[mein Leben als Wikipedia Editeur]

Weil wir im Juni sind, wenn der Götterbaum wieder die ganze Stadt mit seinem Spermageruch einweht, musste ich an den Wikipedia Artikel denken den ich letztes Jahr geändert habe. Auf den Artikel stieß ich, weil ich mich schlichtweg dafür interessierte, ob jemand es auf elegante Weise verstanden hatte, den Spermageruch zu benennen. Mich interessiert das, wie man unverkrampften Duktus bei sexuellen Themen findet, wie es mich generell fasziniert, gute Formulierungen für alle möglichen Dinge zu finden. Als ich den Wikipediaartikel aufschlug, stellte ich zu meinem Entsetzen fest, dass in dem Artikel das Wort „Sperma“ gar nicht vorkam. Der Geruch wurde als „unangenehm, stinkend“ bezeichnet.
Nun führe ich schon mein ganzes Leben einen privaten Kreuzzug gegen alles was mit konservativ erscheint. Alles verklemmte, rückwärtsgewandte, engstirnige und auch mutlose. Ich kann so etwas nicht sehen, ich bin da fast schon missionarisch aus Angst in vergangene und düstere Zeiten zurückgeworfen zu werden. Wenn ein Baum so offensichtlich nach Sperma riecht, dann muss das auch so dastehen, auch in einem Wikipedia Artikel wenn er wissenschaftlich daherkommt. Ich dachte, jetzt haust da mal das Wort „Sperma“ rein. Mal sehen wie lange es dauert, bis ein Konservativer Sittenwächter kommt und es löscht. Aber: nix ist passiert. Ich schaute noch wochenlang jeden Tag rein. Niemand löschte es. Fast ärgerlich, wenn man im missionarischen Eifer keinen Gegner hat.

Meine zweite Änderung eines Wikipediaartikels (in meinem an Wikipediaartikeländerungen nicht sehr reichem Leben), war eine Änderung des italienischen Eintrags von Hertha BSC. Es gab da eine Passage die sich mit dem Artikel befasste. In Italien gibt es zwei männliche Artikel. Das „il“ und das „lo“. Meistens wird das „il“ verwendet, bei ein paar Ausnahmen gilt allerdings das „lo“. Der Absatz beschäftigte sich anhand einiger Beispiele damit, dass beide Artikel angewandt werden können. Jetzt kommt mein Problem. Hertha ist ein Frauenname. Ich bin durch und durch Gynophil. Wenn ich sowas lese krümmen sich mir die Zehennägel.
Also holte ich aus, ergänzte, dass Hertha einn Frauenname sei, dass „il“ komplett falsch sei, man „lo“ zwar mit Verweis auf „BSC“ anwenden könne, es aber üblich sei von „la“ Hertha zu reden. Das ganze garnierte ich bedeutungsschwer als eigenes Unterkapitel mit dem Namen „articolo“.
Am nächsten Tag kam jemand und löschte die gesamte Passage. Die meines Vorschreibers und meine Ergänzungen. Hab mich da nicht mehr aufgeregt.

[…]

Ah und hört doch endlich mit diesem ethnischen Zuordnungsquatsch auf. Deutsch-Türke, Deutsch-Ghanaer, Deutsch-Tunesier. Ich kann Sportkommentatoren nicht mehr zuhören. Boateng ist einfach Deutscher, Basta. Immer dieses Bedürfnis unblonde deutsche in ethnische Schubladen zu denken, kein Wunder, dass so viele Idioten ihr realitätsfremdes Deutschenbild ständig bestätigt glauben.

[…]

Diese Wohltat als ich aus Malta kommend in Berlin landete und wieder gutgekleidete Menschen sah. Dieser Touristenlook, das ist so eine Verwahrlosung, die fängt zuerst außen an und geht bis ganz nach innen. Zuerst werden die Hosen kurz, verbleichen, werden beige, die Tshirts auch, das Gemüt, das schattensuchende Hängen unter den Sonnenschirmen, das langsame, gebückte Laufen. Wie ich gebückt durch das kleine Städtchen lief und im Schaufenster diesen dicken, haarigen Mann sah und dachte, shit, wer ist dieser dicke, haarige Mann.

[Kufstein Bhf]

Vorletzte Woche fuhr ich mit der Bahn von Bozen nach Berlin. Der Bozner Bahnhof war immer schon ein Ort an dem Leute herumhängen, in Grüppchen zusammenstehen, oft Drogengeschäfte, Sexgeschäfte, Männer die Wurst essen oder Zeitung lesen. In diesem April 2016 sah man natürlich viele Menschen mit dunkler Hautfarbe ein wenig zielos herumirren. Draußen vor dem Gebäude, drüber in dem kleinen Park, aber auch auf dem Bahnsteig und in der Halle. Junge, vermutlich aus Afrika stammende Männer mit Gepäck. Keine großen Koffer, eher kleinere Taschen, gut gefüllte Turnbeutel oder Rucksäcke.

