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Über diese Vernetzung und Omnipräsenz der webzweinull-Communities bin ich wieder mit ganz alten Freunden und Bekannten aus meiner Kindheit in Kontakt gekommen. Ich habe es in den Anfangszeiten dieses Blogs einmal erwähnt, dass ich in einem kleinen Dolomitendorf aufgewachsen bin, in dem man Rätoromanisch spricht. Das ist ein übriggebliebener lateinischer Dialekt, den man damals, zur Römerzeit, und auch später noch, im gesamten Alpenraum sprach, bis das Latein aus politischen Gründen ausstarb und durch Französisch, Deutsch, Italienisch und Slawisch ersetzt wurde. Bis auf die paar gallischen Dörfer. Die paar Täler in den Dolomiten und der Schweiz, die geographisch dermaßen isoliert waren, dass sich die Sprache über die Jahrhunderte hinweg konserviert hat. Das Rätoromanische in den Dolomiten nennt sich Ladin. Ich bin ladinisch aufgewachsen, das heisst, dreisprachig natürlich, weil die amtliche Sprache italienisch ist, meine Eltern Südtirolerisch sprechen, aber mein sonstiges gesamtes sozialen Umfeld eben ladinisch sprach. Ladinisch war meine Alltagssprache. Ich dachte auf Ladinisch, ich träumte auf Ladinisch, und um es vollends zu verkitschen: ich schrieb sogar meinen ersten Liebesbrief auf Ladinisch.
Als ich vierzehn war, zog meine Familie weg, in Richtung Bozen, berufliche Gründe meines Vaters; ich stand mitten in der Pubertät, ich hasste es, meine ganze Welt wurde mir genommen, und seitdem hatte ich, bis auf wenige Ausnahmen, kaum mehr ein ladinisches Wort gesprochen.

Bis jetzt eben die webzweinull-Communities kamen. Und ich der Gruppe „Ladins“ beitrat. Neulich schrieb mich eine junge Frau an: Hey, auch ich bin Ladinerin und wohne in Berlin. Lust auf einen Drink?
Ich hatte Lust auf einen Drink.
Vorgestern trafen wir uns also in der Weinerei in der Griebenowstraße, nahmen einen Drink, und ich stockte und hakte. Es war sehr fremd und ungewohnt, und schwierig vor allem, nach mehr als zwanzig Jahren Ladinisch zu reden, Konversation in einer Sprache, die einmal meine Alltagssprache gewesen ist. Die einfachsten Wörter fielen mir nicht ein, dauernd bat ich mitten im Satz, auf Deutsch, nach Hilfe: »Woche?« »Edema« »Naturalmënt, Edema! […]« und sofort tauten die einzelnen, erfragten Wörter aus den hintersten tiefgekühlten Weiten meines Gedächtnissen wieder auf, die so gut konserviert gewesen sind, dass regelrecht die Gerüche zu den Wörtern mit auftauten, sie sagte in einem Satz »Lüsa« und eine Erinnerung fing an aufzutauen, ich fragte »Lüsa?«, ich wiederholte: »Lüsa? Schlitten?«, sie nickte und ich sah mich als kleinen Jungen den Schlitten über die kleine Holzbrücke des Baches ziehen, während mir der Duft der Fichten auf der anderen Seite des Baches entgegenwehte. Blöder Psychoscheiß, das, aber schon Okee.

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Die Idee ist natürlich uralt, die Umsetzung eigentlich auch, aber dennoch, es geht sicherlich noch besser, deshalb: ein paar gewöhnliche Leser schreiben ganz gewöhnlich, höchst subjektiv über Bücher die sie so gelesen haben. Wir präsentieren proudly: The common reader.

[tagebuchbloggend. die letzten Tage]

Was ist jetzt eigentlich alles passiert? Ich weiss es auch nicht mehr genau. In der Nacht zum neunungzwanzigsten hatte ich mich mit einer Falsche Wein am Rechner amüsiert und ein paar Seiten Text geschrieben die jetzt ein bisschen lala sind, komische Euphorie manchmal. Der nächste Tag war ein Handwerkstag, ich habe den großen Spiegel im Flur und eine Ablage für die Kräuter in der Küche montiert. Danach haben K und ich das Bett im Schlafzimmer umgestellt und das Zimmer war dann plötzlich doppelt so groß geworden. Was ziemlich gut war.
Am Abend dann zu Modeste auf ihre jährliche Feuerzangenbowlenparty gegangen. Und dann ziemlich spät und ziemlich trunken und seelig über einen weiten Umweg nachhause spaziert.

