[Mi, 9.4.2025 – Fitness]

Zwei sehr lange und liebe Mails zur Novelle erhalten, die mir ein paar Erkenntnisse über den Text gaben, derer ich mir vorher nicht bewusst war.

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Heute dann ins Fitnessstudio gegangen. Ich hatte den Einführungstermin mit einem freundlichen, muskulösen Mann in etwa meinem Alter. Sein Akzent war persisch. Das erkenne ich daran, wie die letzte Silbe oft sanft ausgehaucht wird. Also fragte ich ihn, ob er aus dem Iran käme. Er sagte: Nein, ich komme aus der Türkei. So viel dazu, wie gut ich Persisch immer gut an der letzten Silbe höre.
Wir sassen in einer ungemütlichen Sitzecke des Studios und er hielt ein Tablet vor sich, mit dem er mir einen Trainingsplan erstellen würde. Er wollte von mir wissen, wie viel Erfahrung ich schon mit Fitness hätte. Ich sagte ihm, dass ich noch nie in einem Studio gewesen bin. Das stimmte nicht ganz. Ich arbeitete in 2012 drei Monate lang in einem Projekt für McFit, wo ich für den IT-Rollout der neuen Studios in Spanien und Italien verantwortlich war. Trainiert hatte ich allerdings nie.

„Noch nie in einem Studio?“ Fragte er, um sich zu vergewissern. Dabei lächelte er seltsam. Das Lächeln wirkte einerseits mitleidig, andererseits schien es sich zu freuen, dass er mich gerade entjungfert. Er fragte mich nach meinen Zielen. Ich sagte: Ich will schön und stark sein. Weil er mit der Antwort nicht viel anzufangen wusste, sagte ich: Muskelaufbau. Das gefiel ihm. Ich erklärte, dass ich gerade viel Gewicht verliere und ich das mit Muskeln kompensieren möchte. Gewicht zu verlieren fand er spannend, es stieg sofort in das Thema Ernährung ein. Über Proteine und Kohlenhydrate und Uhrzeiten. Es war offensichtlich sein Lieblingsthema. Ich liess ihn reden. Andererseits weiss ich auch, dass man Menschen, die Ernährungs- oder Gesundheitstipps geben, nie zu viel Raum geben sollte. Nach einer Minute fiel ich ihm etwas unsanft ins Wort und wechselte das Thema.

Der Trainingsplan sah vor, dass ich mich an bestimmten Geräten in bestimmten Zeiteinheiten, bestimmte Gewichte bewegen musste. Da ich einmal den gesamten Körper trainieren wollte, waren das Rücken-, Bauch-, Bein-, Schulter- usw -Maschinen. Am beeindruckendsten fand ich den Namen Trizepsmaschine. Meine nächste Industrial-Band wird Trizepsmaschine heissen. Hätten wir das geklärt.

Ich war erstaunt darüber, wie wenig ich mich ein Alien fühlte. Die Atmosphäre war freundlich, die anwesenden Menschen stammten aus allen Altersklassen und sassen in allen Körperformen. Als ich etwas orientierungslos zwischen den Maschinen herumirrte, um Maschine nr 13 zu finden, kam ein junger Mann zu mir und fragte mich, ob er mir helfen könne. Der war dort nicht angestellt, sondern einer der Trainierenden.

Komischerweise verbringt man in einem Fitnessstudio viel Zeit mit Nichtstun. Ich stellte mir ein Fitnessstudio immer unglaublich anstrengend vor. Dass man schwitzt und keucht. In Wirklichkeit macht man aber ständig Pausen. Zehnmal den Bizeps bewegen und dann anderthalbe Minute pausieren. Dann wieder zehnmal den Bizeps und wieder anderthalb Minuten Pause. Dann Maschine suchen, dann wieder mal Griffe reinigen, Maschine einstellen. Tatsächlich machte ich mehr Pause als Sport. Aber die meisten dort sind schon sehr fit und deren Körperpartien sind definiert. Das wird sicherlich funktionieren.

Frauen tragen oft auffallend enge Sporthosen mit dicken Nähten, die die Pobacken verstärken und etwas hervorquillen lassen. Das sieht sehr pornös aus, trotzdem super, aber ey, ich kann doch nicht ständig Frauen auf den Hintern schauen. Zum einen will ich das nicht und zweitens bin ich nicht die Zielgruppe. Deswegen konzentrierte ich mich auf meinen eigenen Arsch, der wird irgendwann auch so aussehen, dann kann ich mich selber im Spiegel anstarren.