Ich musste in Kufstein umsteigen, dabei hatte ich fast zwei Stunden Aufenthalt. In der Nacht davor hatte ich mein Telefon nicht aufgeladen, da ich der Steckerinfrastruktur der ÖBB und Trenitalia vertraute. Ich würde diesen letzten Satz nicht aufschreiben, wenn sich dieses Vertrauen nicht als großes Missverständnis herausgestellt hätte. Die Fahrt bis nach Kufstein sog ich also den Akku meines Telefons leer. Ich mache ja fast alles nur noch auf diesem Telefon. Nachrichten lesen, Emails schreiben, Bücher lesen, OK mehr ist es nicht, aber mein Leben besteht nur noch aus diesen drei Dingen.

In Kufstein am Bahnhof bot sich ein ähnliches Bild wie in Bozen. Männer, die mit gefüllten Taschen herumstanden. Auffallend viel Polizei auch. Eine seltsame Stimmung des Beobachten und beobachtet werden.
Ich ging in die Bahnhofshalle und fragte die Frau der ÖBB nach Steckdosen. Sie wollte mich in eine Kneipe gegenüber des Bahnhofs schicken, aber das wollte ich nicht. Mein Akkuzeichen war nur noch eine dünne, rote Linie. Als ich dann auf die Bahnhofstoilette ging da sah ich neben dem Waschbecken eine einsame und verwaiste Steckdose. Die mit dem Rasiererzeichen. Rasiererzeichen. Das ist das neue Hipsterzeichen für Telefonladedose. Ich, voll im Hipsterglück, steckte mein Telefon in die Ladedose und fühlte mich gerettet.
Ich blieb eine ganze Weile da stehen, las Nachrichten und schrieb Emails. Die Toilette war erstaunlich ruhig, eine ganze Stunde lang kamen lediglich zwei Männer ins Klo. Ich tat betont desinteressiert, auffällig mit Kabel an meine Ladedose genabelt.

Dann kam dieser junge, afrikanische Mann. Er war mir im Zug durch Österreich schon aufgefallen, er hatte seine kurzen Kraushaare nach oben gezwirbelt, das gefiel mir, deshalb hatte er im Zug meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ich hatte gehört wie er jemanden in sehr brüchigem englisch ansprach. In Kufstein am Bahnhof sah ich ihn dann nicht mehr. Um ehrlich zu sein, hatte ich ihn vergessen. Erst als er auf die Toilette kam, erkannte ich ihn gleich wieder. Er hatte keine Taschen bei sich, er reiste mit Händen in der Jackentasche.
Er ging zum Pissoir. Ich tat wieder betont desinteressiert. Hinter mir hörte ich erstmal nichts. Der Toilettenraum war sehr eng, so eng, dass wir Rücken an Rücken vielleicht einen Meter auseinander standen. Er pinkelte nicht. Er schien zu warten. Aus den Augenwinkeln erkannte ich im Spiegel (ich stand ja am Waschbecken), dass er stillstand. Vermutlich versuchte er die Situation oder mich einzuschätzen, ich weiß es nicht genau. Ich las einfach Dinge auf meinem Handydisplay. Es raschelte, er suchte etwas in seinen Jackeninnentaschen, ich hörte etwas Zelophanartiges, er zog es heraus und steckte es in die Socken. Dann eine Weile lang nichts. Dann sprach er mich an: excuse me. Ich setzte ein freundliches Gesicht auf. Menschen mit einem schwierigen Leben verdienen es freundlich behandelt zu werden. How can I help you, fragte ich. Er fragte ob es in der Bahn Polizeikontrollen gäbe. Sein englisch war sehr schlecht.
Ich sagte: ziemlich sicher ja.
Während er mit mir sprach richtete er sich das Zelophanpäckchen in seiner Socke, er redete praktisch auf einem Bein mit mir. In meiner Jugend versteckte man Hasch und Grass in den Socken. Dass ich mit meiner weißen Mittelstandsschicht an Betäubungsmittel dachte, spricht vermutlich für sich, als hätte ein Mensch auf der Flucht nichts besseres zu tun als Betäubungsmittel mitzuschmuggeln, als ginge es darum den Worstcase noch wörster zu machen.
Do they control in train? Police? fragte er wieder.
Ich wiederholte, dass das sehr wahrscheinlich sei. Er wusste mit meiner Antwort aber nicht viel anzufangen. Ich hingegen wusste mit der Situation nicht viel anzufangen, ich hätte jedenfalls nicht gedacht, dass man einfach mit der Bahn eine Grenze überquert. Ich fragte ihn, ob man nicht einfach besser auf die Nacht warte und dann durch den Wald ginge. Er verstand mich nicht. Dabei weiß ich nicht, ob es an der Sprachbarriere scheiterte oder ob mein Vorschlag seltsam war. Ich öffnete Googlemaps zoomte auf den Bahnhof ein, zeigte den Fluss, zeigte die Grenze im Wald. Naiv von mir vielleicht. Er schaute nicht wirklich hin. Er sagte, dass er alle seine Dokumente in Italien gelassen habe. Er richtete sich wieder das Zelophan in seinen Socken. Wir standen dann ein bisschen nebeneinander. Es verging einige Zeit. Dann sagte er: OK. Und drehte sich um. Ich fragte ihn, ob ich ihm helfen könne. Er blieb kurz stehen, dann ging er raus.

