[So, 22.6.2025 – Sunshine, die Greisin]

Sunshine-Guilt„. Das ist offenbar ein Ding. Sowas habe ich nicht. Bei Hitze bleibe ich grundsätzlich zuhause.

Eigentlich wollten wir heute nach Brandenburg, am Freitag sahen wir aber die Wetter-Prognose, deswegen entschieden wir uns kurzerhand, zuhause zu bleiben und die Fenster zu schließen.

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Auf Fediverse-Druck und aufgrund meiner persönlichen Schwäche habe ich mir die Novelle „Springweg brennt“ von Markus Pfeifer zugelegt. Nach den ersten 30 Seiten kann ich sagen: Glück gehabt. Das Büchlein ist voll okayisch!

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Die alte Frau mit dem kleinen Hund namens Paule bekam nach Paules Tod einen neuen Hund. Der Hund heißt Benny. Benny war zwei Jahre alt, als er zu ihr kam. Die alte Frau ist wirklich alt und körperlich auch nicht mehr fit. Die Gassirunden waren dann auch entsprechend kurz. Aber auch Paule war alt und langsam, und weil sich Hunde immer optisch und vom Gemüt her ihren Menschen angleichen, trottete Paule immer in der gleichen Geschwindigkeit wie die Greisin, neben ihr her. Benny ist noch lebendiger und aufgeregter, aber er wird sich noch an das Tempo gewöhnen. Weil sie so langsam läuft, treffe ich sie immer wieder. Meine Hündin liebt sie, weil sie immer Hühnchen-Leckerlis bei sich hat. Davon kriegt sie immer reichlich, weil weder Paule besonders scharf auf Futter war, noch ihr neuer Hund Benny. Sie beklagte sich im letzten Jahr immer wegen ihrer Kurzatmigkeit. Dafür ging sie oft zum Arzt. Die Frau lebt alleine. Sie hat keine Kinder und nach meiner Beobachtung auch wenig sozialen Anschluss. Ich glaube, sie ist auch nicht besonders sympathisch, sie hat immer etwas Knurriges an sich, außerdem ist sie sehr schwerhörig, was ein Gespräch mit ihr sehr schwierig macht. Das hat für sie natürlich Vorteile, weil sie nicht zuzuhören braucht, sondern selber reden kann. Manchmal fragt sie nach, wenn ich etwas sage, dann fragt sie nochmal nach, dann forme ich meine Lippen und spreche langsamer und deutlicher. Dann sagt sie „Jaja“ und geht auf etwas ganz anderes ein, als das, was ich sagte. Aber sie grinst immer lustig, wenn sie etwas erzählt.

Dann sah ich sie lange nicht mehr.

Heute kam sie mir auf dem Rollator entgegen. Das erste Mal, dss ich sie mit einem Rollator sag. Sie hatte lange im Krankenhaus gelegen. Benny hat sie nun an eine Freundin in Brandenburg gegeben. Der ist da so glücklich. Sie bringt es nicht übers Herz, ihn wieder zu sich zu holen. Sie kann ihm gerade nichts bieten. Sie wird ihn jetzt immer bei der Freundin lassen. Man merkt ihr an, wie sie nicht weiter weiß. Sie sagt, sie hatte eigentlich immer einen Hund. Ihr ganzes Leben lang. Sie dachte eigentlich immer, sie würde ihren letzten Hund überleben.

Die weiteren Gedanken sprach sie aber nicht mehr aus.

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[…]oß nicht die Fenster öffnen. Bloß nicht die Fenster öffnen. Bloß nicht die Fenster öffnen. Bloß nicht die Fenster öffnen. Bloß nicht die Fenster öffnen. Bloß nicht die Fenster öffnen. Bloß nicht die Fenster öffnen. Bloß nicht die Fenster öffnen. Bloß nicht die Fenster öffnen. Bloß nicht die Fenster öffnen. Bloß nicht die Fenster öffnen. Bloß nicht die Fenster öffnen. Bloß nicht die Fenster öffnen. Bloß nicht die Fenster öffnen. Bloß nicht die Fe[…]

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Ich habe beschlossen, ab jetzt das „ß“ zu verwenden. Einfach so.

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[Sa, 21.6.2025 – Sonne]

Die Sonnenwende fand dieses Jahr um 4:42 Uhr morgens statt. Letztes Jahr war das um 22:50 Uhr, da stand ich zur genauen Uhrzeit mit meinem Vater im lappländischen Jokkmokk am Polarkreis und schoss Selfies mit der Sonne im Hintergrund. Seltsam eigentlich, dass wir für ein astronomisches Ereignis dieser Größe keinen Feiertag haben. Stattdessen feiern wir religiöse Fantasien, die keiner mehr versteht, wie Fronleichnam, Pfingsten und verschiedene Himmelfahrten. Dabei eignet sich der 21. Juni auch wettermäßig prima zum Zelebrieren, da es noch nicht zu heiß ist und das Tageslicht bis in den späten Abend hinein reicht.

