In Hamburg sind die Autos ein bisschen größer. Die Straßen und die Bürgersteige allerdings schmaler. Die Menschen sind auch besser gekleidet. Meistens jedenfalls. Ich traf Isa, ihren Mann und Maximilian. Maximilian trug einen weißen Cordanzug, allerdings ohne Cord. Ich weiß nicht, wie man den Stoff nennt. Darunter ein schwarzes Hemd. Das fand ich sehr stilvoll. Wir redeten auch über Kleidung. Maximilian fand es auffällig, wie schlecht gekleidet die Menschen in Berlin herumlaufen. Ich trug in Berlin jahrelang schwarze Anzüge und schwarze Hemden und schwarze Krawatten. Es war mir ein Anliegen, das ästhetische Niveau statistisch etwas anzuheben. Gebracht hat es jedoch wenig. Mittlerweile sehe ich selber aus wie ein arabisches Clanmitglied.
Ich bin im Motel One am Steindamm einquartiert. Diese Ecke Hamburgs kenne ich ja gar nicht. Offenbar hielt ich mich damals vier Jahre lang westlich der Innenstadt auf. St.Pauli, Altona, Eimsbüttel, Ottensen, die Stimmung hier am Steindamm ist schon anders, aber ich gehe immerhin optisch als arabisches Clamitglied gut in der Menge auf.
Wir trafen uns in einem schönen Lokal in St. Georg. Isa sehe ich ja regelmäßig, aber ihren Mann und Maximilian habe ich bereits seit fast 20 Jahren nicht mehr gesehen. Es war total schön, sie alle zu sehen, und wir fanden, dass wir alle vier gut gealtert sind. Eine gute Erkenntnis. Auch redeten wir über Weggefährten von damals. Viele sind tatsächlich gestorben. Manche haben sich verliebt und sind abgetaucht. Andere nicht. Einige sind komisch geworden. Vor allem durch Corona. Einige sind Stars geworden. Ein bisschen zumindest.
Ich aß einen Salat mit Hummus und Falafel. Das war ganz vortrefflich.
Gleich werde ich das letzte Mal duschen, bevor ich mich von der Zivilisation verabschiede und in der schwedischen Wildnis verschwinde.
Neulich las ich davon, dass es bei der Körperpflege drei Stellen gibt, die grundsätzlich vernachlässigt werden, die aber einen äußerst negativen Einfluss auf das Mikrobiom haben können. Es handelt sich zum einen um die Füße sowie um den Bauchnabel und interessanterweise: hinter den Ohren. Allen drei dieser Stellen gebe ich tatsächlich nicht die nötige Zuwendung. Obwohl ich seit einigen Jahren immer fleißig meine Füße einseife. Früher ließ ich die Füße meist einfach im Seifenwasser mitsapschen, das wird in fünfzig Prozent der Fälle schon ausreichen, dachte ich. Sonst bin ich ja eher der Typ für „Pits, Tits and Slits“. Neben den Füßen bleibt nun noch der Nabel, den ich mir aber aus bekannten Gründen nicht wasche, und hinter den Ohren.
Hinter den Ohren.
Kann man sich nicht ausdenken. Das mache ich jetzt natürlich fleißig. Ich wusch mich tatsächlich nie bewusst hinter den Ohren.
Ich weiß auch nicht, warum ich das jetzt aufschreibe, aber immer, wenn ich in den letzten Tagen unter der Dusche stand, dachte ich: „Das musst du ins Blog schreiben, das ist wichtig.“ Jetzt, wo ich es endlich mal aufschreibe, weiß ich aber nicht, was daran wichtig sein soll.
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Ich genoss in den letzten Tagen tatsächlich ein lang nicht mehr gekanntes Alleinesein. Keine Hündin, keine Frau, keine Kolleginnen, keine Freundinnen, keine Verpflichtungen. Ich verbrachte die meiste Zeit zwischen Sofa, Bett und Schreibtisch. Einmal ging ich einkaufen, zweimal ging ich in den Baumarkt und zweimal war ich abends aus. Und sonst las ich oder schrieb ich. Wie in einem Tunnel. Als ich abends ausging, musste ich zuerst die Tür von innen aufsperren. Das sogenannte Nachtschloss. Da merkte ich, wie lange ich mich schon in der Höhle befand. In früheren Jahren wurde ich oft etwas paranoid, wenn ich mich zu lange von Menschen ferngehalten hatte. Das passierte diesmal nicht. Aber ich mag Menschen, die Paranoia ist für mich nicht nachvollziehbar.
