Heute geht es schon wieder ein bisschen um meine Heimat. Ein bisschen nur, ich bitte um Geduld, aber ich bin an dieser Stelle verpflichtet zu erwähnen, dass man dort wo ich herkomme, ein Lied über Innsbruck singt, dieses Lied über die Hauptstadt der Nordtiroler und dort taucht im Text eine bestimmte Stelle auf, die handelt davon, dass Innsbruck eigentlich schon ein ganz nettes Städchen ist, aaahber -ja aber- es hat halt keine Kastanien. Und deshalb bleiben die Singer des Liedes auch lieber im sonnigeren Südtirol, weil ein Leben ohne Kastanien ein wirklich graues Leben sein muss. Den genauen Text kenne ich nicht mehr, er lässt sich auch nicht ergooglen, aber die Melodie, die kann ich noch summen, zumindest in Bruchstücken.
Für mich galt der Brenner deshalb lange Zeit als eine Art Kastanienäquator. Alles was nördlich davon liegt ist schon so eine Art Permafrostland, das im Sommer die paar warmen Sonnenstrahlen abkriegt um danach wieder in einen monatelangen, finsteren Winter zu versinken. Immer wenn ich mit der Sonne gen Norden über den Brenner fuhr und der Zug in Innsbruck hielt, guckte ich jedesmal bemitleidend durch den Regen nach draussen und dachte an die armen Innsbrucker, hätten sie doch bloss Kastanien, die Armen, dann könnte man hier vielleicht sogar das stetige Regenwetter ertragen. Ein wahrlich düsterer Ort, dieses Innsbruck.
Mittlerweile wohne ich seit etwa zehn Jahren fast ausschliesslich in regnerischen Ländern nördlich des Kastanienäquators, weil ich der Gutwetterlaunen irgendwann überdrüssig war und seitdem habe ich auch festgestellt, dass die Länder nördlich vom Brenner durchaus Qualitäten besitzen die wichtiger als Kastanien sind. Gute Politker zum Beispiel. Oder gutes Essen.
Weil Hamburg, am Kastanienäquator gemessen, sich ja schon nördlich des Kastanienpolarkreises befindet, habe ich heute im Wald hinter Blankenese, etwas westlich und oberhalb des römischen Gartens, natürlich sehr verwundert zu Boden geguckt, als dieses igelige, harte Bällchen meinen Kopf nur um wenige Zentimeter verfehlte und vor meinen Füssen zu Boden donnerte. Dieser stachelige Klumpen den ich aus meiner Kindheit nur allzugut kannte wollte heute ganz und gar nicht in mein Weltbild passen. Deshalb griff ich erstmal völlig verblüfft danach und erinnerte mich dann gleich, jedoch zu spät, dass die Dinger nicht nur stachelig aussehen, sondern auch richtig weh tun wenn man sie wie einen Stein fest umklammert vom Boden hebt.
Da stehen also wirklich drei Katsanienbäume wie drei fröhliche Urlauber herum. Hier am Polarkreis. Und scheinen die hellste Freude dabei zu haben an einem sonnigen, späten Nachmittag im Oktober mit Kastanien um sich zu schmeissen. Keine Rosskastanien, sondern richtige, stachelige Dinger, die man öffnet, die braunen Herzchen dann an einer Seite ein wenig einritzt und für etwa zwanzig Minuten in kochendes schmeisst.
Dazu nehme man am besten einen schweren roten Wein, wenn möglich Speck, der bei mir leider alle ist, zündet ein paar Kerzen an und ezählt sich Geschichten.
Jetzt mal sehen ob mir schlecht wird.
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