S hatte einen schwarzen Pony, der immer in ihren Augen hing. Sie war Assistentin in einem alternativen Büro für alternative Projekte und wir sprachen das erste Mal in der Kaffeeküche miteinander. Sie war sehr mager, sie trug immer dicke und weite Wollpullis und hatte ihr Haar immer ein bisschen zu fettig. Doch mochte ich sie, ich fand sie irgendwie sehr schön, auf ihre ganz eigene Art. Sie sprach sehr leise und sehr gewählt, und sie hatte dieses eigenartige Leuchten in ihren Augen. Nicht die Art von Leuchten von schönen und stolzen Frauen, sondern diese Art von Leuchten, wie es verschüchterte Mädchen tragen, wenn sie neugierig unterm Pony hervorschauen. Sie war nicht mein Typ Frau.
Ich machte damals Zeitung in diesem alternativen Büro für alternative Projekte. Ein Wochenblatt für Subversives. Ich war immer montags da. Sie war immer da. Wir verbrachten manchmal Zeit in der Kaffeeküche. Sie erzählte hin und wieder von sich, sie schriebe Gedichte, gebe auch Lesungen in kleinen Kreisen, und wünschte sich, irgendwann ihren ersten Gedichtband herauszugeben. Ich sagte, ich hätte so meine Schwierigkeiten mit Gedichten. Ich möge Gedichte, wenn sie vorgetragen werden, als Lied zum Beispiel, aber das Lesen von Lyrik fände ich verkrampfend, gleich eine ganze Kulisse hochzuziehen, nur für die paar Zeilen, das mache mir keinen Spaß, ich wolle von Lyrik getragen werden, ich hätte bei Gedichten eine Kundenmentalität. Ob sie das verstünde, ja sie verstünde es, es sei aber trotzdem nicht gut.
Ja, das konnte sein. Ich fragte, ob sie mich zu ihrer nächsten Lesung einladen würde, das würde mich nämlich sehr freuen, sie sagte, ja, das würde sie.
Einmal trafen wir uns zufällig im Carafon in der Hamburgerstraat, spät nachts, sie hatte zu viel getrunken, ich auch, wie eben alle Leute, die noch spät nachts im Carafon landen. Wir saßen an der Bar, redeten und ich fragte sie nach Feuer, sie sagte, sie habe ein Feuer für mich, aber damit könne man keine Zigaretten anzünden. Ich wusste, welches Feuer sie meinte, wusste mir aber keine Haltung zu geben, stellte mich also doof und fragte, welches Feuer sie meine. Sie griff sich an die Brust, es käme von da. Ich sagte, ich sei ein Feuerwehrmann, ich würde jede Kerze zum Ersticken bringen. Sie lachte, und sagte, das glaube sie mir nicht, aber ich sagte, dochdoch, und sie sagte, auch sie habe einen Feuerwehrmann. Ich fragte nicht nach.
Später schlug ich ihr vor, sie nach hause zu fahren, auf dem Fahrrad, sie sagte, ich sei betrunken, ich sagte, ich sei der beste Fahrradfahrer der Welt, und sie sagte: OK.
Wir mussten quer durch die Utrechter Altstadt, sie wohnte im Norden, hinterm Vogelviertel, etwa fünfzehn Minuten auf dem Fahrrad, zumindest wenn man zu zweit fuhr, alleine ging es natürlich schneller. Wir gelangten zu ihrer Wohnung, sie sprang von Rad, stand noch eine Weile vor mir herum, trat von einem Bein auf das Andere, die Hände in den Hosentaschen. Wir sagten nichts, und das war gut, bald würde es wieder hell werden, irgendwie schienen die Worte sich schon verabschiedet zu haben, als wäre die Hastigkeit, die Geschwindigkeit, aufgelöst in diesen letzten Augenblicken vor dem Morgen.
Ich sagte dann irgendwann, ich würde ja noch etwas trinken bei ihr, in der Wohnung, ich warte nur auf die Einladung, aber sie sagte, nein, das ginge nicht, ihr Freund sei Feuerwehrmann, und schliefe oben in ihrem Bett, ah-ok, sagte ich, das meinte sie mit Feuerwehrmann, es gäbe ihn also tatsächlich, sie sagte, nein, es ist nicht so wie ich denke. Ich sagte, das sei OK, sie bräuchte das gar nicht weiter auszulegen, hey, es war alles gut.
