Der Plan sah vor, dass ich mir das Auto meiner Mutter leihen sollte, um damit in das Dorf meines Vaters zu fahren. Das Dorf meines Vaters ist wirklich kein Lieblingsort von mir. Ich musste dort gegen meinen Teenagerwillen drei Jahre lang wohnen und meine Gefühle dazu sind immer noch nicht positiv. Allerdings wohnen dort viele meiner Tanten und Onkels, und seltsamerweise war ich mein ganzes Leben lang immer bei Tanten und Onkels beliebt. Viel beliebter als meine Schwestern oder meine Cousins. Ich weiß nicht, warum das so ist. Ich war auch immer bei Schwiegermüttern beliebt, wobei ich wirklich kein guter Umgang war, und ich hätte es meinen Töchtern untersagt, mit mir befreundet zu sein. Die einzige Erklärung, die ich habe, ist die, dass man mich gerne füttert. Alte Frauen gaben mir immer gerne zu essen. Die Bäuerin, bei deren Familie ich in den Sommern immer die Kühe hütete, sagte immer, dass ich so gerne esse. Schaut her, wie der gerne isst. Wahrscheinlich bereitet es Freude, mir Essen zu geben. Wenn ich also ins Dorf meines Vaters fahre, hole ich mir immer einmal eine kräftige Portion Zuneigung ab.
Meine Mutter beschloss kurzerhand, mitzufahren. Sie wohnte, anders als ich, 25 Jahre lang in dem Dorf. Sie zog vor etwa 10 Jahren nach Meran zu meinen Schwestern und hatte das Dorf seit Corona nicht mehr besucht. Sie nahm das als Anlass, ihre alten Freundinnen und Nachbarinnen aufzusuchen. Ich ging hingegen zu meinem Vater. Wir machten eine Fahrradrunde mit den E-Bikes über St. Helena und die Höfen am Rundweg westlich davon, wo man einen unfassbar schönen Blick auf den Rosengarten, den Schlern und die Latemar-Gruppe hat. Man kann am Horizont sogar die Zillertaler Gletscher sehen. Danach besuchten wir den Onkel K, die Tante Z, Tante N und Onkel L.
Onkel K trollte meinen Vater, indem er sagte, dieser führe nicht mehr so gut Auto wie früher. Eigentlich meinte er es ernst, aber meinen Vater triggerte das ungemein und Onkel K ließ sich nicht davon abhalten, ihm zu erklären, warum er das fand. Nun muss man wissen, dass mein Vater vierzig Jahre lang Krankenwagenfahrer war und die Berg- und Talstraßen fast mit geschlossenen Augen fahren kann. Das traf ihn natürlich und er versuchte, sich ständig zu verteidigen, während Onkel K nüchtern und geduldig zu erklären versuchte, woran er seine Erkenntnis festmache. Er erklärte das ziemlich umständlich und zugegebenermaßen verstand ich nicht wirklich, was er zu erklären versuchte. Er zog ständig das Beispiel heran, wie mein Vater sich in Autokolonnen im Tal verhalte. Weil in unseren Tälern die Touristen immer zu langsam fahren und sich dadurch die Kolonnen bilden. Am Ende einigten sie sich auf ein Unentschieden.
Mit meiner Mutter hatte ich verabredet, dass sie ohne mich wieder zurück nach Meran fahren kann, weil ich am Abend mit meinem Vater zurückfahren würde, der in Meran zu meiner kleinen Schwester fahren würde. Sie wollte also kurz zu ihren drei Freundinnen auf einen Kaffee gehen und danach zurück nach Hause fahren. Weil meine Mutter allerdings zunehmend dementiös wird, vergaß sie diesen Plan und war den ganzen Tag der Annahme, dass sie auf jemanden wartete. Entweder auf meine Schwester oder auf mich oder so. Als meine Schwester mich davon in Kenntnis setzte, rief ich meine Mutter an und da es mittlerweile 6 Uhr abends war, beschlossen wir zu dritt, zurück nach Meran zu fahren. Ich würde das Auto meiner Mutter steuern und mein Vater würde mitfahren.
Nun muss man wissen, dass meine Eltern seit ziemlich genau 30 Jahren getrennt sind. Zuerst hassten sie sich 20 Jahre lang, danach ignorierten sie sich 5 Jahre lang, aber in den letzten 5 Jahren hatten sie immerhin angefangen, sich wieder zu grüßen. Um die Situation im Auto ein bisschen aufzulockern, sagte ich irgendwas über Fahrstile in Autokolonnen und dass Onkel K da offensichtlich eine sehr starke Meinung dazu hat. Was man in dieser Situation vielleicht noch wissen sollte: Auch meine Mutter war vierzig Jahre lang Rettungswagenfahrerin und kann all die Berg- und Talstraßen fast mit verbundenen Augen bei Tempo 100 befahren. Sie hatte natürlich eine Meinung über den Fahrstil meines Vaters und mein Vater hatte eine Meinung über den Fahrstil meiner Mutter. Zusammengefasst würde ich sagen: war kein gutes Thema.
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Südtiroler Glam Metal Band.

Das hat mich wirklich sehr amüsiert – danke dafür?