[Freitag, 11.11.2022 – Aperitiv, kein Telefon, Demo, Martinigans]

Am Abend, als meine Frau nach Hause kam, gingen wir wiedermal auf einen Aperitiv zu diesem italienischen Backladen in der Proskauer. Vor ein paar Wochen dachte ich, das sei der letzte Abend mit Aperitiv draussen auf der Strasse, aber das ist Quatsch, wenn es kühl ist, sitzt man draussen genau so gut. Heute servierten sie zudem Glühwein und Pasta Fagioli. Pasta Fagioli das ist Kindheit für mich. Wären wir nachher nicht zum Martinigans-Essen verabredet gewesen, hätte ich mir gerne eine Pasta ai Fagioli bestellt.

Es kam auch ein Menschenauflauf die Strasse hoch. Der Menschenzug wurde von einem Polizeiwagen angeführt. „Demo“ dachten wir natürlich, in der Gegend der Proskauer gibt es ja ständig Demos, wegen der Rigaer oder Mieten oder neuerdings sind es die Leute der „letzten Generation“, die sich die Hände an der Strasse festkleben. Heute Vormittag gab es auch wieder 30 Leute, die sich am Frankfurter Tor ans Asphalt klebten.

Heute abend aber waren es lauter Kinder mit Laternen. Ahja, wir essen ja Martinigans, also muss heute Martinstag sein. Auf den Zusammenhang hätte ich auch ohne Laternen kommen können.

Ich hatte mein Telefon zuhause vergessen, ich fühlte mich ohne Telefon total nackig, ich kannte keine Uhrzeit, konnte nicht malebenschnell etwas fotografieren oder checken welche Mannschaften heute spielen, oder im Martinigans-chat schreiben, dass wir einen Aperitiv trinken. Ich bat meine Frau während des Aperitivs mit mir zu reden und nicht ihr Telefon zu benutzen. Das funktionierte nur so mittel. Dafür übernahm sie aber Aufgaben von mir, indem sie für mich in den Martinigans-chat schrieb und Sachen auf Google nachschlug. Auch machte sie Fotos von mir und dem Tier.

Eigentlich habe ich ja wieder mit der Abnahme von Gewicht begonnen. Die zwanzig Kilo, die ich letztes Jahr verlor, trage ich alle wieder auf meinen Hüften. Das ist furchtbar deprimierend. Ich denke zu wissen, warum ich wieder zugenommen habe, also zumindest was der Trigger war, der die lange Verfressenheitsphase wieder einleitete, aber das beobachte ich das nächste mal, falls ich es wieder schaffe, so viel Gewicht zu verlieren.

Heute also Martinigans. Fetter Vogel mit fetter Sauce. Es ist bereits eine Tradition, dass wir am Martingstag mit den Sven und Frau, sowie Frau Modeste mit Mann und Sohn, ins Alt-Wien gehen und Martinsgans essen. Früher war auch immer Frau Wortschnittchen dabei, bis sie nach Chile verzog.

Eine Sache fürs Protokoll, damit ich es nächstes Jahr nachschlagen und die richtige Entscheidung treffen kann:

  • Jedes Jahr, wenn du Gans bestellst, beneidest du diejenigen, die keine Gans bestellen, weil die Teller der anderen immer wesentlich schmackhafter aussehen
  • Dieses Jahr bestelltest du etwas anderes und du beneidetest trotzdem die Teller der Gansesserinnen, weil jene Teller schmackhafter aussahen
  • Du bestelltest den Hirschbraten mit Knödel. Mach das nächstes Jahr nicht mehr. Schmeckt dir nicht.
  • Lass dich nicht vom Schnitzel verführen, es wird auf dem Teller nicht schmackhafter aussehen als Gans oder Hirschbraten. Ausserdem isst du ja sonst immer das Schnitzel, wenn du im Alt-Wien bist.
  • Nimm was anderes

[Läufig. Tag 9]

Zu Tag 9 gibt es vor allem zu dokumentieren, dass ihr Blut nun etwas wässerlicher ist. Das ist eigentlich ein Zeichen für die zweite und kritische Phase der Läufigkeit, also die Standhitze. In ihrem Verhalten, oder dem Verhalten der Rüden zu ihr, hat sich bisher aber nichts verändert. Wir begegneten einen unkastrierten Rüden namens Nox, Interesse war da, aber nicht anders als schlichtes Interesse an anderen Hunden. Nun kenne ich sowohl Frauchen und Herrchen von Nox und sie haben ihn sofort ferngehalten, als ich sagte, dass sie läufig sei.
Das klingt jetzt, als würde ich die ganzen Zeit herumlaufen und schreien, dass meine Hündin läufig ist. Das musste ich erst zwei Mal zu Fremden sagen.

