[die Sache mit der Arktis – Episode 3]

Vor drei Tagen hat es sich herausgestellt, dass es in 2020 nichts wird mit der Reise nach Longyearbyen, wir werden frühestens ein Jahr später in die Arktis fahren können. Ich wollte es nicht wahrhaben, so diskutierten wir noch bis tief in die Nacht, drehten Termine und Urlaubstage, bogen Dinge und aufs Brechen um, es ist jetzt aber klar, dass nichts daraus wird.
K sagte zwar schon seit Monaten, sie fürchte, dass es 2020 aus logistischen Gründen nicht klappen würde mit dieser Reise, aber ich habe immer Jaja gessagt und war stets voller Zuversicht ohne eine wirkliche Grundlage dafür zu haben. Kein gutes Management meinerseits, wie ich zugeben muss, aber meist bringt mich ein unerschütterlicher Optimismus zum gewünschten Ziel. Diesmal war es aber nur Blindheit und Naivität.
Ich war selten so enttäuscht.

Am nächsten Tag wachte ich auf und war erstmal gut gelaunt. Aber noch während ich im Bett lag fiel mir das Thema Longyearbyen wieder ein und ich verfiel sofort in eine schlechte Stimmung. Die Stimmung hielt den ganzen Tag über an und auch den Tag darauf. Ich traf Menschen, ich konnte die schlechte Stimung aber nur schlecht verbergen. Dafür war ich auf eine Geburtstagsfeier eingeladen wo ich mich zwar blendend amüsierte, wo ich aber das Bier in mich hineinschüttete wie ein wie ein wie ein. Was weiß ich, wie ein arktisches Walross, das zufällig sehr gerne Bier mag.
Immerhin unterhielt ich eine ganze Gruppe Menschen mit meinen Vorstellungen der Arktis. Ich war noch nie in der Arktis aber ich kann bereits Menschengruppen mit Erzählungen über die Arktis unterhalten. Das sollte mir eigentlich Sorge bereiten. Am Ende versprachen sie alle, mich besuchen zu kommen, falls ich dort einmal lebe.
Und sie litten natürlich alle mit mir mit, dass ich jetzt nicht 2020 da hinfliegen kann.

Ich weiß, man kann es als Obsession abtun, ich könnte sagen, das ist jetzt nur eine Obsession, das geht schon vorbei, ich soll mir jetzt nicht die Stimmung verdunkeln lassen, durchatmen und an 2021 denken. Andererseits haben mich Obsessionen zu dem gemacht was ich heute bin, ich bin in meinem Leben nur so weit gekommen weil ich immer von den Dingen besessen gewesen bin die ich gemacht habe. Ich finde nichts schlechtes daran besessen zu sein. Und ich finde nichts schlechtes daran, enttäuscht zu sein, ich erzähle es halt allen, den Freunden, dem Blog und ich werde das ja auch noch als Podcast einsprechen.
So.

Gestern traf ich dann die liebe Frau Fragmente zum Frühstück. Ich wollte nicht das Thema Longyearbyen aufmachen, zum Einen weil ich nicht wieder schlechte Laune kriegen wollte und es so lange her ist, dass ich sie gesehen habe, ich mag sie sehr und wollte es mir daher nicht mir ihr verscherzen und außerdem wollten wir über andere konkrete Dinge reden. Ich wusste allerdings, dass sie im abgelaufenen Jahr in Tromsö war, ich beschloss sie zu beten mir von Tromsö zu erzählen, sie zeigte mir Fotos vom Hafen, von den Lichtern in der beginnenden Polarnacht, sie erzählte mir von dieser ganz eigenen arktischen Architektur, ich schaute auf die Fotos in ihrem Handy und gab mich hin.

Danach sagte sie beiläufig sie flöge diesen Mai übrigens nach Longyearbyen. Ich rang um Fassung.

