[Sa, 7.12.2024 – Kohlklöpse, schwarzer Reis]

Es ist grau draussen. Tagsüber wird es gar nicht mehr richtig hell. Eine dicke Wolkendecke hängt über Berlin, über ganz Mitteleuropa. Immer wieder Niesel. Die Hündin mag es. Sie tapst durch die Pfützen und läuft neben mir her, während ich mit Regenjacke und meinen neuen Gummistiefeln im nassen Matsch latsche.

Am Freitag kochte ich Burgerpatties aus Weisskohl. Dass ich Kohl liebe, habe ich schon oft gesagt und sicherlich weiss das auch Instagram, weswegen mir ständig Kohlrezepte in meine Timeline gespült werden. Neuerdings häuften sich Rezepte für Fleischklöse aus Kohl, also Frikadellen, Buletten, Burgerpatties. Allesamt aus Kohl. Instagram weiss natürlich auch, wie experimentierfreudig ich bin.

Wenn man danach googelt, findet man eine grosse Auswahl an Rezepten. Alle diese Rezepte sind ein bisschen unterschiedlich und einen Fehler, den ich regelmässig begehe, ist es, zwei oder drei Rezepte zu vermischen. Meistens komme ich dann mit den Mengenverhältnissen durcheinander. Manchmal entstehen daraus aber auch wunderbare Gerichte.

Diesmal kreuzte ich zwei Rezepte, in denen einmal der Kohl grob geschnitten und dafür länger gekocht wird und beim anderen der Kohl wesentlich feiner geschnitten und dafür nur kurz gekocht. Ich machte daraus: grobe Stücke kurz gekocht. Im Ergebnis wurden die Patties natürlich sehr bissfest.
Ich werde das Gericht auf alle Fälle wiederholen. Aber mit mehr Gewissenhaftigkeit. Und mehr Salz. Ich hatte fast überall das Salz vergessen.

Heute hingegen kochten wir ein simples Curry. Da wir keinen Reis mehr vorrätig hatten, griff ich zu schwarzem Reis, den ich vor zwei Jahren in grossen Mengen in Italien gekauft hatte. Schwarzen Reis verwendet man eher für Desserts und für Speisen mit einer Pudding-artigen Konsistenz. Oder auch für Risotto. Da ich Reis aber in allen Lebenslagen essen kann, eignet er sich nach meinem Verständnis auch für Curry.

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12 Eier bestanden nicht den Wassertest. Gibt es eigentlich wieder einen Naziaufmarsch?

[Do, 5.12.2024 – Businessdistrict, Dystopien, Kauf, Buchläden, Fussballkulturen]

Am Mittwoch traf ich mich mit einem Headhunter, der mich gerade an eine Firma vermitteln will. Wir setzten uns in eine Galerie nahe des Gendarmenmarktes und tranken einen Kaffee. Die ganze Gegend ist eine Art Businessdistrict geworden. Ich arbeitete lange dort, aber erst jetzt fällt mir auf, wie sehr mich die Gegend an Mailand erinnert. Das Berlusconi-Mailand, das Medien-Mailand. Die 5-geschossigen Häuser, die Hauseingänge aus Glas und Marmor, die geparkten Limousinen mit Fahrer. Immerhin sind die Leute hier besser gekleidet als im restlichen Berlin.

Wir redeten über Musk. Über Peter Thiel. Über die neue totalitäre und autoritäre Rechte. Und wie die dystopischen Themen der Filmgeschichte zunehmend realer werden: Total Recall, 12 Monkeys, Terminator, Minority Report, Brave New World usw. Von Orwell wollen wir gar nicht reden.

Nachher ging ich ins Alexa. Ich suchte nach schwarzen Sneakers. Ich brauche Sneakers, die nicht so schnell schmutzig aussehen. Ich trage derzeit weiss und gelb, die färben sich zu schnell in ein fahles Berlingrau. Die Suche lief erfolglos, vielleicht weil ich eine zu genaue Vorstellung davon habe, wie sie auszusehen haben. Dabei durchwanderte ich einmal das komplette Alexa. Alle drei Geschosse und alle zwei Segmente. Am Ende hing ich allerdings im Thalia ab. Schon neulich schrieb ich über dieses Thalia. Oder über Buchläden im Allgemeinen. Weil ich in den letzten Jahren so selten Buchläden besuchte, vergass ich die ständigen Kauftrigger, die solche Läden in mir auslösen. Nach einer Viertelstunde hielt ich fünf Bücher in den Händen. Bevor ich zur Kasse ging, konnte ich mich allerdings von allen wieder lösen.