[Samstag, 12.11.2022 – Strafzettel, Stadion]

Heute lag ein Brief aus den Niederlanden in meinem analogen Postfach. Absender: Centraal Justitieel Incassobureau. Kein guter Absender. Offenbar war ich vor zwei Wochen auf dem Amsterdamer Ring 5Km/h zu schnell unterwegs und muss jetzt 31 Euro bezahlen.

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Um 13Uhr fuhr ich zum Stadion. Am Alex war ich mit Tanja und ihrem Sohn verabredet, am Rondell vorm Stadiongelände trafen wir alle anderen. Benny hatte heute Bannerdienst und war deshalb bereits um 1330 ins Stadion hinein bzw auf das Stadiongelände und wenn man einmal auf dem Stadiongelände ist, dann kann man nicht mehr heraus und dann nochmal hinein.
Draussen an den Buden vor dem Gelände ist das Bier billiger, als auf dem Gelände selbst, deswegen trifft man sich vor dem Spiel an den Buden und aus diesem Grund ist der Bannerdienst nicht besonders beliebt. Bisher hing immer die stellvertretende Vorsitzende des Fanclubs die Banner, sie möchte aber auch manchmal mit allen anderen am Rondell stehen und günstigeres Bier trinken, also soll der Dienst jetzt an jedem Spieltag rotiert werden. Bannerdienst heisst Banner aufhängen. Unser Fanclub hängt das Fanclubbanner und das Banner der Initiative Blauweisses Stadion.

Heute standen nicht viele meiner engeren Fanclubfreunde am Rondell, also gingen wir bald hinein. Dennoch traf ich auf den Weg einen Freund aus Brandenburg, der mit seinem Sohn im Stadion war. Er selber ist Dortmund-Fan, sein Sohn ist Bayern-Fan. Aber der Sohn will oft mit seinen Papa ins Stadion, der wird bald Hertha-Fan, das sehe ich schon kommen.

Auf dem Gelände trödelte ich, zuerst traf ich einige Freunde und Bekannte beim Bus der Fanbetreuung, dann wollte noch ein Bier holen, stand aber lange in der falschen Schlange, so betrat ich erst um zehn nach drei die Kurve. In dem Bereich, in dem „wir“ uns immer aufhalten war es schon ein ziemlich voll, aber ich konnte mich noch dazwischenquetschen.

Heute hingen kleine „Boycott Qatar“ Banner über den Sesseln. Die würden wir während des Einlaufens und dem Singen der Hymne in die Luft halten.

Das Spiel gewannen wir dann mit einem ziemlich guten und spannenden 2:0. Das zweite Tor konnte ich nicht sehen, es wurde kurz nach Wiederanpfiff geschossen. Ich hatte mich mit einem ex-Kollegen getroffen, wir wollten uns Bier holen. Die Schlange war aber wieder so lang, dass wir den Wiederanpfiff verpassten. Wie so oft. Aber wenn man das Stadion akustisch explodieren hört, das ist schon beeindruckend.

Nach dem Spiel kam die Mannschaft wieder in die Kurve und liess sich feiern. Wie in jedem Spiel dieser Saison. Jetzt feiert man sogar bei Niederlagen gemeinsam. Die Stimmung ist wie ausgewechselt. Vor einem halben Jahr war das noch ganz anders.

Der Heimweg war wieder furchtbar. Ich wollte früher nach Hause. Zuerst fuhr die Bahn nicht los, danach zog jemand auf offener Strecke die Notbremse. Meine Bahn fuhr nur bis Charlottenburg, ich hätte umsteigen müssen, aber ich konnte nicht mehr stehen, ich war seit 13 Uhr auf den Beinen, also ging ich raus auf die Strasse und nahm ein Taxi. Im Taxi telefonierte ich mit einem ehemaligen Mitarbeiter. Er hatte mich um ein Gespräch gebeten. Er fühlt sich auf seiner Arbeit von den neuen Chefs degradiert und gemobbt und kann seit zwei Wochen deswegen kaum noch schlafen. Ich lasse mir alles erklären. Ich kenne seine neuen Chefs. Was er mir erzählt, wundert mich nicht. Ich rate ihm dazu, das Gespräch mit einer ganz bestimmten Person in der Firma zu suchen, auch besprechen wir ein paar Exit-Strategien. Nach einer halben Stunde sagt er, das Gespräch hätte ihm sehr gut getan und er sähe jetzt wieder etwas vom Horizont. Mich freut das. Ich mag ihn sehr.

