Ich will ja nicht kleinlich sein und den Leuten fehlenden Humor vorwerfen, oder sie steif und verkrampft bezeichnen, aber wenn ISDN schon vier Buchstaben hat, warum kann man dann nicht auch Analog auf vier Buchstaben herunterbringen, wenn es des Platzes wegen eh schon abgekürzt wird.

3: Hamburg Musikhalle

In Zehn minuten drei Gläser Wein trinken, dann auf die Bühne stürmen und singen. Da brodelt es im Leib. Selten standen mein Körper und Seele sich näher.

(Allerdings muss man in der Pause gleich nachgiessen, weil es nichts schlimmeres gibt als entweichenden Alkohol)

1: Bremen

Ich bin ein Weltmeister darin, aus meinen Fehlern nicht zu lernen. Man könnte meinen, ein Katastrophenkonzert wie damals im NDR würde sich nicht mehr wiederholen. Ganz im Gegenteil, ich beging wieder exakt dieselben Fehler.
So waren vor Anfang des Konzertes schon wieder meine Noten verschwunden. Dieses Mal hatte ich aber zugegebenermaßen mehr Glück gehabt, da ich es früher merkte, der Saal also nur mit einem halben Dutzend Leuten gefüllt und ich mich schnell auf die Bühne schleichen konnte. Beim dritten Mal werde ich es wohl gelernt haben.

Jedoch will ich mich gar nicht in den Details des Konzertes verlieren und nicht die italienische Sopranistin erwähnen, die in ihrem engen, roten Korsett und halb durchsichtigen Kleid beim Auftauchen auf der Bühne den Einsatz der Tenöre und Bässe vermasselte.
„Si ridesti il leon di Castiglia“ hätte es da tönen sollen. Laut und männlich geknödelt, so wie Verdi es wollte, aber nein, nein, bloß offene Mäuler, die die Knopflöcher der Korsage zählten. Witzigerweise, und das ist wirklich kein Scheiß, hatte der schwule Bassist im Chor als einziger den Einsatz nicht verpasst. Mutig sang er ganz alleine den Männerchor, bis der Rest aus der verträumten Zählerei erwachte und langsam, langsam in die Noten guckte.
Aber wie schon gesagt, das will ich ja gar nicht erwähnen.

Zu erzählen gibt es auch nichts über Bremen. Viel mehr als das Postgebäude, die Straßenbahn und einige umliegende Häuser habe ich nicht gesehen. Wie Hans-Georg im vorigen Eintrag schon kommentierte, bleibt bei sowas keine Zeit für Besichtigungen. Er hat Recht behalten.

Erzählen will ich nur von einer älteren Frau im Publikum. Sie saß in der siebten oder achten Reihe. Normalerweise würde mir sowas gar nicht auffallen, aber im zweiten Teil des Konzertes gab es vier Arien von Puccini und Verdi hintereinander, da hatte ich halt viel Zeit, in der Nase herumzubohren und das Publikum zu mustern.
Da war diese Frau, die schlief. Sie muss wohl alleine gewesen sein, sonst wäre sie wohl von ihrer Begleitung kurz angestoßen worden. Es sah ja nicht aus, wie sie da saß, schief im Sessel, den Kopf nach hinten und den Mund geöffnet. Eine Frau aus dem Sopran sagte nachher, sie hätte sie auch zittern sehen, so kurze, krampfartige Bewegungen. Wäre ja kein Wunder, der Pauker vom Krakauer Symphonieorchester war ja ein großer Bursche, aber selbst gesehen habe ich das nicht. Es wunderte mich nur, dass später, beim Trinklied aus „La Traviata“, wo das Orchester (und auch der Pauker) sich so richtig ins Zeug legten und zusammen mit unserem „godiamo, godiamo“ einen richtigen Krach produzierten, die Dame immer noch keinen einzigen Murks machte. Spätestens dann hätte sie sich doch bewegen müssen.
Nach dem Finale wurde zehn Minuten lang kräftig geklatscht, das Publikum stand auf, der Lärm schien ewig zu dauern. Die einzige Person, die sich nicht rührte, war diese ältere Dame in der siebten oder achten Reihe.
Das Publikum verließ den Saal. Ich war einer der Letzten, die von der Bühne abgingen, weil ich ganz hinten in der Mitte stand. Ich behielt die schlafende Dame im Blick, während sich alles um sie herum leerte. Weil sie immer noch keine Bewegung machte und gar nicht daran dachte, den Saal zu verlassen, ja wie denn auch, wenn sie von alledem nichts mitbekam, erregte sie die Aufmerksamkeit von einigen anderen Gästen, welche sich der schlafenden Dame annahmen. Ich sah bloß, dass man versuchte, sie erfolglos wachzurütteln. Das Treiben um die Dame wurde nervöser, man legte ihr Finger an den Puls. Der Saal war zu diesem Zeitpunkt schon fast leer. Automatisiert verließ ich die Bühne, weil ich dran war, abzugehen. In den Wirren der Gänge hinter der Bühne hörte ich dann Sirenen von Krankenwagen. Ich kleidete mich um, drehte mir eine Zigarette und verließ fünfzehn Minuten später das Gebäude an der Vorderseite. Dort standen zwei Krankenwagen. Die Blaulichter waren schon ausgeschaltet. Ein Zeichen, das ich aus meiner Kindheit kenne. Das bedeutet, dass jede Hilfe zu spät gekommen ist.
Eigentlich gar kein schlechter Tod, sagte eine Dame vom Alt, nachdem ich ihr die Zigarette angesteckt hatte und wir stillschweigend die Ankunft des Notarztes verfolgt hatten. Auch der ohne Blaulicht.
Da hatte sie wohl recht.

