[tagebuchbloggen: 20./21./22. 11.]

Da wir am Nachmittag schon in Hamburg sein wollten, hatte ich mir den Freitag frei genommen. Am Vormittag bin ich mit meiner Schwester im Weltempfänger am Arkonaplatz frühstücken gewesen. Am großen Fenster an der Platzseite gesessen und hinausgeschaut wie Berlin so den Freitagvormittag verbringt. Das kam mir so eigenartig fremd vor. Und schön.

Und dann war es plötzlich viertelvoreins. Um viertelnacheins sollte der Zug fahren. Es war also viertelvoreins und alles ging drunter und drüber. Um zehn nach eins saß ich im Taxi in der Invalidenstraße im Stau. K rief mich an und sagte, sie stünde auf Gleis 8 am Abschnitt B und fragte an welchem Abschnitt ich denn stünde, ich sagte, ich säße im Taxi. Und das war nicht so toll.
Ich schaffte es dann aber doch noch. Und ich musste K versprechen, mir diese Art von Verspätung abzugewöhnen.

Und dann kam Hamburg.
K und ich fuhren mit der SBahn weiter zur Sternschanze, stiegen aus, ich zeigte ihr die Susannenstraße, zeigte ihr das Schulterblatt, erklärte die Dinge, erklärte die Stadt, wegen des Kontextes der immer erklärt werden will um urbane Zusammenhänge zu verstehen, ich erklärte den Platz mit der Flora, den Galaostrich, erklärte wie die Flora die ganze Schanze vor der Versnobbung rettet, weil sie in ästhetischer Hinsicht am Platz alles dominiert, weil die Flora, in ihrer ganzen Unruhe die sie verkörpert, sowas wie Balance herstellt.

Danach gingen wir ins Hotel, legten unsere Dinge ab, schauten aus dem Fenster, liefen noch ein bisschen herum.
Und dann die Lesung.

* ich
* Isa
(Pause)
* Maximilian
* Henrike

Wunderbare Stimmung wiedermal, wunderbare Leute, wunderbare Texte und wunderbare Moderation. Ich las ein bisschen hastig, der Text ist so lang. Hier die gesamte Lesung inklusive der Kidschen Moderation, in der er mich u.a. des öffentlichen Proseccotrinkens bezichtigte.
Ein großer Dank geht an Lars und Axel für diese Aufnahme.
Und dem Hamburgerjung für die Fotos.

Der Rest des Abends war ein sehr netter Abend mit sehr guten Gesprächen, diese Abende die so erschreckend kuschelig sind, dass es fast schon anfängt zu jucken.
Auf dem Nachhauseweg schaukelte Hamburg um mir herum, K gefiel die Stadt sehr, und dann holten wir uns noch den besten Döner der Welt, im Big Food am Schulterblatt.

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Samstag:
Am frühen Nachmittag das Bett verlassen. Wir hatten einen Riesenhunger und beschlossen, im neuen Hatari an der Schanzenstraße zu frühstücken. K bestellte Käsespätzle und ich bestellte ein Riesenschnitzel mit einer schweren, braunen Soße und einen halben Kilo Pommes.
Nach dem Frühstück spazierten wir über den Flohmarkt am Schlachthof hinüber ins Karolinenviertel, durch die Marktstraße, schauten Läden an, wir gingen gezielt ins Garment, fanden ein wunderschönes rotes Kostüm für K, fanden siebenhundert Euro allerdings eine Nummer zu klein.
Nachher setzten wir uns in ein sehr tüddeliges Kaffeundkuchen-Cafe in der Markstraße, kein Tante-Emma-Kaffee-und-Kuchen, sondern eines dieser neuen Szenelokale die so auf Omaschick machen, wie sie derzeit auch in Berlin wie Kaninchen aus dem, öhm, Boden schießen. Das Lokal musste ziemlich neu sein, vor zwei Jahren existierte es jedenfalls nicht.
Wir setzten uns an die Bar und bestellten: Kaffeundkuchen.