Fünf Minuten später musste ich zu meinem Zug. Der Zug nach München stand abfahrbereit auf einem Stumpfgleis. Von weitem sah ich schon, dass uniformierte Sicherheitsleute den Einsteig in die Bahn kontrollierten. Sie standen lediglich am ersten Wagen, ich ignorierte sie und wollte weiter zu den nächsten Wagen. Man rief mich heran, ich müsse hier einsteigen, ich erwiderte, dass mein Wagen weiter hinten sei, sie sagte, dass es heute nur hier vorne einzusteigen ginge. Man forderte mich auf mich auszuweisen. Ich sagte, ihr seid keine Polizisten, ich muss mich nicht ausweisen. Dann zeigten sie auf einen Polizisten der im Wagen saß. Dieser nickte. Ich zog meinen Privilegiertenpass hervor und zeigte meine privilegierte Staatsangehörigkeit.

Wenig später saß ich auf meinem reservierten Platz am Fenster. Und der Zug fuhr los.

[acu]

Gestern mit Antoon im ACU gewesen. Als ich nach Utrecht zog feierte das ACU sein 18 jähriges Bestehen. Das ACU war damals schon das älteste besetzte Haus und gefühlt der älteste subversive Kulturort der Welt. Dort spielten schon legendäre Punkbands als ich noch Windeln trug.
Die achtzehnährige Party wurde scherzhaft Erwachsenwerden-Party genannt. Das war schon lustig (höhö), da das ACU sich ja als Ort des ewigen Rebellentums zelebrierte und nichts ist so unrebellisch wie Erwachsenwerden.

Als ich gestern mit Antoon im ACU am Tresen saß und ich ihm davon erzählte wie wir diesen Tresen damals gebaut hatten (eine simple Konstruktion aus Pelletsbrettern in die wir Beton gossen und es aushärten ließen), sah ich vor mir diesen Flyer liegen. Die Änkündigung einer Party für das kommende Wochenende. Vierzig Jahre ACU.
Vierzig Jahre ACU. In dem Moment wusste ich, dass ich alt geworden bin.

[links/rechts und weitere Achsen]

Vermutlich gibt es dafür auch eine wissenschaftliche Basis. Der Gedanke ist sicherlich schon jemandem vor mir gekommen, dass das politische Links und Rechts nicht die einzige Linie im politischen Spektrum sind. Es gab in Italien einmal diese Band die sang La sinistra, la destra, tutta la stessa minestra. Also: die Linke, die Rechte, alles die gleiche Suppe. Auf deutsch leider ohne Reim. Das fand ich als Linksradikaler natürlich doof. Bis ich im Laufe der Zeit etlichen Linksfaschisten begegnet bin und überhaupt, die Linke (ich nenne es jetzt einfach pauschal die Linke) über die Jahre ohnehin konservativer geworden ist. Zumindest aus meiner subjektiven Sicht.

Denke ich an politische Gesinnung habe ich eher eine XY-Koordinatenachse vor meinen Augen. Die liegende X-Achse ist auf der linken Seite „links“ und auf der rechten Seite, genau, „rechts“. Die Y-Achse bedeutet unten „konservativ“ und oben „progressiv“. Jedes Links oder Rechts braucht auch eine Benennung von Progressiv oder Konservativ. Irgendwo in diesem so entstehenden Quadrat befindet sich der Gesinnungspunkt. Dieser wandert natürlich auch ein bisschen im Laufe der Jahre und passt sich einer neuen eventuellen Peer-Group oder einem neuen Lebenspartner oder einer neuen finanziellen Situation an. Zumindest bei den meisten Menschen. Wobei ich auch Leute kenne, von denen ich sagen würde, die Gesinnung hängt dort in diesem Koordinatennetz wie eine Fliege. Mit allen Vor- und Nachteilen.

Jedenfalls kann ich mir so am besten erklären, warum der Partei „Die Linke“ die Wähler zur AfD abwandern. Die Linke (Partei) bedient vornehmlich konservative Werte und gerade im Osten des Landes bedient sie auch eine konservative Haltung gegenüber den Änderungen die nach ’89 eingetreten sind. Natürlich ist Die Linke auf der linken Seite der X-Achse zu finden, allerdings auf der Y-Achse auf einer ähnlichen Höhe wie die AfD. Wenn Die Linke zu sehr von der konservativen Seite abweicht ist plötzlich, schwupps, die AfD da, die auf einmal nicht mehr so weit weg (nämlich auf der anderen Seite des links/rechts Spektrums) ist, sondern sozusagen durch die Hintertür über die Konservativ-Achse von der Fußmatte aus ins Häuschen herein winkt.