Interessanterweise ist jedoch der persische Kalender im Iran auf die Sonne ausgerichtet. So beginnt das Jahr mit der Frühlingsgleiche am 21.3. und die beiden Sonnenwenden im Sommer sowie im Winter, sind Feiertage, die jeweils das Quartal bezeichnen. Das finde ich wirklich sehr schön. Ich meine, die Sonne ist ja immer da, egal welchen Gott wir gerade anbeten. Dabei merkt man von den beiden Sonnenwenden im Iran eher wenig, anders als bei uns in Europa, wo die Tage im Sommer bedeutend länger dauern als im Winter. Weiter südlich merkt man davon nicht viel. Deshalb sage ich ja: Komisch, dass die Sonnenwende bei uns kein Feiertag ist. Aber mit dem Iran möchte ich gerade aus anderen Gründen nicht tauschen.

Immerhin wird die Sonnenwende in den nordischen Ländern einigermaßen zelebriert, wenn auch nicht als das, was ich mir unter einem Feiertag vorstelle. Anders als die Wintersonnenwende, das Lichterfest, das letztendlich aber durch Weihnachten ersetzt wurde.

Sonne. Erst vor wenigen Wochen schrieb ich ausgiebig über die Sonne. Keine Ahnung, was mich da gerade reitet.

Heute saß ich mit der Hündin im Auto in der Sonne. Meine Frau und ich kamen vom Mantrailing aus Brandenburg zurück und kehrten in einen Supermarkt ein. Sie wollte sich beeilen, deswegen warteten die Hündin und ich im Auto. Sobald ich den Motor und somit die Klimaanlage ausschaltete, stieg die Temperatur in den ersten zehn Sekunden merklich an. Das Auto stand in der prallen Sonne auf dem Parkplatz. Als Hundebesitzer weiß ich natürlich, dass man im Sommer bei Sonneneinstrahlung keine Tiere alleine im Auto lässt. Ich öffnete das Fenster, es trug aber nicht zur Abkühlung bei. Dann öffnete ich alle vier Fenster. Jetzt gab es immerhin einen leichten Windzug, den ich auf der Haut spürte, ein Tier mit Fell schwitzt aber nicht und hat von dem Luftzug nichts. Die Temperatur im Auto stieg weiter an. In Minute drei hörte ich sie hinten leicht hecheln. Eine Minute später hechelte sie bereits wesentlich lauter. Ich ertrage Hitze nicht besonders gut, eine weitere Minute später fand ich die Temperatur schon unerträglich, also stieg ich aus, nahm die Hündin mit und wir gingen um den Supermarkt herum, wo wir uns in den Schatten setzten. Probieren geht über Studieren. Das bisschen Probe reichte mir aber aus.

Am späten Nachmittag setzten wir uns vors Backaro an der Proskauer. Heute gab es einen freien Tisch. Das lag vielleicht daran, dass drei Meter neben dem Tisch ein DJ seine Boxen aufgestellt hatte und Techno auflegte. Es ist Fête de la Musique. Heute standen überall die Boxen draußen auf der Straße. Uns war die Lautstärke heute egal, wir wollten einen Aperitif trinken. Zwar konnten wir uns nicht unterhalten, aber wir machten schöne Bilder von uns. Außerdem googelte ich, was es mit der Fête de la musique eigentlich auf sich hat. Und siehe an: Laut Wikipedia wird mit der Fête de la musique die Sommersonnenwende gefeiert. Was für ein bescheuerter Name für eine Sonnenwendfeier. Echt jetzt.

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[Fr, 20.6.2025 – Aperitif, Erkner]

Heute gingen wir noch auf einen spontanen Mittsommerdrink. Das Backaro an der Proskauer war zu unserer Enttäuschung leider schon überfüllt. Das Schöne daran, an der Proskauer zu sitzen, ist die Enge an der Straßenseite. Es führt nur dieser – für Berliner Verhältnisse enge – Bürgersteig zwischen Lokal und Außentischen. Es gibt uns dieses urbane Gefühl, den Aperitif in einer dichtbepackten mediterranen Stadt zu trinken. So funktionieren Aperitive am besten. Im Backaro, das eigentlich eine kleine Bäckerei ist, servieren sie zudem immer ein kleines Häppchen, oft getrocknetes Knoblauchbrot oder kleine Focacciaschnitten. In meiner Jugend aß ich manchmal gar kein richtiges Abendessen. Wenn man in Bozen in die richtigen Bars ging, bekam man zu jedem Bier oder Wein so viele Chips, Oliven oder Brotschnitten, dass man nach der dritten Runde eigentlich immer gegessen hatte. Damals war ich auch schlanker.

Stattdessen gingen wir runter zur Frankfurter Allee, auf diesen breiten, grünen Bereich nördlich der Straße, dieser Bereich, der fast schon die Qualität eines Parks hat, mit dem promenadenartigen Sandweg, der fast bis zum Alex führt. Ich wundere mich oft, dass dieser kilometerlange Abschnitt nie zu einer Gastromeile geworden ist. Berlinerinnen haben diese als repräsentative Flaniermeile konzipierte Straße nie wirklich angenommen, zumindest nie zu ihrem ganzen Potential ausgeschöpft. Stünde dieses Stück Stadt in Paris oder Rom, wäre es vermutlich die wichtigste Anlaufstelle für das Partyvolk. Aber Berlin feiert offenbar lieber in dunklen Kellern und finsteren Straßen, so ist meine Lesart, und das finde ich auch wieder sympathisch. Es passt auch durchaus zu der Einstellung, dass wir gerne an der dichtbepackten Proskauer sitzen.