[Di, 8.4.2025 – Weisse Akzente, Weisse Lotus]

Wenn man in Kreuzberg über die Holperpisten radelt, könnte man meinen, der Stadtteil würde von einer Autolobby regiert.

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Erst spät kam ich zurück nach Friedrichshain, als ich merkte, dass meine Fahrradlichter nicht mehr funktionieren. Immerhin war ich heute trotzdem nicht ganz unübersehbar, schliesslich trug ich zum Schwarz zwei weisse Akzente. Einmal die dünne, aber auffällige weisse Naht am unteren Rand meiner neuen Jacke. Und zweitens die weissen Sohlen der schwarzen Schuhe. Frisch geschrubbt sogar, sie leuchten.
Und sonst hätte ein Unfall vielleicht nicht ganz so weh getan, weil ich glücklicherweise etwas angetrunken war.

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Der dritten Staffel von White Lotus kann ich nicht so viel abgewinnen. Die Figuren interessieren mich nicht besonders, nicht einmal Carrie Coon, der ich sonst stundenlang zusehen könnte, oder auch Parker Posey nicht. Immerhin mochte ich Aimee Lou Wood, deren Rolle allerdings sehr ihrem Charakter aus Sex Education ähnelt. Bei ihr weiss ich allerdings nicht, ob ich sie nicht einfach nur mag, weil sie in Interviews so bodenständig und lustig ist. Der Charakter in der Serie ist nun auch nicht interessant. Wobei diese leicht naive, gut gelaunte Melancholie durchaus eine Figur über längere Strecken trägt.

Aber die Filmmusik ist wieder super. Das ist vielleicht das Beste an der dritten Staffel. Siehe unten.

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Neue Stimmen zu Springweg brennt:

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[Mo, 7.4.2025 – Sportkleidung, Fitnessstudio]

Weil ich jetzt weiss, dass ihr im Bett alle Kleidung trägt, liege ich nun nachts wach und denke daran, dass ihr im Bett alle Kleidung trägt.

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Weil ich mich heute im Fitnessstudio anmelden wollte, ging ich in die Eastside-Mall zu Intersport, um passende Kleidung anzuschaffen. Auf der FitX Webseite stand nämlich, dass man Sportkleidung und Sportschuhe benötigt. Ich besitze Sneakers und Hosen, die als Jogginghosen durchgehen. Bei meiner Morgenrunde auf der Hundewiese klärte man mich jedoch auf, dass man da schon eigene Kleidung trägt. Strassenschuhe sind in der Regel nicht erlaubt und in gewöhnlicher Baumwollkleidung geräte man schnell ins Schwitzen. Also ging ich zu Intersport. Als ich mir aber ein Überblick über das Angebot machen wollte, merkte ich schnell, dass ich keine Ahnung von den verschiedenen Kategorien habe. Neben „Outdoor“ und „Fussball“ wusste ich mich immerhin in „Sport“, „Laufen“ und „Training“ einzusortieren. Wo da genau die Unterschiede liegen, konnte ich aber nicht erkennen. Und wie es in diesen Läden immer ist, gibt es dort nie Internet. Zumindest nicht mehr, seit ich bei einem Billiganbieter bin. Also ging ich zur erstbesten Verkäuferin und sagte: Ich melde mich heute im Fitnessstudio an und brauche ein Oberteil, eine Hose und Schuhe.

Sie wusste genau, was ich brauche, deswegen brachte sie mich zu den entsprechenden Ständen, sie zeigte mir zuerst das Adidas-Sortiment, aber weil Adidas ja Union Köpenick ist, schüttelte ich den Kopf und ging zu Nike. Dort fand ich ein ziemlich cooles, schwarzes Retro-shirt, das es aber nur in XL gab. Ich bin ja eher der „L“ Typ und bald vielleicht nur noch „M“. Sie sagte, sie könne in der Filiale Köpenick anrufen, ob sie es dort noch in „L“ vorrätig haben. Schon wieder Köpenick? Nee, lass mal, ich fahre bestimmt nicht freiwillig nach Köpenick. Also nahm ich es in „XL“.

Auf die Gefahr hin, mich wie ein Boomer zu äussern, will ich dennoch sagen, dass ich diesen Trend der hinten wulstig ausgestülpten Sohlen bei Sneakern nicht verstehe. Siehe Foto. Das Modell, das ich kaufte, ist dabei noch dezent, es gibt aber wirklich Varianten mit vulgären Ausformungen. Wenn ich solche Schuhe trage, habe ich das Gefühl, unter Hornhautverwachsungen an der Ferse zu leiden. Ich checks nicht. Da kann mir niemand erzählen, dass es die Ferse entlastet. Der Druckpunkt der Ferse ist ganz woanders.