Ich habe in den Neunzigern einmal Kommunisten (Italien) und Grüne gewählt. Grüne sind heute für mich heute eine undenkbar konservative Partei, die sich tendenziell zwar auf der linken Seite wiederfinden, aber nichts mehr von ihrer Progressivität von vor zwanzig Jahren haben. Ich fand ja sogar noch Joschka Fischer zu seinen staatsmännischen Zeiten progressiver als die Grünen heute. CDU und FDP stehen hingegen rechts ungefähr auf gleicher Höhe, nur die einen im konservativen Viertel und die anderen im progressiven. Lustig auch die F-Parteien, die tanzen auf ihrem rechten Flügel fröhlich die Y-Achse rauf und runter. Von der AfD-artigen FPÖ über die Besserverdienerbeschützer FDP über manche radikale Wirtschaftsliberale wie die F-Parteien früher in den Niederlanden (heute wieder konservativ geworden).

Mit Sympathien für Parteien tu ich mich sehr schwer. Ich hätte nie gedacht, je die SPD in Betracht zu ziehen. Grauhaarige Anzugträger finde ich schon rein aus ästhetischen Gründen unmöglich. Als die Piraten vor einigen Jahren aufkamen hatte ich große Hoffnungen, zumindest in dieser Aufbruchphase waren die Piraten eine spannende Ursuppe von progressiven Ideen. Im Detail nicht immer gut durchdacht und ein bisschen realitätsfern, aber eine gute Suppe eben. Aus einem mir nicht näher bekannten Grund stimmten die Zutaten nicht und so wurden sie am Ende wieder seltsam konservativ.

Gefühlt ist die SDP momentan die am meisten linksprogressive Partei im Land. Das stimmt mich sehr traurig.

[stock]

Ein schönes Stöckchen das ich mir bei der Kaltmamsell geklaut habe. Es gibt zur Zeit drei oder vier schöne Stöckchen, die ich in den nächsten Tagen annehmen werde. Ich sage jetzt mal „Frauenstöckchen“, da es Fragen sind, die sich Männer üblicherweise nicht stellen. Finde ich super sowas.

1. Wie hast Du Deinen ersten Korb erlebt? (receiving)
Ich war sehr in Verena verliebt. Wir waren beide vierzehn. Problematisch für mich war, dass sie nicht auf meine Freundlichkeiten und Aufmerksamkeiten reagierte. Wie konnte ich sie bloß davon überzeugen den Rest des Lebens mit mir zu verbringen? Ich hatte damals diesen Film gesehen, der Name ist mir entgangen, ich glaube Tom Cruise spielte mit. Die Hauptfigur schreibt der Angebetenen einen Brief in dem er beschreibt wie er ihre Bluse langsam öffnet. Knopf für Knopf. Das gefiel mir. Das war eine gute Basis um für den Rest des Lebens glücklich zu sein. Also schrieb ich Verena diesen Liebesbrief in dem ich detailiert beschrieb, wie ich ihre Bluse öffnen würde. Das kam nicht sehr gut an. Den ganzen Rest des Schuljahres redete sie nicht mehr mit mir. Jahre später sah ich sie einmal in der Stadt. Sogar da wich sie mir aus. Keine gute Basis.

2. Wie hast Du Deinen ersten Korb erlebt? (giving)
Das war mit fünfzehn oder sechszehn. Das Mädchen war zwei Jahre jünger. Sie war sehr liebenswert, aber ich empfand nichts für sie. Alle wussten, dass sie verliebt in mich war. Wirklich alle. Ich glaube die ganze Welt fand sie liebenswert. Ich sagte geradhereaus, dass ich keine Liebe für sie empfände. Es täte mir leid, etc. Danach waren alle gegen mich. Wirklich alle.

3. Wenn Du nochmal zurück könntest, worum würdest Du Deine erste Grundschullehrerin (m/w) bitten?
Weiß nicht. Meine Grundschullehrerin war ziemlich hübsch und jung. Ich mochte sie ziemlich gerne. Sie traf sich immer mit einem coolen Typen in Lederjacke und einem sportlichen Wagen. Der coole Typ ist heute Bürgermeister und meine Grundschullehrerin ist seine Frau. Mir fällt echt nicht ein, worum ich sie bitten sollte.

4. Zahnseide oder Munddusche?
Keines von beiden. Ich nehme mir allerdings seit Jahren vor, Zahnseide zu verwenden. Alle (fast alle) sagen, dass man das machen soll.

5. Notlüge oder bittere Wahrheit?
Beides hat so ihre Berechtigung. Sagt man doch so ihre, oder? Die Berechtigung, die Notlüge und die>Wahrheit. Sogar die Bitterkeit, wenn man so will. Klingt nur seltsam falsch.
Jedenfalls: beides hat so ihre Berechtigung. Ich mag die bittere Wahrheit. Ich kann auch gut schlechte Nachrichten überbringen. Ich bin aber auch ein prima Notlügner.

6. Hütchenspiel oder Skat?
Als ich noch in Bozen lebte, spielten wir nach Feierabend in der Kneipe Karten. Fast jeden Tag. Bier und Karten. Als ich später nach Holland zog, wo man in den Kneipen nicht Karten spielte, dachte ich, es sei eine kulturelle Eigenheit der nordischen Länder. Mittlerweile stelle ich fest, dass man auch in Bozen nicht mehr in der Kneipe Karten spielt. Zumindest nicht in die Kneipen, in die ich gehe. Womöglich hat sich nur die Welt um mich herum geändert. Dass sich die Welt um mich herum verändert mag ich, dass man in Kneipen nicht mehr Karten spielt, mag ich aber weniger.