Dennoch: Wir setzten uns mit der Hündin vor diese Cocktailbar an der Frankfurter. Wir bestellten einen Aperitif, schauten den Menschen zu, die sommerliche Abendluft umhüllte unsere Haut und wir wurden ganz cremig. Wir wollten gar nicht mehr weg.

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Am Abend sitze ich neuerdings immer in unserem Erkner. Seit wir dort passende Sitzmöbel hingestellt haben, die wir mit Kissen und einem Rentierfell auslegten, ist der Erkner die schönste Ecke der gesamten Wohnung geworden. Es ist kein richtiger Erker, es ist eine Ausstülpung des Wohnzimmers, die statisch in den kleinen Balkon überführen sollte. Weil er kein richtiger Erker ist, nennen wir ihn Erkner, wie die Endhaltestelle der U5, weil Erkner ja auch kein richtiges Berlin mehr ist, nur eine Ausstülpung, die ins Brandenburg überführt.

Ich war vor vielen Jahren einmal in Erkner. Ich stieg in die U5 und fuhr die ganze Strecke bis zur Endhaltestelle. In der Hoffnung, zu irgendeiner Erkenntnis zu gelangen. Als ich ausstieg, verließ ich einmal den Bahnhof, schaute in die Runde, konnte aber nicht recht zu einer Erkenntnis kommen. Also drehte ich wieder um und fuhr nach Hause.

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Loveletters.

[Mi, 18.6.2025 – Klimamaschinen]

Mit den beiden Männern im ersten Stock habe ich schon länger ausgemacht, dass sie mir einmal ihr Klimagerät zeigen. Sie haben ein mobiles Split-Gerät, also mit einem Aussen-Teil und einem Innen-Teil. Als sie mir das erste Mal davon erzählten, waren sie begeistert von der Leistung des Geräts und dass es so viel effizienter sei als diese mobilen Monoblocks, die zudem unfassbar laut sind.

Ich hatte nämlich einen Monoblock, der einerseits eben zu laut ist, um ihn im Schlafzimmer zu betreiben, andererseits hat er es auch nie geschafft, den Raum wirklich abzukühlen. Mich interessierte es vor allem, wie sie es baulich lösten. Klimageräte brauchen nämlich eine Abfuhr der warmen Luft nach aussen. Für meinen Monoblock hatte ich eine Schablone aus Karton für das Fenster gebaut – das ist aber wirklich eine sehr temporäre Lösung.

Allerdings stellte sich heraus, dass die beiden Männer es auch nur mit einer Fensterschablone gelöst hatten – und zwar an der genau gleichen Stelle wie ich. Unsere Wohnungen sind nämlich baugleich. In unserem Altbau gibt es im Erkerzimmer an der Seite sehr kleine Fenster. Dort kann man eine Schablone aus Karton mit Schaumstoff einpassen. Das sieht man dann nicht sofort, das ist nicht so invasiv. Aber dennoch: Temporär finde ich es okay, aber nicht als langfristige Lösung.

Ausserdem ist das Erkerzimmer nicht mein Schlafzimmer. Die beiden Männer haben es einfach, sie schlafen dort. Ich hingegen schlafe zum Innenhof hin. Dort habe ich ein modernes, grosses Fenster, für das ich eine riesige Schablone bauen müsste. Dann hätte ich aber kein Tageslicht mehr. Ausserdem spielt sich das Berliner Privatleben ja meist zum Innenhof hin ab. Ich fürchte daher, dass sich die Nachbarn beschweren, wenn da die ganze Nacht eine Klimaanlage läuft.

Andererseits filmte Frau Fragmente für mich einmal ihre Klimaanlage, die auf der Aussenseite keinen Ton von sich gibt. Dieses mobile Split-Gerät der Männer macht allerdings schon ein Geräusch. Es ist nicht laut, aber laut genug, dass man es im Innenhof hört. Ob das im Sommer stört – wo ohnehin alle Menschen mit offenen Fenstern Sex haben oder auf den Balkonen quatschen – ist eine andere Frage. Aber ich werde dennoch nicht auf diese Lösung setzen.

Immer, wenn der Sommer anklopft, habe ich dieses Thema auf dem Tisch. Frau Fragmente erinnerte mich mehrmals im Jahr daran und fragte, wie weit ich mit einer Lösung sei. Meine Antworten dazu fielen immer sehr unbestimmt aus.

Ich könnte mir für die paar tropischen Tage vorne an der Strassenseite, also im Wohnzimmer, ein temporäres Schlafquartier einrichten. Ein kühles Wohnzimmer ist ja auch nicht ohne. Aber der Erker würde ästhetisch unter dem Umbau leiden – der kleine Erker ist die schönste Ecke in der ganzen Wohnung.

Wahrscheinlich werde ich einfach die grosse Lösung ansetzen und im Schlafzimmer zur Hofseite eine leise und richtige Klimaanlage installieren lassen. Wenn schon Geld ausgeben, dann auch richtig. In Berlin wird es schliesslich nicht kühler. Und in wenigen Jahren werden in Berlin ohnehin überall die Klimaanlagen brummen.

In meiner Madrider Wohnung hingen damals dutzende Klimaanlagen in diesen engen Innenhöfen. Es beschwerte sich niemand, und die Geräusche störten beim Schlafen auch nicht.

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Eine feine Rezension der Novelle bei Bernd schulz auf Rappelsnut.

