[Mittwoch, 28.12.2022 – Unter Hundehalterinnen]

Dem Frauchen von Paule geht es nicht gut. Ich traf sie heute in der Strasse. Ohne Paule. Sie war auf dem Weg zum Arzt. Paules Frauchen ist eine alte, schwerhörige Frau. Wenn ich mit ihr rede, rede ich immer sehr laut und langsam und artikuliere meine Wörter. Meine Hündin verehrt sie, weil sie immer grosse Truthahnleckerlis bei sich hat und diese grosszügig an die Hunde in der Nachbarschaft verteilt.

Ich frage sie, was denn los sei.
Sie sagte, sie habe starke Gliederschmerzen und könne nur schlecht atmen.
Ich frage natürlich nach Covid, aber das verneint sie, sie sei in all den beiden Jahren immer negativ geblieben.
Sie vermute eher, dass sie zu wenig esse, sie nähme ja gerade ab, vielleicht ist das in ihrem Alter einfach nicht mehr so gut.
Ich sage, das stimmt sicherlich, aber sie brauchen doch gar nicht abnehmen, Sie sind ja nicht dick.
Darauf reagiert sich aber nicht. Vielleicht habe ich es nicht laut genug gesagt. Ich frage sie: trinken Sie denn genug? Auf das Trinken kommt es ja immer an.
Sie lacht auf. Ha. Natürlich trinke ich genug. Bei mir im Wohnzimmer sieht es aus wie in einer Kneipe.
Nein, sage ich, das meine ich nicht, eher Wasser.
Achso, ja, eine Bekannte hat mir zwölf Flaschen Selters und Apfelsaft gebracht. Das mische ich jetzt und trinke es.
Das ist sicher gut, sage ich, man soll ja zwei Liter pro Tag trinken, sagt man. Ich bin mir nicht sicher ob sie das hört oder eh schon weiss.
Sie schaut auf meine Hündin, die die ganze Zeit vor ihr sitzt und sie anhimmelt. Sie sagt zu meinem Tier, dass sie heute keine Leckerlis habe, sie sei auf dem Weg zum Arzt. Das Tier himmelt sie trotzdem an und leckt sich aufgeregt über die Schnauze.

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Am Nachmittag machte ich einen längeren Spaziergang mit einer jungen Frau. Unsere Hunde mochten einander, aber wie es immer so ist: wenn ich stehenbleibe, dann bewegt sich auch meine Hündin nicht mehr. Also fragte ich die junge Frau, ob sie eine Runde drehen wolle. Das ist unter Hundehalterinnen durchaus üblich, weil die meisten Hunde inaktiv werden, wenn der dazugehörige Mensch inaktiv ist. Wir drehten vier lange Runden im Park. Sie war dreissig Jahre alt und hatte kürzlich beschlossen, bewusst als Kellnerin zu arbeiten. Sie hatte Soziologie studiert, konnte sich aber nicht vorstellen, in einem Büro zu arbeiten, sie hätte auch etwas pädagogisches probiert, aber alles verworfen. Jetzt arbeite sie in der Kneipe. Sie sei ohnehin nachtaktiv und dort fühle sie sich gebraucht, sie hat eine Rolle, lernt viele Menschen kennen und kann Musik auflegen, die ihr gefällt. Mich überrascht es, da ich sie sehr klug finde und ein Job als Kellnerin wirkt auf mich unter ihrer Würde. Bevor ich das aber ausspreche, schäme ich mich für diese klassistische Betrachtungsweise. Als wäre es nur erstrebenswert, würdevolle Jobs auszuüben und als wären damit jene Leute, die solche Jobs ausüben, automatisch unter irgendeiner Würde. Ich finde die Begeisterung mit der sie über ihren Job redet aber ungemein sympathisch. Ich sagte, für mich wäre Kellner immer ein möglicher Plan B. Falls die Wirtschaft am Boden liegt und ich nicht mehr in meinem Beruf arbeiten kann, dann wäre eine Arbeit als Kellnerin immer eine gute Alternative. Mein einziges Problem sei der Alkohol. Ich glaube, ein Job als Kellner würde für mein Trinkverhalten nicht sehr förderlich sein. Sie sagte, für sie sei das kein Problem. Sie trinke nicht.