Nach dem Kuchen gingen wir raus auf die Feldstraße, ich wollte K den Dom zeigen, wir liefen einmal quer hindurch, schauten den Lichtern zu, den schnelle Gefährten, den Karusellen, den Nieten auf dem Boden, ich setze mich nie in eines der Geräte, ich begehe auch keine Geisterhäuser, höchstens werfe ich ab und zu nach Dosen, aber immer daneben, und gestern wollte ich mich auch nicht blamieren, und so gelangten wir auf die Reeperbahn, natürlich, nicht nur Pflichtprogramm, aber Pflicht. In der Boutique Bizarre meine Kreditkarte gezückt, mir auch gedacht, dass das eigentlich Supermarche Bizarre heiße müsste, und weniger Boutique, aber Erkenntnis war das keine, dafür Angeberei auf ganz platt möndänisch, was ich natürlich gleich tagebuchbloggen muss und mir denke: herrje.
Auf einmal war dann sehr schnell Abend geworden. Wir waren mit Isa, ihrem Mann, Kid37, Maximilian, the Realstief und der Frau mit dem Namen Monalisaseyes verabredet, im Westwind in St.Georg, gleich hinterm Hotel Atlantic. Dabei haben wir vom Taxifahrer erfahren, dass das Atlantic alle seine Sterne verloren hat, wegen ausgebliebenen Sanierungsarbeiten, und wir fanden das irgendwie total tragisch, so wegen der Grande Dame, die in ihrer Überheblichkeit mal nicht aufgepasst hat und dann übelst abgerutscht ist. Roter Wein, Cognac, Armagnac, all der Kacque, ihr wisst schon. Udo Lindenberg wohnt dort aber noch, dem sind die Sterne schnuppe.

Danach mit den Freunden Hirschgulasch gegessen und von so vielen Sachen geredet.

Es wurde wieder spät und Hamburg schaukelte wieder um mich herum. K und ich liefen an der nächtlich beleuchteten Binnenalster entlang, hinunter zum Jungfernstieg, liefen da weiter unter den Kollonaden, bogen rechts ab und überquerten die Fleete, standen auf einmal schon am Axelspringerhaus und dann fiel mir ein, dass wir ganz nah am Gängerviertel standen. Auf gut Glück schrieb ich Frau Stella, mit der mich zu treffen, ich eigentlich schon abgeschrieben hatte, eine SMS, ich schrieb: Hey, sind beim Gängerviertel, Dunochda?
Und eine halbe Minute später kam ein Anruf. Ja sie sei noch da.
Sie zeigte uns das ganze besetzte Gelände, alle Gebäude, die Höfe, erklärte uns was sie wie und wo machten, wie gut das alles lief, und sie zeigte uns das Hauptgebäude das sie leider aufgeben mussten. Daraufhin stiegen wir eine Treppe hinab in einen engen, verrauchten Keller, die Bässe brummten, wir holten uns ein Bier und setzten uns in eine dunkle Ecke neben den Boxen.
Das Gängeviertel ist super. Befreit von dem ganzen dogmatischen SchwarzeBlock-Scheiß einerseits und der AllesfürdieKunst Tacheles-Esoterik ist es so wunderbar subversiv, und gleichzeitig so aktuell politisch, ohne die ganze linksradikale Attitüde auszuhängen, dass einem fast die Tränen kommen.
Ich muss das vielleicht noch einmal besser erklären. Für mich zum Verständnis.

Doch war die Nacht spät geworden, bald brachen wir auf, in Richtung Hotel, wir liefen über die Feldstraße und beim Anblick des türkischen Restaurants an der Ecke zum Pferdemarkt wurden wir von einer Hungerattacke heimgesucht. Der wir nicht wiederstehen wollten.

Später beim Einschlafen fiel mir die Checkout-Zeit ein, Checkout-Zeit, immer Checkout-Zeit, was mich an Hotels immer nervt, ist die Checkout-Zeit, und schlimmer noch als Checkout-Zeit ist, wenn man nicht genau weiß wann Checkout-Zeit ist.

