifer, wie Michelle, aber mit einem F.“ Auf deutsch konnte ich manchmal die Feuerzangenbowle als Referenz heranziehen. Aber Michelle funktionierte eigentlich immer.
In den letzten Jahren hat das auffallend nachgelassen. Heute rief ich wieder einen niederländischen Dienstleister an. Und ich so: Pfeifer, like Michelle Pfeiffer.
Die Antwort war: Michelle Who?

Es ist vielleicht eine Generationenfrage. Andererseits ist sie immer noch eine Schauspielerin, die aktiv in ihrem Berufsleben steht und auch noch Hauptrollen spielt. Und abgesehen davon eine Frau die mit zunehmendem Alter immer schöner wird.

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Eigentlich wollte ich heute früher nach Hause gehen, aber dann blieb ich doch noch eine ganze Weile im Büro hängen. Tabellen schieben, Pläne erstellen, Mails schreiben.
Und ich führte ein längeres Telefonat mit einer Mitarbeiterin der Deutschen Welle. Es wird ja eine Doku über Hertha BSC für Netflix gedreht, dabei sollen auch Stimmen von Fans zu Wort kommen. Wegen des englischsprachigen Publikums wurden englischsprachige Fans gesucht und deswegen wurde ich gefragt. Ich soll meinen Kopf in die Kamera halten und kluge Worte für das Netflix-Publikum sagen.

Die Aufnahmen finden erst im September statt. Wie hundertprozentig fix das ist, weiss ich jetzt nicht, ich sollte nach dem Telefonat so etwas wie ein Bewerbungsvideo schicken um mich auf Kameratauglichkeit hin zu prüfen. Also Kamera an, zwei drei Sätze über irgendwas sagen und per Messenger schicken.

Nichts leichter als das: Hi, my name is Markus Pfeifer. Pfeifer, like Michelle, but with one F. -blödes Grinsen-

[Sonntag, 8.8.2021 – enemenemuh]

Wir hatten für den Sonntag viele Arbeiten geplant. Kabel in der Küche wegschlichten, die Balkontür, die vom Wetter etwas mitgenommen wurde, reparieren. Also kratzen, schleifen und lackieren.

Um 15:30 spielte Hertha gegen den SV Meppen. Die Saison hat begonnen. Die Saison beginnt immer mit einem Pokalspiel. Hertha ist bekannt dafür, in Pokalspielen gegen unterklassigen Gegnern zu verlieren. Diesmal ging es gut. Wir haben das Spiel 1:0 gewonnen und sind eine Runde wieder. Dieses Allesodernichts bei Pokalspielen. Ene mene muh. Wir waren oft die Kuh.

Das war der Sonntag.

[Samstag, 7.8.2021 – Bären, Fachwerkkirche]

Am Samstag sind wir nach Stuer an die Müritz gefahren, weil es dort einen Bärenwald gibt. Also Bären, die zwar in Gefangenschaft leben, aber auf riesigen Flächen im Wald. Durch diesen Wald kann man spazieren, dabei ist man mittels hohen Zäunen mit Elektrospulen von den Tieren getrennt. Bären. Das sind erstaunliche Tiere. Es sind ja Hundeartige.
Wir saßen eine ganze Weile alleine bei so einem großen Braunbären der gerade ein paar Möhren verspeiste. Man könnte mit so einem Bären vermutlich relativ friedlich zusammenleben, wenn er merkt, dass man kein Feind ist, schließlich interessiert sich ein Bär nur für Nahrung. Ich ahne aber, dass sie launisch sind. Vermutlich hauen sie dir dann einfach mal ihre Pranken über, wenn sie Lust darauf haben. Deswegen sind sie auch Einzelgänger. Und deswegen konnte man Wölfe vermutlich zähmen, weil Wölfe sich anführen lassen und Hierarchien anerkennen. Das ist meine Erklärung dafür, während ich so auf dieser Bank saß und Fotos für Insta machte.