[…]

[handverlesen, etc]

Als ich die Taxizentrale in Meran anrufen will finden meine Gastgeber das etwas seltsam. Ein Taxi in Meran zu nehmen ist komisch, wo man von Stadtrand zu Stadtrand ungefähr eine Dreiviertelstunde läuft, das ist weniger als würde man einmal die Prenzlauer hinunterspazieren. Es ist aber nach Mitternacht und ich bin müde.
Die Zentrale weist mir das Taxi mit der Nummer 31 zu.

Im Taxi mit der Nummer 31 wundere ich mich, dass ich in Meran Taxis noch nie wahrgenommen habe, dabei kenne ich Meran sehr gut und sehr lange und da mittlerweile fast meine ganze Familie in Meran wohnt, sind meine Südtirolbesuche heute faktisch Meranbesuche geworden. In Berlin sitze ich ständig in Taxis und Taxis sind immer eine Option um irgendwohin zu kommen. Aber in Meran bin ich nie auf diese Idee gekommen. Bis auf diesen Tag.

Die Müdigkeit weicht augenblicklich. Ich will vom Fahrer alles über das Taxigewerbe in Meran wissen, wie der Betrieb abläuft, wie die Trinkgelder sind, wen er zu den Kunden zählt, wie die Schichten sind, wie die Fahrten erfasst werden, wer sie dispatched, wie sie mit unterschiedlichen Tarifen umgehen, wie sie es mit Apps halten, etc.

Der Fahrer gibt mir freudig Auskunft, meine detailierten Fragen scheinen ihm zu gefallen. Ich weiß jetzt alles. Auch, dass es insgesamt 32 Taxen in Meran gibt. Dass ich ich der Nummer 31 sitze, gibt mir das Gefühl in etwas Handverlesem zu sitzen.

Was an Italien gut ist: die kleinen Autos. Leute fahren kleine Autos. Die Zahl der kleinen und wendigen Autos fällt richtig ins Auge. Kaum kommt ein großer Brummer daher, trägt er in neunzig Prozent der Fälle ein deutsches Kennzeichen. Das deprimiert mich sehr.

Zu Silvester saß ich mit meiner Mutter und der jüngsten Schwester zuhause. Wir spielten Karten und im Hintergrund lief Jörg Pilawas Silvesterparty im Fernsehen. Zuerst spielten wir noch anspruchsvolle Spiele, kurz vor Mitternacht stiegen wir auf MauMau um. Ich weiß nicht warum, ich würde gerne sagen, dass wir nach dem vierten Bier auf eine lustige Art verblödeten, aber dem war nicht so, ich war zu Silvester ein wenig krank geworden und beließ es daher bei einem Bier. Wir spielten gegen Ende des Abends einfach MauMau weil es besser dahinflutschte.
Dann lief der Countdown zum neuen Jahr im Fernseher, aber wir saßen in einer Endrunde MauMau und konnten uns unmöglich vom Spiel lösen. Dann wenige Sekunden im neuen Jahr gewann meine Mutter die Partie.
Erst im Nachhinein wurde mir die Bedeutung dessen bewusst. Mit einer Niederlage das neue Jahr beginnen. Das ist so plakativ, dass man abergläubig werden könnte.
Meine Mutter kann sich immerhin damit rühmen mit einem Sieg in MauMau ins 2020 gerutscht zu sein. Das ist auch schön.

Andererseits gibt es ja auch noch das Ding mit dem Pech im Spiel und Glück in der Liebe. Aberglaube geht immer.

Auf dem Rückweg am Flughafen in Innsbruck steht Sami Allagui neben mir an der Kasse. Er erkennt mich nicht. Dabei war ich derjenige der in der letzten Zweitligasaison im Olympiastadion in Block 2.2 seinen Namen gerufen hat als er das Tor aus dem spitzen Winkel gegen Braunschweig schoss.
Als ich zurück bei meiner Frau bin google ich ihn, ich will ja informiert sein, falls er mich anspricht. Als er von uns wegging, spielte er bei St. Pauli. Jetzt spielt er in Belgien bei Mouscron. Ich mochte den immer.

