[Samstag, 9.10.2021 – Speck vergessen, REAKTION, Dune]

Ich habe doch tatsächlich vergessen, dem Carepaket das Fleisch hinzuzufügen. Den Speck und die Kaminwurzen legte ich vor zwei Wochen vorsorglich in den Kühlschrank. Obwohl eine Kühlung nicht unbedingt vorgeschrieben ist, weiss man bei Fleisch ja nie. In der Hektik der Übergabe vergass ich nun das Fleisch.
Ich schrieb Irene an, ich schrieb das Mädchen an. Aber jetzt war das nun mal so. Ich sollte das ganze Fleisch behalten.

Ehrlicherweise kann ich mit Speck und Kaminwurzen durchaus etwas anfangen. Wir werden demnächst einfach Freunde einladen.

#
Heute kam ein Buch namens REAKTION. Das Buch vom Zentrum für Politische Schönheit. Eine Zusammenfassung der letzten 12 Jahre. Es ist dick und schwarz und ist mit wenigen Grossbuchstaben bedruckt. Ein monumentales Buch und so schwer wie ein mittelgroßer Holzblock.
Meine Frau ist seit Jahren Supporterin des ZPS. Sie knallte es mir auf den Schreibtisch. Schau her.
Ich will ja alle unsere Bücher abschaffen, wir haben schlichtweg zu viele Bücher, ich kann Bücherschränke nicht mehr ausstehen, aber so ein Buch, für so ein Buch ließe ich schon einen Bücherschrank stehen. So ein Buch ist aber auch eher ein Möbelstück und weniger ein Buch.

#
Apropos dicke Bücher. Ich suchte heute in den Bücherregalen nach „Dune“. Mir kam vor, ich hätte vor einigen Jahren eine gebrauchte Kopie von Dune gekauft. Die Geschichte über den Wüstenplaneten intrigierte mich immer schon, ausserdem finde ich es spannend, wenn Bücher als unverfilmbar gelten. Da ich ein Erzähler bin, will ich verstehen, welche Ebene einer Erzählung, die Verfilmbarkeit wegnimmt. Aus diesem Grund kaufte ich vor einigen Jahren Dune. Dass Dune gerade in den Kinos läuft und die Verfilmung als ziemlich gelungen empfuden wird, ist natürlich sehr interessant. Mein Plan war daher, Dune zuerst zu lesen, dann die misslungene Lynch-Verfilmung zu schauen, dann die gefloppte Serie und vielleicht auch jene Doku über eine der bekannten Nicht-Verfilmungen von Dune. Ausserdem soll Dune demnächst als Serie produziert werden.

Aber. Ich finde das Buch nicht. Wie gesagt. Wir haben zu viele Bücher. Und die meisten Regalreihen sind Doppelreihig. Hinter den Büchern legen wir immer die hässlichen Bücher. Oder die peinlichen Bücher. Es kann gut sein, dass Dune irgendwo dahinterliegt. So findet man natürlich nie wieder etwas.

[Freitag, 8.10.2021 – Carepaket aus Südtirol]

Ich habe ja dieses Carepaket aus Südtirol mitbekommen. Für eine Freundin von Irenes Tochter.
Das Carepaket enthält einen Geschenkkorb mit tollen Marmeladen, Streichcremen fürs Brot, Schokolade etc alles mit Südtirolbezug, dann eine Kiste mit zwei Apflesaftblasen. Ich nenne sie Apfelsaftblasen, die heissen aber bestimmt anders. Es sind so durchsichtige Plastiksäcke mit einem Ventil unten dran. Damit kann man sich Apflesaft einschenken. Ausserdem eine riesige Kiste mit selbstgepflückten Äpfeln.
Mit der Freundin bzw deren Mutter versuche ich schon seit zwei Wochen einen Termin zu finden, aber die Freundin wohnt in Lichterfelde, es ist nicht so einfach sich zu treffen, bei Hin- und Rückfahrt ist es eine zweistündige Autofahrt.

