In Cecilias Youtubevideos sah ich, wie sie einen Thermomix verwenden. Nun habe ich festgestellt, dass ein Thermomix wahrscheinlich mein Leben verändern würde. Bisher versuche ich mich nur davon abzuhalten, 1200 Euro auszugeben. Sonst ist alles OK.
[Dienstag, 2.11.2021 – Allerseelen]
„Guter Regen weiss, wann er fallen muss.“
(Dufu, chinesischer Dichter. Squid Game, Episode 9)
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Allerseelen. Bis vorgestern dachte ich, Halloween sei kulturgeschichtlich das Gleiche wie das katholische Allerseelen, jetzt weiss ich aber, dass Allerseelen einen Tag nach Allerheiligen kommt und somit erst zwei Tage nach Halloween. Allerseelen ist mit dem unheimlich ästhetischen „Dia des los Muertos“ aus Mexiko gleichzusetzen.
Wieder was gelernt.
Allerseelen ist in den südtiroler Bergdörfern jener Tag, an dem man der Toten gedenkt. In meiner Kindheit bedeutete das, viel Zeit auf Friedhöfen zu verbringen, Weihwasser bei Oma, Weihwasser bei Opa, Weihwasser bei Tante von Mutter, Weihwasser bei der Tante, die an Krebs gestorben ist. Für jedes Grab eine rote Grabkerze mit diesen Messingdeckeln oben drauf. Diese Friedhofsstimmung an grauen Novembertagen, mit diesen tausenden, rot leuchtenden Grabkerzen, das fand ich schon sehr besonders. Allerheiligen war immer öde, mit Heiligen konnte ich wenig Anfangen, aber Allerseelen war anders, viel greifbarer. Meist besuchten wir beide Dörfer meiner Eltern, wir besuchten alle Verwandten in den Gräbern auf den Friedhöfen. Die Menschen trugen schwarz. Später traf man sich in den Gasthäusern. Die Eltern verbrachten dort mehrere Stunden. Sie spielten Karten, aßen. Andere Kinder waren da. Das waren die Kinder der Verwandten, die man ein oder zweimal im Jahr traf. Manche mochte ich, manche nicht.
Mein Vater erzählt oft diese Anekdote, dass ich als dreijähriger Junge zu Allerseelen wieder einmal abgehauen war. Als Kind haute ich offenbar ständig ab. Einmal lief ich die ganze Hauptstrasse vom Dorf hinunter ins Tal um meinem Vater entgegenzulaufen. Ein andermal fand man mich nach vielen Stunden der Suche, vergnügt zwischen den Kühen auf der Weide sitzen. Es war nicht ungewöhnlich, dass sich ein halbes Dutzend Menschen zu einem Suchtrupp formierten und nach mir suchten.
An diesem Abend zu Allerseelen geschah es wieder. Ich war drei Jahre alt. Meine Eltern betrieben ein Gasthaus. Weil Allerseelen ein Feiertag ist, und an Feiertagen nach der Kirche immer alle ins Gasthaus strömen, besuchten wir vermutlich keine Verwandte. Irgendwann am Nachmittag war ich dann wieder verschwunden.
Die Geschichte geht so, dass mein Vater auf der Suche nach mir über den Dorfplatz lief und ihm zwei Frauen panisch entgegenliefen. Sie sagten, auf dem Friedhof würde es geistern, die Lichter würden schweben. Alles sei verhext. Mein Vater, der nur an Geister glaubte, wenn es ihm passte, fand die Geschichte komisch, beruhigte die Frauen und sagte, er würde sich das mal ansehen.
Man kann in diesem Dorf von der Strasse aus auf den Friedhof hinunterschauen und erhält dadurch eine ziemlich gute Sicht über den großen Teil des Friedhofes. Nur ein kleinerer Abschnitt liegt hinter der Kirche, den man von da aus nicht sehen kann.
Die Lichter leuchteten in der Tat nicht mehr auf den Gräbern, sondern sie hatten sich alle auf einem zentralen Ort auf dem Friedhof zusammengefunden. Wie eine Andacht. Nur wenige Grablichter leuchteten noch schwach in den hinteren Ecken des Friedhofes. Als mein Vater eines dieser Lichter aus der Dunkelheit kommen sah, ahnte er, was da los war und betrat den Friedhof.
Er begegnete mir, ich hielt eine Grabkerze in der Hand, und bereitete gerade eine privaten Kerzenparty vor.
