[…]

Hatte während der Lektüre von Wilde Schafsjagd so einen Murakami-Rausch, war ihm völlig erlegen, seiner Art auf das Gaspedal zu treten, souverän und lässig mit Tempo zweitausend geschichtenerzählend auf irgendeiner japanischer Erdbebenteststrecke, Punkrock mit 16 Akkorden, oder, weil die Metapher ohnehin schon so plakativ ist: Krimi mit drei. Akkorden auch. Und dann das unmerkliche Abgleiten in absurde Parallelwelten, oder abdriften, nein vielleicht doch abgleiten, weil es so weich vonstatten geht, wie man lange ein wenig zweifelt und hin und her schwankt zwischen Wahrheit und Realität. Ha.

In diesem Murakami-Rausch dann sofort ein Nächstes gekauft: Hard-Boiled Wonderland und das Ende der Welt. Und jetzt weiß ich nicht. Gut, ich komme derzeit erst spät abends zum Lesen, das Buch ist sozusagen Bettlektüre, aber gute Bettlektüre und ich, wir sind zwei bickelharte Kumpels die sich die Nächte um die Ohren schlagen, zudem neige ich dazu mir vor dem Schlafengehen ein immereinbisschen zu großes Glas Single-Malt einzuschenken, was mich vielleicht ein wenig aufweicht, aber trotzdem. Ich muss ständig von vorne beginnen, ständig verliere ich mich, ständig merke ich drei Seiten später, völlig den Faden verloren zu haben, abgeglitten zu sein in so Parallelwelten, schon witzig das, ich mag das, aber Himmel, ich lese doch keine Bücher um an etwas anderes zu denken.

[keine Erkenntnis. Ich dachte sie käme beim Aufschreiben]

[…]

Was der Geschichte vorausging: ich stand auf dem Bahnsteig des S-Bahnhofs und schmiss Münzen in den Automaten. Zwei Euro zehn, weil ich über den Ring fahren musste und danach umsteigen zum Ostbahnhof, da erschwindelt man sich keine Kurzstrecke zusammen, A/B-Karte also, Zweieurozehn statt der Einsdreißig. So stand ich auf dem Bahnsteig und schmiss beharrlich dieses Zwei-Euro-Stück durch den Schlitz, den mir der Automat folglich mit derselben Beharrlichkeit immer wieder ausspuckte. Da ich auf Geduldsfäden nie besonders lange Geige spielen kann, beschloss ich die Straßenbahn zu nehmen, denn als gut geölter (Eher-brennt-die-)BVG-Kunde weiß ich, dass ich über die Straßenbahnroute lediglich 3 Minuten länger brauche, und der BVG-O-Mat somit eine zweite Chance meine Münze zu schlucken bekam.
Es ist als Lesender nicht sonderlich schwer vorauszusehen, dass ich daraufhin in der fahrenden Straßenbahn stand und beharrlich dieses Zwei-Euro-Stück in den Schlitz warf, das mir der Automat ebenso beharrlich wieder ausspuckte. Und so spuckte ich auf die BVG, denn bevor irgendwelche Saiten reißen und ich gezwungen werde andere Fäden aufzuziehen, beschloss ich, mich hinzusetzen und guten Gewissens aus dem Fenster zu schauen.
Und an dieser Stelle ist es noch einfacher zu ahnen was dann geschah.
Draußen schien nämlich die Sonne ziemlich gelb und in der Straßenbahn rief jemand: Fahrscheine bitte!
Es gibt da so Momente die mag man nicht.
Die Passagiere suchten dann nach ihren Fahrscheinen. Und ich suchte nach meiner inkompatiblen Münze.
Die BVG-Dame war unfreundlich, sie raunzte von Weitem schon und während ich wartete und den Moment verfluchte, wiegte ich die Münze in der Hand, der besseren Zeiten wegen, und während ich so an die besseren Zeiten dachte, las ich „Repubblica Italiana“ auf meiner Münze und ich sagte mir: witzig das, denkst an bessere Zeiten und hältst dabei eine italienische Zwei-Euro-Münze in der Hand, als ob das jetzt etwas Gutes bedeuten würde.
Das bedeutete selbstredend nichts Gutes. Damals in den alten, guten Zeiten, ende 2001, lachte ich nämlich über das neue Geld: Hehe, schau, die 2 Euro sehen aus wie Fünfhundert Lire.
Tja, so war das dann.
500 Lire in der Hand aber kein Ticket, und die unfreundliche BVG-Dame schnaufend neben mir.
Ich hielt ihr die Zweieurozehn im Wert von 35 Cent vor die Nase und log ihr geradewegs ins Gesicht.
Die BVG-Dame schaute lange in meine Hand. Und dann. Dann befahl mich zu Ihrem -O-Maten. Das müsse ich ihr jetzt mal zeigen.