7. Musical oder Oper?
In einem Musical war ich noch nie. In Opern hingegen oft. Neulich habe ich verstanden, dass ich keine Opernaufführungen mag. Noch nie mochte. Zwar habe ich schon als Kind Opern auf Schallplatte gehört, in Dauerschleife, vor allem Verdi und auch Mozart. Aber mit Aufführungen habe ich ein Problem. Erstens verstehe ich die Texte nicht, dann irritiert es mich, Untertitel mitzulesen während ich mich auf eine Melodie konzentrieren muss, aber am schlimmsten finde ich, dass die Geschichten meistens eher schlecht sind. Und schlecht inszeniert. Schlecht inszeniert in dem Sinne, dass alle Opern ihre Längen haben dramaturgisch so uninspiriert aufgebaut, dass ich sie in einem Film nie verzeihen würde. Und dann die Dialoge. Schlechte Dialoge werden auch noch gesungen, Himmel. Und Dialoge machen den Großteil einer Oper aus. Ich kannte vorher nur die Arien, die Chöre und Ouvertüren. Wenn ich in Opern saß, bekam ich immer Kopfschmerzen. Neulich verstand ich dann warum. Ich mag schlichtweg keine Opern. Allerdings werde ich vermutlich weiterhin zu Opernaufführungen gehen. Mir kommt vor als hätten die Opern und ich unser Ding noch nicht beendet. Irgendwas habe ich in unserer Beziehung noch nicht verstanden.

8. Nachschlag oder Nachtisch?
Beides.

9. Wenn Du eine Sache an Deinem Körper ändern könntest, welche wäre das?
Längere Beine, weniger Fett, schönere Füße, weniger Haare auf dem Rücken.

10. Wenn Du eine Sache an Deinem Charakter ändern könntest, welche wäre das?
Dann wäre ich gerne etwas genauer. Genauigkeit liegt mir nicht. Ist aber enorm hilfreich.

11. Wenn Dir ein bedingungsloses Grundeinkommen ermöglichen würde, Dich – anstatt zu arbeiten – einer Aufgabe zu widmen – welche wäre das?
Erstmal würde ich es schlimm finden nicht mehr arbeiten zu dürfen. Bald würde ich dann feststellen, dass man auch ganz gut als Privatier leben kann. Ich würde vermutlich etwas mit Literatur oder Kunst machen und Bier brauen. Ah, filmen. Ich glaube, mir läge das Filmen. Das alles würde ich dann hauptberuflich machen.

12. Deine größte irrationale Angst ist …?
Zu sterben. Zumindest wenn ich nüchtern bin. Wenn ich ein Glas Bier trinke, dann ist mir das eher egal. Deshalb trinke ich gerne zwei große Biere wenn ich in ein Flugzeug steige.

13. Gibt es einen Film, den Du immer wieder gucken kannst?
In der Pubertät habe ich Zurück in die Zukunft mehr als hundert mal geguckt. Tag für Tag kam ich von der Schule nach Hause und scaute den Film. Ich glaube durchaus Potential zu haben, Filme öfter zu gucken. Koyaanisqatsi habe ich etwa fünf mal gesehen. Als ich sechszehn oder siebzehn war, zündete man sich in meinem Freundeskreis riesige Joints an und schmiss Koyaanisqatsi in den Videorekorder. Davon bekamen wir Glubschaugen und seltsame Beklemmungen. Das war super.

14. Wie stehst Du zu Deinen Füßen?
Ich habe sehr hässliche Füße. Platt-, Spreiz- und alles andere, was man mit Füßen haben kann. Zudem zwei sehr schiefe große Zehen. Mein Verhältnis zu meinen Füßen war bisher von Gleichgültigkeit geprägt. Ich habe sie einfach nicht oft angeschaut. In merke aber, dass schlechte Füße im Alter vermutlich Probleme machen. So gesehen ist die Gleichgültigkeit einer gewissen Angst gewichen. Sollte die Angst uneträglich werden muss ich vermutlich mehr Bier trinken.

[jahresende Fragebogen]

Januar
Januar ist immer dieser Leerlaufmonat zwischen den Weihnachtsfeiertagen und meinem Geburtstag am 28. Der Januar braucht zwei oder drei Wochen bis er wieder richtig hochgefahren ist und gleichzeitig ist es der Countdown zu meinem Geburtstag an dem ich meistens wegfahre oder sonstwie arbeitsfern verbringe. Wenn ich am Ende des Jahres auf den Januar zurückblicke, dann bleibt da immer nur ein langer Anlauf zum 28. in Erinnerung. Dieses Jahr sind K und ich nach London geflogen.