Jetzt weiss ich nicht, wer das wieder aufräumte. Ich müsste mal meinen Vater fragen.
[Montag, 1.11.2021 – Müde, Derby im Pokal]
Ich war total müde den ganzen Tag. Auf dem Weg ins Büro dachte ich, wenn ich ankomme, trinke ich einen Kaffee, lese Mails und fahre wieder nach Hause. Nach dem Kaffee fiel mir auf, wie schlecht ich den Kaffee riechen kann. Daraufhin holte ich mir ein Covid Selbsttestpäckchen aus der Küche. Er war negativ.
Irgendwann hatten die Lebensgeister sich wieder meiner ermächtigt und ich blieb einfach im Büro.
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Gestern wurden übrigens die Lose für die nächste Runde im DFB Pokal gezogen. Es ist, wie es statistisch irgendwann kommen musste. Es spielt Hertha gegen Union. Im Olympiastadion. Ich bin hin und her gerissen, auf der einen Seite hasse ich diese Bedeutungsschwere, mit der das Derby aufgeladen wird und andererseits liebe ich es genau deswegen. Und ich sitze dazwischendrin, den beiden Gefühlsregungen total ausgeliefert.
In drei Wochen haben wir bereits das Derby im normalen Ligabetrieb. Das ist schon wild genug. Die selben Paarung im Pokal ist aber nochmal eine ganz andere Sache. Das kann man fussballfernen Menschen nicht vermitteln.
Das Derby im Pokal findet am 18. oder 19. Januar statt. Da bin ich wieder in Südtirol und daher leider wohl nicht im Stadion sein. Derbyniederlagen sind schwer zu ertragen. Derbys möchte ich immer in Gesellschaft schauen. Nicht in Gesellschaft von neutralen Menschen sondern Menschen, denen es nach einer Niederlage genau so geht wie mir. Eine Gefühlsgemeinschaft.
Bei Siegen ist es mir eher egal.
[Sonntag, 31.10.2021 – Halloween, Polarlichter, Eierlikör]
Es sollen derzeit Polarlichter von Berlin aus zu sehen sein. Die Sonne weist momentan eine sehr starke Aktivität auf. Mich interessieren Polarlichter ja eher so mittelmäßig, ich würde aber natürlich nicht wegschauen, wenn sie oben am Himmel sind. Aber immer wenn es Nachrichten zu Polarlichter gibt, dann bekomme ich Links von Menschen, die mich mögen. Das ist auch schön.
Heute schauten wir Cecilias letzte Videos aus der Arktis. In Longyearbyen brennt wegen der Sonnenaktivität momentan förmlich der Himmel. In ihrem neuen Video stellt sie die Kamera vor ihrer Hütte auf und nimmt Fotos der Polarlichter, die sie zu einem Zeitraffervideo zusammenschneidet. Es ist da bereits ein bisschen kühl.
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Später sind wir zum Kuchenessen und Sekt mit Freunden verabredet. Wir holen zuerst die Nachbarn ab und spazieren dann gemeinsam zu unseren anderen Freunden im Volkspark. Es ist Halloween. Menschen laufen verkleidet herum.
Der Sohn unserer gemeinsamen Freunde hat ein Skeletkostüm und einen Dreizack. Das sieht cool aus. Schade, dass es Halloween zu meiner Zeit noch nicht gegeben hat. In einem Skelettkostüm und Dreizack hätte ich mich pudelwohl gefühlt. Halloween kam ja erst vor 15 oder vielleicht 20 Jahren in Kontinentaleuropa an. Ich musste mich immer mit Fasching begnügen, zu Fasching ging ich oft als Vampir, aber Fasching fand hauptsächlich bei Sonnenlicht statt und war immer halligallig. Ausserdem gab es zu Fasching immer Prinzessinnen. Ich konnte Prinzessinnen nie ausstehen. Auch heute noch.
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Bei den Freunden gibt es Kuchen und Sekt. Einen phantastischen, schweren Käsekuchen. Und es gibt Eierlikör. Also richtig guten, fast handgemachten Eierlikör. Es ist fast schon eine Creme, so dickflüssig ist er.
Ich sehe gerade, dass ich nicht über den Eierlikör meiner Schwester geschrieben habe. Sie hat vor einigen Monaten Eierlikör hergestellt und mir eine Flasche mitgegeben. Weil ich das Zeug so mag, hielt es natürlich nicht lange.
