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aus der alten Kiste
Lutti (3)
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aus meiner Kindheit / from my childhood
Als der Mek noch Meki war. mehr im Comment.
Lutti (2)
Und dann nahm ich das Telefon in die Hand, stammelte erst ein paar Wörter auf Ladinisch vor mich hin um meine Zunge sich wieder an diese Sprache zu gewöhnen (Im Gadertal, sowie in drei anderen Taelern der Dolomiten, spricht man eine sehr alte Sprache die früher ein lateinischer Dialekt war und sich wegen der geographischen Isoliertheit dieser Täler bis hin zur heutigen Zeit konserviert hat. Auch in der östlichen Schweiz und im Nord-Friaul wird diese Sprache noch gesprochen und ist unter dem gemeinsamen Nenner Raetoromanisch bekannt, das kommt daher, dass es die Sprache der römischen Provinz Raetia war, die das ganze Alpengebiet umfasste und sich bis nach Bayern hinzog. Nach dem Zerfall des römischen Reiches bekamen die germanischen Sprachen im Norden der Alpen den Einfluss und die anderen Teile entwickelten sich mit der Zeit zum Französischen, Slawischen und Italienischen. Bis auf diese paar alpenländische Gallier die hinter ihren Schluchten und Bergen derart abgeschlossen waren, dass sie von der Auflösung des römischen Reiches Jahrhundertelang nichts mitbekommen haben.
Vom Klang her klingt es oft wie eine Mischung aus Französisch und Portugiesisch, hat mit jenen Sprachen aber nur insofern was gemeinsam, dass es romanische Sprachen sind. Geschrieben sieht es aus wie Französisch, wegen der vielen Akzente und Dächern auf den Buchstaben, aber verwant ist es wohl am nähesten mit dem Italienischen, da sie beide direkt aus dem Lateinischen hervorgegangen sind. Ladinisch, auch bekannt als „Dolomiten-raetoromanisch“ ist jedoch nicht zu verwechseln mit dem jüdischen Ladinisch, was etwas vollkommen anderes ist. Ich bin kein ethnischer Ladiner, ich habe ja auch einen hundertprozentig teutonischen Namen, meine Familie zog jedoch, als ich im 3 Jahre alt war, in eines der ladinischen Täler und so wuchs ich dort auf. Bis ich, wie letztens gesagt, vierzehn wurde.) und wählte Lutti’s Nummer.
Er war sehr erfreut. Natürlich.
Wir erzaehlten einander vom Leben, was in den fünfzehn Jahren alles passiert ist und ich konnte feststellen dass er eigentlich ja ziemlich glücklich ist. Nicht übermaessig, aber es ging halt alles so seinen Gang und alles war gut. Nach fünfzehn Jahren war er jetzt auch der Beinahe-Chef der Metzgerei. Das verblüffende war jedoch folgendes:
M: Komm mich mal besuchen
L: Jasicher, muss ich tun. Ich habe anfang Oktober Urlaub und eh noch nichts geplant.