[Freitag, 8.10.2021 – Carepaket aus Südtirol]

Ich habe ja dieses Carepaket aus Südtirol mitbekommen. Für eine Freundin von Irenes Tochter.
Das Carepaket enthält einen Geschenkkorb mit tollen Marmeladen, Streichcremen fürs Brot, Schokolade etc alles mit Südtirolbezug, dann eine Kiste mit zwei Apflesaftblasen. Ich nenne sie Apfelsaftblasen, die heissen aber bestimmt anders. Es sind so durchsichtige Plastiksäcke mit einem Ventil unten dran. Damit kann man sich Apflesaft einschenken. Ausserdem eine riesige Kiste mit selbstgepflückten Äpfeln.
Mit der Freundin bzw deren Mutter versuche ich schon seit zwei Wochen einen Termin zu finden, aber die Freundin wohnt in Lichterfelde, es ist nicht so einfach sich zu treffen, bei Hin- und Rückfahrt ist es eine zweistündige Autofahrt.

Die Kiste selbstgepflückte Äpfel ist mittlerweile nicht mehr vorzeigbar. Weil ich die Äpfel nicht unentwegt kühl aufbewahren konnte, hatten sie angefangen zu vergilben. Da sich das Treffen sich zu verzögern schien, begannen wir bereits, Äpfel aus dieser Kiste zu stibitzen. Erst nur einzelne. Wenn man die anderen Äpfel entsprechend umschichtete, dann fiel es anfangs nicht so auf, dass welche fehlten. Aber man staunt, wie viel man in zwei Wochen so wegstibitzen kann. Und wie wenig man es vertuschen kann.
Weil ich ein schlechtes Gewissen hatte, schrieb ich Irene an: Duuuuh, ich muss gestehen, dass…

Sie fand es eher lustig und hatte Verständnis dafür. Besser als die Äpfel vergilben zu lassen, ist es, sie aufzuessen. Und eine fast leere Kiste verschenken ist auch nicht sehr stilvoll.

Heute klappte also die Übergabe. Sicherheitshalber erwähnte ich die Sache mit den vergilbten Äpfel, dass ich sie vorsorglich aufgegessen hatte. Ich weiss nicht, warum es mir wichtig war, es zu erwähnen. Vielleicht, weil das Mitbringsel ohne diese große Äpfelkiste optisch nicht ganz so beeindruckend aussah. Obwohl, der Geschenkekorb und die beiden Apflesaftblasen sind vom Volumen her ja auch schon so groß, dass man sie nicht mal eben mit der Post verschicken kann, sich die Fahrt aus Lichterfelde also schon auszahlte.

[Mittwoch und Donnerstag, 22/23.9.2021 – Weisshorn, Laab-Alm, Leifers, Wurzer Alm, bei Freunden]

Ich konnte erst gegen Mitternacht einschlafen und wachte nach einer unruhigen Nacht um 3:30 auf. Mein Wecker würde um 4 Uhr klingeln um eine Stunde zum Jochgrimm zu fahren, wo ich meine kleine Schwester und ihren Freund treffen würde. Vom Jochgrimm wollten wir auf das Weisshorn steigen um vom Gipfel aus den Sonnenaufgang anzuschauen.

Eigentlich wollte ich absagen. Ich spielte 25 Minuten lang mit der richtigen Formulierung um abzusagen. Um 5 vor vier entschied ich aber, dass das blöd sei und sich diese Möglichkeit, nicht so schnell wieder ergeben würde und ich nun ohnhein nicht mehr schlafen könne, ich also genau so gut aufstehen und losfahren kann.

So tat ich dann auch.

Meine Mutter wurde wach und kochte uns einen Kaffee ich ass einige Brotscheiben mit Marmelade, trank den Kaffee und machte mich auf den Weg.
Eine Stunde später erreichte ich das Jochgrimm.
Auf das Jochgrimm fuhren wir früher oft zum Kiffen hoch. Wir setzten uns auf diese Wiesen unterhalb des Weisshorns und kifften. Ich fuhr immer schon gerne zum Jochgrimm hoch, weil man da schnell und unkompliziert zur Baumgrenze hinauffahren konnte. Es fühlte sich für mich immer befreiend an, die Bäume hinter mir zu lassen.

Die ganze Fahrt durch das dunkle Tal hinauf höre ich Filmmusik von Max Richter. Als ich Jochgrimm aussteige merke ich, dass es sehr kühl ist. Es ist noch dunkel und hat drei Plusgrade. Meine Schwester und ihr Freund sind schon da. Ich habe eine kurze Hose und ein Tshirt an. Die kurze Hose ersetze ich durch eine Joggingshose, die ich in weiser Voraussicht mitgenommen habe. Über das Tshirt ziehe ich einen dünnen Wollpullover, einen Baumwollpullover und eine ungefütterte Jacke an. Zur Sicherheit habe ich noch einen zweiten Baumvollpullover an. Es fühlt sich nicht ganz ausreichend an, aber das ist mir egal, wenn es nicht geht, dann breche ich die Aktion einfach ab und gehe zurück zum Auto.