[…] Pfeifers Sprache ist schnörkellos, klar und mit trockenem Humor durchzogen. Er erzählt mit feiner Beobachtungsgabe, aber ohne Pathos. Die Dialoge wirken authentisch, die Szenen präzise und atmosphärisch. Besonders auffällig ist die Balance zwischen dokumentarischer Genauigkeit und literarischer Verdichtung. […]

Hach.

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Webmentions. Das ist komplett an mir vorbei gegangen. Ein weiterer Schritt sich das Internet zurückzuholen. Das wird mich morgen beschäftigen. Weiss ich jetzt schon.

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[Di, 17.6.2025 – Effizienz, Nachbarschaft, Nonnenpornos]

Ein unfassbar produktiver Tag. Neben Haushalt (Wäsche waschen, Wäsche aufhängen, Wäsche wegräumen, Boden wischen, einkaufen …) habe ich auch viele Bewerbungen gefunden und rausgeschickt, mit Headhuntern kommuniziert, meinen Lebenslauf überarbeitet, alle meine Strafzettel bezahlt und sogar mit Österreich telefoniert wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung in Kärnten, die ich bereits bezahlt hatte. Ich fand sogar Zeit, kurz nach Mittag eine Stunde Schlaf nachzuholen und 50 Seiten aus einem Buch zu lesen. Als meine Frau nach Hause kam, hatte ich das Abendessen fertig zubereitet und diesmal sogar hinter mir her aufgeräumt, was ich sonst immer erst nach dem Essen mache. Unfassbar. Dabei habe ich die zwei obligatorischen Gassirunden mit der Hündin (zwei Stunden) noch gar nicht auf das Konto eingepreist. Allerdings ging ich nicht zum Sport, das passte dann doch nicht mehr in den Zeitrahmen.

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Am Abend war ich mit meiner Nachbarin, die Tür an Tür mit uns wohnt, verabredet. Wir wollten schon länger einmal etwas trinken. Da ich letzte Woche ihre Novelle las und ihr schrieb, wie gut sie mir gefallen hat, lud sie mich kurzerhand zu sich in die Wohnung ein. Sie trinkt keinen Alkohol, was ich als willkommenen Anlass nahm, selber nichts zu trinken. Dafür servierte sie Tee. Es ist mit Tee immer das Gleiche: Ich habe nie Lust auf Tee, weil ich mir darunter immer ein heisses Wässerchen mit etwas Geschmack vorstelle. Wenn ich dann aber Tee trinke, geniesse ich es wirklich, es ist immer eine fremde Erfahrung für mich, immer wieder, wenn ich Tee trinke statt Kaffee oder Alkohol, komme ich mir wie in einer fremden Welt vor, etwas asketisch vielleicht, aber die Erfahrung ist immer positiv. Ich verstehe nicht, warum ich selbst nie auf die Idee komme, mir Tee zu kochen. Es ist wie mit Äpfeln. Ich habe nie Lust auf Äpfel. Wenn ich dann aber in einen Apfel beisse, macht es mich auf eine ganze simple Art glücklich. Allerdings ohne den Effekt der fremden Welt, den Tee immer noch in mir auslöst. Den kann ich mir nicht erklären.

Meine Nachbarin lebt als Transgender. Dabei kenne ich sie noch aus der Zeit, bevor sie ihre Transition begann. Ich stellte oft Fragen, bei denen ich mich sofort für die Indiskretion entschuldigte, weil mich das Thema auf der persönlichen und privaten Ebene sehr interessiert, Fragen, deren Antworten ich auch später hätte nachlesen können, aber wenn die Fragen während des Gespräches in mir aufkommen, interessieren sie mich zu brennend, als dass ich sie aufschieben möchte, ausserdem erlaubt die direkte Konversation weitere Nachfragen oder weiteren Austausch dazu. Sie fand meine Fragen aber immer in Ordnung. So wollte ich wissen, wie man beispielsweise auf die Idee kommt, mit Mitte fünfzig immer noch eine Transition zu beginnen, oder auch Fragen zum Orgasmus nach einer Hormontherapie oder überhaupt, wie die Frau und die Kinder darauf reagierten und damit umgingen. Es war ein sehr schöner Abend, an dem wir über viele existenzielle Themen sprachen.

Ihre Novelle ist autobiografisch und handelt von der Zeit im Internat als dreizehnjähriger Junge in einer bedrückenden Lage zwischen der Liebe zu einem Mitschüler, der Entdeckung der eigenen Sexualität und dem sexuellen Missbrauch durch einen der Mönche. Dabei wird der Text nie deprimierend, er ist von der Neugierde getrieben, von der Entdeckung der Möglichkeiten, auch der Entdeckung des Andersseins und der Suche nach Verbündeten, nach dem eigenen Weg.