M: Ist ja grossartig
L: Dann nehm ich Moje und Majo mit und wir kommen nach Hamburg
M: super. Scheisse das ist dann ja schon in sechs Wochen
L: Scheisse ja da hast du recht
So schnell kann das manchmal gehen
10 August – Dienstag/Tuesday – Lutti
Lutti war mein bester Freund aus meiner Kindheit und fruehen Jugend. Wir wuchsen zusammen in einem 600-Seelen-Dorf in einem ziemlich abgelegenen Teil inmitten der Dolomiten auf. Lutti und ich verstanden uns schon im Kindergarten sehr gut. Wir brauchten nie viel miteinander zu reden. Wir mochten einfach einanders Gesellschaft. Das ging ueber viele Jahre so. Lutti und ich rauchten unseren ersten Joint zusammen, entdeckten zusammen die Liebe zum Alkoholruss, rauchten zusammen die erste Zigarette und sprachen das erste Mal zusammen ueber Maedchen. Lutti war immer sehr ruhig. Sagte nie besonders viel, hielt sich gerne im Hintergrund, aber war immer dabei wenn es darum ging Scheisse zu bauen. Er war zwar nicht besonders Intelligent, auch wenn mir nie in den Sinn kaeme zu sagen dass er Dumm waere, nein, hoechstens dass er vielleicht zu vertraeumt und manchmal zu apathisch war um richtig strukturiert zu denken im Sinne dass er dadurch ein intellektuelles Archiv in seinem Kopf aufbauen koennte. Ausserdem las er nicht gerne. Jedoch konnte ich mit ihm herrliche Nachmittage verbringen beim Austausch von Gedanken ueber das Leben und die Liebe. Er verstand immer meinen Drang die Welt zu verbessern und immer wenn ich frustriert war hoerte er mir zu. Er war ueberhaupt der beste Zuhoerer den ich je in meinem Leben getroffen habe. Er war in der Mittelschule sitzengeblieben und ein Jahr spaeter blieb ich auch sitzen und liess mich in seine Klasse versetzen. So sehr mochten wir einander. Wir waren als 13-jaehrige die ersten Heavy-Metal freaks des ganzen Gadertales und trugen zerrissene Jeansjacken mit Totenkoepfen und Iron Maiden Aufklebern und gaben in der Klasse fuerchterlich an wenn wir von unseren teilweise erfundene Saufgeschichten erzaehlten. Nach der Mittelschule standen wir dann als 14-jaehrige vor einer voellig unsicheren Zukunft. Die Pflichtschule war fertig, Lutti fing eine Lehre in einer Metzgerei an, meine Eltern planten den Umzug in ein 80 Kilometer weit entferntes Dorf und ich wollte mit allen Mitteln da bleiben wo ich war. Weitersaufen mit Lutti und seinem kleinen Bruder Moje, an Nachmittagen Iron Maiden hoeren und eben hoffen dass die schoene Christina mir mal ein Laecheln schenken wuerde. Ich flehte meinen Vater an mich doch in meinem Dorf bleiben zu lassen, hatte sogar schon eine Lehrstelle als Konditor gesucht, aber als 14-jaehriger hat man da wenig zu sagen. Ich wurde meinem Dorf entrissen und musste umziehen.
Ich habe ihn danach noch zweimal gesehen. Einmal etwa zwei Jahre spaeter, da kam er mich zusammen mit Moje und einem anderen Freund besuchen und einmal viele viele Jahre spaeter hatte ich ihn selbst einmal besucht. Aber der Draht war schon gebrochen. Damals wo ich ihn besucht hatte war ich etwas erschrocken, da ich an allem merkte dass er ein Alkoholproblem hatte. Wir waren an jenem Tag des Besuches beide etwa 23. Er war noch immer Metzger, hatte immernoch keine Freundin, wohnte immer noch bei den Eltern, hing an den Abenden in der Tennisbar herum, soff Bier, und wartete auf das Wochenende. Der Besuch war sehr kurz damals, aber hatte mich sehr traurig gestimmt.
Und so vergingen noch viele weitere Jahre ohne dass wir voneinander hoerten. Obwohl ich ihn immer noch als meinen besten Freund meiner Kindheit in mir herumtrage. Und jedes Jahr am 8. August denke ich mir dass ich ihn eigentlich gerne anrufen moechte ihm alles gute zum Geburtstag zu wuenschen und um ihn einfach mal zu sprechen. Ob er verliebt waere, ob er eine andere Arbeit haette, und was sonst noch. Doch immer wieder verschiebe ich es. Die Huerde ist mir einfach zu gross.
Bis vor einigen Tagen wieder dieser 8. August naeher kam und ich tagelang die Zeit hatte mich auf diesen Anruf vorzubereiten. Vorgestern rief ich also meine Mutter an ob sie mir im Telefonbuch Lutti’s Nummer raussuchen koenne. Und ohne weiter zu zoegern wahlte ich dann seine Nummer.
Seine Mutter ging ran und war aeusserst erfreut ueber meinen Anruf. Sie mochte mich immer schon gerne. Lutti war nicht zuhause. Er hing „irgendwo“ herum. Sie sagte mir ich solle doch am naechsten Tag zurueckrufen, er wuerde immer so gegen halb acht von der Metzgerei nach Hause kommen, da wuerde ich ihn bestimmt erwischen. Er wuerde sich bestimmt freuen.