Am nächsten Tag mit meiner Schwester und ihrem Besuch aus den Niederlanden ins jüdische Museum gegangen. Wieder ein bisschen neerlands gesprochen, nach wenigen Minuten ächzendem Knarzen, ging das wieder wie geölt, einer verrosteten Maschine gleich, ich meine: man kann die Sprachmaschine direkt hören, wie sie sich hochfährt und die Gelenke entrostet, oder eben ölt. Selftest-selftest.
Danach waren K und ich mit F und R beim Buchstabenballet– nein Scherz, wir waren bei „The Bird“, dem berühmten Burgerrestaurant am Falkplatz, verabredet. Da haben wir Burger mit Pommes gegessen und Bier getrunken und versucht uns zu unterhalten, über AC/DC hinweg, die über uns aus den Lautsprecherboxen schepperten. Draußen schneite es. wie aus Schneemaschinen. Nachher haben wir die beiden, die ja noch bis nach Charlottenburg fahren mussten, fast zur Ringbahn begleitet und sind vorher noch in der Kopenhagenerstrasse, auf einen Absacker in eine Bar gegangen. Wir haben dort komische Sachen getrunken wie: Ricard, Sex On The Beach, Jack Daniels und Absinth.
Auf dem Heimweg sind K und ich lange durch den verlassenen, nächtlichen Gleimkiez, über den Mauerpark und Bernauer Straße, nachhause spaziert. Der Schnee kam von oben und alles war ausgeglichen und eine Art Seelenfrieden hing über der ganzen Stadt und uns beiden und dem ganzen Rest.

Silvester. Um Punkt zwölf Uhr mittags fiel mir die Deadline zu jenem Literaturpreis, für den ich etwas einsenden wollte, ein. K bearbeitete mir noch schnell den Text und dann sind wir zur Friedrichsstrasse spaziert, damit der Brief noch den Poststempel für 2009 bekommt. Und dann war es 15Uhr, uns fiel gleichzeitig der Appetit ein, also sind wir in das „12 Apostel“ in den S-Bahnbögen, Pizza essen gegangen. K aß eine Lukas und ich eine Thaddeus. Ich wollte erst eine Judas essen, aber die hatte Anchovis und das mag ich nicht immer, jedenfalls nicht um 15Uhr, was aber egal war, weil mir Judas ziemlich wurscht ist und ich jetzt weiß, dass es einen Apostel namens Thaddeus gibt.
Um 17Uhr waren wir wieder zuhause. Dort habe ich über jenen Literaturpreis nachgelesen, und gesehen, dass auch Maxim Biller ihn schon gewonnen hat, und jetzt weiss ich auch, wieviel ich von dem Preis gewinnen werde. Hätte ich vorher lesen sollen.

Silvester. Wir wollten in Rewe|Netto|Kaisers|Plus im Bahnhof Friedrichsstraße einkaufen, alles andere hatten ja schon (wieder) geschlossen. Wir sahen dann aber die Schlange vor dem Supermarkt, uns wurde anders zumute, und so kauften wir beim Spätkauf eine Packung Nudeln und kochten am Abend eine Pasta mit Tomatensauce.

Silvester. Wir hatten zwei lose Einladungen für den Abend abgesagt. Silvester immer wieder. Ich bin damit überfordert. Der Zwang. Er verdirbt mir auf eigenartige Weise die Laune, überall diese hibbeligen Menschen, meist in Partyhopping-Laune, man kann nichtmal ganz normal Freunde einladen, weil die dann sowieso nur hibbelig herumsitzen und warten bis alles losgeht und meistens warten sie hibbelend die Zeit ab bis sie noch bei einer anderen Party vorbeischauen. Mehrmehrmehr.