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Sonntag: Am frühen Vormittag aus dem Bett gekrochen, geduscht und mich an der Rezeption nach der Checkout-Zeit erkundigt. Zwölf Uhr, ahso.
Nachher gingen wir wieder ins Hatari zum Frühstücken, K bestellte wieder Käsespätzle und ich diesmal das Pfälzer Kombinat. Saumagen, Bratwurst und Leberknödel auf Sauerkraut. Ich bat die Kellnerin, den Leberknödel durch eine Bratwurst zu ersetzen. Das war dann schon alles ein bisschen viel. Vor allem, weil ich K noch mit ihren Käsespätzles geholfen habe.
Während wir auf das Essen warteten gingen uns die Themen aus und spielten deshalb „Werbinnich“. K war erst KingKong und nachher Humphrey Bogart. Ich war hingegen erst Kid37 und danach ein Saumagen. Wir haben uns alle nicht erraten.

Aber ein Hamburgbesuch ohne an der Elbe gewesen zu sein, ist wie ein Berlinbesuch ohne, ohne, ohne. Deshalb sind wir mit der U3 zu den Landungsbrücken gefahren und das ist dann schon ziemlich toll, wenn sich dem nichts ahnenden Fahrgast plötzlich der Berg öffnet und er über das Wasser, die Kupferdächer und die Kräne schaut.
Dann war also erstmal Elbe.
Und nach der Elbe war Hauptbahnhof, ICE, und dann Berlin.
Wir haben uns als erstes in dieses Segafredo im Hauptbahnhof gesetzt und öffentlich einen Prosecco getrunken.

[tagebuchbloggen: 18.11.]

In den letzten Tagen Dinge erledigt. Rechnungen ausgemistet, an Texten gearbeitet, einen lektorierten Text zurückbekommen und (wie immer) über meine vielen fehlenden Kommas gestaunt. Immer wenn es mir einfällt, Nebensätze deutlicher einzugrenzen und sie mit Kommas zu versehen, kommt es mir vor als hacke ich den Satz in viele unlesbare Stücke: laberlaber pause laberlaber pause laberlaber pause. Ich lese mir meine Texte beim Schreiben immer innerlich vor. Viellecht ist meine innere Pause mehr eine Punktpause statt einer Kommapause.

Ha, und die fehlenden Kommas hier oben habe ich eben erkannt. Jetzt lasse ich sie aber stehen.

Gestern mit meiner Schwester von Neukölln aus, den ganzen Landwehrkanal entlangspaziert. Am nächtlichen Wasser. Bis zur Möckernbrücke, dann umgedreht, zum Halleschen Tor zurück und über den Mehringsplatz die Friedrichsstrase hochgelaufen bis zum SBahnhof. Dort dann erschöpft in die SBahn geplumst.

[tagebuchbloggen: 15.11.]

Samstag: Aufgestanden, gefrühstückt, einkaufen gegangen, und danach ganz furchtbar schlecht gelaunt gewesen. Warum sage ich nicht. Später mit meiner Schwester zum Open Mike gegangen und zugehört, auf dem Rückweg Basilikum gekauft und zuhause Pesto gekocht, für meine Schwester, K und ihre Mutter, und danach beim Aufräumen haben wir uns zu viert in die enge Küche gequetscht, Bier getrunken und von so Sachen geredet, bis wir uns alle furchtbar gut gelaunt ins Bett verabschiedet haben.

Sonntag: zu Mittag sind M und J aus Altlandsberg zum Brunchen zu uns gekommen.
Wir haben aufgetischt:
-einen Zucchinikuchen
-verschiedene Käses
-verschiedene Schinkens
-einen unwiderstehlichen Brotaufstrich (von mir kreiert: getrockenete Tomaten geschlagen mit fettem Joghurt, Ziegenkäse und Knoblauch)
-einen ebenso unwiderstelichen Brotaufstrich (von meiner Schwester kreiert: fetter Joghurt mit Knoblauch, trockener Minze und etwas Zitrone)
-Und so anderes Zeug
Nachher über den Mauerpark spaziert.