Die Kiste selbstgepflückte Äpfel ist mittlerweile nicht mehr vorzeigbar. Weil ich die Äpfel nicht unentwegt kühl aufbewahren konnte, hatten sie angefangen zu vergilben. Da sich das Treffen sich zu verzögern schien, begannen wir bereits, Äpfel aus dieser Kiste zu stibitzen. Erst nur einzelne. Wenn man die anderen Äpfel entsprechend umschichtete, dann fiel es anfangs nicht so auf, dass welche fehlten. Aber man staunt, wie viel man in zwei Wochen so wegstibitzen kann. Und wie wenig man es vertuschen kann.
Weil ich ein schlechtes Gewissen hatte, schrieb ich Irene an: Duuuuh, ich muss gestehen, dass…

Sie fand es eher lustig und hatte Verständnis dafür. Besser als die Äpfel vergilben zu lassen, ist es, sie aufzuessen. Und eine fast leere Kiste verschenken ist auch nicht sehr stilvoll.

Heute klappte also die Übergabe. Sicherheitshalber erwähnte ich die Sache mit den vergilbten Äpfel, dass ich sie vorsorglich aufgegessen hatte. Ich weiss nicht, warum es mir wichtig war, es zu erwähnen. Vielleicht, weil das Mitbringsel ohne diese große Äpfelkiste optisch nicht ganz so beeindruckend aussah. Obwohl, der Geschenkekorb und die beiden Apflesaftblasen sind vom Volumen her ja auch schon so groß, dass man sie nicht mal eben mit der Post verschicken kann, sich die Fahrt aus Lichterfelde also schon auszahlte.

[Donnerstag, 7.10.2021 – Treffen für Textarbeit]

Am Abend traf ich mich mit Fanclubfreundinnen. Ursprünglich wollten wir uns im Gleisdreieckpark treffen. Weil wir über Textarbeit reden würden, empfahl es sich einen Tisch zu haben, um auch Dinge aufzuschreiben. Wir änderten den Treffpunkt kurzerhand und gingen zu mir ins Büro. Wir haben da viel Platz und große Räume. Einer war uns von zuhause aus zugeschaltet. Jetzt wo ich es aufschreibe, klingt das so falsch. Zugeschaltet. Zugeschaltet waren ja immer die Reporter in den Achtzigerjahren oder wenn bei Wettendass die Wetten im Freien stattfanden. Da war auch immer jemand zugeschaltet.
Bei googlemeet nennt man das bestimmt anders. Einer der Teilnehmer saß jedenfalls zuhause, und wir stellten den Laptop über den er dazugedingst war, auf einen Stuhl, so hatten wir einen netten Gesprächskreis und konnten uns unterhalten.
Ich mag Hybridmeetings ja nicht so. Entweder ganz online oder ganz offline. Hybrid finde ich immer etwas hakelig, weil der Gesprächsfluss nicht so gut flutscht. Oder fliesst. Ein Fluss flutscht ja nicht.

Es ging dann aber ganz okay. Besser als gar nicht. Vor Corona wäre das nie eine Option gewesen. Vor Corona wären wir allerdings auch alle anwesend gewesen.

[Mittwoch, 6.10.2021 – unter früheren Kolleginnen]

Als wir vor zwei Jahren die Firma schliessen und etwa 100 Leute entlassen mussten, entschied ich, nichts darüber schreiben. Man weiss in solchen Fällen nie, was passiert. Das Verfahren lief noch, das Verhältnis zum Investor und Eigentümer war schwierig.

In der Firma waren wir allerdings zu einem sehr gut eingespielten Team geworden, wir hatten auch privat und menschlich einen guten Draht zueinander bekommen. Nach der Schließung blieben wir in Kontakt. Eigentlich wollten wir uns bald wieder treffen, dann kam März 2020 und der ganze Rest. Inzwischen hatten wir eine Whatsapp Gruppe, in der wir uns während der Pandemie lose unterhielten.