Silvester. Wir aßen also zu zweit Pasta mit Tomatensauce und schauten The fifth Element. Als das fertig war, schauten wir auf RBB „die 50 besten Partyhits“ und zappten ab und zu zum ARD und dem ZDF um die feiernden Menschen am Brandenburger Tor zu sehen und froh zu sein, nicht da zu sein.
Um zwölf Uhr dann Gonggong, Küsse und wir tranken statt des ekligen lieblichen Sekts, den ich fälschlicherweise gekauft hatte, ein großes Glas 18 jährigen Auchentoshan, schließlich zogen wir uns warm an und gingen hinunter auf die Brunnenstraße und schauten den Raketen und Feuerwerken nach. Der Nachbar von ganz oben stand draußen, mit Freunden und seiner Tochter auf den Schultern und zündete Knallfrösche. Er gab K und mir zwei Solidaritätsknallfrösche.
Drei Häuser weiter fiel beim Abfackeln eine Rakete um, sie ging los, knallte gegen eine gegenüberliegende Hausfassade und explodierte dort am Fenster. Zwei Jungens die aus dem Wedding herübergekommen waren, hatten eine Pistole und schüchterten Menschentrauben ein, die mit Wunderkerzen beieinanderstanden, indem sie auf sie schossen, Platzpatronen nur, aber sie machte helle Funken.

Silvester. Wir gingen wieder hoch ins Haus und schauten die Fortsetzung von „die 50 besten Partyhits“. DJ Ötzi war auch dabei.

[tagebuchbloggen 26.11.]

Wir machen ja oft Spaziergänge Unter den Linden.

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Am Abend endlich wieder an diesem langen Text gearbeitet, ich habe ihn seit etwa drei Monaten nicht mehr angefasst und überhaupt war ja diese freie Weihnachtswoche dafür da, aufzustehen und ein bisschen dazwischen zu hängen, zwischen den Tagen, zwischen den unterschiedlichen Wahrnehmungen, zwischen den Zeiten auch, wenn man so will, aufstehen und mich an den Text zu setzen, in dieser undefinierte Leere, nicht nur des entvölkerten Berlins, weil Berlin ja gar nicht so entvölkert ist, wie ich immer glaubte, es spielt sich nur alles in den Häusern ab, das Introvertierte an der Weihnacht, daran musste ich an diesem Heiligabend denken, als wir im Treppenhaus einer chinesischen Familie begegnet sind, sie waren auf dem Weg nach oben in die Ferienwohnung, das vermultich einzig gute daran, eine Ferienwohnung im Haus zu haben, dass man chinesische Familien im Treppenhaus trifft und sich wundert; es waren offensichtlich Touristen, zu Besuch im weihnachtlichen Europa, die Geburtsstätte dieses eigenartig bilderstarken Volksfestes, einer Ästhetik die wirklich so etwas wie Sehnsüchte zu erwecken vermag, ich meine, die Weihnacht strotzt ja nur so von Sehnsuchtsbildern, wenn auch nicht meine: der Schnee, die Glocken, die sanften Lichter, der nächtliche Himmel, die roten Wangen, die roten Gewänder, die roten Tischdecken, die bunten Geschenke, der Schnee, der Schnee, der Schnee, das sind ja die Bilder die hinaus in die Welt gebracht werden, und dann frage ich mich wie man als chinesische Familie die Weihnacht in Europa überhaupt erlebt, erleben kann, ich meine: wir Europäer gehen nach Japan um die Sache mit den Kirschblüten zu feiern und alles ist irgendwie Kirschblüte, dann gehen wir nach Rio um den Fasching zu feiern und alles ist irgendwie Fasching, aber dann kommt eine chinesische Familie nach Europa um Weihnachten zu feiern und findet am Tag an dem alles geschehen soll, an dem Abend an dem diese ganze aufgestaute Adventsspannung, alle Weihnachtsmärkte, alle Glühweinstände, alle Kerzen, alle rotweiß kostumierten Bartträger, und alles, alles irgendwie in tausende Lichter zerplatzen müsste, an diesem Abend findet die chinesische Familie eine tote Stadt vor.
Dieses Introvertierte der Weihnacht. Ich finde das ja ganz gut, eigentlich.

[tagebuchbloggen: 25.12.]