Heute packte ich vor allem für die Reise nach Schweden. Meine Frau schickte mir noch eine Liste von Dingen, die ich mitbringen sollte. Schreibtischlampen, Schneidebretter, Stirnlampen und den Feldstecher. Und andere Sachen. Morgen fahre ich zuerst nach Hamburg, dort habe ich ein Bewerbungsgespräch, darauf freue ich mich, und ich freue mich auch darauf, vielleicht für ein paar Tage die Woche in Hamburg zu wohnen, das ist mit der Bahn kaum weiter entfernt als Köpenick. Aber weniger Scheiße.
Am Dienstagmorgen fahre ich dann weiter zur Fähre, dann durch Dänemark, hinüber bis nach Schweden und noch drei Stunden nach Norden. Am Abend werde ich ankommen. Meine Frau fragte mich, was ich essen möchte. Ich bat um ein paar geschnittene Knoblauchsalamis mit einem kalten Bier. Und danach gerne eine Sommerpasta. Kalte Pasta mit Salat und geschnittenen Tomaten, Knoblauch, Zwiebel, Gurken und Feta. Eigentlich ein Nudelsalat, aber auch wieder ganz etwas anderes. Sommerlicher. Ich freue mich jetzt schon.
Außerdem las ich heute den letzten Teil der Novelle als Hörbuch ein. Die ganze Geschichte dauert fast drei Stunden. Auch wieder was gelernt. Ich bat eine Freundin, mir die Einleitung einzusprechen. Sie ist professionelle Sprecherin und hat eine unfassbar schöne Stimme. Weil sie aber Profi ist, hat sie viel Ahnung von Audio und von Tonqualität. Ich hatte ihr geschrieben, sie brauche keinen großen Aufwand zu betreiben, es reiche mir vollkommen, wenn sie es mit einem Headset einspricht. Daraufhin kam eine sehr, sehr lange Sprachnachricht, in der sie mir dazu riet, das Hörbuch mit professionellem Equipment aufzunehmen, weil das wirklich einen großen Unterschied macht. Sie weiß allerdings nicht, dass ich hier ein teures Mikro stehen habe, mit dem ich auch diese täglichen Blogeinträge einspreche. Die Tonqualität dürfte daher durchaus ihren Ansprüchen genügen. Ich hätte ihr vielleicht nicht schreiben sollen, dass sie die paar Sätze auch mit dem Headset aufnehmen kann. Das musste in ihren Ohren nach Blechdosen-Garagenprojekt klingen. Dabei wollte ich ihr nur das Gefühl geben, dass sie keinen großen Aufwand betreiben muss. Ihre schöne Stimme würde das sicherlich alles überstrahlen.
Jetzt habe ich ihr aber noch nicht geantwortet. Ich weiß noch nicht, wie ich die Antwort drehen soll.
Vielleicht ist meine dreistündige Aufnahme auch total schrecklich. Ich werde mir eine Zweitmeinung einholen. Aber wichtiger ist es, die Verhaspler rauszufischen. Davon gab es einige, die muss ich alle manuell editieren. Bis das Hörbuch ins Internet geht, wird noch viel Zeit vergehen.
Heute, spät am Abend, traf ich noch meinen Freund E. von der Hundewiese. Er fragte mich, ob ich auch ohne die Hündin einen Abendspaziergang machen möchte. Mit einem Bierchen im Park oder so. Weil ich die Hündin nicht habe, hatten wir uns tatsächlich eine Woche lang nicht gesehen. Einen Abendspaziergang konnte ich heute wirklich gut gebrauchen. Nicht das Bier, dafür ist es zu warm, aber den Hundespaziergang. Ich vermisse die Hündin sehr. Ich vermisse auch meine Frau. Aber mit der Frau kann ich ja schreiben und telefonieren. Mit der Hündin nicht. Die Hündin meines Freundes rannte auf mich zu, schaute aber aufgeregt nach links und nach rechts und suchte nach ihrer Freundin. Sie kennt mich ja nur im Gespann mit meinem Tier. Das fand ich schon sehr niedlich. Dadurch vermisste ich meine Hündin aber noch viel mehr.