Und so fuhr ich ohne Sneakers und ohne Bücher wieder nach Hause. Nächste Woche bringe ich das Auto zum Reifenwechsel weg. Nicht weit vom Dussmann entfernt. Ich werde ein paar Stunden warten müssen. Dabei weiss ich, wo ich mich ein paar Stunden lang aufhalten werde.

Am Freitag hielten wir die Mitgliederversammlung des Fanclubs ab. Wir trafen uns wie immer im Haus der Fussballkulturen an der Cantianstrasse im Prenzlauer Berg. Es gab viel Gesprächsbedarf. Lustigerweise offenbarten sich unterschiedliche Vorstellungen darüber, was Support ist und wie man sich in der Kurve zu verhalten hat. Da unser Fanclub neben der Grösse, auch ein breites Altersspekturm abbildet, gibt es die jungen Leute, die fast schon Ultras sind und die alten Leute, die einfach das Fussballspiel sehen wollen und es gibt noch ganz viel dazwischen. Und alle haben ein eigenes Verständnis davon, was genau „die Kurve“ ist.

Am Ende sind wir vermutlich alle weiser geworden. Geeinigt haben wir uns auf nichts, es war aber dennoch gut, die Diskussion geführt zu haben.

Dazwischen lief immer meine Hündin durch die Reihen und holte sich bei den Anwesenden eine Kopfmassage ab.

[Di, 3.12.2024 – Dosierung, Novelle, King]

Für die letzte Nacht gab mir meine Frau eine niedriger dosierte Variante Melatonin. Als ich wieder um drei Uhr wach lag, schluckte ich das Präparat und fiel bald wieder in den Schlaf. Tatsächlich war ich am Morgen weniger erdrückt. Dafür zeigte meine Smartwatch einen tiefen Schlaf an. Ich verstehe langsam, warum Menschen den Schlaftabletten verfallen.

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Nun bin ich mit einer zweiten Literaturagentin im Gespräch. Die erste Agentin hatte nach einiger Überlegung keine Kapazitäten, mich in ihr Portfolio aufzunehmen. Sie schrieb, sie fände den Text gut, aber es sei schwierig, eine Novelle als Debüt bei einem Publikumsverlag unterzubringen. Sie empfahl mir stattdessen drei kleinere Verlage anzuschreiben, bei denen das Buch reinpassen könnte.

Ich hatte mit einer Ablehnung gerechnet. Schliesslich weiss ich die Chancen mit der Hausbesetzernovelle durchaus einzuschätzen. Zum einen ist sie nur 140 Seiten lang und inhaltlich hat sie keine zeitgenössische Relevanz (Neunzigerjahre, Hausbesetzerszene). Da sie ausserdem in den Niederlanden spielt, gibt es für ein deutsches Publikum auch keine gesellschaftliche Bedeutung. Es ist einfach nur eine gute Geschichte.
Mit diesen Worten bot ich den Text auch der Agentin an. Einer Agentin gegenüber sollte ich den Text vielleicht nicht schlechtreden.

Eine alte Freundin, die heute Bestsellerautorin ist, stellt mir die Kontakte her. Ich weiss nicht, ob ich hier ihren Namen nennen sollte. Vielleicht später einmal. Jedenfalls brachte sie mich auch mit der zweiten Agentin in Verbindung. In der Kontaktaufnahme beschrieb ich meinen Text diesem als eine Art Abenteuergeschichte. Das kommt dem Text durchaus nahe. Es ist eine Abenteuergeschichte und ein Milieuproträt. Daraufhin schrieb sie mir heute eine bemerkenswerte Antwort, in dem sie sagte: Das ist gut. Mit einem Text aus dem literarischen Bereich wäre es schwieriger.

Natürlich hat die Hausbesetzernovelle Literarizität. Pft.
Okay, ich fand ihre Antwort schon lustig. Ich weiss ja, wie sie das meinte.

Sie hat den Text allerdings noch nicht gelesen. Das wird jetzt ein paar Tage dauern.