Und nun sitze ich hier schon den zweiten Abend und habe nicht den Mut ihn anzurufen. Was sollte ich ihm sagen? Sollte ich ihm erzaehlen von meinen Reisen? Von den Laendern wo ich ueberall gewohnt habe, dass ich wieder verliebt bin, was ich in all den Jahren alles aufregende erlebt habe? Was koennte ich ihm erzaehlen das ihn nicht kraenken wuerde und ihn nicht ein kleines unbedeutendes Menschlein erscheinen liesse? Wie gerne ich ihn auch mag und wie gerne ich ihn auch wieder sprechen moechte, ich wuerde wahrscheinlich nur mehr kaputt machen als dass ich Freude bereiten wuerde.
(3) ein neuer Anfang / a new start
Zwischen meinem 18. und 23. Lebensjahr hatte ich eine sehr kreative literaire Phase. Ich las damals Charles Bukowsky und waehrend dem Lesen meldete sich ploetzlich meine Muse und sagte „Mek, sieh her. Das kannst du doch auch. Schreibe deine wilden Saufgeschichten auf und werde beruehmt.“ Ich entdeckte spaeter natuerlich dass es bei Bukowsky weit mehr auf sich hatte als nur Saufgeschichten, aber das war fuer mich jedenfalls der Anstoss mich wieder in die Welt des Schreibens zu stuerzen. Ich schrieb als Kind sehr viel. Bis ich etwa 13 oder 14 wurde. Ich schrieb ausschliesslich Horrorgeschichten oder ganz fuerchterlich pathetische Heldengeschichten. Danach setzte die Zeit der Drogen ein und die kreativitaet musste weichen. Nach dem Lesen von Bukowsky besorgte ich mir dann eine Schreibmaschine und tippte drauflos. Ein halbes Jahr spaeter hatte ich ein 80-seitiges Buechlein fertig und ging damit auf Reisen. Wien, Zuerich, Augsburg, Berlin. Betrank mich, fing in der Kneipe an zu lesen, verkaufte meine Schreiberei und soff noch mehr vom Erloes. Eine schoene Zeit war das.
Obwohl das Buechlein eine Sammlung von Kurzgeschichten, Zeichnungen und Gedichten war, gab es einen Zusammenhang zwischen den ganzen Komponenten und ich fing somit an, an eine etwas reifere Geschichte zu basteln, die direkt aus jenem Buechlein hervorkam. Eine Geschichte ueber einen planlosen 20jaehrigen Hausbesetzer der ungewollt Mittelpunkt einer Weltverschwoerung zwischen Gott und gierigen Machthabern wird und ohne es zu merken die ganze Welt in den Abgrund stuerzt. Eine Weltuntergangskomoedie. So schrieb ich 4 Jahre lang an dieser Geschichte. In der Zwischenzeit zog ich nach Wien, fand keine Wohnung, verstritt mich und zog nach einigen Monaten fuer einen Winter in die Niederlande, besetzte dort ein huebsches kleines Haus in der Innenstadt und blieb. Da schrieb ich weiter, wurde mehrmals geraeumt, verliebte mich, und zog irgendwann mit meiner Schreibmaschine, Brecheisen und Schlafsack zu meiner damaligen Freundin. Da bezahlte ich das erste mal in meinem Leben Miete und machte mich breit. Dann fing ich auch irgendwann an zu arbeiten um etwas Geld im Sack zu haben, erwarb mir einen billigen Laptop damit ich meine Geschichte endlich mal sauber irgendwo eingeben konnte, und nicht immer alles uebertippen musste wenn ich groessere Korrekturen gemacht hatte. Dann hatte ich irgendwann fast 350 DIN A4 Seiten zusammengeschrieben und kam eines Tages nach Hause und fand die Wohnungstuere aufgebrochen. Die naechsten Schritte durch meine Wohnung waren wohl die schlimmsten Minuten meines Lebens, weil alle Buecher auf dem Boden lagen und ich gleich merkte dass mein Laptop nicht mehr da stand wo ich ihn gelassen hatte. Und waehrend ich so auf meinen leeren Schreibtisch hinlief wusste ich auch gleich dass ich keine Kopie des ganzen Geschriebenen hatte. Weder auf Floppy noch irgendwo anders. Lediglich die ersten 50 Seiten hatte ich einmal ausgedruckt gehabt und einige Fragmente hatte ich mal onlline gesetzt um HTML zu lernen. Die Geschichte war damals fast fertig gewesen. Ich war schon beim Vorletzten Kapitel und musste danach eigentlich nur noch eine feine, finale Korrektur durchnehmen.