Dem Chor werde ich mich natürlich anschließen. Aber erst nach der Sommerpause Mitte September. Außerdem ereilt mich das Schicksal, dass ich als Bariton, der sowohl Bass als auch Tenor singen kann, natürlich Tenor singen muss. Tenöre gibt es immer zu wenige. Dabei klänge mein Bass viel schöner.
Und sonst hänge ich tagsüber weiterhin in Baumärkten herum. Wenn ich am Montag in Richtung Schweden fahre, dann brauche ich noch Ausrüstung für das Holzhaus. Die Entscheidung bezüglich des Rasenmähers habe ich jetzt auf nächstes Jahr vertagt, dafür sind die Solardusche und eine Tauchpumpe sowie eine Handkreissäge wesentlich wichtiger geworden. Mit der Pumpe will ich vor allem Wasser aus dem Fluss nach oben pumpen, das man dort für die Dusche verwenden kann. Das Haus steht auf einem etwas steilen Hügel auf etwa 10 Metern Höhe. Allerdings auch 80 Meter vom Fluss entfernt. Die Pumpe kann 8 Höhenmeter überbrücken, ich werde deswegen irgendwo mitten im Hang eine Tonne hinstellen, so wird das Wasser in zwei Etappen hochgepumpt. Wir werden nicht so viel davon benutzen, das kann man also getrost händisch erledigen. Mit der Handkreissäge werde ich hingegen alles, was ich im Mai gelernt habe, umsetzen. Ursprünglich wollte ich eine Terrasse oder einen Balkon bauen, aber ich fange vielleicht besser klein an. Meine Frau wünscht sich ein Hochbeet. Das ist ein guter Anfang.
Und sonst so: Am Abend war ich mit Exkolleginnen am THF Tower im Tempelhofer Flughafen. Der südlichste Hangar wurde sehr schick zu einer Ausstellungsfläche umgebaut und auf dem Dach befindet sich eine ausgesprochen schöne Partylocation. Dort trat eine deutsch-spanische Band namens ByDs auf, die einen seltsam guten und tanzbaren Dancefloor-Rock spielte. Während ich etwas durstig in der überlangen Getränkeschlange stand und mich wunderte, warum ich nicht vorankam, hatte ich die Gelegenheit, den beiden Barmännern zuzusehen. Der eine räumte nur einzelne leere Flaschen hin und her und ging regelmäßig nach hinten, wo er sich die Arme in die Hüften stemmte und dann wieder zurückkam, um wieder ein paar leere Flaschen hin und her zu räumen. Der andere, der für Kunden Bier von einer Flasche ins Glas leerte, trug ein seelenruhiges Lächeln in seinem Gesicht. Seine Bewegungen waren fast so langsam wie die Sloths (ich sage jetzt absichtlich nicht Faultiere, weil das gleich so wertend klingt) aus Zootopia (Video ab 00:17) und alle Bewegungsabläufe (Flasche holen, Flaschenöffner holen, Glas holen, Geldbeutel holen, Kasse holen, selber etwas trinken) waren unfassbar ineffizient angelegt.
Ineffiziente Abläufe, die zwischen einem Bier und meinem Durst liegen, machen mir sehr schlechte Laune. Wenn jemand dabei auch noch seelenruhig lächelt – ich muss mal googeln, was „Weißglut“ eigentlich genau bedeutet.
Es ist wirklich lange her, dass ich mich in einer Kirche aufhielt. Ich muss sagen, dass ich gegenüber Kirchen nichts Besonderes empfinde, was man aufgrund meiner Vita in der Klosterschule und den katholischen Bergdörfern vielleicht seltsam finden mag. In Kirchen konnte ich allerdings immer unfassbar gut denken. Schon als Kind lernte ich in der Kirche, mit meinen Gedanken in überraschende Tiefen abzuschweifen. Vermutlich verleitete mich die Langeweile, im Zusammenspiel mit dieser strengen Ästhetik des Leiseseins, des Geradesitzens, der düsteren Betroffenheit in den dunklen, katholischen Kirchen dazu, gedanklich auszubrechen. Und ich verbrachte richtig viel Zeit in Kirchen.