Apropos Literarizität. Ich lese gerade wieder Stephen King und bin sehr begeistert von der Art, wie er diese beiläufige, suggestive Stimmung herstellt, diese emotionale Distanz, die er zwischen einer freundlich gestimmten Erzählstimme und dem Geschehenen aufrecht erhält. Vor zwanzig Jahren hätte ich mich nicht getraut, so etwas zu sagen.

Apropos Länge meiner Novelle. Das Buch von Stephen King ist eine Sammlung von Kurzgeschichten und Novellen, die er mal eben so runterschrieb, aber offenbar zu kurz für ein eigenes Buch sind. Darin enthalten ist auch die Novelle mit dem Namen „Danny Coughlin’s Bad Dream“, die 224 Seiten umfasst. Daneben sieht meine Erstveröffentlichung mit ihren 140 Seiten schon sehr dünn aus. Ich finde das beachtlich. Von dem ganzen Sitzen muss er ja Rückenschmerzen bekommen.

[Mo, 2.12.2024 – Melatonin, Antihistaminika]

Auf meine Bewerbung in Fehmarn kam bereits heute eine Antwort. Um die lange Story short zu machen: Es geht darum, einen sechsstelligen Betrag zu investieren und die Firma weiterzuführen.
Ich antwortete dem Inserenten, dass er dann doch einfach schreiben soll, dass die Firma zum Verkauf steht, anstatt so missverständlich nach einem Geschäftsführer zu suchen. Meine Antwort klang sicherlich etwas ungehalten.

Ich war den ganzen Vormittag lang, aber auch nicht auf der Höhe meiner empathischen Kräfte. Wegen meiner Erkältung schlief ich furchtbar schlecht und nahm nach einer Stunde Wachsein deswegen um 3 Uhr eine Pille mit Melatonin. Davon schlief ich sehr schnell ein. Allerdings kam ich morgens kaum aus dem Bett und ich fühlte mich, als hätte ich unter den Rädern eines LKWs geschlafen. Es war ein guter Schlaf, aber ein LKW wiegt schwer und entsprechend geplättet war ich davon. Irgendwann schälte ich mich von der Matratze herunter, was meine Hündin wiederum zu amüsieren schien, weil sie mich freudig beschleckte, was sie sonst morgens nie tut.

Vielleicht lag es aber auch am Vick MediNait, das ich am späten Abend zu mir nahm. Ich weiss, dass ich Antihistaminika nicht gut vertrage. Vor fünf oder sechs Jahren fing das mit der verstopften Nase an (ich berichtete gestern), damals probierte ich verschiedene Mittel. Natürlich geriet schnell eine Allergie in Verdacht, weswegen ich Antihistamin zu mit nahm. Davon lief ich tagelang müde herum und wusste nicht warum. Ich legte mich sogar im Büro auf die Couch und bat meine Kolleginnen, es zu ignorieren. Als mein Admin (!) die Antihistaminika verdächtigte, hörte ich sofort damit auf und schon ging es mir besser. Der Nase allerdings nicht. Das bekam ich erst Anfang dieses Jahres mit der OP in den Griff.

[So, 1.12.2024 – Nuuk, Nase, Fehmarn]

Seit drei Tagen gibt es Direktflüge von Kopenhagen nach Nuuk in Grönland. Bisher konnte man Nuuk lediglich über Reykjavík anfliegen, deswegen planen wir für den anstehenden Herbst eine Reise nach Island, von wo aus wir für ein paar Tage nach Grönland übersetzen werden. Wir sparen uns ein bisschen Geld, weil meine Frau da an einer Tagung in Reykjavík teilnehmen wird und die Hotelkosten daher vermutlich vom Veranstalter übernommen werden, somit muss nur ich für meine eigenen Flugkosten aufkommen. Wenn es jetzt aber Direktflüge von Kopenhagen aus gibt, dann können wir uns auch überlegen, die Grönlandreise unabhängig von Island zu planen.

Die Nachricht dieser Direktverbindung löste eine ungemeine Freude in mir aus. Allerdings wird die Euphorie von den Preisen gedämpft. In Summe ist es zwar immer noch günstiger als ein Flug via Reykjavik, aber man muss erst mal auch bis nach Kopenhagen kommen. Wir könnten den Flug mit einer Reise nach Schweden verbinden, weil wir da ohnehin durch Kopenhagen reisen, allerdings ist das auch irgendwie blöd: Man fährt in den Urlaub, um irgendwo anders Urlaub zu machen und auf dem Rückweg zum ursprünglichen Urlaubsziel weiterzureisen.