Dann steigen wir hinauf. Es ist noch dunkel, im Westen leuchtet der Vollmond, dadurch sieht man den Weg einigermaßen gut. Heute ist der 21.9. das heisst Tag und Nacht sind genau gleich lang. Der Aufstieg dauert etwa 50 Minuten. Das Weisshorn ist nicht sonderlich hoch, fast 2400 Meter, das Jochgrimm liegt auf 2000m, es gilt also nur 400 Höhenmeter zu überwinden. Zuerst die Weide, dann diese Gegend mit den Kiefersträuchern, danach kommt das Geröll und dann die Felsen. Wir steigen die Westseite hinauf. Der Weg wurde in den letzten 10 Jahren bearbeitet und ist jetzt wirklich sehr einfach, auch mit Turnschuhen zu besteigen.

Während wir hinaufsteigen hören wir die Kuhglocken, aber es ist noch zu dunkel, um die Tiere zu sehen. Es lichtet sich der Horizont in östlicher Richtung. Ich bin anfangs etwas zu hastig, mein Puls ist schnell und meine Lungen füllen sich mit kalter Luft. Es ist wichtig, ruhig zu gehen. Schritt für Schritt, fast meditativ. Bald beruhigt sich mein System.

Als wir oben ankommen ist es bereits hell, die Sonne wird in zehn Minuten aufgehen. Es weht ein eisiger Wind vom Osten her. Auf der Westseite des Kammes war es angenehm kühl, aber sobald wir aber dem Gipfel stehen, sind wir total diesem eisigen Wind ausgeliefert. Mit meiner Sommerkleidung stehe ich ein bisschen doof da. Mein Rücken ist nass vom Schweiss. Dann finden wir eine kleine Kuhle auf der südostseite, zwischen zwei kleineren Felsen. Hier wird der Wind etwas gebrochen. Der Freund meiner Schwester gibt mir etwas, das ich mir um den Kopf wickeln kann.
So sitzen wir dann und schauen über den rötlichen und immer heller werdenden Horizont hinter den Gipfeln der Dolomiten.

Dort wo der Feuerball aufgehen sollte, sind die Wolken zu dicht, aber der Rest des Himmels ist wolkenfrei. Schon lustig. Wäre ja wirklich zu kitschig gewesen.

Ich merke, dass es mir nicht gut tut, da oben mit nassem Rücken in der Kälte zu sitzen, ich sage, dass ich schon runter müsse, ich würde mich ins Auto setzen und auf die warten. Meine Schwester und ihr Freund bleiben noch etwas.

Unten auf der Weide sehe ich jetzt auch die Tiere mit den Kuhglocken. Es sind keine Kühe. Es sind Esel. Das soll mir mal jemand erklären, was Esel auf einer Weide machen. Allerdings muss ich zugeben, dass Esel ästhetisch sehr viel her machen. Sie sind die Pluschtier Variante von Pferden.

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Dann fahren wir hinunter zu meinem Vater. Wir lernen seine neue Freundin kennen. Sie ist nett. Es gibt ein zweites Frühstück, mit selbstgemachten, fast zuckerlosem Pflaumenmus.

Es ist 11 Uhr, die kurze Nacht und die Kälte auf dem Gipfel haben mir etwas zugesetzt und ich lege mich etwa eine Stunde hin. Ich schlafe sofort ein und werde genau eine Stunde später wach. Es geht mir sofort besser.
Als ich in die Küche gehe, gibt es schon Mittagessen. Eigentlich bin ich für Mittagessen noch gar nicht bereit, aber es gibt SPaghetti mit der Bolognese meines Vaters und wenn es so etwas wie die beste Bolognese der Welt gibt, dann ist es die Bolognese meines Vaters. Bolognese nennt man im Volksmund ja Ragú. Weiss nicht, warum das so ist. Ich habe noch nie Italienerinnen gehört, die Bolognese sagen, ausser in Restaurants. Oder wenn nicht Ragú, dann Sugo. Sugo für Pastasciutta.