Mit neuer Sportbekleidung, demonstrativ in einer grossen Tasche von Intersport, ging ich dann zwei Stockwerke hinauf zu FitX und meldete mich an.
„Ja, ich war noch nie in einem Fitnessstudio“ „Ja, ich möchte gerne Beratung.“, „Ja, ich kaufe ein Jahresabo.“
Ich redete viel, ich wollte alles über Fitnessstudios wissen, stellte wahrscheinlich dumme Fragen. Die dürre junge Frau hinter der Theke wusste nicht genau, ob ich lustig war oder mich lustig machte. Oder ob es einfach nur Dadjokes waren. Zur Sicherheit lächelte sie, ohne wirklich zu lächeln. Hätte ich auch getan.

Am Mittwoch habe ich jedenfalls meinen ersten Termin.

[So, 6.4.2025 – Schreibroutinen, Berlin energielos]

Schon seit fünf Tagen nicht mehr am Romanprojekt gearbeitet. Seit der Arbeit an der Novelle lernte ich viel über Schreibroutinen. Wie grössere Texte entstehen, wie ein Tagespensum variiert etc. Dabei stellte ich fest, dass feste Rahmen wie eine feste Wortzahl oder feste Zeiten für mich wirklich unerlässlich sind. Sonst verliere ich den Fokus. Wenn ich mir vornehme, von 10:17 bis 11:17 den Schreibtisch nicht zu verlassen und den Browser nicht zu öffnen, dann entsteht in diesen 60 Minuten tatsächlich Text. Manchmal entstehen in 60 Minuten 5 Buchseiten, manchmal nur eine halbe. Ich nahm mir vor, jeden Tag mindestens 250 Wörter aufzuschreiben, also eine Buchseite. Meistens wird daraus mehr, aber diese eine Buchseite ist ein motivierender Einstieg, weil es ein Häppchen ist. Stephen King schreibt pro Tag etwa 1000 bis 2000 Wörter, also 6 bis 10 Buchseiten, das erklärt natürlich seinen immensen Output. Dabei sagt er, dass diese Seiten bereits dicht und schon ziemlich fertig sind. Bei mir variiert die Qualität eines Textes. Manchmal sind 5 Seiten wie in Stein gemeisselt und manchmal arbeite ich einen Tag lang an einem Absatz, den ich am Ende verwerfe. Nur um Extrembeispiele zu nennen. Ich bin aber auch kein Vielschreiber. Wobei: Der Durchschnitt meiner täglichen Blogeinträge beträgt 800 Wörter, das sind zwei bis drei Buchseiten. Auch immer in unterschiedlicher Qualität. Diese Zeit könnte ich auch für das Romanprojekt reservieren, andererseits ist mir diese Blogroutine als Schreibübung für Stil, Tempo und Perspektivwechsel, Inszenierung usw. sehr wichtig geworden. Nicht alles ist hier von Qualität, zudem werden meine Blogeinträge natürlich nie lektoriert und auch nicht gegengelesen und manche Sachen funktionieren nicht. Dafür weiss ich mittlerweile wesentlich besser, was als Text funktioniert.

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Dafür zieht mich Berlin gerade runter. Berlin hat keine Energie mehr. Schon seit ein paar Jahren nicht mehr. Vielleicht auch ganz Deutschland, aber es wird nicht mehr besser. Schlimm fand ich es immer, wenn ich von den Dienstreisen aus Amsterdam zurückkam, in einer Stadt, in der man merkt, dass sie von ihren Bewohnerinnen geliebt wird, sogar in den Aussenbezirken und in Gewerbegebieten, alle scheinen gerne Amsterdamerin zu sein, es wirkt, als achten die Leute auf ihre Stadt. Dann komme ich zurück nach Berlin: Alles ist wurschtig, träge, die Leute schlecht gelaunt, der Inhalt des Müllsacks, der letzte Woche aufgerissen wurde und einmal die ganze Strasse hinunter verteilt wurde, liegt immer noch da. Es interessiert niemanden. Die unkoordinierten Baustellen, die kaputten Radwege, jetzt brechen auch noch die Brücken ein. Diese Negativität, diese Trägheit, sie kommt von allen Seiten, vom Bürgertum, von meiner linkslastigen Blase, alle werden zunehmend konservativer, sogar mein linksliberales Umfeld in Berlin war nie wirklich liberal, immer eher konservativ, ich nenne es nur aus Gewohnheit so. Ich sage das allen, mit denen ich spreche: Berlin hat keine Energie mehr. Zum einen erwarte ich Zustimmung, aber Zustimmung deprimiert mich dann noch mehr. Früher war Berlin immerhin arm, aber sexy, dann wurde es ansatzweise wohlhabender und blieb sexy, jetzt werden wir wieder ärmer, aber ohne die Sexyness.