Und damit kommen wir zum Hauptteil der Geschichte: Stecken und spucken.
Ich steckte die Münze in den Schlitz und der O-Mat spuckte ihn wieder aus.
Die BVG-Dame sagte: Dochdoch dat jeht schon.
Ich steckte und es spuckte.
Dochdoch dat jeht schon.
Ich steckte und es spuckte.
Dochdoch dat jeht schon.
Ich steckte und es spuckte.
Dochdoch dat jeht schon.
Ich steckte und es spuckte.
Dochdoch dat jeht schon.
Ich sagte zur BVG-Dame: ich steck die Münze jetzt nicht mehr in den Schlitz, und dann ging sie zum O-Maten und wurde auf die selbe Weise angespuckt wie ich.
Jeht nicht, sagte sie.
Dochdoch, dat jeht schon, sagte ich.
Wir sind uns also einig, sagte sie.
Wir waren uns einig.
Und komm mir jetzt bloß nicht auf den Gedanken die Münze genauer anzusehen. Das dachte ich. Was ich aber sagte: Ich muss Alexanderplatz umsteigen, dann kaufe ich für die S-Bahn eine Karte.
Damit hatte sie Frieden.

Einen Epilog soll es noch geben, damit der ganze Kram irgendwie dreiteilig Gegliedert ist. Ich habe da so meine Monkitäten.
Und der Epilog geht so: ich hatte am Alex natürlich vergessen eine Karte zu kaufen und bin schwarz wie ein Kohlehydrat mit meiner Zaubermünze zum Ostbahnhof gefahren. Später am Mittagstisch erzählte ich die Geschichte meinen Kollegen. Der Chef wollte die 500 Lire sehen und sagte, sein Sohn sei großer Italien-Fan, ob er mir die Münze abkaufen könne, wieviel sie denn Wert sei. Ich sagte zwei Euro, er sagte: hehe, ich sagte: hehe, wir alle sagten: hehe. Und dann sagte ich: Lass sein, ich schenke sie ihm.
Und so sind wir auch bei der Moral der Geschichte angekommen: irgendwie alles gut immer.

[catalina.sh]

Ich weiss gar nicht ob hier überhaupt technisch versierte Leute mitlesen, vielleicht ja doch, wegen der Algorythmen Nägel in meiner Sprache, oder der vielen Wörter die man so schön skalieren lassen kann.
Falls doch, dann gäbe es für Leute die Ahnung von Tomcat/Apache/Linux haben, einen ziemlich tollen Job in einer ziemlich coolen Firma mit einer ziemlich guten Kaffeemaschine.
Der Emailknopf ist rechts oben.

[…]

Wegen der vielen Dinge die es nach meiner Rückkehr zu tun gab dann doch nicht mehr dazu gekommen München zu beschreiben, was schade ist weil München wirklich schön ist, wobei ich früher womöglich gesagt hätte: glaubicheuchglaubicheuch, muss aber nicht hin. Weil mir Bayern immer ein bisschen zu bayrisch ist. Jetzt habe ich mehr als nur den Hauptbahnhof gesehen, ich wurde von Frau Klugscheisser dermassen kompetent durch die Stadt gejagt, dass ich sie richtig mag. Die Stadt jetzt. Dass zwischen ihr und mir nichts gelaufen ist, hat sie schon in ihrem Eintrag verraten. Dem Gerüchtebrauhaus somit Hopfen und Malz entzogen.