Nach dem Essen gehen wir zu fünft auf die Laab Alm. Wir wollen ein Stück spazieren. Eigentlich Pilze suchen. Aber es gibt dieses Jahr wenige Pilze. Wir kommen etwas vom Weg ab und gelangen in ein sumpfiges Gebiet. Meine Schwester und ich setzen uns auf einen Baumstamm und bleiben längere Zeit sitzen. Wir reden über die Dinge.
Auch auf den weiden der Laam Alm gibt es Esel.

Zum Abendessen bin ich bei Irene und ihren wunderbaren zwei Töchtern in Leifers zum Essen eingeladen. Irene ist eine alte Freundin von früher. Seid Facebook haben wir wieder ein bisschen Kontakt und treffen uns ab und zu. Ich durfte mir das Essen wünschen, also wünschte ich mir Gemüserisotto. Es gab also Gemüserisotto, garniert mit Garnelen und dazu Rotwein.
Wir erzählen einander von den Dingen. Die ältere der beiden Töchter hat gerade Abitur bestanden und beginnt mit dem Studium, die andere ist demnächst dran und erzählt vom Sport. Wir reden über das Leben, über das Reisen, über Corona.

Ich bin u.a. da um ein Südtirol Carepaket für eine Freundin der jüngeren Tochter nach Berlin zu bringen. Eine Kiste Äpfel und eine Geschenkebox plus Unmengen Bioapfelsaft.
Auch ich bekomme eine Kiste Äpfel und eine Geschenkebox. Das ist wirklich lieb, auch wenn mein kleines Auto jetzt aussieht wie ein Obsttransporter.

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Am Donnerstagvormittag gingen meine Frau und ich auf eine kleine Wanderung. Eigentlich wollten wir zur Kirchsteiger Alm. Das hatte ich ausgesucht, weil wir am Brunnenplatz oft in ein Restaurant gehen, das auch Kirchsteiger heisst. Ja, simpel, ich weiss, aber man braucht halt immer eine Referenz für irgendwas.

Um zur Kirchsteiger Alm zu kommen fährt man am besten mit der Seilbahn auf Meran 2000. Als wir aber auf dem Parkplatz der Talstation ankamen und die Touristenmassen sahen, bekamen wir schlechte Laune.
Eine Alternative wäre, nach Hafling hinaufzufahren und da einfach mal schauen, was man machen kann. Zur Sicherheit rief ich meine Mutter an und sagte, dass wir lieber nach Hafling fahren, ob sie da eine schöne Wanderung kenne. Sie riet uns eine nette aber kurze Route zur Wurzer Alm. Direkt von HAfling aus zu erreichen. Anderthalb Stunden vielleicht.
Also taten wir das.

Am Anfang gefiel uns der Weg nicht so, Zu viel Jodel-Schick und Hängegeranien auf dem Weg, ich hasse das total, aber sobald wir das Dorf hinter uns liessen, wurde es besser. Das erste Stück war sehr steil, nach etwa einer halben Stunde, flachte der Waldweg etwas ab.

Gegen 2 Uhr waren wir wieder zurück in Meran. Ich schmiss mich ins Bett. Seit dem Ausflug auf das Weisshorn geht es mir gesundheitlich nicht besonders gut. Ich bin nicht wirklich erkältet, aber mein Immunsystem wurde ordentlich angerempelt. Meine Augen brennen, mein Kopf schmerzt, ich fühle mich schlapp.
Nach einer Stunde Schlaf stehe ich auf. Wir sind um halb fünf bei Freunden verabredet. Die Verabredung steht seit prä-Corona und enthielt ein Abendessen mit Trüffelpasta. Nun mussten wir zwei Jahre darauf warten.
Es wurde dann ein richtiger Trüffelabend. Truffelkäse mit einer Trüffelpaste und getrüffelte Butter. Danach die Trüffelpasta

Streuobst – 100% Direktsaft

Streuobst.... brrrr....