Jetzt wo ich es so aufschreibe, merke ich es erst. Habe ich wirklich geschrieben, dass ich dem Eierlikör verfallen bin? Das Gute am Altern ist ja, dass man zunehmend zu den Dingen steht.
[Samstag, 30.10.2021 – Winterzeit, Blumekohlpuree, Sophie Passmann, Squidgame]
Heute wird die Zeit wieder eine Stunde nach vorne gestellt. Winter. Come over me.
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Blumenkohlpuree zubereitet. Nachdem wir im April bereits Blumenkohlreis kochten, stießen wir ganz zufällig beim Schauen eines Youtubechannels auf Blumenkohlpuree. Das ist ganz einfach. Man kocht den Blumenkohl auf, idealerweise in einem Sud mit Zwiebeln, Knoblauch und Milch. Man kann auch Hafermilch dafür verwenden. Wenn der Blumenkohl flatschig ist, dann mixt man das Ganze mit einem Mixer. Und fertig ist.
Flatschig schreibt man doch mit Doppel-a oder Dehnungs-h, oder?
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Ich werde zunehmend zum Fanboy von Sophie Passmann. Vor allem Fan ihrer Insta Stories. Selten dumpfe, nach Beifall heischende politische Positionen, aber alles soo politisch, die ganze Inszenierung, wuchtig, lustig, feministisch. Wir müssen über weibliche Rollenvorbilder reden. Ich glaube, eine bessere, zukünftige Welt funktioniert nur über bessere Rollenvorbilder.
Und dann diese intellektualisierung von Tackiness. Perfekt.
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Dann „Squid Game“ geschaut. Die ersten 4 Folgen. Bin mir nicht sicher. Die Ästhetik ist gut, die Geschichte auch und der Gewaltaspekt muss bei dieser Geschichte einfach sein, um den Zwang zu untermalen. Ich komme allerdings mit diesem unscharfen Mix aus Overacting und Groteske nicht ganz zurecht. Während ich Grotesken liebe, sind mir die Dialoge zu ausgesprochen, zu überspielt, schlimmer noch, sie werden auch noch wiederholt, damit auch die letzte Person eine Emotion oder einen Witz verstanden hat.
Ich fürchte aber, dass es auch mit meinen Sehgewohnheiten, bzw mit der Kulturferne zu hat, vermutlich ist es der südkoreanische Stil, mit dem ich nicht so vertraut bin. Muss mal weiterschauen.
[Freitag, 29.10.2021 – Niederlage, Kürbiskerne]
Es ist Freitag. Es passierte nicht viel, ausser eine Niederlage von Hertha gegen Hoffenheim. Nach drei Siegen in Folge ist die Niederlage einigermassen zu ertragen. Was mich nur etwas beunruhigt ist, dass die Mannschaft wieder so seltsam passiv und mutlos auftrat wie am Anfang der Saison. Mal sehen. Ich habe eh keinen Einfluss.
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Vorher machte ich Kürbiskerne im Ofen. Ich entnahm vom Kürbis die Kerne, putze sie, und mischte sie in eine Marinade mit Olivenöl, Kreuzkümmel und Salz. Danach liess ich sie ausgebreitet 30 Minuten bei 200 Grad im Ofen backen.
Mir fehlen jetzt die richtigen positiven Adjektive um den beeindruckenden Geschmack zu beschreiben.
[Donnerstag, 28.10.2021 – indisch]
Vor etwa einem Monat berichtete ich ja von unseren indischen Nachbarn. Dass ich mir eine Essenseinladung erschleichen würde, indem ich sie selber zum Essen einlade um eine Gegeneinladung zu authentischem, indischem Essen zu erpressen.
Heute erzählte ich die Geschichte meiner Mitarbeiterin aus Indien. Nicht die Neue Mitarbeiterin, sondern die andere, die vor etwa einem Jahr bei uns begonnen hat.
Sie hörte mir zu, bis ich fertig war, dann fragte sie: warum hast du nicht einfach mich gefragt?
Die Frage konnte ich ihr nicht beantworten. Sie sagte, sie würde mir in Kürze ein paar mögliche Termine nennen.
Tja.
[Mittwoch, 17.10.2021 – Reisepass, Bahnhof Museumsinsel]
Mit der Ambasciata telefoniert. Ich fragte nach den Möglichkeiten eines Notfallpasses. Den frühesten regulären Passtermin, den ich ergattern konnte, war ja am 30.12. aber ich wollte Anfang Dezember ja nach Tromsö. Die Dame fragte, für wann ich den Pass denn bräuchte, ich sagte für Anfang Dezember.