[…]

Jetzt sind die vorgelesenen Folgen im Blog auch auf iTunes und Spotify registriert und damit über jede normale Podcast-App bzw über Spotify abonnierbar. Hurra.
Dummerweise habe ich vergessen, das Blog richtig zu verschlagworten, unter dem Wort „mequito“, was der offensichtlichste Suchbegriff wäre, findet man leider nichts, sondern nur „spaeter“ oder „truebe“. Beides funktioniert zudem nur ohne Umlaute. Ich weiß, ich bin die Sache offensichtlich amateurhaft angegangen. Oder man sucht nach meinem vollen Namen: Markus Pfeifer, ohne doppelte ffen, also anders als in der Feuerzangenbowle.
Oder: man sucht nach Longyearbyen 🙂

Vorerst sind es lediglich Aufnahmen einiger ausgewählter älteren Beiträge, aber in Zukunft, also ab jetzt will ich jeden Eintrag auch als Audiobeitrag einsprechen, dann kann man sich das episodenhaft anhören. Mal schauen ob das funktioniert zumal die einzelnen Episoden naturgemäß kürzer ausfallen als übliche Podcasts, die sich als Dialoge über Stunden ziehen können.
Wenn ich Podcasts höre, dann höre ich sie meist beim Kochen, beim Staubsaugen, in der U-Bahn oder während ich anderen Beschäftigungen nachgehe bei denen ich beide Hirnhälften auf ein Minimum reduzert habe. In solchen Momenten bin ich so aufnahmefähig wie ein trockener Schwamm. Alles geht in mich hinein.

Auch werde ich Jingles und Pieptöne produzieren, vielleicht ein bisschen Musik dazu aufnehmen. Zudem werde ich alte Texte vertonen für die es sich lohnt. Längere Geschichten, längere Einträge. Ich bin gespannt.

#

Ich bin jetzt Mitglied in einem Fanclub von Hertha BSC. Einer der eher politischen Fanclubs, wo es auch darum geht politische oder gesellschaftliche Haltung an den Tag zu legen. Ich kann mit der Vorgabe, dass Politik nicht ins Stadion gehört wenig anfangen. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass diese Aussage immer von den Rechten und Mächtigen kommt, weil gerade die es sind, die den Sport und die Stadien für ihre Zwecke missbrauchen. Außerdem sind rassistische Äußerungen in Stadien sogesehen ja politisch, deswegen sind antirassistische Konterkarierungen in diesem Zusammenhang schlichtweg neutralisierend, lasst mich also in Ruhe damit.
Aber rassistische Äußerungen sind keine Politik sondern rassistischer Käse ist schlicht gesellschaftsfeindlich und alles Rundum Gleichberechtigung und Toleranz sind Grundwerte für das Zusammenleben und nicht bloß Politik. Mich nervt diese Diskussion. Zum Glück haben wir bei Hertha kein großes Problem mit Rassisten, aber wenn man nicht ständig auf der Hut ist und daran arbeitet, dann kommen sie immer aus ihren Löchern gekrochen.

Morgen ist Weihnachtsfeier des Fanclubs. Da ich gerade nicht arbeite habe ich mich als Freiwilliger gemeldet. Ich kann alles und ich mache alles. Ich liebe Vereinsarbeit und wenn man das alleine zuhause macht, kann man nebenher prima Podcasts hören.
Es brauchte noch jemanden, Geschenke einzupacken und die Tombola zu organisieren. Ich hob die Hand: mache ich. Geschenke eingepackt habe ich schon mal und Tombola kenne ich auch, das ist das Spiel das man im Alterheim spielt. Das Spiel in dem Nummern aufgerufen werden und in dem dann Menschen rufen, dass sie die Nummer hätten und am Ende gewinnt man etwas. Im besten Fall.