Während ich das alles hier aufschreibe, ist meine Freude wieder gewichten.

Dabei bin ich gerade leicht erkältet. Die Augen brennen und die Nase ist verstopft. Ich habe es bisher vermieden, Nasenspray zu verwenden. Seit der Nasenoperation im Januar bin ich vom Spray losgekommen und ich bin jeden Tag glücklich darüber, dass ich nie mehr danach greifen musste. Es liegen noch zwei angefangene Fläschchen in der Schublade, die ich als Notration vorrätig halte, ich konnte mich aber immer zurückhalten, sie zu verwenden. Vermutlich wäre es harmlos, wenn ich mich für einen besseren Schlaf einen Sprühstoss in die Nase geben würde. Ich habe allerdings irrationale Angst davor, dass mein Körper sich an dieses schöne, befreiende Gefühl erinnert und sofort wieder abhängig wird.

Am Samstagabend war ich bei meinem Freund Klaus auf eine kleine Wohnzimmerparty mit Mezcal eingeladen. Weil ich fürchtete, dort mit einer akut verstopften Nase hängen zu bleiben, nahm ich mir eines der beiden Fläschchen mit. Man weiss nie, wie der Körper auf Alkohol reagiert oder wenn Leute in meiner Umgebung rauchen. Glücklicherweise kam es aber nicht dazu. Also zur Verstopfung. Zum Alkohol kam es schon.

Ausserdem habe ich mich auf eine Stelle auf der Insel Fehmarn beworben. Es geht um die Übernahme einer Fahrradverleihfirma. Ich würde dort das Geschäft führen und drei bis vier Tage pro Woche auf der Insel verbringen. Das wäre mal etwas ganz anderes und der Gedanke gefällt mir wesentlich besser als in einer IT Butze wieder irgendwelche Strategien auf Papier bringen und Reports anstarren.
Auch meine Frau fand den Plan gar nicht so schlecht. Wir würden einander weniger sehen, aber das kann man sich ja gut einrichten, dann hat die Zeit, die man miteinander verbringt, auch mehr Qualität. Das muss nicht schlecht sein. Wie wir das mit der Hündin machen, müssten wir noch klären. Wenn sie mit ins Büro gehen kann, wäre es besser, sie kommt immer mit mir mit. Aber ich befinde mich schon sehr weit in der Zukunft. Ich habe gerade erst die Bewerbung abgeschickt.

Mit dem Auto fährt man vier Stunden. Mit der Bahn sieben. Mit dem Fahrrad sind es 19 Stunden und zu Fuss 3 Tage. Vielleicht ist die Idee auch nur so mittelmässig gut.

[Fr, 29.11.2024 – Trinkgeld, Deckel, verwildert, Wal]

Vor einigen Tagen steckte ich unserem DHL-Mann einen Umschlag mit 20 Euro zu. Unser DHL-Mann ist ein sehr netter, freundlicher, bisschen schüchterner Pole und bisher hat er von mir noch nie Trinkgeld erhalten. Ich glaube, das ist auch nicht üblich. Allerdings erhalten wir sehr oft DHL-Pakete, es war durchaus an der Zeit, sich mit einer nette Geste erkenntlich zu zeigen. Ich wünschte ihm dabei Frohe Weihnachten. Er bedankte sich, jedoch nahm er den Umschlag ohne emotionale Regung entgegen. Mir kommt vor, dass es ihm unangenehm war. Mir kommt es auch vor, dass er sich seitdem anders verhält. Ich sehe ihn täglich. Auch bei uns im Kiez, wenn ich mit der Hündin spazieren gehe. Bisher grüsste er immer. Seit ich ihm den Umschlag überreichte, grüsst er aber anders.

Meine Frau sagt, ich würde das overthinken. Kann sein.

Overthinken. Auch so ein Wort. Es lässt sich nicht in „Überdenken“ übertragen.

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Morgens schwebte ein finsterer Deckel über Berlin. An seinen Rändern schien eine wunderbare Wintersonne herein.