Und so kam ich nach Berlin zurück und wollte München und ihre allerbeste Reiseführerfrau huldigen, schrieb am ersten Tag: Jetzt habe ich alles von München gesehen, blieb dann ein bisschen hängen, ging dann ins Büro, strich den Satz wieder durch, schrieb am nächsten Tag Jetzt habe ich alles von München gesehen, dachte an das Maximilianissimum, den Todesengel, die Siegeshalle, das Ruhmestor, rebootete meinen Rechner einmal, besuchte ein paar Meetings, strich den Satz dann wieder, schrieb am nächsten Tag: Jetzt habe ich alles von München gesehen, und dann dachte ich mir zwischen Meeting1 und Meeting2, dass München schon ziemlich toll ist, zu nahe an Italien vielleicht und zu nahe an den Alpen auch, aber durch und durch schön. Natürlich wusste ich um meinen verklärten Blick auf die Stadt, Frau Klugscheisser fuhr nämlich lange Umwege um auf Tore und Paläste zuzusteuern, damit ich die königlichen Dimensionen der Stadt begriff, wahrlich majestiziös, und irgendwann strich in den Satz dann wieder durch. Und ich schrieb am nächsten Tag: Jetzt habe ich alles von München gesehen. Und dann war eine Woche um.
Dafür streiche ich den Satz jetzt nicht mehr durch.

[Notizen aus der Heimat]

Im Zug vom Brenner nach Bozen, in diesem neuen Tunnel, weiß gar nicht wie lange der ist, weiß nur, dass man zwischen Brenner und Bozen irgendwann Ewigkeiten im Tunnel sitzt, so lange, daß wir vor vielen Jahren einmal Sex im Abteil hatten, weil man das Licht damals einfach ausgeschaltet lassen konnte, anders als heute wo alles zentralisiert geworden scheint, aber genau: im Zug vom Brenner nach Bozen, in diesem ewiglangen neuen Tunnel, kamen wir dann zu stehen. Wegen eines entgleisten Güterzuges bei Blumau, in zwanzig Minuten, so die sinnliche Durchsage der Trenitaliadame, ginge es weiter, und wie der gesamte Wagoninhalt beim Wort „zwanzig“ aufstöhnte, das hatte was, andernorts würde man jetzt sagen „diedeutschebahnwieder“, diesmal vernahm ich etwas von „trenitalia“, und das Stöhnen war noch viel genervter, vielleicht auch routinierter, das klingt in Italien oft ähnlich, Theatralik vielleicht, aber egal: wir kamen in diesem ewiglangen neuen Tunnel zu stehen und die zwanzig Minuten waren volle 1200 Sekunden, Sekunden die ich erst als Minuten zählte, wegen dem tiefen Loch unter der Erde in dem ich mich befand, wegen der Unruhe in der Erde, weil die Erde numal bebt und dicke Massen Erdkruste bewegt und Menschen darunter begräbt, oder wegen der Feuer, weil Güterzüge tief im Erdboden immerimmer in Flammen aufgehen, weil die Sekunden dort drinnen zu riesigen schwerfälligen Monstern werden die man nur durch langsamem Atmen wieder normal zu ticken kriegt oder indem man schlichtweg stirbt.

Nachdem ich zwanzig Lichtjahre langsam geatmet hatte, und nach diesen zwanzig Lichtjahren bemerkte, dass ich tatsächlich noch lebte, weil mich die Trenitaliadame mit einer erneuten Durchsage aus den Lautsprecherboxen ins Leben zurückrief, was mich erst ungemein erfreute, der Wiedergeburt wegen, wusste sie allerdings nur die nächste schlechte Nachricht zu verkünden: die weiteren 30 Minuten im Loch.
Dreissig Minuten.
Tausendachthundert Lichtjahre.

Dann begann ich einenn Abschiedsbrief zu schreiben:

[…]

***

Und dann in den kargen Hochflächen von Puez, dort wo meine halbe Verwandschaft umgekommen ist.
Neinnein, sagt meine Mutter, dort ist niemand umgekommen.
Dochdoch, sage ich, der Karl wurde hinter Puez vom Blitz getroffen, und noch irgendjemand, war es nicht der Sohn vom Sepp, ah nein ich weiss es wieder: mein Deutschlehrer aus der Brixner Zeit.
Stimmt sagt sie, aber halbe Verwandschaft ist das nicht.
Egal, sage ich, solche Sachen erzähle ich den Leuten im Internet immer, die mögen sowas.
Soso, sagt sie, komische Leute da.
Ein bisschen vielleicht, sage ich.
Wir fahren mit dem Auto auf das Grödner Joch um von da aus über den Kamm der Cir-Spitzen hinten hinaus auf die Hochfläche von Puez zu gelangen. Wir wollen bis zur Puezhütte und dann wieder zurück. 6 Stunden sagt meine Mutter. 8 Stunden sagt die Wirtin auf dem Grödner Joch. Meine Mutter und die Wirtin diskutieren über die Zeiten, schließlich einigen sie sich auf 7 Stunden.
Wir werden ziemlich genau sieben Stunden dafür brauchen.
Meine Mutter wird keine Pausen erlauben.
Die Wirtin sagt, die Route sei wirklich sehr schön, nur zweifelt sie, ob heute das Wetter hält.
Halten wiederhole ich und denke mir, dass haltendes Wetter so viel schöner ist als bleibendes Wetter. Wenn das Wetter bleibt, dann hat das immer etwas leidenschaftsloses, als würde man abwarten, und natürlich hoffen, weil hoffen, das tut man ja immer am Ende, aber haltendes Wetter, wenn man das bloß ausspricht hängt das Wetter schon richtig in den Gipfeln der Berge, in den Zipfeln der Bäume, in den Wipfeln der hochtrabenden Flausen in meinem Kopf.
Und wenn es sich losbricht, dann ist Gewitter.