Später um sechs sind K, ihre Mutter und ich zum Potsdamer Platz gefahren ein schwedisches, in Berlin lebendes, sehr exzentrisches Ehepaar zu treffen. Alte Familienfreunde. Sie, eine einstmals, sehr gutaussehende Frau, man nannte sie Vamp, trägt große Ringe an den Fingern, raucht Kette, erzählt in Zeitlupe mit Grabesstimme während sie am Weißwein nippt. Er, ein immer noch gutaussehender Mann, schneeweißes Haar, ein Seidentuch um den Hals gebunden, trinkt Bier und flirtet. Wir trinken, wir essen. Der Mann schleicht sich davon und bezahlt alles.
Wir sind, wann-auch-immer, zum Essen eingeladen in ihrer Charlottenburger Wohnung. Der Ball läge jetzt bei uns.

[17. Open Mike]

17. Open Mike der Literaturwerkstatt Berlin. In der Wabe an der Danziger Straße. Erster Tag, zweiter und dritter Block.

* Anne Krüger. Sie trägt große rote Ohrringe, in Ringform. Die Haare nach hinten gekämmt und mit einem Haarreifen fixiert. Hose: Jeans. Schuhe: Turnschuhe. Ihre Brille hat einen dicken Rand. Ihr Pullover ist rot, zinnoberrot (wir sind Jollyverseucht), hat vorne einen Reißverschluß, der nach oben hin geöffnet ist und so einen breiten Kragen auf beiden Seiten über ihre Schultern schlägt. Der Pullover hat auch weiße Linien über Schultern, Nacken und da wo die Nieren sind.

* Onrej Cikan. Schwarzer, einknöpfiger Blazer. Roter (zinnoberrot) Rollkragen, dunkle Jeans, schwere Lederschuhe.

* Vea Kaiser. Kurzes, graues Stoffkleid, lange Beine, grüne Pumps, 7cm Absatz, schwarze, verspielt gemusterte, schwarze Strümpfe, ich vergesse mich kurz und denke an eine Wiese mit Blumen. Sie stakst über die Bühne, trägt ihre brünetten Locken locker am Gesicht.

* Lutz Woellert. Schwarzes Hemd. Dunkle Jeans. Weiße Turnschuhe. Kurze Haare. Macht den Eindruck einer ehrlichen Haut auf mich. Er erinnert an Norman Bates.

* Claudine Muller. Roter Rollkragen (kein zinnoberrot, eher Karminrot), schwarze Hose mit Bügelfalte, streng zurückgekämmtes und gebändigtes Haar. Schuhe sehe ich nicht. Nach der Pause habe ich mich umgesetzt, die Sicht ist versperrt. Ich schätze: absatzlose Lederschuhe. Dezent braun, vielleicht schwarz.

* Jan Sprenger. Kurze Haare, antrazitfarbenes Hemd, darunter ein schwarzes Tshirt das aus dem Kragen hervorlugt. Schlank. Im Ansatz graumelierters Haar. Jeans. Schuhe sehe ich immer noch nicht, ich schätze: lederne Halbschuhe, ein etwas schwereres Modell.

* Andreas Lehmann. Weißes Hemd mit leichten dunklen Längsstreifen, Jeans, Brille, blonde, kurze Haare. Ein Ansatz von Koteletten an den Backen. Schuhe sehe ich nicht, ich vermute: dunkle Turnschuhe (braun?), eventuell sogar einen militärischen Schuh, schwere Sorte vielleicht, nicht Stiefel, sondern bis zum Knöchel.

[tagebuchbloggen: 10.11.]