Februar
Diesen Februar hatte ich zum ersten Mal eine VIP-Karte für das Olympiastadion. K’s Kollegin hatte uns eingeladen. Der riesige VIP-Untergrund im Olympiastadion ist eine erstaunliche Welt, die mich noch lange beschäftigt hat. Meist im positiven Sinne.
Hertha verlor 0:1 und es war der letzte Tag mit Luhukay als Übungsleiter. Danach würde es aufwärts gehen.

März
Sonnernfinsternis. Die Jungs in meiner Abteilung bauen spontan eine Camera Oscura aus Karton. Das ist mir als eine schöne Sache in Erinnerung geblieben.

Dann habe ich auch mein altes Sofa über Ebay Kleinanzeigen verschenkt. Es kam ein junges Ehepaar, sie wollten das Sofa ihrer Tochter schenken. Ich hatte Rückenschmerzen, konnte (und wollte) mit dem Abtransport also nicht helfen. Als das Paar das Sofa durch das Treppenhaus nach unten schleppte, war es offensichtlich, dass das Sofa für die Frau deutlich zu schwer war. Sie quälte sich und wirkte ein wenig verzweifelt. Ich wollte ihr daher Mut machen und log, sie müsse sich keine Sorgen machen, meine Frau habe das auch geschafft und die sei deutlich kleiner und schwächer. Was für einen Mist ich da kommentiert hatte, war mir erst fünf Minuten später bewusst. Zwei Tage lang wollte ich per Mail für diesen Kommentar um Entschuldigung bitten. Ich habe diese Email aus unerfindlichen Gründen nie geschrieben.

Dann Germanwings. Das muss man doch erwähnen, oder? Hat mich lange beschäftigt.

April
Tickets nach Amsterdam gehabt. Reise abgeblasen.

Im April bin ich nach langen Jahren wieder einem Chor beigereten. Ein sehr ambitionierter Chor mit einem spannenden Programm.

Mai
Im Mai bin ich dem Chor wieder ausgetreten.

Hertha hat sich unter Pal Dardai zwar wieder gefangen, aber der Abstieg wird nur mit Ach und Krach verhindert. Noch einmal Glück gehabt.

Juni
Im Juni zum ersten mal im Leben nach Mallorca gefahren und zwar auf Dienstreise. So einen Satz wollte ich immer schon mal schreiben. Habe ich zwar schon auf Facebook getan. Aber jetzt nochmal, hier.

Juli
Juli war irgendwie nur heiß. Juli war doch irgendwie nur heiß, oder? So ist mir der Juli in Erinnerung geblieben. Viel Zeit Abends vor Restaurants und Bars verbracht. Und immer schlecht geschlafen.

Flüchtlinge auch. Im Juli eskaliert das Flüchtlingsthema. Oder schon im Juni? Ich weiß es nicht mehr genau. Plötzlich brennt es.

August
Ich fuhr wieder eine Woche zu meiner Frau nach Schweden in den Wald.

Im August bekam ich Autoprobleme. Mein Auto gehörte auf Papier noch meinem Vater und ist deswegen in Italien zugelassen. Nun war der italienische TÜV fällig. Weil ich es aber zeitlich nicht schaffte, eine zehnstündige Italienfahrt (und Rückfahrt) anzugehen, beschloss ich das Auto in Deutschland zuzulassen, damit ich hier die TÜV-Plakette machen lassen kann. Das Auto hat eine sozusagen „italienisch“ (OK, Klische) eingebaute Gasanlage. Als ich zur Dekra fuhr um die Anlage in Deutschland abnehmen zu lassen, fängt der Prüfer an zu lachen, schüttelt den Kopf, fotografiert mit seinem Handy die Gasanlage und lädt sie auf Facebook hoch um sich mit seinen Gasanlagen-Kollegen lustig darüber zu machen.
Damit kam ich beim TÜV also nicht durch und das Auto musste schließlich auf dem letzten Drücker nach Italien, wo die Prüfer die Anlage „ganz OK“ finden würden. Einer meiner Mitarbeiter brachte den Wagen nach Italien und jetzt ist alles gut. Das Auto blieb dort, bei meinem Vater, ich wollte nicht, dass sich nochmal jemand lustig macht.

Hertha. Bundesligaauftakt. Wir haben kaum neue Spieler gekauft, eher Ergänzungen und junge Perspektivspieler. Ich sehe einer harten Saison entgegen.

September
Nach Sardinien zu einer Hochzeit eines Freundes geflogen. Jeden Tag Fisch gegessen und mit meinen Mandeln eine Gräte aufgespießt. Selten so schlecht geschlafen.

Und dann. Bitte folgende schöne Reihenfolge beachten. Das passierte alles im gleichen Monat:
1) Am 5.9 kaufte ich mir mein erstes, richtiges, eigenes Auto. Ein kleiner Volkswagen.
2) In einem anderen Zusammenhang bekam ich VIP-Karten für das Herthaspiel in Wolfsburg. Ich fuhr also am 19.9. mit meinem neuen Volkswagen zu seinem Geburtsort.
3) In der dritten und vierten Septemberwoche kam der Abgasskandal bei Volkswagen ins Rutschen.
Natürlich gibt es keinen Zusammenhang, aber für mich, der nie etwas mit Autos zu tun hatte und mit Volkswagen noch viel weniger, war das eine dermaßen symbolgeladene Konzentration von Eregnissen, dass es sich wie religiöses Unheil anfühlt.