***

Baumgrenze Baumgrenze Baumgrenze. Es gibt wenig Schöneres als die Baumgrenze. Wenn ab 2000m Meereshöhe die Bäume langsam verschwinden. Wie die Welt sich auf einmal weitet, wie man die verschwenderische und übermäßige Flora hinter sich läßt, nur noch von den exzentrischen Minimalisten, den kleineren Blümchen, Sträuchen, auf dem Weg nach oben in die Felsen begleitet wird, dorthin wo dann nichts mehr gedeiht bis auf einzelne Gräser und der Tod, dorthin wo nur noch schwarze Dohlen über mein Schinkenbrötchen kreisen.

***

Ich stand alleine im Regen und kämpfte mit dem Grillfeuer gegen das Wetter. Gegen Tropfen so groß wie Katzen die uns in die Kohlen klatschten. Von der überdachten Veranda aus sah uns die Party zu und rief vergnügt: Laß es sein, laß es sein, es bringt nichts.
Doch was hier gebracht wird, beschließe immer noch ich, Grillen ist schließlich kein Spaß […]

[heimat]

Ich hätte auch ein Foto von mir am Gipfelkreuz. Aber Gipfelkreuz steht mir irgendwie nicht.
[Was vom Bergsteigen bleibt ist Reichtum neuer und unüblicher Ideen und übelstlicher Muskelkater]

[peng]

Als hätte ich wie ein kleiner Spatz auf einem Ast gesessen und fröhlich gezwitschert, so sehr habe ich letzten Freitag auf mich geschossen, mit Kanonen nämlich, der Vergleich gefiel mir immer gut, das Wegpusten, die Unverhältnismäßigkeit, doch hätte es durchaus gnädiger ablaufen können, mit ein paar Bierchen beispielweise und zum Abschluß womöglich ein Gläschen Wein, stattdessen strömten die paar leergesogenen Fässer Bier längst schon im Blut und die Hektoliter Rotwein flausten (?) im Kopf, als ich Zutritt zur Whiskybar bekam und zu jenem Zeitpunkt war ich längst kein Spätzchen mehr auf einem Ast, sondern eine ziemlich hohle Tontaube die frei zum Abschuß durch die feiernde Menschenmenge kullerte, und Kanonenkugeln auf Tontauben abzuschießen ist natürlich nicht ganz so übertrieben wie auf Spatzen, doch das muss man erstmal verstehen, weilichweilichweilich, weil ich nach der ersten Kanonenkugel gar nichts mehr hören konnte, und die dreivier Folgenden erst am nächsten Tag erahnte, so stand ich dann bei Morgengrauen als einer der letzten drei Partygäste vor der Haustüre, war erstens eine Tontaube, hatte zweitens keinen Ton mehr in den Ohren, drittens war da plötzlich eine Meise in meinem Kopf und es weiß Gottnichtmal wo die nun hergekommen war und viertens war ich abgeschossen, lag ich sozusagen zersplittert am Boden, doch weil ich noch glaubte zu flattern stehen, fuhren wir auf dem Fahrrad auf der Suche nach einem Café. Auf der Suche nach Kaffee. Glücklicherweise.

Danach war ich vier Tage deprimiert und müde und leidenschaftslos und traurig und freudlos und lebensunfroh. Die Chemie. Heute gehts mir wieder.

[Kultur]

Morgen Abend lese ich bei der Lesebühne Rakete 2000 im Ä. Weserstraße 40 (Berlin-Neukölln ist dat), um 21Uhr.
Zusammen mit Lea Streisand und Mareike Barmeyer.
Eintritt ist frei oder so ähnlich.