Diese Tagebuchblogeinträge die ich immer mit „heute“ oder „gestern“ beginne.
Heute jedenfalls einen Meilenstein in Lebensmeisterung erreicht. Mit dem Kauf eines neuen WLAN-Routers und eines neuen DVBT-Empfängers, nachdem ich mich gestern darüber geärgert habe, dass mein billiger WLAN-Router immer nur halb funktionierte, mein billiger DVBT-Empfänger immer nur halb funktionierte, und eigentlich alles was ich immer billig gekauft habe, immer nur so halb funktioniert, so bin ich voller Elan in die Läden gegangen und habe jeweils das gekauft was doppelt so teuer war wie das billigste, und das war gut und jetzt werde ich das nur noch so machen, wie ich ja auch schon mit dem Essen mache, keinen billigen Scheiß mehr, keine kranken Tiere, keine preiserdrückte (oha!) Schnellware mehr, sondern gutes Zeug, gesund, erprobt und langlebig. Ein fulminanteres Ende hätte ich mir gewünscht, aber langlebig ist auch Okee.

Wir haben heute diese Büchner-Vermilfmung (Lenz) auf 3Sat ruckelfrei schauen können, und das ist sowas wie wie wie, nunja, wie: ziemlich gut.

[tagebuchbloggen: 9.11.]

Zum Frühstück Mick Harveys Gainsbourg-Interpretationen gehört, und mich dann im wunderbaren Manon verfangen, das ich dann den ganzen Tag vor mir her gesungen habe. How much I hate you. Gedankenlos.


Wir wollten die Friedrichsstraße runterspazieren, bisschen sehen, am Rande stehen und aufnehmen wie sich diese Euphorie der Menschenmengen manifestiert. Sie ist faszinierend, wenn auch ein bisschen zu explizit, diese Freude. Eine Band sang von der Freiheit, als würde sie von Sahnetorte singen. Auch Bongiovi hatte seinen Auftritt im Regen. Das Brandenburger Tor im Hintergrund, festlich beleuchtet, muss immer sein Gesicht herhalten.

Wir haben es aber sein lassen. Die u8 war heute schon so voll, dass ich gar nicht wissen wollte wie es unter den Linden aussieht. Wir haben das ZDF eingeschaltet.


Seit einigen Tagen kann man in GoogleEarth 5 über das zerbombte Berlin fliegen. Unter Ansicht -> Historisches Bildmaterial anklicken. Und dann in die Stadt einzoomen. Das ist wirklich toll.

[tagebuchblog: 8.11.]

Meine nette Schwester sucht übrigens ein nettes Zimmer in einer netten WG. Wenn jemand etwas weiß: rechts oben gibt es diesen Schreibmir-Knopf. Wir würden uns sehr freuen.


Gestern sind meine Schwester und ich in den Wedding spaziert. Die Brunnenstraße hoch, im Wedding bei einem Bäcker einen Lattemacchiato getrunken, draußen in der Sonne gesessen und getan als wären wir im Prenzlauerberg. Das war gar nicht so ungewöhnlich. Wir waren auch nicht die einzigen. Links von uns ein dänisches Paar und rechts vor uns spanisches Paar, offensichtlich Touristen. Die Spanier studierten einen spanischen Berlinführer mit Akzent auf dem i bei Berlin. Rechts daneben saß ein älterer Mann in Trainingshose und einem Bier vor sich auf dem Tisch. Seine Krücken hatte er an den Tisch gelehnt.
Wohnungsbesichtigungen. Wir liefen über die beiden Bunkertürme im Humboldthain hinunter zu diesem versteckten Weddinger Teil zwischen Ring, Humboldthain und Chauseestraße. Es erstaunt mich immer wieder, wie schön der Wedding eigentlich ist. Man hat ja diese Bilder vom Wedding, die durchaus ihre Berechtigung haben, aber man vergisst dabei, dass der Wedding als städtisches Gebilde, oder wie soll man sagen: als Stadtkörper, als urbaner Raum, sehr ansehnlich ist. In weiten Teilen jedenfalls. Dieser Teil des Weddings ist in gewisser Hinsicht sogar romantisch. Ich gerate ins Schwärmen. Und bevor mich jetzt jemand bezichtigt, Gentrifizierungstendenzen anzustoßen, höre ich lieber auf.
Meine Schwester hat sich ein paar Wohnungen angesehen, ein paar nette waren dabei, aber das mit den Zusagen ist ja immer so eine Sache die auf sich warten lässt.
Am Nachmittag wollten wir K vom Bahnhof abholen, die aus Bad Meinhof zurückkommen sollte, doch hatten wir uns im Wedding verheddert und kamen so nicht rechtzeitig zum HBF.