Und dann war plotzlich alles weg. Es waere mir nie im Leben eingefallen dass ich jemals das Opfer eines EInbruches haette werden koennen, da ich ja der war der leerstehende Haeuser aufbrach und sonst eh niemals Geld hatte. Aber ich ich musste mir gleichzeitig eingestehen dass ich in der Zwischenzeit eben etwas Geld verdiente und sogar einen (wenn auch bescheidenen) Besitz hatte. Aber das einzige wofuer ich eigentlich lebte, oder jedenfalls das einzige wovon ich wirklich sagen konnte dass es etwas war woran ich arbeitete, was mir eben das Gefuehl gab dass ich nicht ganz so nutzlos war, war eben meine Geschichte die ich schrieb. Und dann kam der Junkie, der auf die Schnelle etwas Geld brauchte, und machte in wenigen Minuten alles kaputt was ich _eigentlich_ besass. Vielleicht bekam er 50EUR dafuer. Vielleicht 100.
Ich hingegen versuchte die Geschichte zu rekonstruieren, aber merkte bei jedem Satz schmerzhaft dass sich jener Satz vorher ganz anders anfuehlte und viel geistiger war und beinahe jede Minute verzweifelte ich daran und nach etwa zwei Wochen gab ich es voellig auf. Ich beschloss eine ganz neue Geschichte anzufangen wenn meine ganze Wut vorbei war.
Ich fing nie damit an.
Einige Kapitel findet man hier auf meiner Seite unter dem Link ‚Literature‘. Das sind die Kapitel die ich auf Niederlaendisch geschrieben hatte.
Ich hoerte mit der Schreiberei dann vollkommen auf. Irgendwie schmerzte der Gedanken am Schreiben immer und das mochte ich nicht. Erst wo ich vor etwas mehr als einem Jahr mit diesem Tagebuch anfing, packte mich die Lust am Schreiben wieder, und nun, auch nach mehrmaligem Andringen von Julietta, habe ich letzten Donnerstag wieder damit angefangen die Geschichte neu zu schreiben. Es scheint alsob jetzt genug Zeit voruebergegangen ist. Die Geschichte macht ploetzlich wieder Spass.
(2) Beichte / Confession
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Fussball
Jeder fünfte Kunde den ich heute am Telefon hatte, sagte am Ende sowas wie:
„Nun, aufwiederhören dann und hoffentlich gewinnen Sie heute abend nicht, haha“
„Wie meinen Sie?“
„Nunja, heute spielt ja Deutschland gegen Holland“
„Achso. Das interessiert mich wenig“
„Aber Sie sind ja Holländer“
„Nein bin ich nicht“
„Tut mir leid, Sie klingen so holländisch“
Nach dem zehnten Kunden der so zu mir sprach, kochte ich und ich war kurz davor, meine Beherrschung zu verlieren.
Meine Kunden konnten schliesslich nicht wissen, dass ich in meiner Kindheit ein derart grandioses Mittelfeldliniensupertor geschossen habe, dass Fussball daraufhin, für mich, an Wert verloren hat.
Meine Kunden haben mich nicht gesehen, wie ich an jenem Tag als neunjähriger Knirps auf dem überwucherten Fussballplatz stand. Ich spielte im Mittelfeld, war der jüngste von allen, nicht besonders schnell, aber ich war immer schon sehr stark in den Beinen. Es spielte Corvara gegen La Villa, die Nachbardörfer, Fussballklasse Jugend X oder irgendwas, und ich hatte es aus einem mir heute unerklärlichen Grund in die Dorfmannschaft geschafft. Ich sah den Ball schon von Weitem auf mich zurollen. Pepi, der weiter vorne stand hatte den Ball falsch zu packen bekommen, und so rollte dieser, nicht besonders schnell, auf mich zu.