Gegen acht war ich dann zuhause. Ungewöhnlich müde diesmal.

[Läufig. Tag 10.]

Ich dachte ab Tag10 würde es anstrengender werden, aber davon scheinen wir noch etwas entfernt zu sein. Morgens trafen wir die Nachbarin mit Malin. Malin ist ein riesiger Rüde. Er ist aber schon 13 Jahre alt und nicht mehr so fit, er läuft nicht mehr gut und wird wohl nicht mehr lange mitmachen. Meine Hündin vergötterte diesen grossen, haarigen Riesen aber schon lange. Malin wurde vor etwa zwei Jahren kastriert, es sollte daher kein Problem sein, die beiden zusammenzubringen.

Meine Hündin hielt dem Rüden sofort ihr Hinterteil hin und der Rüde versenkte seine Schnauze darin. Sein Frauchen machte sich über ihren Hund lustig und dolmetschte seine Gedanken. Seine Gedanken kreisten um seine nicht vorhandenen Gefühle. Das riecht ja so bekannt, kenne ich mein ganzes Leben schon, eigentlich müsste ich jetzt anspringen, aber warum bewegt sich nichts in mir?
Ich fand das ungemein lustig.

Malins Frauchen und ich quatschen öfter lange. Manchmal machen wir gemeinsam eine Runde. Sie liebt die Niederlande und Heavy Metal. Und sie hasst Radfahrer. Über Radfahrer sind wir geteilter Meinung. Sie schlug vor, wieder eine gemeinsame Runde zu machen, ich war mir wegen der Läufigkeit meiner Hündin nicht so sicher, sie meinte aber, das würde prima gehen. Es war allerdings etwas umständlich, weil der Rüden ständig von meiner Hündin abgelenkt war. Ich machte sie also vor uns laufen, damit auch der Rüden hinterhertrabte.

[Sonntag, 13.11.2022 – Burrito, Frauenfussballmannschaft]

Es war ein fauler Sonntag. Eigentlich hatten wir viel vor, aber wir blieben etwas tatenlos. Ausserdem hatte ich eine furchtbar schlechte Laune und war sehr müde. Ich vertrage den Alkohol offenbar nicht mehr so gut. Dann schauten wir einen schlechten Horrorfilm und danach war ich hungrig, ich war eigentlich den ganzen Tag über hungrrrrig, was meiner schlechten Laune sicherlich nicht sehr zuträglich war, deswegen bestellten wir mexikanisch bei Machete in der Neuen Bahnhofsstrasse. Danach war meine Laune etwas besser.

Heute war auch Mitgliederversammlung bei Hertha BSC. Da ich eigentlich andere Pläne hatte, und es keine besonders kritische Wahl gab, nahm ich nicht daran teil. Dafür wurde (wie ich allerdings ohnehin erwartet hatte), der Antrag meines Fanclubs zur Gründung eines Frauenfussballteams, mit überwältigender Mehrheit angenommen.

[Montag, 14.11.2022 – Text für Magazin]

Am Abend setzte ich mich an einen Text für die südtiroler Zeitung „Kulturelemente“. Ich wurde von einem befreundeten Redakteur gefragt, einen Text über den Anarchismus in Bozen und Meran der ersten Hälfte der Neunzigerjahre zu schreiben. Damals waren wir eine grössere Gruppe von Leuten, die sich die Haare färbten, Alkohol tranken und behaupteten, Anarchisten zu sein. Waren wir natürlich nicht wirklich. Aber wir erregten einige Aufmerksamkeit in den Medien. Anarchismus fühlte sich wie Freiheit an und die Befreiung vom Mief, die Befreiung von den Katholiken, von den Fascisti, von den Schützenfesten, von dieser unsäglichen konservativen Bergwelt. Anarchie war das Mindeste an Freiheit, das wir im Südtirol der Neunzigerjahre haben wollten.

Darüber schreibe ich. 6000 Zeichen nur. Bis Mittwoch habe ich noch.

[Läufig. Tag 12]

Sie wirkt nach wie vor sehr normal. Draussen und drinnen. Sie pinkelt zwar immer zwei mal beim Spazieren, was vermutlich Markierungen sind, aber psychologisch ist alles wie immer.