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Am Nachmittag spazierte ich lange mit Frau Casino. Wir trafen uns in der Greifswalder am Anton-Saefkow-Park und begaben uns zum Volkspark Prenzlauer Berg auf der anderen Seite der Gleise. Ich mag diesen grossen, verlassenen Park ja sehr. Wir waren uns nicht sicher, ob wir den Park verwildert oder ungepflegt bezeichnen sollten. Das weiss man in Berlin ja nie genau. Wobei das eine Frage ist, die man über diese ganze Stadt ausweiten kann.

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Ich werde den Wal vermissen:

[Do, 28.11.2024 – Mantrailing, Sprachen]

Ausser von alltäglichen Erledigungen gibt es nicht viel zu berichten. Auch wenn es Sinn des Tagebuchbloggens auch ist, dass man die geschehenen Dinge am Abend auf ein Podest stellt und sie anschaut. Es gibt dann immer erstaunliche Dinge, die man darin entdeckt. Mir fehlte vielleicht die Muße, das Podest herauszusuchen.

Was ist also passiert:

  • Ich liess mich gegen Grippe und FSME impfen
  • Die Läufigkeit der Hündin ist vorbei und sie geht wieder mit der Gassigang mit
  • Ich brachte meine Schwiegereltern zum Flughafen
  • Ich befinde mich noch im Austausch mit einer Literaturagentin

Ausserdem meldete ich die Hündin für einen Mantrailingkurs an. Das soll für Hunde ungemein anregend sein. Menschen verstecken sich irgendwo im Wald und die Hunde müssen den Menschen finden. Was einfach klingt, erfordert ein durchaus anspruchsvolles Training. Darauf bin ich sehr gespannt. Mein Ziel ist es, dass wir sie zukünftig zum Pilzesuchen einsetzen können. Schnüffelhunde wie Pudel eigenen sich beispielsweise um Trüffel zu finden. Sie werden sogar den Schweinen vorgezogen, weil sie im Gegensatz zu Schweinen die Trüffel nicht fressen.

Nun werden wir in Brandenburg sicherlich keine Trüffel finden, es reicht mir aber, wenn sie in Schweden Pfifferlinge aufstöbern kann.

Zwei Punkte, die ich noch in meinen Notizen stehen habe, waren jeweils die Sprachen bei meinen Treffen sowohl mit Katrien wie auch mit Fede. Mit Katrien sprach ich natürlich auf Niederländisch bzw. sie mit mir auf Flämisch. Das ist die gleiche Sprache, aber in der Konversation muss man sich das vorstellen, als würde eine Deutsche mit einer Schweizerin sprechen. Wir hätten uns auch zu viert treffen können, also mit ihrem Freund und meiner Frau, aber ihr Freund ist Wallone, er spricht daher nur französisch und wie es mit Frankofonen oft üblich ist, sprechen sie kaum englisch. So war das auch bei ihrem Freund der Fall. Meine Frau spricht hingegen sehr gutes Englisch, aber kein französisch und sicherlich auch kein flämisch oder Niederländisch. Nicht, dass wir ernsthaft in Betracht zogen, uns zu viert zu treffen, aber es scheiterte bereits an den Sprachen. Auch das ist Europa.

Mit Fede sprach ich hingegen italienisch. Da sie aber schon seit knapp zwei Jahrzehnten in Mexiko lebt und dort täglich spanisch spricht, ist ihr die Flüssigkeit in der italienischen Sprache abhandengekommen. Sie streute oft spanische Wörter ein und bildete mir fremde Satzstrukturen, die ich jetzt mal als spanisch interpretiere. Und wenn sie über ihren toten britischen Ex-Mann und der Ermittlungen sprach, driftete sie ständig ins Englische ab.

Mich amüsierte das.

Blixa Bargeld sagte einmal irgendwo einen nur halbklugen Satz, dass die Muttersprache diejenige sei, in der man auch träumt. Das ist vermutlich romantischer Quatsch. Ich träume immer in jener Sprache, die ich im Alltag verwende. Lange träumte und zählte ich auf Niederländisch. Oder auch englisch und italienisch oder sogar spanisch.