Da ich in meiner frühen Jugend auch zwei Jahre in einem Internat untergebracht war, tauschten wir uns auch über die Erfahrungen aus. Ich kannte vieles aus jener Geschichte, wie wir alle unsere Sexualität entdeckten bei gleichzeitiger totaler Abwesenheit von Mädchen. Die Jungs aus der Klasse, die über den Sommer grosse Penisse bekommen hatten, und jene Jungs, die noch nicht in die Pubertät eingetreten waren. Wie wir in der Gruppe wichsten oder wie man im Schlafsaal beim Masturbieren immer leise sein musste, bei diesen quietschigen Metallpritschen, die jede Bewegung akustisch verstärkten. Die Berührungsängste unter Jungs waren damals nicht sonderlich gross. Ich habe keine Ahnung, ob das unsere Sexualität beeinflusst hat. Missbrauch durch Mönche gab es bei uns allerdings nicht. Die Wohnbereiche des Internats wurden ausschliesslich von Nonnen geführt. Den männlichen Klerus sah man nur in den Etagen der Schule. Das hat sicherlich seinen guten Grund. Ob Nonnen meine Sexualität beeinflusst haben, kann ich auch nicht sagen. Ich kann allerdings sagen, dass Nonnen meistens kurze Haare tragen und anders als in der Pornografie selten attraktiv sind und nie in engen Kostümen herumlaufen. Die Mathelehrerin schlug mich allerdings oft mit einem Stock. Fand ich nicht so schlimm, muss ich zugeben. Trotzdem schaue ich keine Nonnenpornos.

[Mo, 16.6.2025 – Fliess, Holzhausbesitzer, der Sound]

Wieder fuhr ich zur Dammsmühle. Mit meiner Fussballfreundin, ihrem Freund und ihrer jungen Hündin. Die Hündin ist mittlerweile 6 Monate alt und äusserst lebendig. Meine Hündin, die gerade die Phase einer grumpy old Lady durchläuft, hatte sehr wenig Lust auf einen aufgeregten Junghund, der dauernd und sehr ungestüm mit ihr spielen wollte. Die junge Hündin rempelte in der Aufregung meine Hündin immer wieder über den Haufen. Sie knurrte sie mehrmals weg und morste mir sehr genervt mit ihren Wimpern, dass sie das heute zwar noch mitmacht, aber kein weiteres Mal. Sie wird aber das Prinzip Menschenfreundschaft verinnerlichen müssen, es werden nämlich viele weitere solcher Wanderungen folgen.

Wir liefen einmal um den See und danach am Ufer des tiefergelegten Mühlenbecker Sees entlang. Erstaunlicherweise gehört dieses Seensystem zum Wassersystem Tegeler Fliess. Möchte ich erwähnt haben.

Am Abend war ich mit einem Freund in der Protokollbar verabredet. Er und seine Frau kauften letzten Winter ein kleines Holzhaus in Norwegen. Aus diesem Grund hatten wir viel zu bereden. So von Holzhausbesitzer zu Holzhausbesitzer. Allerdings ist deren Haus weit abgelegener als unseres. Sie verfügen beispielsweise über keinen Strom, was einen Aufenthalt dort sehr anders macht. Sie haben allerdings eine kleine Solaranlage auf dem Dach mit einem dazugehörigen Akku, mit dem sie Lampen und nicht allzu energiehungrige Geräte betreiben können. Es reicht auch für nachts aus. Fürs Kochen allerdings nicht, da muss man auf Gas ausweichen. Auch ich dachte bereits über eine Solaranlage nach. Solaranlagen schaden schliesslich nie. Man spart Geld und man fühlt sich ungemein autonom und der Zukunft zugewandt. Jedoch gibt es auch Meldungen über Diebstahl solcher Anlagen. Der Inhalt von Sommerhäusern ist vor allem in den verlassenen Wintermonaten beliebte Beute.

Wir redeten über den Winter und über Wege. Endlich kann ich mit jemandem über Wege reden. Wie wichtig Wege sind. Er hat das Glück, einen nicht allzu weit entfernten Nachbarn zu haben, der einen kleinen Schneepflug besitzt. Unseren Weg kann man damit aber nicht befahren. Vor allem die letzten 300 Meter auf dem wackeligen Waldweg käme man mit einem Schneepflug nicht voran. Im Winter müsste man die 300 m zu Fuss laufen und sich beim Transport von Gütern mit einem Schlitten behelfen. Vielleicht hegt die Hündin Ambitionen, Schlitten zu ziehen, das wäre lustig. Aber mit ihren 14 Kilos wird sie nicht einmal eine Kiste Bier transportieren können.

Sie waren auch im Winter da. Bei Minus 10 Grad. Es dauert dann einige Zeit, etwa zwei Tage, bis das Haus eine Grundwärme erreicht. Die Sache mit der Grundwärme merke ich auch immer in Schweden. Wenn wir im Mai das Haus aus dem Winterschlaf holen, ist es drinnen kühler als draussen. Es dauert zwei Tage, bis das Haus eine Grundwärme hat. An den ersten Tagen musste ich drinnen ständig eine gefütterte Jacke oder mindestens einen dicken Pullover tragen. Und die Betten sind in der ersten Nacht eisig. Nach zwei Tagen kann man die Türen und auch Fenster schon offen lassen, ohne dass es wieder auskühlt. Ist die Grundwärme einmal da, geht sie nicht mehr so schnell weg. Als wäre die Temperatur des Hauses ein eigener, sehr träger Organismus, wie ein Stein, der Temperaturschwankungen auch mit Phlegma hinnimmt. Komische Sache, diese Grundtemperatur. Man kennt das ja auch vom Hochsommer. Man kriegt im Hochsommer kein Haus runtergekühlt, wenn man nachts die Fenster öffnet. Das Phänomen hat bestimmt einen Namen, bin jetzt aber zu faul, das nachzulesen.