Die Bären in diesem Wald sind gerettete Bären, meist aus russischen Zirkussen. Einer der Bären war zwei Jahrezehnte lang hinter einem kroatischen Restaurant angekettet, um Gäste anzulocken. Dann gab es diesen Bären mit nur drei Beinen. Das eine Bein hat er bei einem Kampf verloren. Allerdings habe ich nicht verstanden ob dem Kampf eine tragische Geschichte zugrunde lag, oder ob es bloss Natur war. Ein Kampf halt. Um Hoheit. Um ein Weibchen oder um Futter. Man neigt aber trotzdem dazu die bösenbösen Menschen dafür verantwortlich zu machen. Einfach weil es besser zu dem Gefühl passt, geretteten Bären zuzusehen.

Später machten wir eine längere Pause auf einer etwas abseits gelegenen großen Liegebank. Wir quatschten rum, schlossen auch die Augen, die schwache Sonne im Wald wärmte das Gesicht. Wir schliefen fast ein.

Dann.

Dann begann der Boden zu zittern. Ein dumpfes Poltern. Das Poltern eines rennenden, schweren Tieres. Das Poltern wurde jeden Moment lauter und dann hörte man sogar ein Schnauben und Schnaufen. Und dann das Geräusch, von einem schweren Tier das ins Wasser stürzt. Ich finde kein richtiges Synonym dafür. Platschen ist zu kindisch und es würde der Schwere des Tieres nicht gerecht.
Wie wir da so im Wald lagen, fast schon schliefen, und diesen schweren, rennenden Bären hörten. Der Puls war in einer Sekunde auf 600 bpm.

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Auf dem Rückweg hielten wir bei dieser kleinen Fachwerkkirche neben der Strasse. Es ist die Dorfkirche von Stuer. Protestantische Kirchen sind immer verschlossen, ich weiss nicht, warum das so ist. Aus meiner Kindheit und Jugend weiss ich noch, dass wir immer in jede Kirche hineingegangen sind, wenn wir verreisten. Wir waren aber immer in katholischen Gegenden unterwegs. Seit ich aus katholischen Landen weggezogen bin, stehe ich immer vor verschlossenen Kirchen. Den Habitus, immer in Kirchen gehen zu wollen, konnte ich nämlich noch nicht ablegen.

[Freitag, 6.8.2021 – Spaziergang, ein paar eindringliche Gemälde, Essen an der Promenade]

Am Nachmittag habe ich zwei sehr anstrengende Meetings. Um vier Uhr beschliesse ich den Hammer niederzulegen und das Wochenende einzuläuten. Meine Frau und ich wollten uns am Alex treffen und zusammen nach Hause laufen. Auch sie kann früher raus.

Der Spaziergang dauert etwa eine Stunde. Ein bisschen weniger. Ich habe das Fahrrad dabei. Manchmal denke ich, das ist schlecht für meine Haltung wenn ich lange Strecken immer etwas einseitig spaziere und es passiert wirklich oft, dass ich das Fahrrad neben mir herschiebe. In dreissig Jahren werde ich es vermutlich wissen, ob es schlecht für mich war. Andererseits plagen mich jetzt ja schon Nacken- und Rückenschmerzen, ich sollte vielleicht erst lernen anständig zu sitzen oder noch besser: weniger sitzen, bevor ich mir um die Haltung vom Fahrradschieben Gedanken mache.

Wir spazieren also die Karl-Marx Allee hinunter und reden von den Dingen. Es gibt da diese eher neue Galerie, kurz vor der Straße der Pariser Kommune. Wir bleiben da hängen, wegen einer Ausstellung mit großflächigen Bildern von einem Künstler namens Marc Padeu. Gesellschaftszenen von Menschen mit dunkler Hautfarbe vor dunklem Hintergrund.

Ich erzähle von einer Hochzeit in Holland, als die beste Freundin meiner damaligen Freundin einen Mann aus Zaire heiratete. Als die Braut mit Bräutigam und seinen drei Trauzeugen aus Zaire unter einem Baum für das Foto posierten. Wie die Verwandtschaft sich nachher hinter vorgehaltener Hand über dieses Foto lustig machte, auf dem man eigentlich nur das rosarote Gesicht der Braut erkennen konnte und sonst vier Männer, deren Gesichtszüge im Schatten und der Stammfarbe des Baumes verschwanden. Vier gesichtslose Anzüge und eine lustig grinsende Braut dazwischen. Dieses Lachen der Verwandtschaft hinter vorgehaltener Hand. Die vorgehaltene Hand.