Oktober
Um mir die Angst vor Autos zu nehmen, fuhr ich den ganzen Oktober mit dem neuen Auto herum. Sogar morgens ins Büro.

November
Dienstreise nach Bollnäs. Kurze aber intensiv in Erinnerung gebliebene Reise. Ich informierte mich im Vorfeld auf Wikipedia über den Ort. Bollnäs liegt 350km nördlich von Stockholm, hat etwa zehntausend Einwohner und gilt als eine Hochburg des Powermetal. Ein Mitarbeiter von mir ist Powermetalkenner. Ich bitte ihn uns einen Mix zusammenzustellen, vor uns liegt eine dreistündige Autofahrt, wir sollten uns kulturell darauf einstellen.

Dann habe ich meine Schwester und meinen Patensohn zu Besuch. Danach fliegen wir gemeinsam nach Südtirol.
Als ich am 13.November einschlafen will und zum Müdewerden noch auf dem Handy die Nachrichten lese, erfahre ich von den Anschlägen in Paris. Ich bin dann hellwach und kann erst spät in der Nacht wieder einschlafen.

Dezember
Die Hertha glänz. Die Mannschaft spielt eine nie dagewesene Saison und beendet die Hinrunde auf dem dritten Platz, überwindert sozusagen auf einem Championsleague Platz. Kann so weitergehen. Außerdem habe ich fast alle Heimspiele im Stadion gesehen.

JAHRESENDFRAGEN:

Haare länger oder kürzer?
Kürzer.

Mehr Kohle oder weniger?
Mehr.

Mehr ausgegeben oder weniger?
Vom Gefühl her weniger.

Mehr bewegt oder weniger?
Weniger.

Der hirnrissigste Plan?
Hm.

Die gefährlichste Unternehmung?
Betrunken Fahrradfahren. Das könnte ich jedes Jahr schreiben. Ich halte betrunken Fahrradfahren aber gar nicht für gefährlich. Sondern nur super. Aber da stand ja nicht „Die superigste Unternehmung“.

Die teuerste Anschaffung?
Ein Auto. Ein kleiner VW, kostete nicht viel. Ich bin sehr geizig bei sowas. Weil ich zum Glück noch nicht verstehe welche Vorzüge man sich mit Geld bei einem Auto erkaufen kann. Je mehr ich mit damit beschäftige, desto mehr beginne ich eine Ahnung zu haben.

Das leckerste Essen?
Auf jener Hochzeit in Sardinien habe ich vom Gefühl her einige Geschmackserlebnisse gehabt, die ich als außergwöhnlich bezeichnen würde. Ich habe da aber über mehrere Tage hinweg so viel und so durcheinander gegessen, dass ich die einzelnen Gerichte nicht mehr zuordnen kann. Was ich sehr schade finde.

Das beeindruckendste Buch?
Ist es jetzt etwas plakativ, wenn ich Bov Bjergs Auerhaus hier aufzähle? Ist es vermutlich. OK, dann ein anderes: „Gutes Bier selbst brauen“ 🙂

Der ergreifendste Film?
Zwei Serien:
– Zum einen Anfang des Jahres die amerikanische Version von „The Killing“. Wir haben die vier Staffeln an zwei Wochenenden durchgeguckt. Erstens: tolle Frauenfiguren. Zweitens: tolle Figuren generell. Drittens: spannende und vielseitige Geschichte. Viertens: dieses verregnete und neblige Seattle, das sogar in die Figuren überzugehen scheint, boah, ich könnte mir das ewig angucken.
– „The Leftovers 2“. Die erste Staffel war schon meine Lieblingsserie des letzten Jahres. Die zweite Staffel ist vielleicht noch ein Stück besser. Ausgenommen vielleicht die fabrlos gebliebene Rolle von Nora Durst. Nora Durst war in der ersten Staffel der vielschichtigste (und umwerfendste) Charakter. In der zweiten wurde sie zu einem konventionellen Frauenbeiwerk mit konventionellen Frauensorgen (Ausnahme der Monolog in Folge 6. Überhaupt: Folge 6, die beste FOlge in der ganzen zweiten Staffel) zudem mit einer unmöglichen Hausfrauenfrisur. Sehr ärgerlich das, auf Nora Durst hatte ich mich am meisten gefreut.

Die beste Musik?
Moby. Ich habe im Dezember Moby entdeckt. 20 Jahre zu spät. Warum hat mir niemand gesagt, wie toll Moby ist.

Das schönste Konzert?
Apparat im Admiralspalast

Vorherrschendes Gefühl 2015?
Viele Dinge getan die überraschend leicht von der Hand gingen.

2015 zum ersten Mal getan?
In eine Brauerei crowdinvestiert 🙂

2015 nach langer Zeit wieder getan?
Seit 2006 das erste mal wieder in einem Chor gesungen.

Drei Dinge, auf die ich gut hätte verzichten können?
Dinge im privaten Umfeld über die ich hier nicht schreiben möchte.

Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?
Diese Frage fällt mir jedes Jahr sehr schwer. Ich verbringe sehr wenig Zeit damit, Leute von etwas zu überzeugen.

Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe?
Ich habe nachgefragt. Der 15€ Gutschein für Google Play. Das ist ganz unironisch. Ich kann mich tatsächlich noch erinnern, wie sehr sie das gefreut hat. Weil sie ihre Kreditkartendaten nicht ins Handy eingeben will, aber eine bestimmte superpraktische App haben wollte.
Später stand ich im Supermarkt an der Kasse stand und sah diese Gutscheine. Von Google Play, itunes, etc. Darauf waren wir nicht gekommen.

Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat?
Da zu sein.

Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?
„Schlaf gut“

Der schönste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe?
Das kann ich nicht beurteilen.

2015 war mit einem Wort …?
Ziemlich Super.

[koffer]

Mein sechsjähriger Patensohn war in Berlin zu Besuch. Nachdem sich das Schloss an seinem Koffer nicht mehr öffnen ließ, musste ich zu jenen Methoden greifen in denen ich viel Übung habe und knackte den Schließmechanismus schließlich mit einem Brechstängchen. Der Koffer war somit natürlich hin.
Als wir später im Kaufhaus standen ließ ich ihn kurzerhand einen Koffer aussuchen, den ich ihm dann kaufte. Er wählte einen kleinen Koffer mit vier Rädern und einem Eisbären vornedrauf.

In den Stunden danach war er wie verzaubert von diesem Koffer. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der sich so intensiv mit einen Koffer beschäftigte. Wir waren zu dritt in der Stadt unterwegs, mit seiner Mutter, also meine Schwester. Er lief ständig mit seinem Koffer neben uns her. Oft lief er voraus und kniete sich hin um den Koffer zu öffnen und wieder zu schließen bis wir ihn wieder eingeholt hatten. Jede Pause nutzte er um Dinge darin zu verstauen und daraus wieder hervorzunehmen. Waren die Bodenbedingungen gut (Kaufhäuser) verwendete er den Koffer als Vehikel auf das er sich Rollen ließ oder es wie einen Rollator benutzte indem er sich darüber bückte und sich vorwärts schob.

Beruflich bedingt muss ich oft einschätzen ob jemand selbstständig arbeitet oder ob ich die Qualität der Arbeit kontrollieren muss. Mein sechsjähriges Patenkind schätzte ich gleich als Profi ein. Ihn und seinen Koffer brauchte ich nicht zu kontrollieren.

Wir waren dann im weitläufigen Untergrund am Alex, kauften Blumen und eine Zeitung, und beide mussten wir noch zum Geldautomaten. Es war Samstagnachmittag, im Untergrund wimmelten die Menschen. Als wir danach auf die Ubahn warteten sah ich zu meinem Patenkind hinunter. Er strahlte mich an. Was mir aber auffiel: mein Patenkind war kofferlos. Und irgendwo war ein Koffer herrenlos.
In diesen Zeiten des Terrors ist ein Kofferverlust nicht bloß ein Kofferverlust sondern man bringt auch die Zivilisation aus dem Lot. Ich erzählte meiner Schwester wie eine Woche vorher der Bahnverkehr eine Stunde lang zum Erliegen kam. Der Grund, ja genau, ein herrenloser Koffer am Alex. Ich fragte den kleinen Jungen wo der Koffer sei. Er schaute zuerst auf den Boden und schlug sich danach die Hand vor den Mund.
Keine gute Sache.

Das Ende der Geschichte lasse ich jetzt aber weg. Nur so viel: am Abend aßen wir Nudeln mit Pesto und hatten alles schon vergessen. Das ist immer ein schönes Bild am Ende. Essende Leute, sorglos am Tisch.

[e.n.]

Vorhin im Aufbauhaus zu Mittag gegessen. Ich saß alleine am Fenster und an einem Tisch schräg gegenüber mir saß dieser Schauspieler aus Fight Club. Nicht Brad Pitt, sondern der andere. Er unterhielt sich mit einem (mir unbekannten) Mann und hielt dabei ein großes Notizbuch in der Hand, in das er ständig Sachen notierte. Ich hatte nur E auf meinem Handy, konnte nichtmal seinen Namen googlen, ich saß also nur da und schaute angestrengt in eine andere Richtung, ich wollte ja nicht in Verdacht geraten berühmte Schauspieler anzustarren, schließlich saß er ja schon mit dem Rücken zum Eingang, damit die Leute ihn nicht ständig sehen würden und ins Starren verfielen. Als ich mit dem Essen fertig war, ging ich ganz langsam an seinen Tisch vorbei, vielleicht würde ich das eine oder andere aufschnappen, von einem noch geheimen Filmprojekt oder einer Wohltätigkeitsgeschichte, wer weiß. Als ich dann am Tisch stand und versuchte zu lauschen, war ich dann ziemlich überrascht: er konnte sächsisch. Glaubt einem ja keine Sau, wenn man das erzählt: Edward Norton kann sächsisch.