Eine Woche später sahen wir uns wieder im alternativen Büro für alternative Projekte, ich sagte Hallo, sie sagte Hallo, wir lächelten einander zu. Nachher trafen wir uns in der Kaffeeküche, sie trank den Kaffee immer schwarz, das war so lieblos, wie sie den ekligen Filterkaffee aus der Thermoskanne goss und ihn einfach stehend trank. Sie sagte: du trinkst den Kaffee immer mit Milch. Ich sagte: ja. Sie lächelte unter ihrem schwarzen, immer etwas zu fettigen Pony hervor. Sie war eigentlich sehr ungepflegt, ihre Wollpullis hatten oft Flecken, sie hatte immer Ränder unter den Fingernägeln, sie hatte keine gesunde Haut, sie war zu mager, ihre strähnigen Haare, sie hatte sogar etwas Gebrechliches an sich, ihre Haltung war gebückt. Und doch fand ich sie schön.
Sie sagte, sie würde demnächst wieder einmal Gedichte vorlesen, im Bastaard, mit richtigem Publikum, ob ich kommen wolle. Ich sagte, ich käme. Wann? Das wüsste sie noch nicht.
Ich hörte dann auf, bei diesem Wochenblatt für Subversives. Und ich sah auch S nicht mehr. Sie hatte nie nach meiner Adresse gefragt, ich hatte sie nie nach ihrer Adresse gefragt.
Irgendwann trafen wir uns im ACU an der Voorstraat wieder. Eine russische Band spielte. Sie saß am Tresen und rollte Zigaretten für eine Freundin, die neben ihr saß. Sie hatte einen ganzen Haufen gerollt. Die Freundin hörte der Band zu und rauchte. S rollte konzentriert Zigaretten. Ich ging hin zu ihr, sagte: Hallo, brauchst du mein Feuer? Sie sah auf, und sagte: Hallo, freut mich dich zu sehen. Sie lächelte. Ich lächelte. Ich sagte: ich habe dich lang nicht mehr gesehen. Sie sagte: Du kommst auch nicht mehr ins Büro. Ich sagte: stimmt, hast du die Lesung im Bastaard eigentlich noch gehalten? Sie sagte: ja, war sehr schön, schade, dass du nicht gekommen bist. Ich sagte: Du wusstest mir kein Datum zu nennen. Sie sagte: ich weiß. Ich sagte: ich weiß auch.
Die Freundin drehte sich um, S stellte uns vor, ich sagte Hallo, sie sagte Hallo, wir lächelten uns an, sie war sehr schön, eine stolze Frau. Sie nahm eine Zigarette von dem Haufen und sagte zu S: von diesem Kerl hast du mir gar nie erzählt. S sagte: nein, hab ich nicht.
Ich bestellte ein Bier. Und dazu einen Whisky.
S fragte ob ich schlecht drauf sei, ich sagte: neinwarum. S sagte: nunja wegen dem Whisky zum Bier. Und ich sagte, das sei ein Ritus. Ich lächelte nicht, sie lächelte.
Es kamen einige Bekannte vorbei, wie immer im ACU. Ins ACU ging ich manchmal, wenn ich das Gefühl hatte, einsam zu sein. Im ACU kamen immer Bekannte vorbei. Es half vor dem Alleinsein aber nur bedingt. Es führte mir vor Augen, dass ich nur Bekannte hatte, keine Freunde. Das sagte ich zu S und S sagte: oh.
Ich sagte auch: oh. Und dann sagte sie, dass sie mir das nicht glaube, sie kenne Freunde von mir, und ich sagte: stimmt, Du hast recht, so schlimm ist es vielleicht gar nicht.
Ein Bekannter kam vorbei, lehnte sich zu uns an den Tresen und redete mit uns.
Später, als die Band nicht mehr spielte, wurden Platten aufgelegt, ich ging auf die Tanzfläche und tanzte, zu– ich weiß nicht mehr was, R.E.M. spielte man damals oft, ältere Chumbawamba-Sachen, auch Einstürzende Neubauten. S kam auch dazu.
Am Ende der Nacht ging ich zu S, die mit einer Frau redete und sagte, ich ginge, ich sei müde, und sie sagte, komm zu mir, und ich sagte: und dein Freund?, und sie sagte: das weißt du doch, und ich sagte: ich weiß gar nichts, und sie sagte: der war mein Feuerwehrmann, und ich sagte: es war eine Metapher?, und sie sagte: ja. Ob ich also zu ihr kommen wolle, und ich sagte, ich sei sehr betrunken, und ziemlich müde, und sie sagte, das sei ihr egal, ich könne einfach im Sessel sitzen, sie würde gerne meine Gesellschaft haben, während sie noch ein bisschen male, sie habe auch Bier zu hause, wenn ich denn noch eines möge.