Zu jenem Zeitpunkt wusste ich noch nicht wie aufwändig es ist, 40 Pakete in Geschenkpapier einzuschlagen und sie mit Schleifchen zu versehen. Dafür habe ich zwei Nachmittage (mit Pausen!) gebraucht. Außerdem bin ich nicht sehr präzise. Ich gebe mich mit 80%-Lösungen zufrieden. Und ich habe keine Falttechniken in meinem Repertoire, ich falte lediglich simple Formen die sich allerdings fürchterlich zerkrausen und am Ende versuche ich alles mit einer rigiden Faltung auszuglätten. Man sieht es von außen nur halb, aber beim Aufreißen der Geschenkes fällt es natürlich sofort auf.
Zudem verwende ich als Geschenkpapier braunes Packpapier. Nicht aus Kostengründen sondern weil ich diese Ästhetik sehr mag, dieses schlichte Paketlager-braun das mich an Transatlantik Speditionsunternehmen und Lagerräume in Schiffsbäuchen denken lässt. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht ob braunes Packpapier für Geschenke angemessen ist oder ob man es mir bloß immer verzeiht bzw drüber hinweglächelt, weil ich ja ein Mann bin und man mir damit automatisch kein Feingefühl für Geschenkpapier zuschreibt oder weil man sich halt an meinen immer schon gewöhnungsbedürftigen Geschmack gewöhnt hat. Genau jetzt kommen mir solche Gedanken hoch, wo ich 40 Geschenke für großteils Fremde Menschen packe.
Bei einer Weihnachtsfeier von Fußballfans habe ich allerdings die Hoffnung, dass alle betrunken sind und das Level der Egaligkeit ziemlich hoch ist.
Immerhin habe ich alles mit blauweißen Schleifchen versehen.

[podcast]

Die künftigen Blogeinträge wird es immer auch als Audio geben. Zum einen weil ich Podcasts liebe und seit wir Blogread.de nicht mehr betreiben verspüre ich immer wieder Lust, Dinge vorzulesen. Ich lese jetzt einfach mal meine Texte vor, kein klassischer Podcast im Dialogstil sondern eher als eine Art Featurette. Ich weiß nicht ob die Texte auf diese Weise funktionieren, ich versuche es einfach mal.

Die einzelnen Folgen könnt ihr jeweils im Text auf dem Player anhören oder auch schlichtweg über eure Podcast App abonnieren (es wird noch ein paar Tage dauern bis die Feeds von allen Apps eingelesen sind).

In der Zwischenzeit baue ich hier noch ein wenig herum, sorry für das Chaos im Layout und den vielen Dummyposts im RSS Feed, es macht aber Spass am offenen Herzen herumzudoktern.

[die Sache mit der Arktis, fortgesetzt]

Langsam gehen mir die Inhalte über Longyearbyen und die Arktis zur Neige. Youtube habe ich leergesogen, Podcasts habe ich alle aufgeholt an die Romane gehe ich erst langsam ran. Ich bekomme Angst vor der Leere die danach kommen wird.
Unter der Woche bin ich in den Tierpark gegangen. Zu den Eisbärinnen Tonja und Hertha.
Ich stand da ewig an der Brüstung und wurde vom Zuschauen ganz verliebt.

ʕ•ᴥ•ʔ

Die Zombieapokalype. Noch ein Grund nach Longyearbyen zu ziehen. Das mag vielleicht etwas konstruiert klingen, bei genauerer Betrachtung gibt es aber ein durchaus plausibles Argument. Natürlich können auch Zombieviren bis in die Arktis gelangen, vor allem vor dem Hintergrund, dass in Longyearbyen ein funktionaler Zivilflughafen steht und von einem regen Menschenverkehr heimgesucht wird. Zudem hauste in 1918 die Spanische Grippe, die in Longyearbyen immerhin sieben Menschen dahinraffte.
Spannend wird es aber wenn man die Wahrscheinlichkeit von einem Zombie gebissen zu werden verringern will. Auf Spitsbergen frieren Zombies schlichtweg ein. Haben ja keine Körperwärme.
Das habe ich in irgendeinem Podcast in den schummrigeren Tiefen des Netzes gehört und ich merke schon, dass die Qualität der Themen mittlerweile etwas nachgelassen hat, aber diese Erkentnis fand ich dann doch durchaus erleuchtend und ich natürlich: cool muss ich gleich auf meine lange I-Love-Arktis-Liste setzen.