Und sonstso. Seit ich wieder in Berlin zurück bin, komme ich mit der Arbeit am Roman sehr gut voran. In Focuswriter habe ich das Tagesziel auf 4 Seiten bzw 1000 Wörter gesetzt, was ich zwar nicht immer erreiche, aber immer mindestens die Hälfte. Leider schreibe ich wieder in den späteren Abendstunden, wodurch ich bis in die Nacht am Bildschirm sitze. Wie ich schon einmal erwähnte, entwickelt sich die Geschichte ganz anders, als sie ursprünglich geplant war. Ich hatte immer nur die groben Eckdaten der Geschichte im Kopf. Sie entfaltet sich unerwartet düster vor mir aus. Das liegt daran, dass ich einen richtigen Ton für den Text gefunden habe. Gleich wie die Novelle, die neben einigen inhaltlichen Schwächen vor allem einen guten Sound hat, hat diese Geschichte auch einen guten Sound, ein bisschen anders zwar, etwas dunkler, melancholischer, aber ohne auf allzu viel Schnörkelquatsch zugreifen zu müssen. Und sie kommt mir jetzt schon inhaltlich gehaltvoller vor. Bisher bin ich sehr zufrieden.

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[Sa, 14.6.2025 – Mantrailing]

Wir waren mit der Hündin wieder beim Mantrailing. Wenn Menschen mich fragen, was das ist, dann sage ich: Leichen aufspüren. Die korrekte Bezeichnung auf Wikipedia lautet jedoch: Personensuche unter Einsatz von Gebrauchshunden. Die Motivation, es korrekt auszusprechen, ist jedoch nicht gross, wenn man die Alternative kennt. Zum Mantrailing muss man vieles vorbereiten. Zum einen Katzenfutter als Belohnung, den sogenannten Jackpot. Wesentlich aufwendiger ist es jedoch, die richtigen Leichen zu finden. Idealerweise sind die Leichen schon eine Weile dem Verwesungsprozess ausgesetzt gewesen. Mindestens drei Tage. Ungeübte Tiere, wie meine Hündin, brauchen noch einen starken Verwesungsgeruch, um ihn als solchen zu erkennen. Deswegen kommen frische Leichen nicht infrage, man muss sich also auf den Zweitmarkt begeben. Unsere Trainerin ist auf diesem Markt nur mittelmässig gut vernetzt, sie übt fast nur mit Hunden im fortgeschrittenen Level, sie kann daher selber Hand anlegen. Üblicherweise begibt sie sich schon in den frühen Morgenstunden in den Park, wenn die Jogger noch nicht so zahlreich unterwegs sind. Das geht schnell und der Nachschub an Vorrat ist ziemlich zuverlässig, vor allem in den Sommermonaten. Der Zweitmarkt hingegen kostet Geld, erfordert eine grössere Vorlaufzeit wegen der langsamen Paketdienste, meist kommen die Lieferungen aus Bayern oder Sachsen. Allerdings haben diese den Vorteil, dass die Leichen bereits in handlichen Stücken aufgeteilt sind. In Plastik verschweisst und in ähnlich grossen Päckchen. Man kann sie als 100-g-Packungen bestellen, sowie 200-g oder 500-g. Immer bei einer Mindestabnahme von 2kg. Wir bestellen sie immer in grösseren Mengen, wegen des Rabattes. Dabei sind die Preisunterschiede bei der Fleischsorte und der jeweiligen Herkunft beträchtlich. So kostet die Ware aus Sachsen von der Sorte „Thüringer“ wesentlich weniger als die Premiumsorte „Ausländer“. Bei einer Lieferung aus Thüringen entfällt die Sorte „Thüringer“ allerdings, dafür nennt sich die Billigvariante „Sachse“. Kommt die Ware hingegen aus Niedersachsen, heisst das Premiumprodukt wiederum „Sachse“, während das Produkt „Ausländer“ etwas günstiger ist. Einen wesentlichen Unterschied zwischen den Produkten konnten wir bisher jedoch nicht ausmachen. Neuerdings kaufen wir meistens aus Polen, wo es keine Premiumvariante gibt, aber das Produkt „niemiecki“ zu dauerhaft und unschlagbar niedrigen Preisen angeboten wird.

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Heute wurde eine Podcastfolge des Magazins „Kulturlemente“ aus Bozen veröffentlicht. Die Folge handelt von meiner Novelle. Darin ein Interview mit mir, ausserdem von der Redaktion vorgelesene Passagen. Alternativ auch auf Spotify. Das freut mich total.

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[Fr, 13.6.2025 – Schlaf, Haare]

Seit den beiden Wochen in Schweden schlafe ich ungemein gut und tief. Das zieht sich bis jetzt nach Berlin hinein. Ich würde so gerne die Schlafdaten auf meiner Smartwatch ansehen. Endlich ein fetter Tiefschlafwert. Denn so fühle ich mich nämlich. Wie ein fetter Kater, der in einem fetten Tiefschlaf schnurrte. Ich möchte wissen, wie gute Tiefschlafwerte in der App aussehen. Dummerweise finde ich die Ladematte für die Uhr nicht mehr, ich muss mich also auf mein Gefühl verlassen.

Gefühle.