Streuobst, welch ein lieblich Wort für Apfelsaftäpfel. Wenn ich so zurückdenke, in meiner langen und steil nach unten führenden Karriere als Äpfelpflücker, wie wir immer sagten, morgen gingen wir Apfelsaft pflücken, weil das immer ein wenig, öh, besonders war.
Äpfelpflücken geht immer in zwei Durchgängen: erst pflückt man eine Woche lang Äpfel von den Bäumen, lässt die Faulen fallen, lässt auch die Angefressenen fallen, die Kleinen, die Hässlichen, die Farblosen, lässt auch die fallen in die man zwischendurch mal reinbeisst um etwas gegen den trockenen Mund zu unternehmen, man lässt auch die Äpfel fallen die man den Kollegen hinterherschmeisst, eigentlich ist die ganze Äpfelpflückerei eine ganze Fallenlasserei. Eine Karriere die nach unten führt eben. Steil. Wenn man mit dem Fallenlassen fertig ist, dann fängt der zweite Durchgang an: Apfelsaftplücken. So nannten wir das.
Wie Äpfel, die eine ganze Woche lang angeschlagen und angefressen im Gras unter dem Baum gelegen haben, aussehen, ist wohl nicht schwierig vorzustellen. Jolly die Spanierin, bekam immer Fieberblasen bei den komischen zweiköpfigen Würmern mit den grossen schielenden Augen. Kein Wunder, die schleppten immer eine fiebrige Schleimspur hinter sich her als seien es Nacktschnecken. Nur waren sie um einiges schneller als Schnecken und wirbelten wie verrücktgeworden mit dem Doppelkopf weit aus dem Apfel heraus wenn man den Apfel vom Boden hob um ihn in den Korb zu stecken. Sie hatten Scheren vorne an den Köpfen, die gingen auf und zu und auf und zu, die wollten töten, die Viecher.
Oft verfolgten mich die Würmer bis in die Träume, da lag ich erst noch seelenruhig in den Fängen einer Frau, die mich begehrte, mich gar in Fesseln legte, und als ich mich nicht mehr bewegen konnte, fing sie plötzlich an zu schielen, ihre Augen wurden gross und schwarz, ein ekliger Schleim floss ihr aus den Mundwinkeln, und schliesslich brach ihr Kopf entzwei und heraus kamen zwei Köpfe, mit Scheren. John aus Brixton nannte sie immer “Shrimps from Hell”. Ich habe danach viele Jahre in englischsprachigen Küchen verbringen müssen, um Shrimps nicht mehr mit diesen Apfelmonstern in Verbindung zu bringen. Nein, geliebt habe ich diese Viecher bei Gott nicht. Aber wurscht, alles rein in den Tschaggl, im Saft sieht man das nicht mehr.

Überdies gewöhnt man sich daran. Gleich wie man sich daran gewöhnt, Äpfel anzufassen, Äpfel, die da so hübsch im Gras herumliegen, von oben grünlich in der Sonne glänzen, doch sobald man sie ein wenig zu hart anfasst, man nur noch eine dunkelbraune, glitschige Masse zwischen den Fingern entgleiten sieht. Egal, alles rein in den Tschaggl, im Saft sieht man das nicht mehr.

Im Saft sieht man dann auch nicht mehr die anderen Würmer, die Würmer ohne den Scheren, die mit den roten Augen. Die sind lustig. Marek der Tscheche fand heraus, dass man die Rotäugigen mit Spucke verführen konnte. Die waren nämlich scheu, zogen sich immer in den Apfel zurück und das wollten wir natürlich nicht. Wenn man in das Wurmloch spuckte, krochen sie sofort wieder heraus, machte grosse rote Augen und gierten nach mehr. Was haben wir gelacht. Leider auch rein, in den Tschaggl damit.

Wenn bis zum Apfelsaftpflücken mehr als eine Woche vergeht, dann kriechen dort so kleine, weisse Dinger in den braunen Stellen des Apfels herum, viel zu klein um erkennen zu können ob es nun Fliegenkinder sind oder vielleicht doch nur kleine Scherenmonster. Im Katzenfutter würde ich sie Maden nennen, aber wie man die in Äpfeln nennt, weiss ich nicht. Egal wie die heissen, rein in den Tschaggl damit.

Rein in den Tschaggl auch mit den Äpfeln in der Pfütze, mit den Zertretenen, mit den vom Traktor Kaputtgefahrenen. Schnecke? Rein in den Tschaggl.

Seht es mir aber bitte nach, wenn ich statt 100% Direktsaft, 100% Drecksaft lese. Ich kann ja lachen. Das muss ein Freudscher sein.

