[Do, 4.5.2023 – Utrecht, Totengedenken, Bitterballen]

Gegen Mittag fuhr ich nach Utrecht. Wir hatten einen Termin bei einem Diensteister. Utrecht war 7 Jahre lang eine richtige Heimat für mich. Leider hatte ich einen vollen Terminkalender, aber nächstes Mal möchte ich mir mehr Zeit nehmen, frühere Orte aufzusuchen, frühere Strecken abzulaufen. Seltsamerweise sind alle meine Freunde von damals entweder nach Amsterdam oder in andere Städte oder Länder gezogen. Bis auf Antoon sind sie eigentlich alle weg,

Am Bahnhof Centraal weiss ich mich sofort zu orientieren, den Weg zu dem Dienstleister nehmen wir zu Fuss. Mittlerweile säumen Hochhäuser die Strasse auf der Hinterseite des Bahnhofs, früher war da nur, nun, was stand da früher, ich kann mir das gar nicht mehr richtig vergegenwärtigen, es war eher eine verwahrloste Gegend mit zwei breiten Ausfallsstrassen.

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Später zurück in Amsterdam nehmen wir ein Feierabendbierchen auf dem Balkon der Firma mit Ausblick über die innere Stadt. Eine sommerliche Sonne scheint auf uns nieder.

Heute ist Totengedenktag. Das findet immer am 4. Mai statt. Am Totengedenktag gedenkte man früher an die Toten des zweiten Weltkrieges, mittlerweile gedenkt man den Toten der Kriege im allgemeinen und bereits seit Jahren gedenkt man dabei verschiedenen Minderheiten, vor allem natürlich Juden. Es gab Bemühungen, auch der ermordeten Homosexuellen zu gedenken, aber die Offiziellen der Stadt verschlossen sich dem viele Jahre lang. Aus diesem Grund wurde eine alternative Gedenkfeier an der Westerkerk begründet, ein zeitgleich stattfindendes Totengedenken am Homomonument auf der Freifläche nördlich der Westerkerk.

Da meine Firma eine queere Datingplatform ist, fragte ich, on jemand vor Ort sein wird, ich würde da gerne hingehen, am liebsten natürlich in Begleitung. Es fanden sich zwei Kollegen, die mit mir mitgehen würden.

Es finden Reden und Kranzniederlegungen statt. Auch eine Stiftung, die von meiner Firma finanziert wird, legt Blumen ab. Dann wird zwei Minuten lang geschwiegen, ganz Amsterdam verstummt. Ein sehr beklemmendes, aber eindrückliches Gefühl. Ein paar Vögel fiepen dazwischen, ansonsten: Amsterdam verstummt.

Nach einer Dreiviertelstunde gehen wir in die Kneipe, trinken Amstelbier und bestellen Bitterbollen. Wir wechseln in eine andere Kneipe, mit Tischen am Wasser. Es schwimmen Enten vorbei, und kleine Boote. Wenn ich aufs Klo gehe, balanciere ich an der Kaimauer entlang und habe Angst ins Wasser zu fallen. Ich bin glücklich.

[Mi, 3.5.2023 – Herumfahren, zurückgegelte Haare usw]

Heute früh im Hotel die Kacktüten von meiner Hündin aus der Jacke gezogen. Ich wurde ganz wehmütig.

Tagesüber mehrere Termine gehabt. Unter anderem mit einem sehr pfiffigen, jungen Mann, der fast im Alleingang ein sehr professionelles Rechenzentrum betreibt. Er ist höchstens 35 Jahre alt und er sah aus, als würde er in seiner freien Zeit Rechner zusammenschrauben. Dabei hat er zurückgegelte mittellange Haare. Ich muss das erwähnen, ich verstehe die Message dahinter zwar nicht, aber diese zurückgegelten, mittellangen Haare, die fand ich sehr besonders.

Am späteren Nachmittag fuhr ich mit dem Geschäftsführer nach Nord-Holland zu seinem Haus. Dort tranken wir was, ich lernte seinen Mann kennen, ich streichelte die Hunde und wir hatten eine sehr kurzweilige Zeit. Ich liebe es, durch diese flachen Landschaften zu fahren, über Brücken, an Kanälen vorbei, durch Dörfer mit spitzen Dächern. Früher bat ich immer meine damalige Freundin, mit dem Auto herumzufahren, ich hatte immer bestimmte Routen ausgesucht, Gegenden, die ich sehen wollte, kleine Städte, die ich besuchen wollte. Neulich schrieb sie mir, dass sie noch nie so viel von ihrem eigenen Land gesehen hatte, wie in den sechs Jahren, in denenn wir zusammen waren. Ich fasste es positiv auf.
Ich werde diesmal keine Zeit haben, sie zu besuchen. Ich verheimliche ihr sogar, dass ich gerade in den Niederlanden bin. Sie wohnt mittlerweile in der Nähe von Eindhoven, ich schaffe es zeitlich einfach nicht und sie liest nicht dieses Blog, was sehr gut ist.