Mit meinem Freund E von der Hundewiese gerate ich mittlerweile jeden Tag in eine hitzige Diskussion. Es geht immer um die Weltlage. Am Ende sind wir beide schlecht gelaunt und aufgewühlt. Und wir haben keine Lösungen. Und wir verabschieden uns jedes Mal mit dem Vorsatz, das nächste Mal über andere Themen zu reden. Ich weiss schon, warum ich selten über tagespolitische Themen schreibe. Ich habe keinen guten Tonfall bei dem Thema.

Immer diese Gefühle.

Die Freundin aus Belgien, die ich neulich nach vielen Jahren wiedertraf, hat jetzt Brustkrebs. Es wurde gleich mit Chemo begonnen. Wir schreiben uns seitdem oft hin und her. Diese Diagnose, die immer einem Todesurteil gleichkommt, ob berechtigt oder nicht, es schlägt immer wie ein Todesurteil ein. Und plötzlich sind alle Rezeptoren auf das Sterben ausgerichtet. Vor einigen Tagen rasierte sie sich ihren Kopf, weil sie die Haare büschelweise verlor. Sie schickte mir ein Foto mit Glatze. Mir war gar nicht bewusst, dass sie eine so schöne Kopfform hat. Sie war immer Haare. Ihre Haare machten einen Grossteil ihrer Schönheit aus, ihrer Identität. Sie trug immer Kleider, nie eine Hose, immer Kleider und etwas altmodische Schuhe. Und dann die vielen, langen Haare. Das war immer unverkennbar sie. In einer ihrer ersten Nachrichten schrieb sie mit Entsetzen darüber, dass sie jetzt ihre Haare verlieren würde, diese vielen schönen Haare. Das war vermutlich noch der Schock, aber ich kann mir das gut vorstellen. Man darf nicht einmal in Würde sterben. Aber sie hat einen schönen Kopf. Das sagte ich so: Du hast ja einen richtig schönen Kopf! Ich weiss, das hilft nicht viel.

Du wirst ja nicht sterben.

[Mi, 11.6.2025 – Bankpush, Lesung, Waschstrasse]

Den ganzen Dienstag verschwendete ich damit, unsere Island- und Grönlandreise zu buchen. Ich kann gar nicht vernünftig erklären, warum diese Buchung zeitlich so aufwendig war. Zusammengefasst kann man es so sagen: Durch den kürzlichen Wechsel des Telefons funktionierte die App meiner Bank nicht mehr richtig und ich konnte deswegen die Zahlung nicht bestätigen. Was um dieses Problem herum passierte, war aber wesentlich stressiger. Frei nach Murphy hatte meine Frau das gleiche Problem, da auch sie vor einigen Monaten das Telefon gewechselt hatte. Aber das Ganze ist nicht lustig aufzuschreiben.

Nachdem ich die Buchung am Mittwochvormittag erfolgreich abgeschlossen hatte, fiel mir auf, dass ich im September eine Lesung habe, und jetzt fürchtete ich, dass dieser Termin sich mit der Grönlandreise überschneiden könnte. Ein Blick in die Konversation mit dem Lesebühnenveranstalter deckte meine Fehlplanung auf. Ziemlich genau zur Uhrzeit der Lesung würde ich im Flieger von Reykjavík nach Nuuk sitzen.

Ich schrieb dem Organisator und Kulturfreund sofort von meinem Missgeschick. Er schlug einen Alternativtermin Ende November vor. Der passte mir. Jetzt galt es nur noch zu hoffen, dass die mit mir befreundete Mitleserin natürlich auch an dem Datum kann.

Sie konnte.

Das wird ein schöner Abend. Haltet den 24.11. frei.

Immerhin schaffte ich es, zwischen 14 und 14:30 Uhr das Auto in die Waschanlage zu bringen. Meine Nachbarin unterstützte mich dabei. Von meinem Problem mit Waschanlagen berichtete ich neulich kurz. Letzten Donnerstagabend sassen wir jedenfalls bei den Nachbarn, die mit uns in Schweden waren. Wir assen Radieschen-Blätter-Pesto und andere Sachen. Sie kannten mein Problem mit der Autowäsche, deswegen bot sich die Nachbarin an, mich zur Waschanlage zu begleiten. Ich weiss, wie ich funktioniere: Ich brauche nur eine Waschanlage, in die ich einmal in Begleitung gehe, und danach muss ich in genau diese Waschanlage einmal alleine fahren. Danach bin ich mental für alle Waschanlagen dieser Welt gerüstet.

Das Protokoll für mich zum Nachlesen: Wir fuhren also hin. In der Auffahrt kann man einen Waschgang wählen. Zwischen Basic und Super, Super-HD und weiteren Steigerungen sowie sämtlichen Optionen. Steht da alles an einer Tafel. Ich entschied mich für den Basic-Waschgang, allerdings mit Unterbodenwäsche wegen des Grases auf den Waldwegen in Schweden. Das kostete 14€. Bei der Einfahrt in den Tunnel stand ein junger Mann, der das Geld entgegennimmt und alles erklärt. Dann kommt ein anderer junger Mann und besprüht das Auto, und plötzlich hat man schon die Räder in der Schiene, die einen durch den Waschtunnel schleift. Es geht alles von selbst. Und bloss nicht auf die Bremse treten. Aufregend wurde es nur gegen Ende hin, weil ich nicht wusste, wann ich wieder den Motor anschalten und losfahren sollte. Wir waren schon wieder an der freien Luft, aber ich merkte, dass sich das Rad immer noch auf der Schiene befand. Meine Begleiterin mahnte mich zu Gelassenheit. Es gibt immer unmissverständliche Zeichen beim Verlassen dieser Waschstrassen. Tatsächlich leuchtete auf einmal, woe aus dem Nichts, grünes Licht auf, das mich aufforderte, den Motor anzuschalten und loszufahren. Samt Glückwünschen für eine angenehme Weiterfahrt.