Ich war eben nur ein kleiner Junge, unmündig genug, nicht auf die Idee zu kommen, selbst ein Tor zu schiessen, sondern den Ball immer brav den Grossen zuzuspielen. Die Grossen die das konnten, die Grossen die solche Tore schossen, dass die Mädchen auf der Tribüne ohnmächtig wurden.
Als der Ball damals auf mich zurollte stand aber weit und breit niemand bei dem es sinnvoll gewesen wäre, ihm den Ball zuzuspielen. Vor mir war alles voll, und alle Leute denen ich normalerweise brav den Ball zuspielte, waren von der Gegenmannschaft gedeckt. Zurückstossen fand ich fad, überdies standen dort ohnehin nur die paar Flaschen von der Verteidigung, die würden mit dem Ball nichts sinnvolleres zustande bekommen als ich selbst.
Und so kam der Ball in Zeitlupe auf mich zu, und ich entschloss mich dazu, etwas waghalsiges zu tun: den Ball selbst ins Tor zu schiessen.
Ich strich mir das Haar nach hinten, um die Luft besser zu schneiden und lief dem Ball entgegen. Schnell musste ich sein und viel Kraft musste ich sammeln und den Ball einfach geradeaus nach vorne schiessen. So lief ich in Zeitlupe auf das Leder zu. Linkes Bein, rechtes Bein und der Ball kam mir absolut perfekt in den Lauf, ich stiess meinen rechten Fuss nach vorne und hob den Ball hoch in die Luft hinauf, er gewann genau die richtige Höhe, schoss wie ein Projektil von mir ab, über die Köpfe aller weiteren Fussballer hinweg, während ich heldenhaft mit meinem rechten Bein erhoben, noch in der Luft verharrte und dem Ball hinterherschaute.
Alle Spieler auf dem Feld starrten mit offenen Mündern dem Ball nach, unerreichbar für Jeden. Fassungslos griffen sich einige ins eigene Haar. Stunden später erreichte der Ball den Strafraum und auch für die letzten Verteidigungspieler war der Ball zu hoch. Es gab nur noch den Torwart, der noch retten konnte, was es zu retten gab. Aber der Schuss war ein Mörderprojektil geworden, auch für einen Torwart, der langsam und konzentriert den Abstand des Balles abschätzte, und dann aufmerksam aufsprang, die Arme streckte, den Ball um ganze zehn Zentimeter verfehlte um dann all den Anwesenden den grandiosen Anblick geben zu müssen wie der Ball in das Netz donnerte. Das Publikum toste. Die Mädchen wurden ohnmächtig.
Es war ein 1:0 und dieser Stand hielt sich bis zum Ende des Spieles. Man nannte mich drei Wochen lang „Bomba“. Es gab in diesen paar Wochen keinen cooleren auf der Schule.
Es braucht also niemanden zu wundern, wenn ich mich heutzutage nicht mehr für Fussball interessiere. Alles was ich danach sah, war amateuristisches Ballspiel.
Auch wenn sich heute niemand mehr an jenes grossartigste Tor der Gadertaler Geschichte erinnert.
Engel (Mehrzahl)
Als ich sechzehn war, gab es diesen einen Tag, dessen merkwürdigen Verlauf mich erst viele Jahre später zum Nachdenken brachte.
Am Abend sollte es eine Party geben, auf einem Bauernhof, unten im Etschtal, südlich von Bozen, keine Ahnung wem der Hof gehörte, aber wenn wir mit dem Auto kämen, würde es eines der Gebäude direkt an der Hauptstrasse sein, sagte man mir, gleich das Erste hinter dem Ortsschild „Neumarkt“ beim Verlassen desselben Ortes, das war nicht zu verfehlen. Es sei für alles gesorgt, zum Rauchen, zum Essen, und ein paar von den Pillenleuten seien auch da, und zum Trinken gäbe es sowieso.
Alte Freunde aus dem Dorf, in dem ich aufgewachsen war, waren bei mir zu Besuch. Mit ihrem Fiat UNO waren sie viele Kilometer, aus deren weit entfernten Tal gekommen, die Freude war gross, wir hatten einander seit vielen Jahren nicht mehr gesehen, obwohl wir sozusagen Sandkastenfreunde gewesen sind und mir der Abschied damals sehr schwer gefallen war.