Heute trafen wir uns wieder. In einer kleineren Gruppe. Es gab viel zu erzählen. Das war sehr schön. Gut zu wissen auch, dass man jederzeit wieder miteinander arbeiten würde.

[Dienstag, 5.10.2021 – VR, Hansaviertel]

Ich bin seit der Firmenparty ja (wiedermal) ein bisschen von VR Brillen angefixt. Einer meiner Mitarbeiter erzählte mir von seiner Oculus Quest, von der Technik dahinter und von der verfügbaren Software bzw verfügbaren Videos. Vor allem Flugvideos, Porn, Unterwasservideos und auch schlichte Dokus, sowie zahlreiche Spiele, wie die VR Variante von „The Room“, in dem man in einem Haus steht und mit einem riesigen Detailreichtum interagiert. Oder auch das Spiel mit dem Laserschwert, alle schwärmen von diesem Spiel mit dem Laserschwert, einer der Anwesenden macht seitdem kein Cardiofitness mehr, weil er das Spiel mit dem Laserschwert spielt. Alle reden von Schweiss und Anstrengung.

Ich besitze seit einigen Jahren ein Cardboard VR-Headset, bei dem man bereits ein gutes Gefühl dafür bekommt, was mit VR mal möglich sein wird. Die Oculus Quest kommt dem laut Beschreibung schon ziemlich nahe. Wirklich interessant wird es aber erst, wenn die soziale Komponente dazukommt, wenn man zu zweit etwas unternehmen kann, mit Sensoren, die die Räumlichkeit darstellen, etc. Und vor allem, wenn die Teile bezahlbar werden.
Die Oculus Quest erfordert ein Facebook Login und kostet wohl deswegen nur 500€. Sie wird vermutlich vom Konzern querfinanziert. Eine VR-Brille, mit der Facebook mich trackt, kommt aber nicht für mich infrage.

#
Am Abend treffe ich meinen ehemaligen Nachbarn. Wir haben Papierarbeit aus unseren ehemaligen Wohnungen zu verrichten. Wir sind seit unseren gemeinsamen Jahren im Haus befreundet, mittlerweile sehen wir uns leider selten. Und trotzdem sind wir uns über die Jahre sehr verbunden geblieben. Ein Termin für Papierarbeit kommt daher genau richtig.

Er wohnt jetzt mit seinem Mann und deren Sohn im Hansaviertel. Die Häuser im Hansaviertel wurden in den fünfzigerjahren als Prototypen für Sozialwohnungen gebaut. Von aussen nimmt man sie auch als hässliche Plattenbauten wahr, mit den dazugehörigen tot wirkenden und abweisenden Grünflächen. Auf dem zweiten Blick entfalten die Häuser aber durchaus einen Charme. Ich kannte bisher nur den architekturtheoretischen Aspekt der Häuser im Hansaviertel, heute stand ich aber das erste Mal in so einem Haus und ich verstehe den Reiz durchaus. Die Systematik der Intimität und Privatsphäre in den Treppenhäusern, die getrennten Aufgänge, die Wasch- und Gemeinschaftsräume, die Schlichtheit. Und nicht zu vergessen: die Aussicht.

Natürlich gibt es im Hansaviertel den trügerischen Aspekt, dass es keine Sozialwohnungen, sondern teure Eigentumswohnungen sind und alle Bewohnerinnen einen intellektuellen oder emotionalen Bezug zu diesen Häusern haben.

Die Geschichte von der Frau aus dem Haus. Eine Geliebte des mittlerweile verstorbenen, berühmten Architekten. Als meine Freunde einzogen googelte sie die Namen auf den Klingelschildern und hiess die neuen Mitbewohner willkommen.
Der Architekt ist bereits in den Achtzigerjahren verstorben. Diese Frau, die seit Jahrzehnten das bauliche Erbe ihrer Liebe bewohnt. Ich mag mich täuschen, weil ich die Frau nicht kenne. Aber: diese Hingabe.