Vor dem Abend mussten wir uns von den Eindrücken aus dem Wedding erholen, vor allem die Beine, der vorangegangene Freitagabend war schon ein halber Weltspaziergang gewesen, der Samstag war ungefähr doppelt so lang. K war später mit C verabredet, weil C gerade aus London wieder in Berlin ist. Danach rief Modeste an, ob ich auf einen Drink gehen wollte, das wollte ich, aber meine Schwester und ich hatten uns gerade auf den Weg ins Kino gemacht. Also verabredeten wir uns für später.
Meine Schwester und ich sahen uns Mein halbes Leben an. Eine ganz wunderbare und lustige Doku eines dreißigjährigen Wieners, der sich eine Kamera umgehängt hat und sein sinnloses Leben in Berlin zu ergründen versucht, indem er in seine Heimat fährt um zu sehen was aus seinen alten Freunden geworden ist. Er filmt dabei unentwegt und konfrontiert den Kinogänger mit seinen Eltern, seiner Ex-Freundin, seinen besten Kumpels, man müsste sagen auf gnadenlose Art, wie man beispielsweise ungefiltert in den Vater-Sohn-Konflikt mit reingezogen wird, Gremien von Familienfreunden die ihm vor laufender Kamera empfehlen wie er sein Leben zu bessern habe, seine Exfreundin die ihm vom Trennungsschmerz erzählt, die Doku ist eine Art Real-Life-Groteske, das macht ihn vielleicht so besonders.
Und die Parallelen zu meinem eigenen Leben haben mich manchmal erschreckt.
Den Film haben wir übrigens im Downstairs in der Schliemannstraße gesehen. Das ist ein etwa 25qm großer Raum im Keller eines Cafes mit der Bezeichnung Filmcafe. Der Saal hat ungefähr ein Dutzend Stühle, man wird vom Filmvorführer persöhnlich begrüßt und kurz in den Film eingewiesen. Er wünscht einen angenehmen Abend und zieht den Vorhang zu. Dann fängt der Film an.

Nach dem Film spazierten wir die Kastanienallee hinunter zum Dave Lombardo (Lambado) am Zionskirchplatz. Modeste und J waren schon da. Meine Schwester ging gleich nach hause; die vielen Wohnungen und die vielen Eindrücke erschlagen, ich kenne das.
Modeste, J und ich haben noch lange geredet, und so einiges getrunken.
Als wir um zwei Uhr das Lokal verließen, rief K an, und fragte wo ich denn sei, und ich wurde augenblicklich von einem schlechten Gewissen heimgesucht. Wieso wusste ich auch nicht, aber ja, tatsächlich, zwei Uhr, ich leicht bedingst, und nicht zuhause bei der Frau. Irgendwie musste das falsch sein. Das Problem war nur, dass K selbst gerade nachhause gekommen war, noch viel bedingster als ich, und fürchterlich gut gelaunt.
Wir haben nachher im Bett gelegen und katholische Kirchenlieder gesungen. Das Maria Hilf, das Ave Maria und Cumbaja my lord (oder wie man das schreibt). Auch versucht das Gegrüßet seist Du Maria aufzusagen, aber irgendwie hat das nicht geklappt. Dabei wollten wir uns gar nicht lustig über das alles machen, sondern bloß versucht den Dingen auf die Schliche zu kommen.