Sie sagte, dann sei es besser, wenn ich ihr meine Telefonnummer hinterlasse und sie würde mich zurückrufen, falls ein Termin kurzfristig storniert werden würde. Das sagte sie tatsächlich so: sie würde mich zurückrufen, falls jemand einen Termin storniert.
Ich legte auf uns rieb mir die Ohren. Etwa zwanzig Minuten später rief sie mich an und gab mir einen Termin für Mitte November. Irre. Ich kann also doch in die Polarnacht nach Tromsö.
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Wir haben eine neue Kollegin, wir lernten sie heute kennen, dafür gingen wir mit dem Team in eine Pizzeria. Sie kommt aus Indien und ist zum ersten Mal in Europa. Wir redeten über Europa. Das sollte man öfter mal tun. Reden über Europa.
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Am Abend traf ich mich mit meiner Frau am Brandenburger Tor. Auch das sollte man öfter mal tun. Sich am Brandenburger Tor treffen.
Dann liefen wir unter den Linden hoch. Die neue Ubahn ist fertig, die Bauzäune sind verschwunden. Man kan auf dem Mittelstreifen spazieren, sie ist von Linden umsäumt. War das früher auch schon so? Dass man vom Tor bis hinauf zur alten Wache immer auf diesen Mittelstreifen laufen kann?
Wir fanden das jedenfalls sehr schön.
Beim Bahnhof Museumsinsel beschliessen wir, kurz in den Untergrund zu gehen. Der Bahnhof soll ja so schön sein, mit der Decke, die als Himmelszelt gestaltet wurde.
Ja, war ganz OK. Ich hatte es mir spektakulärer vorgestellt. Ich dachte, es sei eine größere Fläche, in der Tat mehr wie ein Himmelszelt, stattdessen, sind einfach nur die beiden Tunnelröhren mit einem dunklen Blau und leuchtenden Punkten versehen. Es sieht nett aus und es ist auffällig, aber es ist nicht spektakulär.
[Dienstag, 26.10.2021 – Polarnacht, Grippeimpfung, Pokalspiel]
Heute ging in Longyearbyen zum letzten mal die Sonne auf. Um 12:54 verschwand sie dann im arktischen Ozean. Sie wird erst in 4 Monaten wiederkommen. Ich kann nicht aufhören, mich dem hingezogen zu fühlen.
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Es kam der Betriebsarzt und verabreichte uns Grippeimpfungen. Impfen ist ein seltsamer Akt der Vernunft geworden. Fast hätte ich ein Selfie meines Pflasters am Oberarm geschossen. Weils dann doch etwas peinlich ist, habe ich es sein lassen.
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DFB Pokal. Heute spielt Hertha in Münster gegen den SC Preussen aus Münster. Ich mag ja immer diese Absolutheit der Pokalspiele. Ein Team muss gewinnen, wenn nicht in der normalen Spielzeit, dann in der Verlängerung, wenn nicht in der Verlängerung, dann im Elfmeterschiessen. Diese Absolutheit. Ene mene muh. Keine zweite Chance. Wennde raus bist, biste raus. Und musst auf nächstes Jahr warten.
Hertha hat ja dieses Talent, im Pokalwettbewerb gegen unterklassige Gegner aus dem spiel gekegelt zu werden. Auch heute stand es immer wieder auf der Kippe. Wir begannen stark, führten 1:0, dann liessen wir aber nach. Am Ende legten wir aber nochmal nach und überlebten mit einem 3:1.
Spassfaktor war nur so mittelmäßig. Wir hatten uns aber ein paar Sushi bestellt, daher war ich in den schwächeren Phasen des Spieles etwas abgelenkt.
[Montag, 25.10.2021 – Rauchmandeln]
Am Morgen fuhr ich nach Biesdorf. Mein Auto musste zur Inspektion. Die Werkstatt wurde mir empfohlen. Die kleinen Hinterhofwerkstätten in Mitte oder Friedrichshain sind alle überlastet.
Bei An- und Abfahrt nach Biesdorf merkte ich aber: das ist schon weit draussen. Mache ich nicht noch einmal.
Am Abend ass ich Rauchmandeln. Mandeln, die nach geräuchtertem Schinken schmecken. Gute Fette mit dem Geschmack von schlechten Fetten. Eigentlich genial.