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Aber Frau Casino hat mein Buch gelesen. Und das hebt die Laune wieder. Disclaimer: sie ist eine meiner besten Freundinnen. Aber sie würde nicht darüber schreiben, wenn sie es nicht meint.

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[Sa, 5.4.2025 – Pyjama, Stimmen zum Buch]

In den letzten zwei Tagen machte ich mir keine Notizen, vermutlich ist nichts aufschreibenswertes geschehen, denn auch, als ich den Blogeintrag vorschreiben wollte, fiel mir nichts Gescheites ein. Am Freitag holte ich meine Frau von ihrer Mailandreise am Ostkreuz ab, am Samstag chillten wir und am Abend gewann Hertha das dritte Spiel in Folge. Mehr ist wahrscheinlich nicht geschehen. Aber drei Spiele in Folge! Das ist fünfeinhalb Jahre her. Wir sind jetzt allerdings zu weit von den Aufstiegsrängen entfernt, das werden wir in den verbleibenden sechs Spielen nicht mehr aufholen können. Es wird also ein weiteres Jahr in der zweiten Liga folgen.

Und sonst habe ich nur eine einzige Notiz in meinem Block stehen: Pyjama. Das schrieb ich auf, weil ein guter Freund von mir im Pyjama schläft. Weil ich einigermassen entsetzt darüber war, wollte ich das auch von anderen Menschen wissen und fast alle bestätigten, sie würden in Pyjamas oder mindestens in Kleidung schlafen. Davon war ich noch mehr entsetzt. Wenn ich im Bett eine Unterhose oder ein Tshirt trage, kann ich nicht schlafen. Ich habe mich jetzt immerhin an meine Smartwatch gewöhnt, mit der ich den Schlaf tracke. Diese ziehe ich aber erst an, sobald ich mich ins Bett lege. Aber einen ganzen Schlafanzug? Ich dachte, das käme nur in alten Filmen vor.

Das Thema schien mir jedenfalls zu unterkomplex, um es hier aufzuarbeiten.

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Es gibt jetzt Stimmen zu „Springweg brennt“:

[Do, 3.4.2025 – Casa Aspromonte, Eschersheim, Dark matter]

Gestern brachte ich meine Frau zum Ostkreuz. Sie muss für ein paar Tage nach Mailand. Als ich wieder zurück zu Hause war, schaute ich mir Mailand auf Google Maps an. Mit 17 und 18 Jahren war ich sehr oft in Mailand und kannte mich dort richtig gut aus. Als ich jetzt auf die Karte schaute, verstand ich die Struktur der Stadt aber nicht mehr. Das Leoncavallo befand sich in meiner Erinnerung 5 Minuten entfernt von dem kleinen besetzten Haus an der Piazza Aspromonte, wo ich immer schlief. Die beiden Häuser sind aber fast zwei Kilometer voneinander entfernt. Ich begann Strassen auf Streetview nachzulaufen und erkannte nichts wieder. Ins Haus an der Piazza Aspromonte kam ich wegen Carmello. Carmello bot mir und meinem Freund einen Schlafplatz an, nachdem wir mehrere Leute im Leoncavallo nach einer Schlafmöglichkeit gefragt hatten. Die Bewohner nannten uns die Ragazzi della Campagna. Die Jungs vom Lande. Weil wir eigentlich noch Kindern waren und ich bin mir sicher, dass wir auch rote Backen hatten.

In dem Haus lernte ich den ersten afrikanischen Mann kennen. Männer mit schwarzer Hautfarbe kannte ich sonst nur von den Adriastränden, das waren die Leute, die gemeinhin „Marocchini“ oder „Vucomprá“ genannt wurden. „Vucomprá“, weil sie mit ihren Bauchläden Feuerzeuge oder Uhren verkauften und ständig so etwas sagten, das das Volk abschätzig als „Vucomprá“ bezeichnete. Vergleichbar, als würde man auf deutsch „Willsekaufe“ sagen. Manchmal kamen diese „Marocchini“, die natürlich nicht aus Marocco stammten, auch in die Dolomitendörfer. Dort gingen sie von Haus zu Haus und verkauften Teppiche. Beliebt waren diese Männer nie. Dorfbewohner sperrten lieber ihre Häuser zu. Man weiss ja nie.