Kirchen sind für mich immer düstere Orte geblieben. Das meine ich aber gar nicht negativ. Für mich besteht die Erhabenheit der Kirche aus dunklen, hohen Räumen, lichtverfälschenden Glasmalereien, Menschen, die ihre finsteren Mienen in die Hände legen und um Vergebung bitten, Nonnen, die ihr Leben einer Imagination opfern, und wortkargen Mönchen mit unaussprechlichen Begierden. Dabei sehe ich es durchaus positiv, wie Menschen, auch junge Menschen und junge Familien, vor allem in der protestantischen Kultur, anders über ihre Gemeinde empfinden, als ich es gewohnt bin. Dieses moderne, lichtdurchflutete, freundliche, lächelnde Gesicht. Diese Gemeinschaft. Das ist ja etwas Gutes. Für mich hat das nur nie im religiösen Kontext funktioniert. Das mag sicherlich daran liegen, dass ich nicht gläubig bin und mein Bezug zur Kirche rein ästhetischer Natur ist und ich in meiner Kindheit zu viel Zeit vor blutüberströmten Kruzifixen verbrachte.
Am Abend bin ich in der Kirche gewesen, weil ich ein Konzert des Chores, dem ich beitreten will, besuchte.
Links vor mir saß ein junger Mann mit tätowiertem Gesicht. Er hielt die Augen meist geschlossen. Sein Gesichtsausdruck vermittelte Schmerz, Leiden. Es kann sein, dass er einfach der Musik lauschte und die Musik ihn traf. Dass er davon genoss. Aus seinem Kragen heraus wand sich eine tätowierte Schlange. Die Abbildung der Schlange schlängelte sich über seinen Hals hinauf, hinter seinem Ohr entlang über die Ohrmuschel hinweg. Ihr Kopf lag an der Schläfe, kurz vor dem Auge. Als würde sie einflüstern und mit ihm beobachten. Der dunkle Begleiter. Der junge Mann schwitzte, er hatte Schweißperlen auf der Stirn und seine Haare waren feucht und fettig. Er war sehr dick, sicherlich Adipositas im zweiten, vielleicht dritten Grad. Er bewegte den Mund, als würde er lautlos die Musik mitsummen oder beten. Ich versuchte, ihn mir in einer anderen Epoche vorzustellen, sagen wir 500 Jahre früher. Ich sah ihn in einer braunen Kutte eines Bettelordens, wie er sich in einem lichtlosen, gemauerten Keller flagellierte.
So sehe ich die Kirche. Es stößt mich allerdings nicht unbedingt ab.
Als die Musik zu Ende war, klatschte er aufgeregt. Vielleicht liebte er einfach nur Bach.
Aber denken! Ich kann in Kirchen so fucking gut denken! Das ist geblieben. Das war mir gar nicht bewusst. Während ich der Musik von Bach und Mendelssohn Bartholdy lauschte, entfalteten sich ganze Textpassagen meines Romans wie Rauchschwaden vor mir aus. Danach ging ich nach Hause und schrieb noch ganze 5 Seiten bis ein Uhr nachts.
Den Browser aufgeräumt. Zahlreiche offene Tabs aus dem letzten Jahr. Vor der US-Wahl, vor der Bundestagswahl. Viele Umweltthemen, Umwelt und Industrie, Wagenknecht. Alles nicht mehr wichtig. Vieles auch über Europa. Das Europa in den Artikeln war ein ganz anderes Europa. Um historisch interessant zu sein, sind die Artikel aber noch zu jung. Viele Tabs geschlossen.
Übrigens: Die Novelle „Springweg brennt“ ist seit heute als E-Book auch auf allen gängigen E-Book-Plattformen als EPUB erhältlich. Dummerweise habe ich im Nachhinein festgestellt, dass das Buch auf meinem Hardware-Reader nicht korrekt dargestellt wird. Auf dem Reader meiner Frau und auf der App meines Telefons sieht das Buch allerdings gut aus. Ich hätte vorher alle Reader testen sollen. Muss ich mich jetzt drum kümmern. Ich hoffe, das kann man nachträglich noch reparieren.