Bloss kurz einkaufen

Manchmal will ich einfach einen Einkaufswagen. Es passiert mir naemlich immer wieder, dass ich an der Kasse, in einer kilometerlangen Schlange stehe und die Ware mir bis ueber die Stirn hinausgewachsen ist. Meine Bizepse und Trizepse verkrampften sich dann und innerlich bin ich ein schweissgebadetes Haeuflein Elend, das sich wimmernd das Fliessband der Kasse herbeisehnt, um all die Flaschen und Packungen hinaufzuschmeissen. Aber natuerlich bewahre ich die lockere Mine des starken Burschen aus den Bergen. Pft, alsob mich das ganze Gewicht aus der Fassung bringen wuerde! Ich habe frueher schon mit Baumstaemmen geschmissen und bin in den Baeumen herumgeklettert als gehoere ich noch immer zu meinen haarigen Urahnen. Die jungen Hamburger hier sind alles verwoehnte Rotznasen. Die gehen nicht mehr raus auf die Schiffe und schwingen die Ketten und Piratenschwerte, wie die Vaeter deren Vaeter.
Schon mehrmals haben mir aeltere Frauen in der Warteschlange angeboten, meinen Einkaufsberg in ihren Wagen zu legen. Ich schuettle immer den Kopf und mache dabei noch einen legeren Knicks, wobei der ganze Berg in meinen Armen fast zusammenbricht, und sage Ach, da sind ja nur noch 7 Leute vor mir. Das sind hoechstens noch zehn Minuten.” waehrend ich meine Arme gar nicht mehr fuehle vor lauter Schmerz. Gleichzeitig denke ich mir immer, ich wuerde mir an den Kopf hauen, wenn ich freie Haende haette. Aber haette ich die Haende frei, dann haette ich diese Probleme auch nicht. Und so verwerfe ich den Gedanken meistens wieder und sehne mir stattdessen das Laufband herbei.

Manchmal ist mir aber nach Einkaufswagen. So einmal pro Monat. Auch ich muss mich manchmal entspannen, mich am neuen Angebot orientieren, gucken welch neue Schampoos sie fuehren, und ob es wieder Geranien im Angebot gibt. Man hat ja seine Wohlbefindungstage.
Also ging ich zu den Einkaufswagen und hatte natuerlich keine passende Muenze dafuer. Bloss zwanziger und fuenfziger, aber L*DL hat jetzt diese neuen Einkaufswagen mit dem Schlitz, anstatt die guten alten, mit der kleinen, seitlichen Schublade. Und da passen nur noch Euros rein.
Ich muss wohl irgendwie bloed rumgestanden haben, weil mich ein vierzehnjaehriges Maedchen ansprach: “Du brauchst da eine Euromuenze”. Alsob ich das nicht selbst gewusst haette, du kleines Goer, ich brauche so einen verdammten Wagen mit kleiner Schublade. Aber ich beschloss ganz einfach freundlich zu bleiben, da ich an den Tagen wo ich einen Einkaufswagen nehme, ja im allgemeinen ein sehr wohlbefindlicher Mensch bin. Ich laechelte ihr zu und sagte, dass ich leider keine Euromuenzen haette und so stellte ich mich auf einen schnellen Einkauf ein, und liess somit meine Plaene von Shampoo und Geranien verpuffen, ohne weiter auf das Maedchen zu achten.
“Hast du zwanzig cents?” fragte sie. Ja die hatte ich. “Damit kannst du auch diese neuen knacken”. Meine Aufmerksamkeit war geweckt. “Du meinst, ich kann die einfach reinstecken und das Schloss geht auf?”. Sie nickte. Ich zog eine zwanzigcent Muenze hervor und steckte sie in den Schlitz. Nichts bewegte sich. Ich ruettelte. Und schuettelte. “Das geht nicht” sagte ich zu ihr. Sie naeherte sich dem Wagen und begutachtete das Schloss. “Tja manchmal bleiben die Muenzen auch drin stecken”, sagte sie. “Na toll!” und meine Gedanken an Shampoo und Geranien loesten sich wieder in eine Wolke aus Methan und Staubpartikeln auf.
Sie stiess aber ein aufmunterndes Lachen auf und bot mir an, zusammen mit ihr den Wagen zu benutzen. Ich die linke Seite, und sie die rechte Seite. Nunja, warum auch nicht. Ich wuerde zwar keine Ruhe finden, mich mit Pflanzen und Wohlbefindlichkeitsmitteln zu beschaeftigen, aber ich braeuchte keine schweren Warenberge herumzuschleppen. Und so betraten wir den Supermarkt.