Sonntag. Sonntag dann. Mich wie ein Felsbrocken im Bett vorgefunden.
Um zwölf Uhr waren wir mit C und mit F und mit A und mit R und mit N und mit A am Helmholtzplatz zum brunchen verabredet. Ich kann nicht mehr so viel essen wie früher. Seit ich mich auf Diät gesetzt habe und mich fast auschließlich nur noch von Salat und fadem Gemüse ernähre, muss auch mein Magen geschrumpft sein. Man kennt die Sache mit dem schrumpfenden Magen ja aus Filmundfernsehen. Und jetzt am eigenen Leib. Nach der zweiten Portion war ich heute erledigt. Dabei hatte lange nicht auf meinen Körper gehört und in meiner Arglosigkeit den zweiten Teller genau so aufgestockt wie den ersten. Danach war mir schlecht.
Später sind wir alle dann zum Verdauen spazieren gegangen. Über die Gaudystraße in den Mauerpark. Und haben da diese berühmte Karaoke-show gesehen. Die Show von dem Engländer der in Berlin hängengeblieben ist und jetzt in dieser amphiteaterartigen Ausbuchtung im Mauerpark, Sonntag für Sonntag, mit einem Laptop die Menschen Karaokesingen macht. Das ist Volksvergnügung der ganz eigenen Art.
Danach nach Hause gegangen. C ist noch mitgekommen und hat sich die Wohnung angesehen. Während die Mädls bei Tee geredet haben, habe ich die japanische Lampe an die Decke montiert und zum leuchten gebracht.
Sieht irgendwie nicht besonders gut aus, aber es ist OK.

Plötzlich war Abend, wir haben uns etwas zu Essen gemacht und haben danach einen Liebesfilm geguckt. Und jetzt will niemand mehr reden.

[tagebuchblog: 6.11.]

Gestern sehr lange geschlafen, um elf bin ich erst im Büro gelandet und es blieb eine unglaubliche Schwere die mich den ganzen Tag über begleitet hat, eine dieser Schweren die in den Knochen sitzt und auf die Gelenke drückt und so die Bewegungen erschwert, als liefe man ungeölt durch die Landschaft.
Um achtzehn Uhr sollte mich meine Schwester von der Arbeit abholen, und wie der Satz jetzt anfängt suggeriert er, dass sie das nicht getan hat, doch muss ich an dieser Stelle in den Text eingreifen und sagen: nein, sie hat es getan!
K war gestern und heute in Bad Meinhof. Bad Meinhof heisst natürlich anders, aber die Ähnlichkeit des Namens ist so verführerisch, dass ich mich nicht einhalten mag.


Korrekterweise müsste ich übrigens den vorgestrigen Tag nachtagebuchbloggen, doch lasse ich das jetzt sein, ohne besonderen Grund, nicht, dass nichts geschehen wäre, aber oh, alles mühsal, gerade wenn man von den Tagen erzählt, dann neigt man dazu nach vorne zu sehen. Man man man, ich meine natürlich: ich ich ich.


Liebes Tagebuchblog, habe ich schon gesagt, dass meine Schwester nicht einfach so nach Berlin gekommen ist, sondern dass sie nach Berlin gezogen ist? Also mit dem Gewicht auf zogen? Nein, habe ich nicht, aber das sollte ich vielleicht erwähnt haben. Wenigstens der Chronistenpflicht wegen, ohne es weiter auszulegen.


Wir sind gestern Abend dann über die Karl-Marx-Allee nach Friedrichshain spaziert, haben etwas gegessen, von den Dingen geredet, weiterspaziert zum Boxhagener Platz, von der Vergangenheit geredet, zum RAW-Gelände, von der Sache zwischen Schwester und Bruder geredet, dann über die Warschauer Brücke, über alles geredet, an der EastSide-Gallery zurück, den ganzen Weg zum Alexanderplatz, durch das Scheunenviertel zum Hackeschen Markt gelaufen und dort so unmögliche Sachen gemacht wie ein Bier im Cafe Cinema zu trinken, und dann noch ein Zweites und ich meine sogar ein Drittes, und wir uns unheimlich cool vorgekommen sind, dass wir dem Barmann auf deutsch geantwortet haben. Und dann sind wir über den Rosenthaler Platz nachhause gepilgert.


So.