In der Casa Aspromonte traf ich also den ersten schwarzen Mann in meinem Leben, mit dem ich, öhm, redete. Besser noch: Er war mein Gastgeber. Und er hatte Bücher in seinem Zimmer. Er war Carmellos bester Freund, sie wohnten zusammen im gleichen Zimmer. In der ersten Nacht erzählte mir Carmello, dass er HIV Positiv sei. Ich wusste damals wenig über HIV. Ich wusste nur, dass man es vom Ficken bekam und man deswegen Kondome verwenden musste. HIV war der Horror. Damals war es ein Todesurteil und man starb einen grausamen Tod. Ich fragte mich, ob es in Ordnung war, ihm die Hand zu schütteln. Andererseits, wenn man es nur vom Sex kriegt, durfte Handschütteln ja harmlos sein. Solche Gedanken hatte ich. Ich fragte aber nicht nach. In dieser ersten Nacht hatte ich komische Gefühle. Wir schliefen im Zimmer mit zwei sehr freundlichen Männern, der eine war Marocchino und der andere hatte HIV.

Im Herbst besuchten wir Carmello wieder. Sein Freund wohnte nicht mehr da. Er wollte nicht darüber reden. Im Nachhinein verstand ich erst, dass das vielleicht sein Partner gewesen ist. Ich kam noch ein paar Mal nach Mailand. In der Zwischenzeit wurde das Leoncavallo mit einem nahezu militärischen Aufwand geräumt. Mit Zwanzig Jahren kam ich nach einer längeren Pause wieder nach Mailand, ich ging ins Aspromonte. Aber Carmello wohnte nicht mehr da. Man sagte mir, er sei vor langer Zeit ins Krankenhaus gekommen. Mehr wusste man aber auch nicht. Man liess mich im Haus übernachten. In Carmellos Zimmer wohnte jetzt aber jemand anders.

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Mein Herthafreund und Lieblingsbarde „Moritz von Eschersheim“ schrieb mir neulich auf Insta, dass er gerne mein Buch bestellen möchte, und wollte wissen, wie er das am besten täte. Ich wollte ihm den Link zur Bestellseite schicken, stattdessen schrieb ich ihm: Wenn du das Buch auf Insta in die Kamera hältst, dann kriegst du es umsonst. Das kam dabei heraus.

Er ist erleichtert, dass es ihm gut gefallen hat. So musste er immerhin keinen Scheiss anpreisen 🙂

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Heute traf ich mich mit Frau Fragmente, die gerade ein paar Tage in Berlin verbringt. Wir gingen in dieses Lichtmuseum namens „Dark Matter“ in Oberschöneweide. Ein Museum, in dem alles schwarz und dunkel ist. Die gesamte Corporate Identity des Museums ist schwarz. Schwarze Stühle, schwarze Wände, schwarzer Merch. Die Tshirts schwarz mit schwarzer Schrift. Wenn man das Passwort „Black is Beautiful“ sagte, bekam man schwarze Lakritze oder einen schwarzen Lollipop. Ich nahm den schwarzen Lollipop. Frau Fragmente und ich trugen schwarz. Unbeabsichtigt. Die weisse Sohlen meiner Schuhe leuchteten auffällig deplatziert. In den Ausstellungsräumen sind Lichtexponate ausgestellt. Bewegende LED Installationen. Manchmal fand ich es künstlerisch etwas unterkomplex, aber einige waren richtig gut, vor allem der grosse Saal, auf dem (schwarzen) Kissen ausgelegt waren, auf die man sich niederlegen sollte, um unter einem grossflächigen Raster von grossen LED-Dreiecken zu liegen, die sich zu elektronischer Musik bewegen. Das klingt banal, es entfaltet aber eine ungemein starke Wirkung. Nach dem Ende der Vorstellung wollte ich klatschen. Zum Glück konnte ich mich aber beherrschen, man hätte denken kommen, ich komme vom Lande.