Ich denke, die Bilder wurden absichtlich so gemalt. Auch wenn nicht alle Bilder die Menschen vor dunklem Hintergrund darstellen, so ist die Komposition doch etwas auffällig: Helle Gegenstände, die Köpfe aber vorwiegend vor einem betont dunklen Hintergrund.
Die Gefahr ist natürlich gross, dass ich gerade rassistischen Scheiss verzapfe und die Künstlerin schlichtweg alltägliche Szenen nachgemalt hat. In dem Fall sagt es dann mehr über meinen weiss-europäischen Blick auf die Dinge.

Stilistisch mochte ich die Gemälde sehr. Klare, große Linien, deckende Farben, viel blau, Königsblau, Familienportraits im Stile einer Fünfzigerjahre Neuinterpretation, ein bisschen Retro, ohne altbacken zu wirken, sondern modern, groß, Pop. Und dann diese Gesichter, die auffallend in den dunklen Hintergrund verschwinden.

Wir betreten die Galerie, stehen vor diesen großen Bildern. Die Gesellschaftszenen mag ich sehr. Die anderen Bilder weniger. Manchmal hätte ich gerne viel Geld und große weisse Wände um mir solche Bilder aufzuhängen, damit ich lange davor stehen kann, wann immer ich will. Es ist der letzte Tag der Ausstellung und sie werden bald schließen.

Danach wechseln wir die Strassenseite und laufen unter dieser sandigen Promenade, an der mittlerweile ein paar Lokale geöffnet haben, die ganz okay aussehen. Nicht zu hipp, nicht zu altbacken. Eine Weinbar, die auch Briefmarken verkauft, das klingt erst mal tüdelig und elitär hipp, das Publikum sieht von aussen okay aus. Wir sind kurz versucht etwas zu trinken, sind aber beide eher in dem nicht-alkoholischen Modus, aber für Ausnahmen sind wir immer wieder empfänglich, wir checken einander kurz ab, wie empfänglich die jeweils andere für einen Ausnahmedrink ist, schütteln aber beide eher den Kopf. Ausserdem streiche ich derzeit wieder mein Abendessen von meinem Essensverhalten, Alkohol passt da nicht rein.

Und dann kommt ja dieser Abschnitt, der mich manchmal an Promenaden in Rimini oder auf Mallorca oder eben Touristenpromenaden in warmen Urlaubsländern denken lässt, wo sich Seniorengruppen niederlassen und mal „lecker griechisch und Pizza“ essen und dazu ein Weizenbier bestellen. Es reiht sich ein Mexikanisches- ein Vietnamesisches-, ein Böhmisches- und ein Griechisches Restaurant. Und etwas später kommt noch ein Steakhouse. Die Ästhetik und das Publikum dieser Lokalreihung ist so seltsam aus der Zeit und auch aus dem, öhm, Raum gefallen. Aber beim Griechen hat es uns dann erwischt. Wir lesen die Karte und unser Hunger kriegt eine Spontanentzündung. So setzen wir uns hin, bestellen uns Vorspeisen und Hauptspeisen. Der Ouzo, der uns vor dem Essen serviert wird, steigt mir direkt in den Kopf. So schnell hatte ich mich wieder vom Alkohol entwöhnt. Wir werden cremig. Reden über Hunde. Wir wollen uns einen Hund anschaffen. Seit langem schon, aber ich zögere noch etwas. Es ist ein langes Thema. Vielleicht ein andermal mehr dazu.

Als wir nach Hause kommen prasselt der Regen los. Später regnet es noch mehr. Bis Mitternacht. Ich kann am besten einschlafen, wenn der Regen in den Hinterhof plätschert. Sobald ich mich hinlegen will, hört der Regen auf.