Später fuhr ich mit der Bahn zurück nach Amsterdam, ich ging ins Hotel, telefonierte mit meiner Frau, weil sich heute unser Hochzeitstag zum zehnten Mal jährt, danach suchte ich eine Apotheke. Ich kann mich an früher erinnern, dass es in den Niederlanden immer zu wenig Apotheken gab. Daran hat sich wenig geändert. Bis ich um 19Uhr eine offene Apotheke fand, war ich 3,9km gelaufen. Dann setzte ich mich in einen Burgerladen und danach suchte ich eine kleine Brauerei mit einen Ausschank auf. Die Brauerei wollte ich schon seit längerem besuchen, aber ich kam nie dazu. Das Bier schmeckte dann eher so mittelmässig, und weil ich sehr müde war, ging ich zurück ins Hotel. Jetzt spüre ich meine Füsse nicht mehr.

[Di, 2.5.2023 – Rating in Taxis, Amsterdam]

Ich war ein bisschen spät dran, also nahm ich das Taxi nach Schönefeld. Beim Aussteigen bedankte sich der Fahrer und sagte, er habe mir 5 Sterne gegeben. Das freute mich. Ich wusste gar nicht, dass man als Kunde Sterne erhalten kann. Ich schaute sofort in die App und sah, dass ich ein Rating von 4,9 Sternen habe. 4,9 ist okay, das ist mehr als die meisten Horrofilme auf Amazon haben, die wir so schauen. Heisst aber auch, dass mich jemand mal mit weniger als 5 Sterne geratet hat. Ich wusste gar nicht, dass ich mich einmal daneben benommen hätte, ich bin zu Menschen, die mir eine Dienstleistung entgegenbringen eigentlich grundsätzlich freundlich. Leider kann ich in der Chronik nicht überprüfen, wann das war. Beschäftigt mich jetzt wirklich.

Dem Fahrer gab ich jedenfalls fünf Sterne. Super Typ.

Natürlich war ich zu früh am Flughafen. Wegen der Probleme an den Sicherheitsschaltern empfehlen die Fluggesellschaften mindestens 2 Stunden vor Abflug da zu sein. Aber die Probleme mit den Sicherheitsschleusen wurden doch längst behoben, wenn ich mich richtig erinnere. Ich war also 2h zu früh da und trank Bier.

Immer wenn ich in die Niederlande zurückkehre, habe ich das Gefühl in einem wirklich modernen und offenen Land zu anzukommen. Jeder Gedanke an Berlin oder an Deutschland frustriert mich dann. In meiner berliner Blase vergesse ich das immer sehr schnell, aber wenn ich aus dieser Blase einmal entsteige und mich in Amsterdam wiederfinde, dann merke ich erst wie langsam, träge, konservativ, grau und eierschalengelb Berlin ist und ich werde ganz verstimmt.

Schlimmer noch: Freitagabend wenn ich wieder zurückkomme, wird mich die Verstimmung noch einmal in voller Härte erwischen. Gut, dass ich in der Nacht zurückkehre, dann kann ich mir die angestrahlte Stadt etwas schöner sehen.

[Mo, 1.5.2023 – nicht gepackt]

Ich muss noch packen. Morgen fahre ich nach Amsterdam. Mein Flieger geht zwar erst am Abend, aber der morgige Tag wird mit vielen Terminen bestückt sein, ausserdem habe ich die Hündin, plötzlich gerate ich in Stress. Stattdessen sitze ich mit Frau und Hündin am Frankfurter Tor und trinke Bier. Das Telefon geht an, unsere Platform ist wieder nicht erreichbar, es passiert immer an Feiertagen, dass unsere Server Probleme haben. Mit zwei Bieren im Kopf und dem Handy in der Hand fühle ich mich sehr eingeschränkt, ich versuche die Jungs zu unterstützen, aber es geht nicht gut, also gehe ich nach Hause. Es dauert zwei Stunden, bis alles wieder richtig läuft. Es nervt.

Spät am Abend habe ich immer noch nicht gepackt.

[So, 30.4.2023 – Lange Wochenenden, religiöse Rechnung]

Eigentlich müsste man an einem langen Wochenende wie heute verreisen. Wir machen das nie. Das ist ein Reflex. Diese langen Wochenenden, an denen alle andere immer überall sind und alles verstopfen, da vergeht uns beiden immer sofort die Lust irgendwohin zu fahren. Aber eigentlich müssten man an einem langen Wochenende wie heute verreisen. Oder uns irgendwas gutes tun. Stattdessen planten wir die Steuern zu machen.

Klappte heute nur so mittelmässig. Aber wir haben ja noch den ersten Mai.

Am Nachmittag lief Hertha gegen Bayern. Das letzte Mal an dem wir in München gewannen, war Herbst 1977. Wir stehen abgeschlagen auf dem letzten Platz. Die Konkurrenz ist uns an diesem Spieltag enteilt. Dass wir gerade heute, nach 46 Jahren, wieder einmal gewinnen werden, ist eher eine religiöse Wahnvorstellung. Wir verloren auch 2:0.

Langsam gehen die Lichter aus. Es sind noch vier Spiele. Rechnerisch ist der Klassenerhalt noch möglich. Es ist aber eine religiöse Rechnung.