Inzwischen ja total befriedet mit der Weihnacht.
Am Vierungdzwanzigsten lange mit K im Bett geblieben, und dann mit dem Frühstück wieder zurück zwischen die Laken. Und danach wollte ich Bescherung, ich sagte, ich sei jetzt alt genug um wieder Spaß daran zu haben, ich wollte ein Ritual, ich meine, wenn wir am Abend schon so etwas wie ein Weihnachtsessen machen, dann wäre dieser ganze Weihnachtskram ja ohnehin schon initialisiert, und Geschenke hatte auch jeder schon gekauft, dann kann auch alles gleich Weihnacht sein. Wir zogen etwas vernünftiges an, um nicht in Unterkleidung Geschenke zu vergeben: ich sagte: hier: das und das und das, und ich bekam: das und das und das. Und danach haben wir eine zeitlang über die Geschenke geredet.
Nachher sind wir zusammen zu Kaisers geschlendert um die letzten Zutaten für den Abend zu kaufen, aber es war schon lange nach zwei Uhr, also alles schon zu und dunkel, deswegen mussten wir bei den Spätkaufs die Sachen ein bisschen zusammengekaufen.
Um fünf Uhr kam meine Schwester. Wir öffneten eine Flasche gekühlten Sekt und fingen mit dem Kochen an. Terlaner Weißweinsuppe und Südtiroler Semmelknödel mit einer schweren Sauce auf Salat. Auch meine Schwester hatte Geschenke für uns, und wir hatten auch ein Geschenk für sie, und danach haben wir Whiskys gekostet, ein paar der Flaschen auf den Tisch gestellt und uns durch die Whiskyregionen getrunken, ein bisschen vorsichtig aber, mehr gekostet als getrunken, und danach wieder zurück zum Wein und zum Bier und geredet, und weitergeredet, bis es schließlich drei Uhr war; waren wir nicht schon im Sofa versunken?

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Heute am Fünfundzwanzigsten, wieder lange im Bett geblieben, aber das Frühstück am Tisch gegessen, danach geduscht, und plötzlich war es schon wieder Abend, und überhaupt, diese ganzen Und-Sätze, ich könnte nur noch Und-Sätze schreiben, Aneinanderreihungen von Ereignissen, die, was auch immer passiert ist, wie langweilig auch immer, zu einer Perlenschnur werden, mit den UNDen als GLieder, so musikmäßig tamtam UND tamtam UND tamtam UND, und K hat Köttbullar gemacht, mit Kartoffelpüre, glasigen Zwiebeln, einer braunen Sauce und Preiselbeermarmelade, und ich war total hinundweg deswegen, habe dreimal nachgeschöpft und dachte mir: K, können wir das nicht immer machen?, so in den Tag hineinschlafen, essen und tamtamtam UND tamtamtam,

[tagebuchbloggen 21.12.]

Die längste Nacht im Jahr. Und so spät.

K war nicht zuhause. Meine Schwester und ich hatten uns verabredet Von Triers Dancer in the dark zu schauen. Wir wollten uns vorher noch Ks Eintopf von gestern aufwärmen, das hat dann aber ewig gedauert, inzwischen war auch K wieder zuhause und dann hieß es Dancerinthedark dauere fast drei Stunden und da ich weiß, wie von Trier mich immer bis tief in die Träume beschäftigt hält, entschied ich mich dagegen, und dann haben wir ungefähr eine Stunde lang durch unsere DVD-Mappe geblättert und uns für Jim Jarmusch entschieden, einer seiner ersten langen Filme, Stranger than paradise, der machte das damals schon, dieses lange Draufhalten der Kamera, dieses Einfangen der Szenen, die Andere streichen würden, und dann alles noch ein wenig unverfeinert, oder unverfälscht wenn man so mag, rohe Melancholie vielleicht.

[tagebuchbloggen 20.12.]

Freitagabend war übrigens der erste Tag an dem K und ich wieder einmal Zeit hatten, also Zeit für einander. Darüber waren wir dermaßen aufgeregt, dass wir uns eine Riesenpasta gemacht haben und uns einen Film gegeben, einen Krimi auf Arte, und daraufhin sind wir so müde geworden, dass wir ins Bett gegangen sind. Das mit Stephen King ist ja nicht mehr so am Laufen, nach dem dritten Kapitel wurde irgendwie alles egal. Deshalb sind wir jetzt auf Maxim Biller umgestiegen. Kurze Geschichten, manchmal lese ich sie alleine, manchmal lese ich sie vor, das ist das Praktische an kurzen Geschichten, das Kurze, es nimmt keine Epochen des eigenen Lebens ein, sondern einige Minuten, manchmal wenige Stunden, man muss also nicht das ganze Leben danach einrichten, ausrichten, das sind kurze Momente der Kunst, die man aufnimmt und in Rauch aufgehen lässt, Sex. Andererseits bleibt meist wenig davon hängen, bei den Romanen hingegen beginnt man schon regelrecht Beziehungen und Freundschaften mit den Charakteren aufzubauen, als Romanleser ist man Teil einer Parallelgesellschaft, während Kurzgeschichtenleser Buschauffeure sind.
Wir lagen jedenfalls im Bett und ich las Maxim Biller vor, und K fragte mich, ob ich eigentlich Fischstäbchen mochte und ich sagte, ich würde Fischstäbchen sehr gerne mögen, und sie sagte, sie auch, das sei eine gemeinsame geheime Leidenschaft und ich sagte, ich hätte Fischstäbchen manchmal pur und aus der Pfanne und ohne gar nichts gegessen, und sie sagte, wir sollten zwischen den Tagen mal Fischstäbchen machen und ich sagte ja. Mit diesem wohligen Gedanken schliefen wir kurz danach ein.