Nachher gingen wir ins Michelsberger, wo ich einen Tisch für uns reserviert hatte. Wir assen das „Blind Menu“, also das Überraschungsmenü. Frau Fragmente wollte nur sichergehen, dass es keine gekochte Sellerieknollen gäbe, sonst ässe sie eigentlich alles. Muss ich mir merken, falls ich mal für sie koche. Sellerieknollen haben wir nämlich immer im Kühlschrank. Wir nennen das Knollerie.

Nachher fuhren wir in meinen Kiez und holten die Hündin, die fünf Stunde alleine zu Hause geblieben war, dann spazierten wir eine kleine Runde zur Frankfurter Allee und setzten uns draussen vor eine Cocktailbar. Es war wie ein wunderbarer, früher Sommerabend.

[Mi, 2.4.2025 – Blaue Lagune, Brutkästen der Kultur]

In der „Blauen Lagune“ auf Island waren wir vor fast neun Jahren an einem kühlen und verregneten Tag Ende September. Ich hatte zuvor noch nie davon gehört. In unserem Hotel lag ein Prospekt aus, das ein Thermalbad unter freiem Himmel zeigte, aus dem aus milchigweissem Wasser Dämpfe aufstiegen, während die Leute darin badeten. Das sah unfassbar schön aus, deswegen stiegen wir wenige Tage später in einen Bus, der eine Stunde lang über diese vulkanisch aktive Halbinsel fuhr und uns zu diesem Bad brachte. Ich bin ja überhaupt kein Spa-Typ. Ich habe nie Bedürfnis nach Sauna oder Massagen oder überhaupt etwas für meinen Körper zu tun. Mein körperliches Befinden ist eigentlich immer gut. Aber in diesem warmen, milchigen Wasser zu liegen, zwischen Dämpfen und schwarzen Lavafelsen und über uns der kalte, subarktische Himmel. Das war schon magisch. Meine Frau verlor dann eine Kontaktlinse. Üblicherweise findet man eine Linse unter diesen Umständen nie wieder, aber wie es an solchen magischen Tagen eben ist: Ich stocherte kurz mit meinen Zehen im weissen Schlicksand unter Wasser und spürte die Linse zwischen meinen Zehen.

Seit 2023 ist diese ganze Halbinsel von Erdbeben, Lavaströmen und Spalteneruptionen heimgesucht. Die Blue Lagoon wurde gestern geschlossen und evakuiert. Spalteneruptionen. Dieses Wort. Ich stelle mir vor, wie sich die Erde öffnet und alles in sich einschmilzt, das sich darauf befand. Nach dem Besuch der Blue Lagoon fuhr uns der Busfahrer über eine abwegige Route zurück nach Reykjavík. Das ist das Gebiet, in dem es seit zwei Jahren brodelt. Wir waren auch in Grindavík, eine Stadt, die mittlerweile nicht mehr bewohnbar ist. Danach zeigte er uns schwarze Lavastrände und rauchende Erde. Ausserdem erzählte er uns todernst vom Tempel der Elfen, einem kleinen Park neben einem Bach, wo man Elfen sehen und hören könne, wenn man sich eine Weile dort ins Gras lege und die Augen schliesse. Da es aber regnete, empfahl er uns, ein andermal zurückzukehren. Bei rauchenden Erden stiegen wir jedoch einmal aus. Es roch nach Schwefel. Kleine Quellen blubberten, drumherum färbte es sich gelb.

Hätte meine Frau die andere Linse verloren, hätte ich auch diese wieder gefunden.

Wenn ich mir das auf Googlemaps ansehe, glaube ich, dass das heute aber alles von Lava überschüttet ist.

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Am Abend traf ich den Lektor und den Autor Daniel Klaus auf ein Bier im Tomsky in der Winsstrasse. Tomsky. Solche Namen gab man den Kneipen nur in den Neunzigern. Tomsky oder auch Zosch und Prassnik. Ein bisschen sentimental wurde ich schon. Wir redeten über Bücher, über den Prozess des Schreibens. Daniel wird demnächst eine Lesereihe in Weissensee beginnen. Ich finde Lesereihen super und deswegen freute mich das sehr. Ich finde ja, dass es bei Literatur zu wenig Brutkastenkultur gibt. Mit Brutkasten meine ich die etwas romantisierte Vorstellung der Leute im Paris der Jahrhundertwende oder im Berlin der Zwanzigerjahre. Menschen, die zusammenkommen, feiern, Kunst machen, sich verlieben, mit all dem Drama und all dem Scheitern. Ein bisschen gab es das vielleicht in den frühen Blog-Jahren, in den Nullerjahren, bis Facebook und Twitter kamen, als wir das Gefühl hatten, es entstünde etwas Neues. Texte kamen ins Internet, roh, unverarbeitet, wir lasen vor Publikum, die Texte wurden besser, wir betranken uns, verliebten uns, einige machten Kinder, einige wurde berühmte Autorinnen, einige wurden Profis in irgendwas.