(Edit: Problem gefixt. Sollte es dennoch Probleme geben, bitte Info an mich)
Aufgewacht und: keine Hündin da, keine Menschen da, keine Termine. Ich verbrachte den ganzen Vormittag zwischen Schreibtisch und Bett. Im Bett las ich. Wenn ich vom Lesen müde wurde, schlief ich wieder ein. Das ging ein paar Mal so. Das lag vor allem daran, dass ich wirklich früh wach wurde und schlecht geschlafen hatte, aber teils auch an Knausgård, bei dem ich nie genau weiß, ob ich ihn spannend finde oder nur langweilig. Wobei mir diese Atemlosigkeit und diese gewisse Obsessivität in dem Buch durchaus gefallen, wie genau er bei sich und den Menschen hinsieht und mich immer mit einem amüsierten Unbehagen zurücklässt. Aber ich sehe mich wirklich ständig mit dem Rotstift mitlesen, was natürlich völlig anmaßend ist, aber manchmal könnte man ganze Absätze und auch Seiten oder sogar längere Passagen streichen, ohne dem Text etwas vom Inhalt und der Bedeutsamkeit wegzunehmen, der Text würde sogar besser, stringenter werden. Mittlerweile fürchte ich ständig, dass ich wieder in langatmige Passagen hineingezogen werde, bei denen ich nach fünf Seiten erst merke, dass das wieder ein Fall für meinen Rotstift war. Ich lese dennoch weiter, weil das Buch durchaus gute Momente hat, aber ich auch schlichtweg hoffe/denke/erwarte, dass sich etwas Großes auftut. Sollte das nicht der Fall sein, dann hat mich immerhin die Obsession gut unterhalten.
Am Nachmittag klapperte ich mit dem Fahrrad verschiedene Baumärkte ab. Wenn ich nächste Woche nach Schweden fahre, werde ich einen Rasenmäher mitbringen, zudem ein Außenduschensystem und eine Handkreissäge. Außerdem muss ja auch noch mein Faltkajak mit, das zwar platzsparend designt wurde, aber für mein Auto dennoch mit sehr ungünstigen Ausmaßen daherkommt und deswegen viele Hohlräume hinterlässt. Ich fürchte, dass das nicht alles in mein Auto passt, ich fahre ja nur einen kleinen Citroën C3. Auf der langen Strecke nach Schweden möchte ich nicht mit zugestellter Heckscheibe fahren, zumal ich am Montag auch noch einen Tag und eine Nacht in Hamburg verbringen werde und ich ungerne das Auto mit so viel sichtbarem und kostspieligem Inhalt herumstehen lasse. Ich wollte heute die Größe der Verpackungen des Rasenmähers auskundschaften. Dabei hatte ich einen kleinen Benzinmäher ins Auge gefasst, den hatten sie aber nirgends vorrätig.
Tja. Wenig Erfolg. Aber Zeit in Baumärkten zu verbringen, ruft viele positive Gefühle in mir auf. Nach dem Besuch von Baumärkten bin ich immer beseelt. Das geht mir bei Buchläden so und auch bei Baumärkten. Müsste ich mal drüber nachdenken, warum das so ist.
Meine Frau und ihr Bruder fuhren heute nach Schweden. Meine Schwiegereltern nehmen am Sonntag das Flugzeug. Die Hündin fuhr heute mit meiner Frau mit. Es ist für mich total ungewohnt, das Tier nicht bei mir zu haben. Sie entfernt sich selten mehr als 5 Meter von mir. Manchmal habe ich das Gefühl, von einem zweiten Schatten verfolgt zu werden. Jetzt, wo sie weg ist, erlebe ich Phantomzustände. Wenn ich aufstehe – sei es vom Stuhl oder vom Bett –, schaue ich, ob ich nicht auf sie trete. Ich sitze zudem immer noch etwas verkrampft am Schreibtisch, weil ich es so gewohnt bin, dass sie zwischen meinen Füßen liegt, und immer ist da jemand, die auf mein Verhalten achtet. Gehe ich in die Küche? Gehe ich nur aufs Klo? Gehen wir raus? Gehen wir spielen? Wenn ich vom Schreibtisch aufstehe, steht sie sofort mit mir auf. Weil jetzt irgendwas passieren wird.
Aber jetzt stehe ich auf und sie ist nicht da. Ein bisschen bin ich dann auch erleichtert, ich muss mich nur um mich selbst kümmern, niemand da, der reagiert. Es bin nur noch ich. Ich verstehe mittlerweile, was Eltern meinen, wenn sie sagen, sie hätten kinderfrei.
Ich habe ihr Halsband auch mit zwei Ringen und einer Plakette ausgestattet. Unwissentlich verursacht ihr Halsband deswegen bei jeder Bewegung Geräusche von klirrendem Metall. Das ließ ich so, weil es ungemein praktisch ist, wenn wir uns in der Stadt bewegen. Ich kontrolliere sie per Gehör, ich weiß immer, wo sie sich befindet, ich bekomme es immer mit, wenn sie stehenbleibt (kacken, pinkeln, Döner, Pommes oder einfach nur schnüffeln), oder ob sie trabt oder rennt.