Bremen und Lübeck

Seit ich in Hamburg wohne, ist es eines meiner Ziele, Bremen und Lübeck zu besuchen. Gleich ein Doppelziel und unglücklicherweise befinden sich beide Städte auch noch in entgegengesetzter Richtung. Der Einfachheit halber habe ich deshalb zwei Ziele daraus gemacht. Also nochmal:
Seit ich in Hamburg wohne, sind zwei meiner Ziele, Bremen und Lübeck zu besuchen. Ich bin vernarrt in Städte und seit meinem Umzug nach Deutschland faszinieren mich, nach anfänglicher Enttäuschung über den vielen Neubau, genau diese Lücken die die Bombardementen des zweiten Weltkrieges herausgeschlagen haben. Vor allem Hamburg entpuppt sich als wahres städtebauliches Wunder, wenn ich mit alten Karten aus Anfang 1900 durch die Stadt radle und feststelle, dass für Städteplaner die alliierten Bomber ein regelrechter Segen gewesen sein müssen. Nicht dass ich zB die Ost-West-Strasse schön finde, nein ganz im Gegenteil, aber wie würde die westliche Innenstadt und das nordöstliche St.Pauli heute wohl aussehen, wenn die Städteplaner nicht freie Hand gehabt hätten, in dieser Gegend um der Nikolaikirche herum, die als Mittelpunkt für die vier alliierten Angriffskeile diente? Ach, obwohl ich den architektonischen Sündern aus den siebzigern ohne weiteres zutraue, dass die die Ost-West-Schneise auch ohne den Zerstörungen, gewissenslos reingekeilt hätten.
Aber ich schweife ab. Ich wollte immer schonmal nach Bremen und nach Lübeck, und obwohl ich nun schon seit anderthalb Jahren in Deutschland wohne, habe ich es noch nie geschafft dorthin zu kommen, auch wenn es eigentlich nur ein Katzensprung ist. Vielleicht konnte ich mich aber auch nie entscheiden, welche der beiden ich zuerst besichtigen wollte. Die beiden Städte präsentierten sich mir immer als Doppelpack, daher liess ich es wohl immer sein und fuhr stattdessen lieber nach Glückstadt oder Wien.
Jedoch ist es heute soweit. Ich wurde vom Philharmoniachor für ein Konzertwochenende angeheuert. In Bremen und in Lübeck. Heute Bremen, morgen Lübeck. Am Sonntag Hamburg, aber das tuht nichts zur Sache. Also gibts die beiden Städte doch im Doppelpack.
Was ich damit sagen will? Natürlich gar nichts, bloss wiedermal mit meinen Konzerten angeben, und das, obwohl mir beide Konzerte so peinlich sind, dass ich es nichtmal wage jemanden einzuladen, geschweige denn zu sagen was wir da aufführen.
Aber ich komme nach Bremen und nach Lübeck, im Doppelpack. Das zählt.

Der Regen ist mir völlig wurscht. Nach den gestrigen 17 Grad und Sonnenschein kann es meinetwegen auch wieder regnen. Hauptsache die Kälte ist weg.
Ich mag den Regen heute richtig gerne, wie ein warmer Sommerregen, der einen angenehmen Geruch von Veränderung mit sich bringt. Wobei man schon leichtbekleidet, so tut, als würde man die Tropfen gar nicht spüren.