Es sollte ein ereignisreicher Tag werden, schliesslich wollte ich meinen Sandkastenfreunden zeigen wie gut es mir ging, in meinem neuen Dorf, das war ja auch viel näher an der Hauptstadt dran, nur eine halbe Stunde den Berg runter, und nicht so weit weg, in den hintersten Dolomitentälern, wo die herkamen.
Wir gingen erst ins Dorf uns zu betrinken, rauchten auf dem Weg einige Joints, trafen drei weitere Freunde aus dem Nachbardorf und als es anfing zu dämmern, beschlossen wir runter ins Tal auf die Party zu fahren. Zu siebt im UNO, der Fahrer voellig betrunken, die Passagiere auch, rauschten wir mit den SexPistols durch die Eggentaler Schlucht, immer so als gäbe es keine zweite Fahrt mehr. Ich war damals schon in einem Zustand, bei dem ich heute sicherlich nicht mehr eine Dreiviertelstunde irgendwohin fahren würde nur um mich noch weiter zuzudröhnen. Bei mir hatte schon eine dieser Apathien eingesetzt, bei der ich zwar noch sprach, die Buchstaben mir aber vereinzelt aus dem Munde flogen und jeder davon in seine eigene Zeitschicht versank, zwischen den Schlägen des Schlagzeuges in eine unsichtbare Lücke verschwand, zu einem verzögerten Moment von irgendwoher wieder auftauchte und meinem zuhörenden Gegenüber in komplett verdrehter Reihenfolge zu erreichen schien. Und wenn ich nicht sprach, dann durchsiebte mich Johnny Rottens Rotzstimme.
Der Fahrer konnte eigentlich nicht mehr fahren, obwohl er mit gefühlten hundert Sachen durch die Schlucht fuhr. Von früher wusste ich noch, dass er den Alkohol noch nie besonders gut vertragen hatte. So war er einer dieser Typen, die völlig die Kontrolle über deren eigenes Bewusstsein zu verlieren scheinen. Oder es ist eine Art Übermut die diese Leute bekommen, ich weiss es nicht genau. Wenn er trank, dann wurde er immer furchtbar laut und agressiv, obwohl er sonst eher von der schüchternen und leisen Sorte war, wie Käse halt, aber als er betrunken war, wurde er schonmal handgreiflich gegen einen alkoholisierten Rentner, der ihn einmal nicht ganz richtig angeguckt hatte. Der Freund zog damals seinen Schwanz aus der Hose, so richtig mitten in der Kneipe, und schrie den Mann an, er solle ihn doch lutschen, komm her, komm her, ich zeigs dir. Wir mussten ihn zu dritt aus der Kneipe zerren, während er noch immer mit seinem Geschlechtsteil herumwedelte und auch draussen nicht daran dachte, ihn einzupacken, sondern nur nach seinem Wein fragte.
Auch an jenem Abend war er wohl schon so weit. Nicht, dass er autofahrend seinen Hosenschlitz öffnete, sondern, dass sein Verstand nicht mehr das tat was er hätte tun sollen. Zweimal streiften wir ueberstehende Felsen, da in der Schlucht. Aber das tat nichts, waren ja nur Kratzer. Bis sich dann vor uns eine Felswand auftürmte, auf die wir geradewegs mit hoher Geschwindigkeit zusteuerten. Es war eine etwas scharfe Kurve und in meinem Gedächtnis spielt sich dieser Moment immer noch in Zeitlupe ab, wie die Felswand näher kam, und ich schon wusste, dass der Fahrer die Wand nicht wahrnahm, sondern lachte und sich zur lauten Musik amüsierte, und ich hatte irgendjemanden auf meinem Schoss, der ungeduldig rumzappelte, oder zur Musik mitschwang, sah ich nur die Felswand näherkommen, und konnte vor lauter sich in Zeitschichten versenkenden Buchstaben, nichts mehr sagen. Ich starrte nur die Wand an, und guckte wie sie näherkam, ohne jetzt sonderlich erschrocken zu sein, sondern bloss mit diesem Blick auf den Felsen gerichtet, und, dass es das nun vielleicht wohl gewesen sei, wohl Tod, vielleicht auch bloss ein Erwachen aus einem wilden Traum, weil eben alles vergänglich ist, wie auch die tiefste Nacht und der grösste Schmerz.