Als meine Frau in Schweden ankam, fragte ich als Erstes: „Hat sich das Tier gefreut?“
Jetzt, wo sie weg ist, höre ich sie ständig. Ein leises Klirren oder ein leises Stöhnen (sie stöhnt oft), manchmal auch ein Tapsen. Es ist wie Phantomschmerz, aber ohne den Schmerz, eine Art Phantomliebe.
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Am Abend war ich bei Frau Casino auf ihrer Geburtstagsparty. Sie ist 60 geworden. Ein super Alter. Sie hatte in ihre schöne Altbauwohnung in P’Berg geladen. Wir saßen unter mehreren alten Bloggerfreundinnen zusammen und stellten fest, dass wir uns alle vor etwa 20 Jahren kennengelernt hatten, die meisten über die „Blogmich05“, an der ich damals allerdings nicht teilgenommen hatte, da ich noch in Hamburg wohnte und nicht kommen konnte. Frau Casino lernte ich ein Jahr später kennen, auf der „Blogmich06“, was aber eine wesentlich kleinere Veranstaltung war. Da kannten wir einander aber schon lange über unsere Blogs. Frau Modeste hatte ich hingegen schon ein Jahr früher kennengelernt, auch weil wir einanders Blogs lasen. Sie war einmal in Hamburg auf Besuch und so trafen wir uns. Sie trug damals eine auffällige Kette mit großen, eckigen Steinen. Frau Modeste trägt aber meist auffällige Ketten. In den letzten Jahren meistens perlenbesetzt. Heute hatte sie sich eine lange Perlenkette um den Hals und unter die Schulter gelegt. Ich fand diese Wickelung einer Perlenkette ganz vortrefflich. Klassisch unkonventionell, ohne unkonventionell zu wirken. Gaga Nielsen war auch da, die sich ganz entzückt von meinen Augenbrauen zeigte. Sie wollte nicht glauben, dass ich sie mir nicht färbte. Ich hatte Schwierigkeiten, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Gleich zu Beginn sah ich auch Frau Gedankenträger, die neuerdings in vier Sätzen auf Mastodon so schön schrieb, warum ihr die Hitze gefällt. Weil sie innerlich ruhig wird. Dieses Gefühl, das bei mir zwanzig Grad tiefer liegt. Seitdem kann ich nicht mehr ungeniert die Hitze hassen.
Wir müssen jedenfalls wieder öfter Geburtstage feiern.
Vormittags war ich mit der Nachbarin und der TravellingLady spontan in die Rummelsburger Bucht gefahren. Wir wollten anrudern, also das erste Mal in der Saison mit unseren Kayaks ins Wasser stechen. Die Traveling Lady hatte ihren kleinen Hund dabei, dem sie eine Schwimmweste angelegt hatte. Ich ließ die Hündin hingegen zuhause. Zum einen, weil ich keine Schwimmweste für sie hatte und sie bisher noch nie in meinem Kayak saß. Weil mein Kayak kleiner ist als das der Traveling Lady, ist es auch etwas wackeliger. Ich habe nur das „Inlet“ der Faltkayakmarke „Oru“, sie hingegen hat das größere „Beach LT“ derselben Marke, das zudem mehr Gewicht transportieren kann.
Die Nachbarin hat diese Probleme nicht, da sie ein aufblasbares Kayak fährt. Das ist technisch etwas ganz anderes, das ist wesentlich stabiler im Wasser, allerdings auch aufwändiger im Auf- und Abbau.
Es ist das erste Mal, dass ich in der Rummelsburger Bucht unterwegs bin. Ich hatte von den Bootburgen nur gehört und sie von Weitem gesehen, als ich auf Sommerpartys mit größeren Booten auf der Spree schipperte. Das ganze Gebiet zwischen Bucht und Alt-Stralau und am nordöstlichen Ufer entlang bis fast zum Kraftwerk wird von zahlreichen, zusammengebundenen und -gezimmerten Bootsgruppen eingenommen, die dort scheinbar fest vor Anker liegen und wie Piratenburgen aus Waterworld wirken. Das ist manchmal ungemein ästhetisch. Wie Hausbesetzen auf dem Wasser. Aber in der Vorstellung sicherlich romantischer als in der Realität.