ʕಠᴥಠʔ

Am Montag gehe ich mit meiner Kinogruppe in Bernadette. Das ist der neue Film mit Cate Blanchett. Auf dem Filmplakat sieht man nur Cates Gesicht und im Hintergrund ragen Eisberge aus dem Meer. Ich weiß gar nicht wovon der Film handelt, habe ihn aber sofort vorgeschlagen, ich meine, Cate Blanchett und Eisberge, das kann doch nur ein guter Film sein. Wobei der Film in der Antarktis spielt, wie ich mittlerweile weiß, die andere Arktis also, aber mir doch wurscht.

[die Sache mit der Arktis]

Gestern Abend hatte es draußen sieben Grad. Das ist die sommerliche Durchschnittstemperatur in Longyearbyen auf Spitsbergen.

Nun. Ich muss vielleicht ein bisschen ausholen. Ich mochte den Nordern immer schon. Der Süden hat mich nie interessiert. In meiner südtiroler Jugend wollte ich immer in den Norden. Nach London, nach Amsterdam, nach Berlin, nach Kopenhagen, Irland, Schottland. Mit achtzehn bin ich dann ohne Job oder Plan in die Niederlande gezogen und fühlte mich sofort pudelwohl. Mitten im Winter. Im Laufe der Jahre habe ich aber verstanden, dass der Norden noch viel weiter geht. Ich zog nach Hamburg, später heiratete ich eine Schwedin, dann wollte ich den Polarkreis überqueren, den 66igsten Breitengrad passieren und sah, dass es da ganz weit oben immer noch Zivilisation gibt, viele Dörfer, kleine Städtchen, und Tromsö, das ist eine richtig große Stadt am 69. Breitengrad und dahinter kommt das Polarmeer. Hier würde man jetzt sagen: da hört die Welt auf.
Aber das ist natürlich nicht so, sonst würde ich es nicht schreiben.
Noch einmal 1000 Kilometer nördlich von Norwegens Nordküste taucht ein Inselarchipel aus dem Polarmeer auf, es trägt den Namen Svalbard, in einigen Ländern besser bekannt unter dem niederländischen Namen Spitsbergen.

Seit diesem Sommer ist mir die Existenz dieser kleinen Orte auf Svalbard erst richtig bewusst geworden und seit ich davon weiß, höre ich stundenlang Podcasts über das Archipel, darüber wie die Leute dort leben, in der nördlichsten Siedlung der Welt, in Longyearbyen. An manchen Tage erlaufe ich meine zehntausend Schritte mit Podcasts im Ohr und laufe dann einfach zehntausend Schritte weiter, ich kann doch nicht einfach die Geschichten über die Arktis aus meinen Ohren rausnehmen und mich zurück ins schnöde Mitteleuropa begeben.
Die Geschichten über die dunkle Jahreszeit, wie der Bewohner das Licht zelebrieren, wie die Orte beleuchtet werden, wie sehr sie doch alle die Dunkelheit zu lieben lernen, wie der Eisbär letzte Woche an den Dorfrand gekommen ist und einen Schuppen demoliert hat, über die Wahl des Bürgermeisters, über die Leute die den Sommer nicht mögen, weil sie dann nicht mit dem Schneemobil fahren können, etc etc.