Ich schaetzte das Maedchen auf vierzehn Jahre. Von der Groesse er. Aber je laenger ich darueber nachdenke, erscheint sie mir juenger. Sie war bloss gross gebaut. Ich wuerde jetzt sagen dass sie zwoelf ist. Es schien ihr ausgesprochene Freude zu machen. “Schiebst du den Wagen?” sagte sie und lachte. Ich schob.
Sie hielt gleich bei der Marmelade inne, nahm zwei verschiedene aus dem Regal und fragte “Welche soll ich nehmen? Die Leckere, oder die mit weniger Zucker?”. Ich blieb stehen, guckte auf die beiden Glaeser, dachte nach, welche ich nehmen wuerde, und sagte: “Die Leckere”. Sie guckte auf das Glas in ihrer Rechten und seufzte dramatisch “Ja moechte ich auch gerne, aber ich muss abnehmen”. “Du bist nicht dick” sagte ich, und drehte mich zum weitergehen um. “Findest du?” sagte sie. “Ja, finde ich”. “Ach, dann nehme ich die Leckere, meine Mutter ist sowieso schon fett”. Ich schob den Wagen in Richtung Gemueseauslage. Sie lief neben mir her und betrachtete das Gemuese uninteressiert. Ich wunderte mich ploetzlich, dass sie gar nicht einzukaufen schien. “Musst du eigentlich nicht einkaufen?” fragte ich sie darum. “Oh. Ja” sagte sie und lachte. Dann sprang sie davon. Vielleicht blieb sie ja ein bisschen laenger weg und ich haette kurz Zeit mir die Geranien anzugucken. Deshalb schob ich den Wagen zu den paar aermlichen Pflanzen. Und da sprang sie mir schon vor den Wagen und hielt Nudeln, Reis und eine Dose Bohnen in der Hand, die sie mitten in den Wagen schmiss. Also mit der Teilung der Waren wuerden wir es wohl nicht so genau nehmen. Mir auch recht. Ich liess die Pflanzen sein und fuhr zurueck zum Gemuese, nahm ein paar Zucchinis, Moehren, etwas Salat und fuhr weiter zu den Milchprodukten, waehrend sie neben mir herschlenderte.
“Brauchst du Milch?” fragte sie. “Ja genau” antwortete ich und hielt den Wagen an. Flugs machte sie einen Satz zur Milch. “Einen Liter?”. “Ja, Einen Liter”. Dann packte sie einen Liter Milch und legte es zu ihren Sachen in der Mitte des Wagens. Ich liess es geschehen. Was sollte ich schon sagen. Sie fuehrte ja nichts Boeses im Schilde und ich war theoretisch in guter Laune.
“Die Dinger schmecken Scheisse” sagte sie und zeigte auf die fettarmen Brotaufstriche. Ich lachte “Haha, ja, von denen bekommt man noch mehr Hunger.” Sie lachte auch und nahm eines der fetthaltigen vom Regal, wobei sie sagte, dass sie ja nicht fett sei, wie ich ihr versichert hatte.

Langsam wurde ich ungeduldig und machte ihr klar, dass ich gleich kochen muesse und deshalb nur schnell meine Sachen zusammensuchen moechte, damit ich bald wieder nach Hause gehen kann. Sie sagte in einem bedauerlichen Ton, dass sie auch nicht viel Zeit habe, weil ihre Mutter zu Hause auf sie warte.
Ich lief kreuz und quer durch den Supermarkt, nahm Sahne, Apfelsaft, Muesli, Mineralwasser, Bier, legte es behutsam auf der linken Seite des Wagen hin, und ab und zu huepfte mir das Maedchen vor die Fuesse, lachte mich an und schmiss ihre Sachen mitten in den Wagen. Ich war bald fertig und stellte mich in die Mitte des zentralen Ganges auf und hielt Ausschau nach ihr.
Ploetzlich kam sie mit einem sehr besorgten Blick zu Vorschein. “Was ist los Maedchen?” fragte ich.
Sie kam naeher und sank den Kopf. “Ich kann die runden, bunten Schokoladen in dem roten Netz nicht finden.” “Oh, das ist doof” entgegnete ich “hast du hier vorne links schon geguckt? Da sind die Schokoladen.”
Ja, hatte sie schon, aber die waren nicht da. “Hast du den Bediensteten schon gefragt?” fragte ich. “Nein” sagte sie “kannst du ihn fuer mich fragen?”.
Ich liess mir nicht anmerken, dass ich etwas genervt war und machte sie mitkommen, zur Tuer, wo man die Pfandflaschen abgeben kann. Ich klingelte an der Tuer, der Bedienstete kam und ich forderte sie auf, ihm die Schokoladen die sie suchte, zu beschreiben. Er schuettelte den Kopf. “Nein fuehren wir nicht”.
Daraufhin wurde sie sehr unruhig. Ich nahm sie mit, in Richtung Schokolade, und wollte ihr Ratschlaege geben, die vielleicht als Alternative in Frage kommen koennten. Die runden, bunten im roten Netz sind schliesslich nicht unersetzbar. Aber sie blieb besorgt.
“Was ist denn los?” wollte ich wissen. “Meine Mutter wird mir das nicht glauben, dass es keine gibt” sagte sie “das brauche ich schriftlich. Das glaubt sie mir sonst nicht”. Ich versuchte beruhigend auf sie einzureden und sagte, dass das wohl nicht so schlimm sein koenne. Doch dann heiterte sich ihr Gesicht auf: “Du koenntest mir vielleicht auf einen Zettel schreiben, dass L*DL diese Schokoladen nicht mehr hat! Mit Unterschrift und allem.”
Ich seufzte innerlich. Ich guckte mich um. Hier mitten im Supermarkt, so einfach einen Brief faelschen? Ich kam mir vor wie ein zwoelfjaehriger. “Ach komm, das kann wohl nicht so schlimm sein, sag ihr einfach die waeren ausverkauft, Punkt aus.” Sie machte wieder ein besorgtes Gesicht. “Du kennst meine Mutter nicht” sagte sie. Da hatte sie recht – ich kannte sie in der Tat nicht.
Ich zog einen Zettel und den Kugelschreiber aus meiner Tasche und schrieb, schoen leserlich: Das von ihrer Tochter gewuenschte Schokoladeprodukt fuehren wir derzeit leider nicht. Mit freundlichem Gruss, Ihr L*DL Mitarbeiter und darunter ein unleserliches Gekritzel.
Sie laechelte und schob ihre Brust nach vorne. Sie hatte einen riesigen Busen, fiel mir ploetzlich auf. Eindeutig zu fruehreif, das Goer. Ich brummte innerlich. “Komm, lass uns zur Kasse gehen, ich bin fertig, du auch?”. Sie bejahte.