Ich beschwerte mich, dass es davon zu wenig gibt. Zumindest kriege ich zu wenig davon mit. Das mag auch daran liegen, dass ich jetzt fünfzig bin und nicht mehr mit Zwanzigjährigen in der Kneipe hänge. Das Drama hat sich vermutlich in die Clubkultur verlegt und auf den Schauen der Tiktokstars. Literatur und auch Kunst wird vielleicht nur noch von einer gebildeten weissen Schicht gemacht.

Ich war aber auch ein bisschen bierselig und dramatisierte über. Über Lesereihen freue ich mich jedoch immer. Auch aus diesem Grund.

[Mo, 31.3.2025 – Springweg Medien]

Heute nur ein paar Fotos aus „Springweg brennt“. Natürlich keine Fotos der Menschen, aber ein paar Schauplatze. Dieses Fotos werde ich später wahrscheinlich auf der Buchseite unterbringen und sicherlich noch mit weiteren Fotos ergänzen.

Springweg 23 (heute 47) auf Google Streetview.

Springweg 23 nach dem ersten Brand:

Die 5 Häuser der Boorstraat vor dem Abriss:

Vismart 4 (geräumt 2005):

Ganzenmarkt (Ubica) (Geräumt 2013)

ACU (legalisiert in 1998, heute Kulturzentrum)

„Duitse Huis“ nach der Räumung (etwa 1998):

Ein früher Versuch, Kartenmaterial herzustellen (hat aber nicht den Weg ins Buch gefunden):

[So, 30.3.2025 – Patchouli]

Ach, und gestern kamen die Haarpomaden von Reuzel aus Rotterdam an. Die klassische mittelfeste grüne und eine neue, wasserbasierte, offenbar sehr feste Pomade. Bei Pomaden auf Wasserbasis bin ich ja immer sehr misstrauisch, weil sie sich nach einer Stunde auf dem Kopf eher wie Gel anfühlen, also hart und wenig geschmeidig, während man mit richtigen Pomaden eine ganze Nacht lang Kohle in den Schiffsbauch schaufeln kann, wobei das Haar geschmeidig und formbar bleibt.

Eigentlich wollte ich mir meine eigene Pomade mischen, dafür kaufte ich neulich Bienenwachs und Shea-Butter. Es empfiehlt sich zudem, für die Festigkeit etwas Vaseline dazuzugeben. Um dem Gebräu einen guten Duft zu verpassen, kaufte ich zudem ein Fläschchen ätherisches Patchouli-Öl. Allerdings fehlt mir für die Komposition von Düften jegliche Erfahrung. Patchouli war meine erste Wahl, weil ich das aus meiner Jugend kenne. Am liebsten hätte ich jedoch Öle gefunden, mit denen ich diese Arctic-Pine Handseife nachempfinden kann, die wir in Lappland kauften. Das ist ein wirklich magischer Geruch, der es schafft, frisch und gleichzeitig mysteriös zu sein. Wenn ich mir damit die Hände wasche, sehe ich immer Schnee und Tannenwälder und zwischen den Baumstämmen hindurch leuchtet der Mond. So ist das. Ich habe mir noch nie so oft Hände gewaschen.

Um hinter dem Geheimnis dieses Geruches zu kommen, verbrachte ich viele Stunden im DM und bei Müller. Ich gehe davon aus, dass man lediglich die richtigen ätherischen Öle zusammenmischen muss. Die Frage ist nur, welche das sind. Weil ich nach den vielen Stunden in Drogerien jedes Mal eine taube Nase bekam, verliess ich den Laden schliesslich mit Patchouli. Patchouli ist weit weg von „Arctic Pine“, aber das kannte ich immerhin, weil ich es mir früher immer in die Schuhe kippte, wenn sie zu viel stanken. Ich war zwischen meinem 17. und 20. Lebensjahr sehr viel auf Reisen, vor allem in Nord- und MIttelitalien oder in Ostdeutschland. Dabei trug ein paar schwere Schweizer Armeeschuhe. Ich verreiste mit Schlafsack und hatte eigentlich nie Reservekleidung dabei. Nachts zog ich meistens auch nicht die Schuhe aus. Nach einer Woche sammelten sich darin durchaus anstrengende Gerüche. Manchmal bekam man auf Reisen ein Zimmer und ein Bett angeboten, da war es besser, wenn man die Gerüche aus den Schuhen übertünchte. Ein paar Tropfen Patchouli halfen. Glaube ich zumindest. Es kann auch sein, dass es nur die Geruchswolke intensiver, grösser und diffuser machte. Sex hatte ich damals eher wenig.

