[Mo, 20.1.2025 – Teltow, Inauguration, Nullkommasechs Prozent]

Am Nachmittag fuhr ich zu einem Bewerbungsgespräch nach Teltow. Teltow-Stadt ist gar nicht so weit entfernt wie gedacht, allerdings muss ich vom Endbahnhof aus noch einen Bus verwenden und Busse finde ich als Verkehrsmittel immer unseriös. Ich nutzte meine ganze Kindheit und Jugend Busse, um zur Schule oder auf den Berg hinauf zu kommen, für mich fühlt sich das immer noch wie ein unerwachsenes Verkehrsmittel an. Als Teenager wünschte ich mir eine U-Bahn von Bozen bis hinauf in mein Bauerndorf. Verkehrsmittel auf Gleisen fand ich toll.

Ich wollte immer schon einmal nach Teltow. Das ist ja der neue Boomtown im Speckgürtel Berlins. Verstanden habe ich Teltow aber noch nicht. Ob es ein Zentrum gibt oder ob es optisch schön ist. Auf Googlemaps erkenne ich keines von beiden. Man sieht vor allem Reihenhäuser. Reihenhaus um Reihenhaus. Für Familien ist das sicherlich schön, oder auch für Menschen, die sich einen Garten wünschen. Teltow hat einen S-Bahn Anschluss, das ist sicherlich ein Vorteil gegenüber wohlhabende Schlafstädte wie Klein-Machnow. Mit dem Bus fuhr ich durch eine Strasse, an der sich Dönerläden und Bäckereien häuften. Unweit davon gibt es einen Marktplatz. Das ist vermutlich das Zentrum. Ob es schön ist, erkannte ich allerdings nicht. Darum geht es schliesslich. Ob ein Ort schön ist. Allgemein und landläufig schön. Es gibt jedenfalls viele alte Leute. Vor allem im Bus. Das gefällt mir. Ich halte diese Akkumulation an jungen Menschen in Friedrichshain manchmal nur schlecht aus.

Andererseits würde ich hier nicht wohnen wollen. Schon nur wegen des Selbstverständnisses darüber, wo ich wohne. Wenn ich im Ausland bin und gefragt werde, wo ich wohne, sage ich immer Berlin. Niemals Deutschland. Ich identifiziere mich nicht mit Bayern oder mit der Pfalz oder was auch immer, auch nicht mit Brandenburg, in meinem Selbstverständnis bin ich ein Bewohner Berlins. Auch wenn sich seit einigen Jahren ein gewisser Berlinblues über mich gelegt hat und ich mir durchaus vorstellen kann, wegzuziehen, gerne auch in ein Dorf, das läge vorzugsweise Lappland oder an der schottischen Westküste. Der Berlinblues hat bei näherer Betrachtung allerdings nicht unbedingt etwas mit Berlin zu tun, es ist ein genereller Deutschlandblues, Berlin ist dabei noch einer der erträglichsten Orte, um in Deutschland zu leben.

Das Gespräch war jedenfalls gut und die kommenden Projekte sind interessant. Es werden noch ein paar Gespräche folgen. Wir werden sehen, ob es für uns alle passt.

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, die Show um den Antritt des neuen Präsidenten weitgehend auszublenden, auf dem Rückweg von Teltow scrollte ich dennoch durch die Nachrichtenfeeds. Diese Symbolik der Dekrete. Auch Transmenschen sollen wieder ihre Rechte entzogen werden. Ich frage mich immer, woher Leute diesen Hass gegen 0,6 % der Bevölkerung nehmen. Diese 0,6 % sind keine Gruppe von Mächtigen, keine gewalttätige Gruppe, keine Gruppe von Kriminellen. Sie wollen einfach akzeptiert werden. Rechtlich und sozial. Nichts einfacher als das, würde man sagen. Niemand verarmt dadurch, niemand muss ein Stückchen des Kuchens abgeben. Und trotzdem hat sich eine wütende Mehrheit gegen diese 0,6 % Prozent gebildet, gegen diese Menschen, die ohnehin schon überall ständig diskriminiert werden und am kürzeren Ende des Hebels sitzen.
Ich verstehe andere Sachen. Ich verstehe den Hass gegen die sogenannten Eliten und ich verstehe viele andere Dinge. Ich teile die Meinung und den Hass nicht, aber ich kann nachvollziehen, wie er entsteht. Den Hass gegen Transmenschen oder überhaupt den Hass gegen Minderheiten, den verstehe ich aber nicht.

Und nein, ich will ihn auch nicht erklärt bekommen.

4 Kommentare

  1. Wenn es schon bei solcher Belanglosigkeit Abfälligkeiten bedarf, wer, wo, wie wohnt, sollte man nicht auf andere zeigen. Ich habe dieses Städter/Ländlergekeife mehr als satt. Das bringt doch wirklich niemanden weiter. Wohnt doch alle wo ihr wollt und kümmert euch um wichtige Dinge.

  2. Linienbusse als unerwachsenes Verkehrsmittel kann ich nachvollziehen, aus ähnlichen Gründen. Merke aber, dass ich Linienbusse im Ausland völlig anders empfinde: Die sind dann authentisch, wie die Einheimischen, und Quelle von Geschichten, die man daheim erzählen kann.

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