Zurück am Ufer werde ich von einem fremden Mann angesprochen, dass mein Kayak keinen Namen habe. Etwas ratlos schaue ich die Traveling Lady an. Ihr Kayak trägt tatsächlich einen Namen. In weißer, permanenter Farbe steht geschrieben „Traveling Lady“. Offenbar wird man auf der Havel durchaus von den Behörden nach dem Namen des Bootes gefragt, auch wenn es ein harmloses Faltkayak aus durchsichtigem Plastik ist.
Ich antwortete dem Mann, mein Kayak hieße „Traveling Lady“. Das fand er einen guten Namen. Die Traveling Lady fand das auch.
Gegen 13:30 Uhr hatte ich für meine Schwiegereltern, die gerade bei uns logieren, einen Tisch beim Griechen reserviert. Ich kam gerade rechtzeitig an. Meine Schwiegermutter ist nicht mehr gut zu Fuß unterwegs, deswegen mietete ich letzten Montag einen Rollstuhl für sie, damit wir ein bisschen flexibler sind. Die meiste Zeit verbringt sie zwar ohnehin zuhause, aber so konnten wir wenigstens zwei Mal etwas essen und trinken gehen. Was mir sofort auffiel: Wenn man als Mann eine alte Frau im Rollstuhl schiebt, wird man auf der Straße ständig von anhimmelnden Blicken fremder Frauen angeleuchtet. Das ist eine gute Sache. Kann ich jedem Mann auf Partnersuche empfehlen. Vielleicht sogar als Hilfe bei der Berufswahl.
Bei Amazon hatte ich mein Ebook offenbar als Kinderbuch eingestellt, bzw als Buch für Menschen unter 18. Als ich das gestern entdeckte, nahm ich die Altersbegrenzung sofort raus, und schon gab es innerhalb eines Tages gleich drei neue Leserinnen. Was wirklich viel ist, wenn man bedenkt, dass es sonst ungefähr einmal pro Woche gelesen wurde. Bisher verdiente ich bei Amazon in drei Monaten fast einen Euro. Yayy. Daran wird auch die aufgehobene Altersbegrenzung kaum etwas ändern. Dennoch interessant. Ich finde diesen ganzen Prozess ja generell interessant.
Am Samstag entfällt die Bindung an Amazon, dann stelle ich die Novelle auch als Epub auf Tolino und anderen Plattformen zur Verfügung. Ich werds noch separata nkündigen und verlinken. Dann verdiene ich vielleicht noch einen weiteren Euro. Oder anderthalb.
Währenddessen begann ich gestern, die Novelle als Hörbuch einzulesen. Dabei vergaß ich, wie leicht ich mich beim Vorlesen verhasple. Hier im Blog geschieht das ständig, aber hier stört es nicht besonders, weil es Miniaturen sind und nicht lang genug sind, als dass man sich in einer langen Geschichte befindet, in die man eintaucht und nicht durch unprofessionelle Haspler herausgerissen werden möchte. Zumindest bilde ich mir ein, dass das im Blog nicht stört, um meine eigene Schlampigkeit zu rechtfertigen. Wenn ich aber ein Hörbuch produziere, habe ich schon einen anderen Anspruch an die Qualität. Ich strenge mich sehr an, nicht zu nuscheln, lese langsamer und betonter und jetzt gilt es noch, das Verhaspeln abzustellen, bzw. es sofort rauszunehmen und sofort neu aufzunehmen. Ich lese allerdings nur 20 Seiten pro Tag. Um die Stimme und den Lesefluss frisch zu halten. Interessanterweise klinge ich jeden Tag ein bisschen anders. Ich muss mich also zuerst für ein paar Minuten einhören, um wieder in die Stimmung hineinzukommen, in die der Text am Vortag aufgenommen wurde.
Wenn ich richtig gerechnet habe, wird das gesamte Hörbuch zwei Stunden dauern. Das kommt mir allerdings wenig vor. Möglicherweise habe ich mich nur verrechnet. Allerdings muss ich mich noch aufschlauen, wie man die Veröffentlichung eines Hörbuches angeht. Das ist nochmal ein ganz eigener Vertriebsweg. Kann man alles im Internet nachlesen, ich muss es nur noch verstehen. Finde ich alles ungemein spannend.
Am Vormittag traf ich Andreas Baum, einen der beiden Gründer der Edition Schelf, weil er mir noch drei Retoure zurückgeben musste. Wir redeten über Vertriebswege, Lektorat, Agenturen, Rezensionen, Elke Heidenreich, Werbung, Auflagen. Einmal eine Bestandsaufnahme des gesamten Literaturbetriebs im Schnelldurchlauf.
