Als ich ins Auto stieg, begann der Regen.
Auf dem Weg nach Fehmarn fiel mir dann ein, dass ich meinen Reisepass zuhause vergessen hatte. Jetzt war es zu spät, um das Problem zu lösen, ich musste die zwei Ländergrenzen einfach über mich hinweg geschehen lassen. Ich werde herausfinden, was passiert. Mehr, als mich nicht in das Land lassen, können sie schließlich nicht tun.
Ich hatte gehört, dass Spotify mittlerweile Hörbücher anbietet. Statt immer Podcasts und Musik zu hören, könnte das eine schöne Abwechslung sein. Als ich auf der Fähre saß, gab ich „Hörbuch“ in Spotify ein und als Erstes wurde mir Caroline Wahl vorgeschlagen, das Hörbuch ihres Debüts „22 Bahnen“, und sofort verstand ich, was das für eine tolle Wahl war, weil ich das Buch wahrscheinlich nie lesen werde, aber gleichzeitig interessiert mich das Phänomen durchaus, sie ist schließlich eine kluge Frau und begeistert bereits in jungen Jahren Millionen Menschen. Ihre Romane interessierten mich nie, weil ich wahrscheinlich nicht das angedachte Publikum bin und mich auch das Setting der Geschichte nicht so interessierte.
Bei der Einfahrt in Dänemark wurden alle Autos der Fähre durch die Kontrollstationen der Polizei gelotst. Die Grenzpolizisten schauten grimmig in mein Auto, während ich mit Schrittgeschwindigkeit an ihnen vorbeifuhr. Aber sie hielten mich nicht an.
In Dänemark wurde aus dem Regen ein Sturm. Das Telefon zeigte mir ständig Warnungen an. Ich liebe es sehr, im Regen zu fahren. Die meisten Menschen finden es hingegen belastend, im Regen zu fahren. Ich genieße die Ruhe, von meiner eigenen Ruhe und der Ruhe der anderen Fahrerinnen, wie wir als Schicksalsgemeinschaft alle zusammen unsere Vehikel durch diesen Regen manövrieren, wir hängen alle aneinander, sitzen aber alleine in unseren Autos, und doch fühlt es sich an, als säßen wir gemeinsam in einer Arche. Draußen ist es feindlich. Wir steuern unsere Maschinen, achten auf die Lichter, fahren ruhiger, fahren das Tempo unseres inneren Beats etwas runter, die Scheibenwischer wischen, es ist fast meditativ, das Prasseln des Regens, das Wischen auf den Scheiben, vor mir die schlechte Sicht.
Aus den Boxen dann Caroline Wahl. Ich hörte dem Roman gerne zu, aber meine Erwartung war irgendwie größer, ich hatte etwas, nunja, Bewegenderes erwartet, etwas Brillanteres. Ich hörte ganze fünf Stunden. Das Setting ist ganz nett, junge Frau mit einer alleinerziehenden, alkoholkranken Mutter und einer sehr jungen Halbschwester. Sie selber würde gerne nach Berlin, um zu promovieren, zögert aber mit dem Schritt, weil sie die Halbschwester nicht mit der Mutter alleine lassen will. Dann gibt es zwei mysteriöse und traurige männliche Love-Interests. Figuren und Umstände erinnern mich ein bisschen an Vampirschmonzetten. Ja, möchte ich jetzt nicht so abschätzig vergleichen, sie hat einen guten Ton und sie beherrscht auch ihr Handwerk richtig gut, und diesen seltsam verklärten, fast schon romantisierenden Blick auf Armut gab es auch schon in wesentlich schlimmerer Form. Also ich hörte durchaus gerne zu, bin aber auch froh, dass ich die Zeit nicht lesend verbracht habe, sondern auf dieser Autofahrt durch den Regen. Und es verkürzte mir tatsächlich die Reise. Ich schwebte gedanklich mit der Geschichte dieser langweiligen Kleinstadt mit, und die Zeit verflog.
In Helsingborg von der Fähre runter. Keine Polizei. Ich hab’s geschafft. Ich bin gespannt, wie der umgekehrte Weg sich abspielen wird. In Dänemark kontrollierten sie in den letzten Jahren sehr intensiv, wegen der Bandenkriminalität in Malmö. Und in Deutschland hat Merz ja auch wieder die Grenzen hochgezogen. Ich bin ja italienischer Staatsbürger, allerdings mit einem deutschen Namen und einem deutschen Führerschein. Man weiß ja nie, ob unklare ethnische Verhältnisse Grenzbeamte irritieren. Dieses seltsame Ideal eines deutschen Volkskörpers, ich weiß nicht, warum das in deutschsprachigen Landen immer so eine starke Rolle spielte. Gerade über Deutschland, mitten auf diesem Kontinent, zogen über die Jahrtausende nun wirklich alle Ethnien einmal drüber. Da ist nix Volkskörper.
Die Dänen würden mich aber ins Konsulat nach, öhm, Stockholm schicken. Ich frage mich, wie sie das tun wollen. Stecken sie mich samt Auto wieder auf die Fähre, damit ich zurück nach Schweden komme, um dort 700 km nach Stockholm zu fahren? Und wenn die Schweden mich nicht reinlassen, dann stecke ich im Limbo auf dieser Fähre am Öresund fest. Hin und her und hin.
Es erstaunte mich, dass ich mehr als fünf Stunden lang dem Hörbuch zuhören konnte. Podcasts ertrage ich sonst nur 2 Stunden lang, danach muss ich immer auf Musik umschalten und irgendwann geht auf solchen langen Reisen auch keine Musik mehr. Das beschäftigte mich wirklich eine ganze Weile. Die Erklärung ist möglicherweise jedoch banal. Es sind Laberpodcasts, denen ich nicht zu lange zuhören kann. Andere Podcasts, wie z. B. die Aufarbeitung des Falles Boateng, oder auch die Geschichte über den Dreißigjährigen Krieg von den Machern des ehemaligen Zeitsprung-Podcasts, die hörte ich auch über mehrere Stunden hinweg. Die simple Erklärung ist wahrscheinlich, dass man Geschichten schlichtweg einfacher zuhören kann. Es gibt einen Plot, mit Figuren und Orten. Das ist nicht so ein Einhämmern wie bei Laberpodcasts, bei denen zwei Leute (Männer) eine Stunde lang Infos einhämmern, bäm bäm bäm. Nach längerer Zeit ist das sehr invasiv und ich möchte sofort das Patriarchat abschaffen.