[Montag, 4.10.2021 – Lesebrille, indische Nachbarn]

In der Eile vergass ich heute früh meine Lesebrille. Normalerweise habe ich eine oder zwei Brillen in der Firma, aber da ich ein ziemlicher Lesebrillenvernichter bin, habe ich derzeit genau eine Lesebrille, die täglich mit mir von Zuhause ins Büro reist und wieder zurück.
Heute vergass ich sie dann.
Im Büro schaltete ich den Laptop ein und konnte die Flecken auf dem Bildschirm nicht entziffern. Ich konnte faktisch nicht arbeiten. Das ist eine neue Erkenntnis. Mittlerweile sind meine Augen zu schwach zum Lesen geworden. Früher war es nur anstrengender, jetzt geht es aber nicht mehr ohne.

Also stand ich wieder auf und musste erst mal zum Drogeriemarkt.

#
Unsere Nachbarn kommen aus Indien und sind ein junges, frisch vermähltes Paar. Ich hoffe ja immer, dass sie uns eines Tages zum Abendessen zu sich einladen. Bei einem richtigen indischen Ehepaar zuhause, richtiges Indisch essen, ganz normales, authentisches Abendessen unter Nachbarn, keine Speisen von geübten Köchen mit standardisierten Gerichten für europäische Gaumen. Das stelle ich mir traumhaft vor.

Leider habe ich so viel Anstand, dass ich mich nicht selber einlade und bisher ist es mir auch nicht gelungen über Umwege Hints zu streuen, dass ich mich sehr über eine Einladung freuen würde.
Vermutlich denken sie, man könne Europäer nicht einfach so zu sich zum Essen einladen. Euopäer mögen das vielleicht nicht. Europäer leben ja eher in kleineren sozialen Einheiten, sind etwas reservierter. Ich könnte das schon verstehen.
Wir stehen uns natürlich nicht nahe. Aber mit dem Mann plauderte ich schon öfter, eine halbe Stunde lang oder länger im Treppenhaus. Wir sind auch schon einmal zu viert zu Edeka spaziert, weil wir uns zufällig im Treppenhaus trafen. Außerdem sind wir auch Linkedin befreundet. Die Basis für eine nachbarschaftliche Einladung läge durchaus vor.

Eine Möglichkeit wäre es, sie einfach mal zum Essen einzuladen, zu Knödel, oder zu Spätzle und darauf hoffen, dass sie mit sozialem Anstand erpressbar sind und mit einer Gegeneinladung reagieren.
Ich könnte ja sagen: wir laden immer unsere neuen Nachbarinnen ein. Aber ich weiss aus Erfahrung, dass man Menschen aus Asien und vom indischen Subkontinent nicht mit europäischen Essen locken kann. Europäisches Essen (auch italienisches und französisches) wird durchgehend als langweilig und eintönig angesehen.

Heute traf ich die Ehefrau im Treppenhaus und sie sagte „oh by the way“, ob ich denn gerne kochen würde. Ich nickte, sagte aber, dass ich nicht sehr talentiert sei, allerdings sehr gerne äße. Das war wieder so ein leerlaufender Hint von mir, um ihr zu verstehen zu geben, dass ich mich über eine Essenseinladung von einem indischen Ehepaar freuen würde.
Heute erzählte sie mir, dass sie bei einem Berliner Food Startup arbeite und sie derzeit Gutscheine für Freunde zu verschenken habe. Ob ich denn einen haben wolle.

Ich sagte gleich zu. Ich verstand nämlich sofort, was das bedeutete. Jetzt hatte ich einen handfesten Grund, die beiden einzuladen. Ich werde aus der Food Bestellung etwas zubereiten und die beiden zu uns zum Abendessen einladen. Als eine Art Dankeschön. Dann ist es egal, dass es langweiliges und eintöniges europäisches Essen ist.