Danach spazierte ich mit der Hündin hinunter zum Hackeschen Markt zum Büro einer Freundin. Sie und ihre Anwaltskollegen expandieren mit ihren Büroräumlichkeiten in den Innenhof hinein. Sie brauchen Beratung bezüglich der IT-Verkabelung, also schaute ich es mir an und erklärte, was noch zu tun sei. Ich werde ein paar meiner ehemaligen Admins anschreiben, ob jemand Zeit hat, einen kleinen Auftrag zu übernehmen. Ich vergesse immer wieder, dass es in Berlin schöne Innenhöfe und richtig alte Häuser gibt. Vor allem in der Gegend um den Hackeschen Markt herum ist noch einiges erhalten. Mit alten Häusern meine ich Gebäude von vor der Gründerzeit, diese niedrigen Gebäude aus der Zeit um 1850 herum oder sogar von noch früher. Diese romantischen Stadtstrukturen, die man sonst nur aus den unversehrten Städten wie Paris oder Wien kennt, oder Prag meinetwegen. Aber kaum aus Deutschland. Zumindest nur selten aus den großen Städten. Ich wollts nur erwähnen. Diese Räumlichkeiten in dem Hinterhof hätte ich sofort als Wohnraum bezogen, wenn er mir zur Verfügung stünde. In Berlin gibt es sonst ja hauptsächlich Gründerzeit. Die großen, fünfstöckigen Kisten. Ja, besser als gar nichts, aber auch wieder sehr uniform. Mark Twain schrieb in 1891 über das Berlin der Gründerzeit, dass überall die alten Häuser abgerissen würden und stattdessen diese monotonen, modernen Kisten hingestellt würden. Also die Häuser, die wir heute als Altbauten kennen. Fand ich schon lustig.
Weil ich mich ja wieder einem Chor anschließen will, schrieb ich im März eine Email an einen Kammerchor in Friedrichshain. Ich bin nicht besonders wählerisch, Hauptsache, der Chor befindet sich einigermaßen in der Umgebung und das Repertoire sollte sich in den Epochen zwischen Barock und Frühklassik befinden. Wenn Verdi und spannende zeitgenössische Klassik eingestreut werden, finde ich das prinzipiell auch in Ordnung. Da ich drei Monate lang keine Antwort erhielt, schrieb ich Anfang Juni erneut. Es folgte jedoch wieder keine Antwort, deswegen kontaktierte ich den Chor heute via Instagram. Dort antwortete man mir innerhalb weniger Minuten. Email ist echt tot.
Den Chor wählte ich aus, weil die Mitglieder Bach und Mendelssohn im Repertoire führen. Außerdem proben sie bei mir um die Ecke, das ist das Beste überhaupt. Der Chor ist der Samariterkirche in der Rigaer Straße angebunden. Dort proben sie und führen sie ihr Programm auf. Ich wusste gar nicht, dass es in der Rigaer eine Kirche gibt. Weiß Gott das überhaupt? Ich kann mir nicht vorstellen, dass der das durchgewunken hat.
Die Frau, die mir schrieb, war sehr nett. Ich könne nach den Ferien einsteigen. Sie geben jetzt noch zwei Konzerte, ich könnte ja vorbeikommen und mir ein Bild des Chores machen. Sie singen am kommenden Sonntag beim Gottesdienst oder die Woche darauf am Mittwoch, als normales Konzert. Der Sonntag würde passen. Allerdings feiert am Vorabend eine gute Freundin ihren Geburtstag. Gottesdienste finden immer früh am Morgen statt, ich ahne meine Aufnahmefähigkeit an jenem Sonntagmorgen. Aber wenn ich hingehe: Was soll ich da überhaupt anziehen? Ich war schon seit Jahrzehnten nicht mehr bei einer Messe. Kurze Hosen sind vermutlich verboten, aber darf man Tätowierungen bloßlegen? Muss man einen Kragen tragen? Bei der Hitze? Wobei: Kirchen sind immer die besttemperierten Orte der Welt. Kein Wunder, dass man unseren Gott in den Wüsten des östlichen Mittelmeers erfunden hat. Dort baute man diese Steinkirchen, in denen Menschen sich runterkühlen konnten. Der Glaube kam dann ganz von selbst. Wenn mir hier jemand eine Klimaanlage hinstellt, dann bin ich auch bereit, sie anzubeten.