Ich sagte: Bier ist OK, vielleicht auch einen Kaffee?
Sie sagte: Ich koche dir auch einen Kaffee.
Ich zweifelte daran, ob es eine gute Idee war, aber wir fuhren durch das Vogelviertel und waren dann bei ihr. Sie hatte ein großes Wohnzimmer, eine in dunklem lila gestrichene Küche, und ein fensterloses Schlafzimmer.
Setze dich in den Sessel, sagte sie. Ich hole dir ein Bier.
Ich setzte mich in den Sessel. Ich behielt meine Jacke an. Ich schaute mich um. Die Wohnung war vollgestellt, mit vielen Dingen. S kam mit einem Bier zurück. Sie reichte es mir. Sie sagte: du brauchst nicht zu reden, du kannst einfach hier sitzen bleiben, ich mag deine Gesellschaft, trinke dein Bier, ich male.
In der Mitte des Wohnzimmers lagen aneinander geklebte Papierbögen. Darauf hatte sie Farbmuster gemalt. Flecken, Kreise, Quadrate, Dreiecke. Hände.
Sie zog ihren Pullover aus und streifte dabei alles mit ab, was mitzustreifen ging. Dann stand sie mit nacktem Oberkörper vor mir und tat, als sei das völlig normal. Dann zog sie ihre Schuhe aus, ihre Hose, und auch ihre Unterhose. Sie sah mich dabei nicht an. Dann kniete sie sich auf den Boden hin und fuhr mit dem Pinsel über das Papier. Sie war sehr mager.
Findest Du mich schön? fragte sie, ohne mich anzusehen und ohne mit dem Malen inne zu halten. Ich sagte: du bist schön. Du bist sehr eigenartig schön. Sollte ich je eine Geschichte über dich schreiben, dann würde ich schreiben: du bist irgendwie sehr schön.
Das gefällt mir, sagte sie, irgendwie sehr schön zu sein, eigenartig schön zu sein.
Und du bist ungepflegt, fügte ich hinzu.
Warum musst du das jetzt sagen? fragte sie.
Weil ich das an dir mag, glaube ich. Sagte ich.
Ich will mit dir schlafen, sagte sie.
Sie ließ den Pinsel fallen, kam zu mir gekrochen, öffnete mir die Hose und nahm meinen Penis in den Mund.
Es kitzelte mich.
Es kitzelt mich, sagte ich.
Komm, folge mir, sagte sie.
Ich stand auf und folgte ihr ins Schlafzimmer. Wir hielten uns dabei die Hand. Dann gab sie mir Kondome.
Vor dem Bett wendete sie sich von mir ab und ging auf dem Bett in die Knie. Sie forderte mich auf, in sie einzudringen. Ich tat das.
Irgendwann fragte sie mich, was ich mit ihr tun wolle, irgendwas schmutziges, ich fragte mich, was ich mit ihr tun wolle, irgendwas schmutziges, aber ich wusste es nicht. Ich durfte nicht zu lange überlegen. Ich wollte entschlossen sein. Ich sagte: ich will dich an den Haaren ziehen. Sie sagte: dann zieh mich an den Haaren. Dann zog ich sie an den Haaren.
Und sie schrie.
Und ich erschrak.
Ich fragte sie, ob ich ihr weh getan hätte, es täte mir leid, sie sagte, ja, aber das sei schon OK, ob ich das nicht möge mit dem Haareziehen, und ich sagte: dochdoch, aber nicht wenn es dir weh tut, und sie sagte: aber ist das nicht der Sinn davon? Und ich sagte, das wisse ich nicht so genau.
Später wachte ich auf. Sie lag mit ihrem Kopf auf meinem Bauch. Aus dem Flur kam ein wenig Licht herein. Ich legte ihren Kopf sachte beiseite und zog mich an. Und stahl mich davon.
Wir sahen uns dann nicht mehr wieder.
Fünf Jahre später, in einer Stimmung, der Vergangenheit Bedeutung beizumessen, machte ich ihre Emailadresse ausfindig und schrieb ihr eine Mail. Ich entschuldigte mich dafür, einfach gegangen zu sein und mich nicht mehr gemeldet zu haben.
Sie antwortete gleich, war sehr erfreut über mein Lebenszeichen, und sie sagte: das mit dem Gehen sei OK.