Am Samstagnachmittag mit meiner Schwester, ein wenig zu leicht bekleidet, hinaus in die Kälte gegangen, Schuhe für sie zu kaufen, ich als modischer Berater, wir liefen lange und viel, als ich dann nachhause kam, fühlte ich mich irgendwie konserviert, die Haut war eigenartig flaumig und rot, die Nieren schienen zu Rosinen geschrumpft zu sein. Für den Abend waren K und ich beim Nachbarn zu seiner Party eingeladen. Ich entschied mich dagegen. K kochte eine wunderbare Pasta mit Thunfisch, Sellerie, Tomaten und Sahne. Und Knoblauch.

Zudem ärgere ich mich wieder über all die Menschen mit den albernen Mützen.

[tagebuchbloggen: 17.12.]

Zu Anja Plaschg alias Soap&Skin ins Berghain gegangen, und diesem eigenartigen Mythos erlegen, den das Berghain in diesen Tagen so ausstrahlt, mit den mythisierenden Bildern die die Zeitung darüber so schaffen, wirkte es wie eine Erscheinung, dieses etwas verfallen wirkenden neoklassizistischen Heizkraftwerks in der Nacht, inmitten der Brachen am Ostbahnhof; das hat schon was. Das ist ein bisschen wie in einem Batmanfilm zu sein. Aber ohne Batman vielleicht.

Wir hatten gestern keine Karten und in der elendig langen Schlange vor dem Berghain hörten wir, dass es ausverkauft sei, und auch an der Abendkasse jede Mühe umsonst, und so verließen wir die Schlange und standen erst ein bisschen hilflos zwischen den umliegenden Brachen herum, in der Hoffnung jemand würde uns zwei Karten verkaufen, aber es war gestern ja die kälteste Nacht bisher und so sind wir einfach losgegangen, zur S-Bahn, ins Kino meinetwegen, aber dann holte uns jemand ein und fragte ob wir Karten bräuchten und wir nickten: hey, das issja super. Er hatte allerdings keine Karten bei sich, sondern zwei virtuelle Karten bei Radio Eins gewonnen, die er nicht einlösen wollte, aber für 25€ das Stück verkaufen, wir müssten nur an den Türstehern vorbei zur Kasse, dort ein Passwort nennen und alles wäre gut.
Das klang alles sehr unstet. Er meinte aber wir müssten erst nachher bezahlen, wir könnten also erst reingehen uns einen Drink holen um die Argwohn der Türsteher nicht zu wecken und zehn Minuten später erst rauskommen, ihm das Geld zu geben.
Das haben wir also getan. An der Kasse riefen meine Schwester und ich pistoleschießend Wien; und schon waren wir drin.

Ich hatte mich ja schon sehr auf eine gothic Veranstaltung eingestellt. Das Publikum würde toupierte Haare haben, Zwangsjacken aus Leder tragen, in die Länge geschminkte Augen, alles schöne Dinge natürlich, die ich allerdings mit Anfang zwanzig mehr zu schätzen wusste als ich sie heute zu explizit finde, doch war die einzige, die irgendwie gothicmäßig angezogen war, Anja Plaschg selber. Und mit ihren 18 Jahren auch die Jüngste.
Das Publikum war dann eher so, wie soll ich sagen: Lesebühnenpublikum zwischen dreißig und fünfzig. Das war eine lustige Erkenntnis. Und auch peinlich, mich genau darin wiederzufinden.