Bis ein Freund neben mir auf der Hinterbank, sich mit einer ungeheuerlichen Geschwindigkeit nach vorne bückte, über den zappelnden, kleinen Kerl auf unserem Schoss hinweg, laut schrie, das Steuer fasste und dieses nach links riss. Ich sah nicht mehr viel, es war ja schon dunkel, hoerte nur ein lautes Krachen auf der rechten Seite des Wagens, und es wurde mir etwas schlecht wegen der plötzlichen Wendung des Autos. Das Licht ging aus, die Musik verstummte, und wir kamen zum Stillstand. Ich glaube niemandem war so richtig bewusst was geschehen war. Mirselbst leuchtete es erst viele Jahre später ein, dass wir am nächsten Tag, in einem dieser klassischen Zeitungsberichte hätten stehen sollen, die von betrunkenen, verunglückten Jugendlichen auf den suedtiroler Bergstrassen berichteten. Diese Berichte, die mehrmals pro Monat erschienen, bei denen die Leute immer die Hände vor den Augen halten und zum Gebet anzusetzen scheinen, oder noch ein Glas Wein nachbestellen.
Das Einzige was uns in dem Moment beschäftigte, war, dass wir dem Fahrer die Fahrerlaubnis entzogen, er musste nach hinten, weil das ging so nicht, so kämen wir niemals zur Party, wenigstens nicht heil, und wir wollten ja nicht unheil ankommen, weil, dass man überhaupt nicht ankommen könnte, stand ja gar nicht zur Debatte. Also übernahm jemand anders das Steuer. Er fügte sich schweigend und wir fuhren weiter.
Doch hier hört die Geschichte noch nicht auf. Eine halbe Stunde später erreichten wir die Party. Ein riesiger Bauernhof im Etschtal, wohl verlassen wie es schien, aber noch in gutem Zustand. Ich kann mich erinnern dass wir uns hauptsächlich im hölzernen Teil des Gebaudes aufhielten, es muss so etwas wie eine Scheune gewesen sein, die jeoch direkt mit dem steinernen Teil verbunden war.
Leute standen herum und rauchten Pfeifen, es lief Musik, die sich dem hochsteigenden Rauch anzupassen schien, ich zog ueberall gerne mit, bekam von einer Freundin eine handvoll Pilze, trank weiter und zählte die Farben oder sprach Sprechblasen, wenn ich versuchte jemanden zu erreichen.
Irgendwann packte mich dann der Hunger und ich legte mir Zucchinis auf den Grill, der da stand, drinnen in einem grossen Raum, wartete bis sie fertig waren, stopfte sie in ein Brot, und gesellte mich zu den Leuten die da am Boden herumsassen, knutschten, Gitarre spielten oder sonstwas taten.
Zum Essen lehnte ich mich zurueck an die hoelzerne Wand, es sollte gemütlich sein, oder auch nicht, ich sitze einfach ungerne verkrampft, ich oeffnete meinen Mund um hineinzubeissen und merkte dann dass die Wand hinter mir nach gab. Es musste eine Tür sein, dachte ich mir, ohne mich umzusehen, irgendwie fand ich es ja witzig, und ich hatte keine Lust mich umzudrehen, oder mich anzustrengen, mich vor dem Rückfall zu bewaren, ich konnte mich einfach zurücklehnen, lachen über das Missgeschickt und mich dann wieder aufrappeln und weiteressen. Jedoch gab es dahinter keinen Boden. Das merkte ich, als mein Oberkörper schon fiel tiefer lag als meine Beine, und nichts zu kommen schien, das mich auffangen würde. Mein Hintern muss dann einfach mitgegangen sein, und bald darauf verliessen auch meine Beine den festen Boden.