[Sa, 29.3.2025 – Hader ; und der KSC]

Am Freitagabend war ich mit Frau Casino wieder bei Josef Hader. War super. Hader kann bei mir wenig falsch machen. Ich werde das jetzt aber nicht hier besprechen. Kann man alles im Netz nachlesen.

Heute war das Spiel gegen den Karlsruher SC. Aus logistischen Gründen kam ich erst etwa fünfzig Minuten vor Anpfiff mit der S-Bahn an. Das ist die ungeeigneteste Zeit an den Drehkreuzen. Ich stand sicherlich 20 Minuten in der Schlange. Aber es wurde mir ein Platz freigehalten und das Banner war bereits aufgehangen. Eigentlich wollte ich heute nur Cola trinken, weil ich aber spät dran war und die Schlangen an den Getränkeständen sich gewohnt lange zogen, stellte ich mich zu einem dieser Bierwalker hin, da ist man schneller dran, aber wie der Name es sagt, ist ein Bierwalker kein Colawalker, also kaufte ich mir doch ein Bier.

Unten im Block war es voll. Das heutige Spiel gegen Karlsruhe ist wirklich etwas besonderes. Es gibt seit 49 Jahren eine aussergewöhnliche Freundschaft zwischen beiden Vereinen. Seit vielen Jahren spielten Hertha und der KSC in zwei verschiedenen Ligen. Seit zwei Jahren treten wir aber wieder sportlich gegeneinander an und diese Begegnung bringt das gesamte Olympiastadion und dessen Umfeld in eine ungewöhnlich bezaubernde Stimmung.

Herthafans singen „Karlsruhe“ und KSC-Fans singen „Hertha“ und es gab wiederholt Wechselgesänge zwischen beiden Fanblocks und das ganze Stadion sprang bei „Wer nicht hüpft, der ist ein Schwabe“, um Stuttgart, den Erzfeind der Karlsruher zu verballhornen. Es gab eine stadionweite Choreografie, über das weite Rund erstreckte sich der Satz „HERTHA UND DER KSC“, die Fans vermischten sich vor und nach dem Spiel völlig friedlich. Das ist ungewohnt. Und sehr schön.

Gewonnen haben wir trotzdem.

Nach dem Spiel sollte noch das neue Fanclubbanner imprägniert werden. Dafür hatten wir am Mittwoch keine Zeit mehr gehabt. Am Mittwoch lag das Banner ja in einer Wohnung, der Imprägniergestank hätte sich durch das ganze Haus hindurch gezogen, ausserdem musste zuerst ja die Farbe trocknen, das würde nicht funktionieren. Daher war der Plan, am Spieltag zuerst das Banner an das Tribünengeländer zu hängen und dann die Hinterseite zu besprühen. Es hätte die 90 Minuten plus Nachspielzeit und Halbzeitpause zu trocknen. Nach dem Spiel würden wir es noch einmal auslegen und dann die Vorderseite einprägen.

Ich schildere das für Dokumentationszwecke.

Die junge Niedersächsin, die neulich immer neben mir stand, steht jetzt nicht mehr neben mir, sondern hat jetzt eine andere Frau aus dem Fanclub gefunden, die mehr hüpft als ich. Also stand sie weiter hinten und die beiden hüpften fast ununterbrochen das ganze Spiel lang. Ich sagte zu ihr: Ich bin nicht eifersüchtig.
Fand sie gut. Sie sagte, ich hätte halt mehr hüpfen sollen. Deswegen stand ich heute neben dem Filmer-Ehepaar, die ich ohnehin gerne mag, aber die hüpfen eben auch nicht so gerne. Überhaupt war das heute ein Hüpfspiel. Ständig einhaken und springen. Ich spüre das schnell in den Waden und dem Schienbeinmuskel. Nach dem Spiel, als wir uns am Rondell trafen, hatten fast alle aus dem Ü-40 Bereich irgendeine Beschwerde im unteren Körperbereich.

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Übrigens: kurz vor Anpfiff gab es eine partielle Sonnenfinsternis. Siehe Foto. Aber der Himmel war bedeckt.