Sie spielte alle Lieder, sie spielte das wunderbare CryWolf. Doch weiß ich nie recht echt ist an ihr. Sie brach einmal in Tränen aus, wischte das aber mit einem gekonnten, routinierten Bemerkung wieder weg, einmal lief sie schreiend über die Bühne, wie ein wildgewordenes Kind das um Aufmerksamkeit buhlt. Sie ist sich ihrer Rolle sehr bewusst, sie schauspielert, die Art wie sie am Mikrophon verstummt, sie weiß um den Effekt ihrer nur zur Hälfte ausgesprochenen Worte, die Haltung, wie sie im Weggehen noch entscheidet ein Wort zu sagen, dann vor dem Mikro doch nichts sagt. Sie weiß wie sie wirkt, und sie weiß zu wirken, und das macht ihr Spaß, das macht ihre Erscheinung zwar nicht minder aufregend, aber ich kann mich des Gefühles nicht entziehen, dass das alles sehr aufgesetzt ist, sehr erlernt. Die Tränen: eine tragische Geste. Das Schreien: eine tragische Geste. Das ätherische Gucken: eine Geste. Ich kaufe ihr das Leiden nicht so ab.
Und trotzdem habe ich jeden Moment aufgesaugt.

Soap&Skin

[tagebuchbloggen: 16.12.]

Die ahnenden Blicke der Anderen nach der Firmenfeier, die man immer als wissende Blicke interpretiert.

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Am Abend mit U und mit C im FrauMittenmag gewesen. Das haben wir früher öfter gemacht, hat sich aber ein bisschen gelegt, ich weiß auch nicht warum, man geht so den Dingen nach, und diese beiläufigen schönen Abende, die so völlig projektlos sind, die keine Meetings sind, weil sonst ja alles immer gleich Projekt und relevant und wichtig sein will; diese beiläufigen und schönen Abende, die werden dann immer seltener.

[tagebuchbloggen 15.12.]

Wir saßen überm Marlene-Dietrich-Platz, nippten am ersten Bier der Weihnachtsfeier, schauten hinunter auf die Spielbank und mein Chef sagte, komm, lass uns in die Spielbank gehen und ich sagte, ohnein, sowas ist nichts für mich, und er sagte, ah doch, das ist cool, kann man 10 Euro in den Automaten stecken und als Millionär nachhause gehen, und ich sagte, ohnein, sowas ist nichts für mich, und er sagte, doch das ist cool, haben wir früher auch gemacht, und ich sagte, ohnein, sowas ist nichts für mich, und er sagte, komm, ich glaube ich gewinne heute die Million, und ich sagte, stimmt, ich habe auch ein gutes Gefühl, und der andere Kollege sagte, er käme mit, und so gingen wir hinunter zur Spielbank, und ich fragte dauernd was ich jetzt tun muss, und mein Chef zeigte mir die Knöpfe. Er verlor fünfzehn Euro, danach verlor ich zehn Euro, aber immerhin hatte ich einmal 2,50 gewonnen, die ich beim nächsten Einsatz sofort wieder verlor, und mein anderer Kollege verlor erst einen Zehner, gewann dann 38 Euro, und, schlau wie der Fuchs, wollte er es sich auszahlen lassen, drückte auf Auszahlen – danach tat sich aber nichts mehr. Erst später sahen wir, dass man die Auszahlung, ganz oben rechts auf einem eigenen Drücker bestätigen musste. Das war später. Vorher hat er die 38 Euro natürlich wieder verspielt.

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Beat It. Just beat it. Beim tanzen zu Beat It ist dann immer alles so klar, die Coolness der Achtziger, die so Jackomäßig aufgedreht war, die wir heute so unmöglich finden, so grell. Beim Tanzen zu Beat It verstehe ich immer worum es ging, es liegt in den Bewegungen, die der Song hervorruft, sie sind so achtziger, so jackomäßig aufgedreht. Ich glaube es hatte mit, öhm, Hoffnung zu tun.

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Wir waren die Letzten. Ein Haufen betrunkener Nerds, der mit den Garderobemarken vollkommen überfordert war. Nachher, es war vier Uhr, kehrten wir noch im MacDonalds ein, Himmel, ist das wirklich so gewesen, und als die anderen ins Taxi stiegen bin ich noch den ganzen Weg vom Potsdamer Platz bis zum Hackeschen Markt gelaufen. Irgendwann spürte ich meine Beine nicht mehr und bin für den letzten Kilometer in ein Taxi gestiegen.
Ich weiß übrigens, warum ich mir heute freigenommen habe.