Das können sie dann nur mit einer Gegeneinladung retournieren, alles andere wäre nachbarschaftlich unanständig. So ist das.

[Sonntag, 3.10.2021 – Frau auf dem Bürgersteig, Saskatchewan, deutscher Vereinstag]

Heute schauten wir wiedermal wie ein altes Ehepaar aus dem Fenster. Auf der gegenüberliegenden Strassenseite hatte jemand eine Art Küchenbank auf der Strasse entsorgt. Auf der Bank saß eine Person mit gelb gefärbten Haaren. Die Person wirkte weiblich, sie hatte eine Jeansjacke und eine größere Tasche umgehangen. Sie schien zu schlafen. Auf dem ersten Blick ignorierte ich das, sieht man ja öfter. Menschen, die auf Bänken schlafen. Auch meine Frau bemerkte die Frau. Sie schien aber etwas besorgter. Man konnte sie nicht gut erkennen, ihr Kopf lag auf der Brust und wie sie da saß, das musste ja total unbequem sein.
Wir überlegten, ob man etwas tun müsse. Auf der einen Seite überwiegte das „Ach Quatsch, ist nur Sonntagfrüh, es war eine harte Party“ auf der anderen Seite tönte die Tagesschau, dass man in Berlin eine sterbende Frau stundelang habe verenden lassen und sich niemand um sie gekümmert habe. Diese Stadt der sozialen Verwahrlosung.

Wir wogen ab, hin und her. Zoomten mit dem Handy ein. Es könnte auch eine Puppe sein. Menschen liefen daran vorbei, auf einem Meter Abstand, der Bürgersteig lag hinter ihr. Sie wurde ziemlich ignoriert. Vermutlich sah man aus der Nähe, dass es entweder kein Mensch war, oder man sah, dass die Person lebte. Wir beschlossen, nichts zu tun, am Ende wurden wir noch geohrfeigt, wenn wir sie weckten.

Aber wir stellten den Wecker. Zwanzig Minuten. In zwanzig Minuten wollten wir noch einmal aus dem Fenster schauen und wenn sie sich nicht bewegt hat, dann gehen wir runter. In der Zwischenzeit googelten wir. Wie man mit vermeintlich toten oder sterbenden Menschen auf der Strasse zu reagieren hat. Es gab hunderte Anweisungen. U.a. auch wiederbeleben. Gott, ich weiss nicht mehr wie das geht. Wir gingen wieder zum Fenster. Sie hatte sich nicht bewegt, sie saß da sehr unbequem. Eigentlich wie tote Menschen sitzen, gekrümmt, seitlich, die Arme ausgestreckt, den Kopf auf der Brust.

Wir beschlossen nach unten zu gehen. Wir gingen in einem etwas größeren Bogen und langsam über die Strasse, um uns der Person langsam zu nähern und vielleicht aus der Entfernung schon die eine oder andere Einschätzung machen zu können. Es war eine Frau. Sie sah nicht gut aus. Ihr Mund war geöffnet, Sabber trat hervor. Ich stellte mich neben sie und sagte „Hey“. Es kam keine Reaktion. Meine Frau bemerkte, dass sich ihr Brustkorb hob und senkte. Immerhin atmete sie.
Ich sagte noch einmal „Hey“. Diesmal lauter. Aber sie reagierte wieder nicht. Dann rüttelte ich an ihrer Schulter. Daraufhin wachte sie auf.
Ich fragte sie ob alles OK sei, ob sie Hilfe brauche. Sie schaute uns an, schüttelte aber den Kopf, setzte sich etwas gerade hin, ich sagte, ihre Tasche, die solle sie besser zu sich ziehen. Sie tat das. Dann entfernten wir uns langsam. Sie schien sich zu berappeln. Wir spazierten einmal um den Block. Als wir zurückkamen, war sie nicht mehr da.