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Die Jahreszeit beginnt wieder:

[Di, 26.11.2024 – Pannbiff, Spätherbst in Schweden]

Abends bereitete ich Pannbiff zu. Das sind schwedische Buletten, die mit karamellisierten Zwiebeln und Kartoffelbrei serviert werden. Ich kündigte meinen Schwiegereltern an, dass sie heute den besten Pannbiff südlich von Falsterbo bekämen. Ich sage manchmal solchen grossspurigen Scheiss um mich unter Druck zu setzen und den Leuten Unterhaltung zu bieten. Ich habe bisher nur einmal Pannbiff gemacht. Die fand ich ausgezeichnet. Aber ehrlicherweise kann man auch nicht viel falsch machen.

Meine Schwiegermutter bedankte sich während des Essens und sagte, dass sie sich an ihre Kindheit erinnert fühle. So wie ich es beherrsche, den Mund voll zu nehmen, so beherrscht meine Schwiegermutter die Kunst, ihre Komplimente an mein Niveau anzupassen.

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Heute erhielt ich Fotos aus Schweden. Von der Frau des Cousins meiner Frau, die ja mit ihrem Mann zwei Kilometer flussaufwärts von unserem Häuschen lebt. Das heisst, eigentlich leben sie im November nicht mehr da, zwischen November und März wohnen sie in ihrer Stadtwohnung in Göteborg. Ihr Sommerhaus ist für die ganz kalten Monate zu schlecht isoliert. Aber am Wochenende fahren sie manchmal hin.

Letzten Sommer bat ich sie, mir Fotos vom Haus im Winter zu schicken. Heute schickte sie mir die erste Serie. Es ist ein düsterer Tag Ende November. Ich liebe es.

[Mo, 25.11.2024 – Beim Glühwein]

Die Saison der Weihnachtsmärkte hat begonnen. Obwohl ich die dunkle Jahreszeit sehr mag, gehören Besuche von Weihnachtsmärkten nicht zu meinen Vorlieben. Allerdings folge ich oft dem Gruppenzwang und so sitze ich regelmässig zwischen Plastikschnee und überteuertem Glühwein. Diesmal traf ich Kollegen von meiner letzten Firma zu einem Umtrunk auf dem Weihnachtsmarkt am Bebelplatz. Das ist der exklusive Markt für den man 2€ Eintritt bezahlt.

Wir drehten Runden und blieben bei einem Stand hängen, an dem grosse Käselaibe geschmolzen wurden. Den zerrinnenden Käse schabte man mit einem Messer in Fladenbrot. Und ins Fladenbrot legten sie Cornichons und andere eingelegten Dinge. Alleine der Anblick des Käses aktivierte alle verfügbaren Fressflash-Rezeptoren in mir.

Mit den Ex-Kollegen gibt es immer lustigen Tratsch aus der Firma. Ich wurde in alle neuen Geschichten eingeweiht. Ausserdem werden gerade 20% der Belegschaft entlassen. Entsprechend schlecht ist natürlich die Stimmung im Büro. In dieser Stimmung tratscht es sich aber wesentlich besser.

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Auf dem Nachhauseweg hörte ich „Heart of Steel“ von Manowar. Das hatte ich schon lange nicht mehr gehört. Ich mag diesen pathetischen Metal-Kitsch wirklich. Gleich mal auf die Playlist gesetzt, damit ich es nicht wieder vergesse.

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Knedl. Mi manchi.
(verstehen aber nur Menschen aus Südtirol):

[So, 24.11.2024 – mit Fede]

Heute traf ich Fede. Sie ist seit Juni in Europa und verbringt noch die Hälfte der Woche in Berlin, bevor sie nach Bremen weiterzieht und schliesslich nach Wageningen in den Niederlanden. Von dort aus, wird sie nach Mexiko zurückfliegen. Sie hat ihren zwölfjährigen Sohn schon seit 6 Monaten nicht mehr gesehen. Sie freut sich darauf.