Fleischklumpen

Da nach den Kaminwurzen, der Speck nun auch fertig ist, und damit beinahe der ganze Fleischberg abgetragen, ist nur noch die eine leckere unbekannte Wurst übriggeblieben, die ich mir als besonderen Leckerbissen aufbewahren wollte.

Ich kenne diese Wurst nicht. Weder aus meiner Kindheit, noch von sonstigen Informationskanälen die mir momentan nicht einfallen. Aber da die Wurst im Überlebenspaket meiner Mutter enthalten war, muss es sich einfach um irgendwas traditionelles Südtirolerisches handeln. Bestimmt sone Bergbauerwurst vom Vinschgau, oder pustertaler Delikatesse mit wenig Fett für die neue Generation körperbewusster Knödlfresser wie mich.
Vorhin packte mich der Nachmittagshunger, bei uns auch Merende genannt, da schnitt ich die Wurst aus der Packung heraus und sah erstmal, dass es keine Wurst war, sondern ein geräuchertes Stück Fleisch. Ich war überrascht, konnte es der Form wegen aber nirgendwo einordnen. Rund, zwanzig Zentimeter lang, aus einem einzigen Stück Fleisch. Ein knochenloses Schweinebein, haha. Es roch vortrefflich, wie Speck, aber irgendwie frischer, mit einer leisen Andeutung von Pfefferminze. So schnitt ich mir ein Stueck ab und kaute ein Stück Apfel dazu. Ein wirklich wunderbares Stück Fleisch, dachte ich mir die ganze Zeit dabei, und nam noch ein Stück, während ich versuchte mir ein Bild zu machen was für Fleisch das wohl sein könne. So kaute ich, versunken in tiefster kulinarischen Erotik mit Blick auf die geräucherte Essensware, bis das Stück Fleisch vor mir Form anzunehmen schien. Und prompt spuckte ich es aus meinem Mund! Ein Ochsenpimmel war das! Der Penis einer männlichen Kuh. Ich spülte meinen Mund mehrmals um, drückte die halbe Zahnpastentupe in meinen Rachen und massierte mit der Zunge meinen Gaumen, bis ich das Gefühl losgeworden war, den Schwanz eines Huftieres gekaut zu haben.

Der Schock löste sich aber bald, und ging gleich in Interesse über. Ich war mir der Sache mit dem Pimmel ja nicht ganz sicher. Vielleicht war es auch bloss ein äusserst raffiniert aus einem Kalb herausgeschnittener Muskelstrang. Das würde die konische Form erklären.
Doch die endgültige Antwort konnte nur Frau Mutter wissen. Also nahm ich das Telefon. Ging keiner ran. Natürlich.
Daher setzte ich mich an den Laptop und rief google zu Hilfe. Google, sag mir was zu „Wust Pimmel Südtirol„. Google fand tatsächlich was. Nichts hilfreiches, aber an erster Stelle meine eigene Seite. Huch, schreibe ich wirklich über solche Sachen? Ich schäme mich ja zutiefst.

Dann kam die Dame des Hauses, erblickte die Wurst und rief: „Ah, da habe ich gerade Bock drauf!“, schnappte sich das Messer und schnitt hinein. Ich gesellte mich zu ihr, und sagte ganz geheimnisvoll und unverbindlich, dass es eine äusserst leckere Wurst sei, aber sie solle erstmal reinbeissen. Nein, ich wollte sie nicht warnen, sie sollte ihr Urteil selbst fällen. Ich war mit meinem Peniswahn bestimmt bloss paranoide. Doch sie ist ein gewieftes Mädl und guckte mich mit einem argwöhnischen Blick an: „Sag mir bitte bevor ich reinbeisse, das was du zu sagen hast“.
„Och nee, ich hab mir bloss so meine Gedanken gemacht. Ist aber wirklich leckeres Fleisch.“
Ihr argwöhnischer, mittlerweile böse gewordener Blick klebte an mir wie die klebrige Zunge eines Chamäleons. Ich musste mit der Sprache rausrücken.
„Nunja die Form“ sagte ich und machte eine wellenartige Bewegung über den Fleischklumpen. „Erinnert mich halt irgendwie an einen Penis eines grosse Tieres.“
Sie schmiss das Messer hin und nahm einen Meter Abstand von der Anrichte. Dann näherte sie sich behutsam dem Fleisch, begutachtete es kurz, und verliess dann die Küche.
Und nun liegt das Ding da verwaisd herum, niemand will es essen, und meine Mutter nimmt das Telefon immer noch nicht ab.