#
Heute kam eine Freundin meiner Frau vorbei. Wir saßen in der Küche und tranken Kaffee. Sie kommt aus Kanada. Irgendwo aus einer Kleinstadt in Saskatchewan. Sie zeigte uns Videos von ihrem Bruder, der wiedermal Bären in seinem Garten hatte. Diesmal nur Schwarzbären. Die sind nicht so gefährlich. Klauen aber gerne Obst und Gemüse. Und sie können auf Bäume klettern wie Katzen.

Nachdem sie ging, setzte ich mich an Googlemaps und scrollte eine Stunde lang mit Streetview durch zentralkanadische Kleinstädte und Dörfer.

#
Huch. Heute ist deutscher Vereinstag. Gar nicht mitbekommen.

[Samstag, 2.10.2021 – durchsäuert]

Ich habe einen seltsamen Kater vom gestrigen, wilden Durcheinandertrinken. Es fühlt sich an, wie eine Durchsäurung. Dabei war ich gar nicht so stark betrunken, aber ich bin es nicht gewohnt, Cocktails zu trinken. Am Ende des Abends bat ich den Kollegen von der Rezeption (der an diesem Abend die Drinks mixte) um einen Vodka Lemon. Als ich davon trank, schmeckte ich keinen Alkohol, ich bat ihn daher, noch ein wenig Vodka nachzugießen. Er füllte ein Schnapsglas mit Vodka und schüttete es ins Glas. Noch immer schmeckte es nicht nach Alkohol. Also kippte er ein weiteres Schnapsglas nach.
Es schmeckte immer noch nicht nach Alkohol. Aber jetzt wo ich von den vielen Schnapsgläsern wusste, hatte ich sehr viel Respekt vor diesem Drink und nippte nur daran.
Heute also ein seltsames Gefühl der Durchsäuerung. Ich kriege nichts gebacken.

#
Hertha verliert wieder. Diesmal nur 1:2. Ich gehe noch nicht ins Stadion. Vor allem wegen Corona. Bei 20000 Leuten ist es mir statistisch doch noch etwas zu heikel. Es spielt aber auch mit, dass ich vom Auftreten der Mannschaft total enttäuscht bin und auf irgendeiner kindischen Art will ein Teil von mir, das mit Fernbleiben bestrafen. Sogar vor dem Fernseher schaue ich die Spiele nur mit einem Auge. Allerdings mit dem ganzen Hirn. Bringt natürlich nix.

Meine Fanclubfreundinnen gehen nach dem Stadionbesuch feiern und schicken mir Fotos. Eigentlich ist das klüger.

[Freitag, 1.10.2021 – Escaperoom wieder, Firmengeburtstag]

Heute ist Firmengeburtstag. Zwanzig Jahre. Am Nachmittag war der Besuch eines Escape Rooms geplant. Wir gingen zum „House of Tales“ in der Zimmerstraße. Das House of Tales hat 5 Räume und diese werden im Netz ziemlich gut bewertet. Ich war dort schon einmal vor etwa drei Jahren, es gab damals einen Raum, der die Illuminaten und den Vatikan als Thema behandelten. Jenen Raum gibt es aber nicht mehr. Wir gingen dafür in einen Raum namens „One Night in Hong Kong“. Es behandelt den Untergrund Hong Kongs in den Achtzigerjahren. Organisiertes Verbrechen, Drogen- und Menschenhandel.
Der Raum ist abgedunkelt, es ist Nacht, man klettert zuerst eine Wendeltreppe an einem Baugerüst hinauf, oben gibt es eine Fensterluke durch die man in eine Stripbar gelangt. Es gibt eine Videokabine, Dildos und Analstöpsel liegen auf den Sofas und den Möbeln herum. In den Mülleimern Kondome und Papierfetzen, Toys. In der Videokabine läuft ein pornographisches Manga.