Ich denke an nichts anderes mehr. Ich denke daran, wie ich unter der monatelangen Mitternachtssonne sitze und auf die schneebedeckten Fjorde starre oder in der langen Polarnacht an der Bar sitze und Karten spiele.
Jede Person kann nach Longyearbyen ziehen und dort leben. Longyearbyen, so heißt der Hauptort mit seinen 3000 Einwohnern. Die Inseln sind eine Visafreie Zone. Man muss sich nur selber finanzieren können. Es gibt dort Kneipen und Restaurants, Kitas, eine Uni, eine Feuerwehr, einen Dönerladen, eine Yogaschule, eine Kohlemine und eigentlich alles was man so braucht. Es gibt da sogar eine Brauerei. Meine Geschäftsidee ist somit leider bereits vergeben.

Weil mich seit Monaten nichts anderes als die Arktis interessiert, fällt es mir schwer, mich mit meinen Freunden zu treffen. Wenn es doch dazu kommt, finde ich immer Strohhalme um mich über das Leben in der Arktis zu unterhalten. Manche Menschen machen es mir leicht, wie der Taxifahrer, wenn er bei 12 Plusgraden sagt, „Puh, es wird wieder kalt“, dann kann er sich sicher sein, dass ich ihn mit Infos über den Permafrostboden in Nybyen überschwemme.
Im Winter ist zwei Monate lang Nacht. Pechschwarze Nacht. Keine Dämmerung oder so. Es gibt dann auch Schneestürme und die Temperatur ist eigentlich immer zweistellig. Also im Minus.

Viele Leute machen es mir aber schwerer um das Thema auf die Arktis zu lenken. Wenn ich in einer Runde mit Freunden sitze und der neue wilde Braunbär in Bayern angesprochen wird, dann sage ich: „Auf Spitsbergen gibt es Eisbären, die fressen nur das Fett der Robben, den Rest lassen sie liegen, deswegen gibt es in der Nähe von Eisbären auch immer Polarfüchse, und überhaupt, wenn man Polarfüchse sieht, kann man davon-“
Es erfordert ein wenig Trickserei, aber ich schaffe es immer.

Neulich traf ich mich mit einem Freund zum Mittagessen. Er sagte „Wollen wir gleich ein bisschen über Longyearbyen reden, damit wir das Thema abgehakt haben?“
Haben wir dann so gemacht. Danach fiel es mir leichter mich für seine Dinge zu interessieren.

Kinder sind die Dankbarsten. Kinder lieben es, wenn man über Eisbären oder Schneestürme redet. Außerdem kommen sie bereits mit einem gewissen Grundwissen daher, das vielen Erwachsenen entbehrt.

Auf der Innenseite des Rollos in meinem Arbeitszimmer habe ich die Bucht des Adventfjordes gezeichnet. In schwarz und weiß nur. Es ist nicht besonders gut gelungen. Aber so stelle ich mir die Aussicht meiner Wohnung auf Longyearbyen vor. Mit Aussicht auf den gefrorenen Adventfjord. Es tröstet mich und ist allemal besser als die Aussicht auf den Hinterhof.

Meine Frau verdreht schon die Augen wenn ich mit „Longye-“ ansetze.

Auf meinem Desktop habe ich jetzt ein Applet installiert, das mir das Wetter von zwei unterschiedlichen Standorten anzeigt. Die eine Anzeige die nicht Berlin ist, zeigt schon seit einigen Wochen Minusgrade an. Heute sind es Minus 11. Immerhin bleibt die Temperatur den ganzen Tag über mehr oder weniger gleich. Tag und Nacht gibt es da ja nicht so.
Es ist dort aber nicht immer kalt. Im März geht die Sonne auf und ab April dreht sie am Firmament ihre Runden ohne unterzugehen.
Es wird dann auch 7 Grad warm.

Gestern Abend saß ich also auf meinem Sofa in Berlin. Ich schaute auf mein Handy und sah, dass es draußen 7 Grad hatte. Ich zog sofort die Schuhe an und ging hinunter um zu fühlen, wie er sich anfühlt, dieser Sommer in Longyearbyen. Ist voll OK.