So. Wieder was gelernt. In einem Monat werde ich die Übung alleine durchspielen. Ich kann jetzt das ganze Prozedere hier nachlesen. Kostet mich halt wieder einen Zehner. Aber das ist der Preis für die Autonomie.

[Di, 9.6.2025 – Karneval, Fotografie, Maschinensprache]

Seit zwei Tagen findet an der Karl-Marx-Allee der Karneval der Kulturen statt. Bisher wurde das ja immer in Kreuzberg gefeiert. Dieses Jahr schwappte das Festival zum ersten Mal auf unsere Seite der Spree herüber. Wenn er schon so nahe ist, sollten wir einmal vorbeischauen, fanden wir. Hier ein paar Strassen weiter hört man die herübergewehten Schallwellen von den Musikbühnen. Und das Strassenpublikum ist anders als üblich. Normalerweise laufen Sonntags hier nur die Partyleichen nach Hause oder die jungen Familien auf dem Weg zum Spielplatz. Beide Pfingsttage fühlten sich wie Feiertage an. Also Feiertage, wo man nicht nur arbeitsfrei feiert, sondern mit Musik auf den Putz haut. War schon irgendwie nett.

Was ich aber über den Karneval der Kulturen erzählen wollte: Wir gingen nicht hin. War auch eine blöde Idee zu denken, wir würden da hingehen.

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Weil ich neue Fotos für meinen CV brauche, suchte ich letzte Woche nach einem Fotografen. Die selbstgeschossenen Portraitfotos wirkten nie wirklich gut genug für einen CV. Im Netz fand ich einen Fotografen mit einem Atelier in der Nachbarschaft. Ich bin da nicht wählerisch, ein kurzer Weg ist das einzige Kriterium. So trug ich mich in seinen Online-Terminkalender ein. Ich wählte einfach den nächstmöglichen Termin. Das war Montag um zehn Uhr. Erst am Wochenende fiel mir auf, dass der Montag ein Pfingsmontag war. Da er den Termin jedoch sofort bestätigt hatte, ging ich heute trotzdem hin, ohne mich vorher noch einmal zu vergewissern. Zur Begrüssung sagte ich dem Fotografen: „Ich hoffe, es hat dich auch überrascht, dass heute Pfingstmontag ist.“ Er sagte: „Ja. Ist mir gestern auch aufgefallen.“

So mag ich die Welt.

Die Fotos sind wesentlich besser geworden als selbstgemachte Fotos. Auch wenn man mit der Kamera meines Telefons offenbar Kinofilme drehen kann und sie mehr aus einem Bild herausholt als sie überhaupt eingefangen hat. Man braucht aber immer noch ein Auge für Licht. Es gibt schon einen Grund, warum ein Fotograf Geld kostet. Dem Fotografen ging es ständig um die richtige Ausleuchtung meines Gesichtes. Der Termin lief in drei Etappen ab. Zuerst die Ausleuchtung, dann die Pose und am Ende das Shooting. Die Hälfte der Zeit ging es um die Ausleuchtung. Mit entsprechend gutem Ergebnis.

Aber mit meinem Telefon werde ich mal einen Kinofilm drehen.

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Also ich habe nichts gegen den Karneval der Kulturen. Wirklich nicht. Das klang vorhin vielleicht so. Ich bin nur kein grosser Fan von Menschenmassen. Es ist nicht so, dass ich Menschenmassen meide, aber sie lösen bei mir kein FOMO aus. Sogar bei Herthas Heimspielen ziehe ich ein schnödes Nachmittagsspiel gegen mittelmässige Gegner vor, statt den grossen, ausverkauften Spielen bei Flutlicht. Müsste ich mal nachdenken, warum das so ist. Warum wir trotzdem auf den Gedanken kamen, auf den Karneval der Kulturen zu gehen, weiss ich nicht. Vielleicht, weil man ihn zu uns in den Kiez getragen hat. Um Dankbarkeit zu zeigen. Sehet her, danke, dass ihr uns Aquädukte, den Wein und den Frieden gebracht habt.

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Ich plane übrigens eine kleine Webseite mit einem schnuckligen Onlineservice. Ich will noch nicht sagen, was die Seite genau macht, das werde ich später erklären, wenn es so weit ist. Da ich aber nur sehr schlecht programmieren kann, liess ich mir den Code durch ChatGPT ausspucken. Von Ex-Kollegen weiss ich, dass sie mittlerweile auch komplexen Code durch die KI schreiben lassen. Man muss der Maschine nur gute und unmissverständliche Anweisungen geben. So probierte ich mehrere Stunden daran herum.

Um es kurz zu machen: Der Onlineservice funktioniert noch nicht.

Aber es ist spannend. Und natürlich logisch, dass die KI auch Programmieraufgaben übernehmen wird. Eine Maschine spricht flüssiger Maschinensprache als ein Mensch.

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