Im Spiel geht es darum, eine Frau namens Wen Dee und das Geld mit dem sie sich versteckt, zu finden. Wir irren zu sechst eine ganze Weile in der Stripbar herum und brauchen lange, die ersten Hinweise zu verstehen. Danach flutscht es aber ganz gut. Die Rätsel sind schön gemacht und teils auch lustig. Wir werden Wen Dee finden. Sie sieht nicht mehr gut aus.

Fürs Protokoll muss ich noch aufschreiben, dass wir alle Masken trugen. Das war ja der ursprüngliche Zweck dieses mittlerweile lang anhaltenden Coronalogs, nämlich aufschreiben, wie der Alltag in der Pandemie aussieht. Um in 20 Jahren darauf zurückzuschauen, um mich daran zu erinnern.
Wir trugen jedenfalls alle Masken, auch in den Räumen, als nur wir sechs Geimpfte unter uns waren. Die Veranstalterinnen durften keine Ausnahmen machen. Sie hatten für 3G geöffnet, also galt uneingeschränkt 3G.
3G. Auch so etwas. Weiss in zwanzig Jahren sicherlich niemand mehr, was das ist. Ich lasse es mal ohne Erklärung stehen, damit ich mich in zwanzig Jahren ärgere.

Vor zwei Wochen im Escaperoom in Meran trugen wir in den Spielräumen übrigens keine Maske. Nur im Vorraum mit dem Spielleiter. Auch dies fürs Protokoll.

Nach dem Spiel kehre ich mit meiner Gruppe zurück in die Firma. Die andere Gruppe war genau eine Minute früher fertig. Sie spielten genau den gleichen Raum. Der Raum mit dem Hong Kong Thema ist dermaßen beliebt, dass sie zwei Räume identisch gebaut haben. Wir spielten also parallel.

Zurück in der Firma wird es feierlich. Das Buffet ist zubereitet, die Sektflaschen auch. In der großen Firmenküche steht ein Fernseher mit Webcam, auf dem uns das Büro in Amsterdam zugeschaltet ist. Auch sie haben einen Fernseher mit Webcam in der Küche stehen. Die Leute sind festlich gekleidet, wir prosten einander zu. Der Gründer hält eine Rede.
Wir sind happy, trinken, essen quatschen.

[Donnerstag, 30.9.2021 – ZPS, Giliana]

Abends, auf dem Nachhauseweg, wollte ich eigentlich zum „Tag der offenen Tür bei Flyerservice Hahn“ vorbeifahren. Was für eine Aktion. Damit meine ich die vorausgehenende Aktion, in der das „Zentrum für Politische Schönheit“ der AfD eine Falle gelegt hat, indem sie einen fiktiven Flyerservice ins Leben rief, um dann 3 Millionen Flyer nicht zu verteilen.
Solche Aktionen rufen bei mir ähnliche Reaktionen hervor, wie ein schönes Gemälde. Ehrfurcht auf verschiedenen Ebenen. Ich verstehe das mit der politischen Schönheit schon.

Die Michaelisbrücke liegt auf meinem Arbeitsweg. Ich war offenbar aber etwas in Gedanken verloren und fuhr einfach geradewegs nach Hause.

#
Den Abend mit Steuerunterlagen verbracht. Es ist wieder September.

#
Eine Freundin schickt mir den Link zu „The Sunlit Night„. Ein Film mit Gilian Anderson (mit roten Haaren!) nördlich des Polarkreises. Ich frage mich gerade, warum ich noch so ruhig bin.

Der Film hatte vor einer Woche Prämiere und läuft seit gestern in einem kleinen, sogenannten Lichtspielhaus, in Wilmersdorf. Weiss jetzt auch nicht, was das soll. Ist der Film so schlecht, oder so klein. Aber mit Giliana? Klar ist nur: ich muss den Film sehen. Aber mit dem Blick auf schnuckelige und enge Programmkinos vor der aufkeimenden vierten Welle, warte ich vermutlich, bis der Film zu mir ins Wohnzimmer kommt.