Heute trafen wir einen unangeleinten Rüden. Es war ein grosser Pudel oder ein grosser Doodle. Weil ich Hundepenisse mittlerweile ja schon von Weitem erkenne, sagte ich der Halterin, dass meine Hündin läufig sei. Daraufhin befahl sie ihrem Hund zu sitzen. Wir liefen an dem Rüden vorbei und er blieb tatsächlich sitzen. Ich dachte Rüden hätten sich in solchen Momenten nicht unter Kontrolle. Offenbar täuschte ich mich. Oder meine Hündin riecht noch nicht spannend genug. Aber wir sind schon bei Tag 12 angelangt, eigentlich müsste sie nach Magic riechen.

[Dienstag, 15.11.2022 – Telefonterror, grosses Küchenfenster]

Heute Nacht wachte ich um 3:19 auf, schaute auf mein Telefon, wie spät es war und sah 97 Anrufe in Abwesenheit. Da ich momentan so sehr auf Störungen auf der Arbeit gepolt bin, stand ich auf und nahm den Anruf an. Ich hörte aber nur ein Rauschen. Dann legte ich auf und es klingelte wieder. Und wieder. Und wieder. Ich versuchte wieder abzunehmen, aber es war wieder nur ein Rauschen zu hören. Die Anrufe kamen weiter rein, durchgehend und ohne Unterbrecheung. Wenn ich auflegte, kam sofort der nächste Anruf. Also blockte ich die Nummer. Es war eine berliner Festnetznummer. Dann googelte ich die Nummer und gelangte auf die Webseite von Machete Burrito, der mexikanische Laden, bei dem ich letzten Sonntag Burritos bestellt hatte. Wahrscheinlich war deren Telefonanlage durchgedreht. Etwas anderes konnte ich mir nur schwer vorstellen.
Ich legte mich wieder ins Bett, aber an schlafen war jetzt nicht mehr zu denken. Mein Hirn war in Betrieb geraten. STÖRUNG, ARBEIT. Gegen halb fünf gab ich das Schlafen auf und stand einfach auf um mir einen Kaffee zu kochen. Der Hündin gefällt es immer, wenn ich früh aufstehe, sie ist eine Frühaufsteherin. Inzwischen hatten sich etwa 1700 Anrufe vom Burritoladen angesammelt. Glücklicherweise kamen sie nicht mehr durch. Ich ging auf deren Seite und schrieb ihnen eine Mail: Ey Leute, eure Telefonanlage hat mich heute fast zweitausendmal angerufen. Ich kann nicht mehr schlafen. Fixt das.

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Diese Frau, die mich auf der Strasse neuerdings so freundlich grüsst. Ich habe sie vorher nie gesehen. Jetzt drei Tage hintereinander. Es fällt mir auf, weil sie so, öhm, auffällig grüsst. Sie geht ins Nachbarhaus hinein. Ich ahne schlimmes. Unser Haus teilt sich mit dem Nachbarhaus nämlich den Innenhof und wir haben am grossen Küchenfenster keine Gardinen. Vermutlich kennt sich mich aus dem Innenhof. Wenn ich mit meinem haarigen Bauch in Unterhose am Herd stehe und aus der Pfanne nasche. Jetzt wo es früh dunkel ist und innen die Lichter brennen und man alles sieht. Ich fühle mich immer unbeobachtet, aber natürlich kann mir dabei das ganze Nachbarhaus zuschauen.

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Am Nachmittag treten wieder technische Probleme auf. Wir haben eine Strategie entwickelt, eine kürzerfristige und eine langfristige. Aber es dauert. Es ist sehr frustrierend, es raubt mir die Energie. Ausserdem wollte ich noch den Text für das Kulturmagazin schreiben, aber heute wurde daraus nichts.

[Läufig. Tag 13.]

Es ist Tag 13. Eigentlich müsste das die Hochphase der Stehtage sein. Ich stellte mir das so vor, dass erregte Rüden aus allen Winkeln herangekrochen kommen und ich mit einem Baseballschläger die Angriffe abwehren muss. Was bisher passiert: GAR NICHTS.

Würde sie nicht seit 13 Tagen bluten, würde ich sagen, sie leide etwas an Herbstmüdigkeit. Seit einigen Tagen rammelt sich ständig ihr Kissen. Sie rammelte zwar immer schon gerne, vor allem unsere Beine, aber auch Kissen. Seit ein paar Tagen hat sich dieses Verhalten auffällig gehäuft. Das kann aber auch an der Unterforderung liegen. Sie hat ja seit zwei Wochen praktisch keinen Auslauf mehr.