So standen wir in der Schlange, die zum Glueck nicht besonders lang war, und sie erzaehlte mir von sichselbst. Ueber Unterschriftenfaelschungen, was gar nicht so schlimm sei. Dass sie des oefteren Unterschriften faelschen wuerde. Vor allem in der Schule, wenn sie schlechte Noten bekam, und dass das noch nie aufgeflogen waere. Sie beschrieb mir wo sie wohnte, nannte die Strasse und Hausnummer und wollte dann von mir wissen wo ich wohne. “Ah, hier um die Ecke, gleich rechts” sagte ich. “Welche Hausnummer?” wollte sie wissen. “160” log ich. Sie laechelte.
Dann konnten wir die Waren auf das Band legen. Natuerlich war das kompliziert, da wir erst alles sortieren mussten. Ihre Sachen erst, dann das NaechsterKundeSchild und dann mein Zeug. Ploetzlich schlug sie sich die Hand vor den Mund: “Ich hab die Eventnuesse vergessen”. “Die was?” sagte ich. “Die Eventnuesse” wiederholte sie “weisst du was das ist?”. Ich schuettelte den Kopf, dann zog sie ihre Einkaufsliste hervor und zeigte mit dem Finger auf das Wort Erdnuesse. “Da steht Erdnuesse, nicht Eventnuesse”. “Egal, erwiderte sie, kannst du mir die Nuesse holen? Ich kann nicht weg, ich bin fast dran.” Gut, dem war nichts zu entgegenzusetzen, und freundlich und hilfsbereit bin ich ja. Ich lief zu den Nuessen hinueber, fand aber keine Erdnuesse, und schon recht keine Eventnuesse, und lief daher zurueck. Aus der Ferne rief sie mir ueber alle Leute hinweg zu: “Kannst du uns bitte auch noch eine Packung Nudel mitnehmen? Ich habe nur eine, das reicht fuer heuteabend nicht”. UNS?? Ich dachte nicht richtig gehoert zu haben. Das ist gleich alles vorbei, du verlaesst den Laden und gehst nach Hause. Ich nahm also eine willkuerliche Nudelpackung aus dem Regal und hastete zurueck zur Kasse. Man hatte auf mich gewartet.
Sie bezahlte, dann war ich dran und wollte meine Sachen nach dem Scannen gleich in meine Tasche packen, aber das Maedchen nahm meine Einkaeufe vom Band und legte alles sorgfaeltig zurueck in den Wagen. Sie schien es zu geniessen.
Nach dem Bezahlen packte ich mein Zeug und liess sie den leeren Wagen schieben. Bei der Tuer sagte ich ihr ganz selbstverstaendlich “Ach dann bringst du den Wagen zurueck ja? Man sieht sich. Irgendwann, irgendwo.” Sie winkte mir nach und sagte: “Bestimmt”. Dann laechelte sie noch.