Später wird man mir sagen, dass dies ein angelehntes Scheunentor war, das in die Tiefe führte. Nach draussen. Wahrscheinlich um von den verschiedenen Stockwerken das Heu hinunter zu schmeissen. Genau hab ich das noch nie verstanden. Aber so fiel ich eben. Es ging alles sehr langsam. Ich hatte viel Zeit zum nachdenken. Wie tief es da wohl hinuntergehen wuerde – ich fiel ja mit dem Ruecken voraus, also konnte ich das nicht sehen – ob ich im Wasser landen wuerde, oder in einen tiefen Schacht, wo ich stundenlang eingequetscht, um Atem ringend, festsitzen wuerde, oder auf irgendwas drauffallen und mir das Genick brechen.
So fiel ich vor mich hin, und sah waehrend dem Fallen noch ein knutschendes Paaerchen zwischen meine Beine hindurch, die sich in einem unteren Geschoss befanden, mit ebenfalls offenem Scheunentor, aber dann wirklich offen und nicht bloss angelehnt.
Die beiden sahen mich auch, und ich wollte den beiden zuwinken und sie fragen ob sie mir helfen koennen mit meiner unglücklichen Situation, ich wisse ja nicht was mit mir passiere, ich wäre so alleine da draussen und das kam alles so plötzlich. Mir kam es so vor als ob der Junge tatsächlich von seinem Mädchen abliess und mir hoffnunggebende Worte zuwerfen wollte, aber dann landete ich ploetzlich ganz hart auf festem Boden. Ich glaube mich an einen Rülpser erinnern zu können. Daraufhin stand ich gleich wieder auf, mein Zucchinibrot suchen, der Sturz war vorbei, und nun konnte ich weiterfeiern, vor allem mal endlich essen, das Grillen hatte schon lange genug gedauert, und dann das mit diesem doofen Sturz.
Aber das mit dem Stehen ging nicht so gut. Nach einem sehr verwirrten Halbkreis stuerzte ich zu Boden, und blieb da. Ich guckte nach oben und sah viele Köpfe aus einem erhellten, viereckigen Loch herausragen die meinen Namen riefen, Mek, alles gut, Mek, und ich sagte sowas ähnliches wie „ja“ und „Zucchinibrot“, aber wenn ich die Augen offen hielt, dann wurde mir sehr schlecht, und irgendwie fand ich das alles sehr komisch und lächelte in mich hinein, dass ich doch wiedermal was komisches angestellt hatte.
Danach ging alles schnell. Der Krankenwagen war sofort da, alsob sie hinter der Mauer auf mich gewartet hätten, wie der Sensenmann, der einem auflauert und nur auf den richtigen Moment abpasst. Oberhalb meines Gesichtes hörte ich laute Stimmen, die von einem grossen Stein sprachen, von dem mein Kopf zehn Zentimeter entfernt lag und diese Sanitäter, die irgendwas an mir herummachten und mich mit zehn oder zwanzig Händen festhielten, während sie eine merkwürdige, harte, aber meinem Körper sich anpassende Masse unter mich schoben. Fragen ob es hier schmerze oder hier, ob ich das fühle oder das, ein Lichtstrahl direkt in meine Augen und dies obwohl ich sie fest zuhielt, weil sich sonst alles ganz furchtbar drehte. Und dann wurde ich ins Krankenhaus eingeliefert, die Sirenen nervten mich, ich bat eine Frau, die neben mir an der Bare sass, die Sirene auszuschalten, ich sei ja schliesslich ganz in Ordnung und kein Fall für den Notarzt, mein Herz das schlüge noch ganz lebendig, ich sei doch nur gefallen, ach das passiere mir so oft, überhaupt wenn ich ein bisschen zu viel getrunken hatte, und sie sagte Jaja, wir schalten die schon aus, und ein paar Minuten später heulte sie schon wieder los.
Ich hatte nur einen leichten Oberarmbruch. Ganz unkompliziert, einfach ab, ein Bruch, der in kürze wieder heil sein würde. Der Arzt war wuetend auf mich und meinte ich haette tot sein sollen bei solch einem Fall, schüttelte dauernd den Kopf und wiederholte immer wieder, dass ich wenigstens einen gebrochenen Rücken haben müsste, bei dem ich für den Rest meines Lebens im Rollstuhl sitzen würde, und ich müsse einen guten Schutzengel, oder gleich eine ganze Armee davon haben.
Diesen Tag gedenke ich nun regelmässig. So auch heute. Diesemal mit Publikum.
8 April Donnerstag/Thursday – Astrid is kommend
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