Federica gastiert in einer riesigen Künstlerwohnung in der Bülowstrasse. Mir sind die Wohnverhältnisse nicht ganz klar. Die Hauptmieterin wohnt eigentlich in Potsdam und hält ihr Zimmer zugesperrt. Dafür wohnt eine ältere Künstlerin aus Bayern in einem der grossen Zimmer. Im Zimmer nebenan wohnt eine junge Frau mit einem Hund, die aber auch nur zu Besuch zu sein scheint. Fede schläft im designierten Gästezimmer, einem schmalen Raum mit einem Fenster und einem Bett. Das Wohnzimmer ist mit Kunst und Künstlerbedarf vollgestellt. Farbeimer, Holz, Bilderrahmen, angefangene Gemälde, Textilien, viele Textilien. Darunter erkennt man Sofas. Der Gemeinschaftsraum ist deswegen die Küche, ein kleiner Raum am Ende der Wohnung. Es können dort nur drei Menschen an einem kleinen Tisch sitzen. Der Raum ist mit Küchenutensilien vollgestellt. Und überall stehen Marmeladegläser, Einweckgläser und Behälter mit Kräuter. Für uns beide reicht der Platz. Am Küchentisch hat sie ihren Arbeitsplatz eingerichtet. Dort stickt sie für die bayrische Künstlerin Halsreifen. Sie stanzt und näht und fädelt, während sie mir ihre Lebensgeschichte erzählt. Wir wohnten bis zur Räumung der Lange Nieuwstraat am 6.8.1997 zusammen, danach zog sie in ein besetztes Schulgebäude in der Lanslaan und ich zog mit einer Gruppe radikaler Veganer in den Kruisweg, einem legalisierten Haus nördlich der Utrechter Innenstadt. So verloren wir uns aus den Augen. Schliesslich zog sie zurück nach Italien und wir sahen einander nicht wieder.

Das ist 27 Jahre her.

Es war lustig, sie wieder zu sehen und wir hatten jede Menge Gesprächsstoff. Vorherrschendes Thema bei ihr ist der Tod ihres Ex-Mannes. Sie waren ein frischverliebtes Paar, sie kannten einander gerade einmal 18 Monate. Er kam aus England und wohnte teils in seinem Heimatland und teils in Mexiko. Er stammte aus englischen aristokratischen Verhältnissen, litt unter Depressionen und nahm sich schliesslich vor zwei Jahren das Leben. So weit so tragisch.

Nach seinem Tod wurde Fede von einer Frau über Social Media angeschrieben. Diese Frau war Patientin einer Krankenschwester eines nordenglischen Krankenhauses. Bei dieser Krankenschwester handelte es sich um die Ex-Frau des Verstorbenen. Die Patientin wurde von der Krankenschwester in einen Plan eingeweiht, um bei ihrem Ex-Mann den Tod herbeizuführen. Der Plan sah im Groben vor, die Medikamente des Ex-Mannes zu manipulieren und ihn durch therapeutische Gespräche einen Ausweg aus dem Leben durch Suizid aufzuzeigen.
Letztendlich wurde der Mann schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht, auf die Station seiner Ex-Frau während sie die Schicht leitete. Wo er in ihren Armen verstarb.

Die Patientin konnte den Plan anhand Chatverläufen mit der Krankenschwester beweisen. In den Wochen nach dem Tod, meldeten sich weitere fremde Menschen bei Fede, die allesamt den einfachen Suizid ihres Mannes anzweifelten. In den Gesprächen mit diesen Menschen stellte sich heraus, dass die Ex-Frau von allen als gefährliche Person oder Psychopatin beschrieben wurde.

Mittlerweile ist die Polizei eingeschaltet und es wird ermittelt.

Die Ex-Frau unterhält auf Insta und TikTok einen Kanal, in denen sie sich als Schamanin und als Hexe inszeniert. Die Ermittlungen halten sie nicht davon ab, sich zurückzuhalten. Sie ist eine schöne, auffällige Frau mit wilden, blonden Haaren und grossen Lippen. Sie führt Monologe, in denen sie erzählt, wie Hexen früher Phalluse in Gläsern hielten und wie schade es sei, dass es diese Tradition heute nicht mehr gäbe. Das kann man als lustigen oder harmlosen Goth-Content auf Socialmedia abtun. Hier bekommt das allerdings einen seltsamen Kupfergeschmack. Fede zeigt mir Videos wo die Frau in Insta-Stories sich offensichtlich an sie wendet und sagt, sie solle in Mexiko bleiben und sich um ihren eigenen Kram kümmern. Sie schwafelt von Liebe und ewigen Verbindungen, die sie als einfaches Mädchen niemals nachempfinden könne.

Diese ganze Geschichte ist auch einer der Gründe, warum sie sich seit 6 Monaten in Europa aufhält. Sie fliegt natürlich alle paar Wochen nach Birmingham.

Dazu schenkte sie mir Pasta e Fagioli ein.