Dienst an die Leserinnen und Leser für diese heißen Sommertage. Ich habe einen alten Text von mir über den Winter 95/96 vorgelesen. Playbutton.
[woran ich mich erinnern will. zweite Junihälfte / erste Julyhälfte]
Zuerst war ich eine Woche in Amsterdam. Meine neue Firma hat ein großes Büro im Zentrum der Stadt. Ich war schon seit drei Jahren nicht mehr in den Niederlanden, ich freue mich darauf, dass ich da nun alle paar Monate hin muss. An einem der Tage sind wir stundenlang mit dem kleinen Motorboot der Kollegen auf den Grachten herumgetuckert. Es war einer der ersten richtig sonnigen Sommertage. An der Hafenbucht am Omval tummelten sich hunderte kleine Boote mit Menschen die sich der Sonne auslieferten. Auch wenn ich Sonnenhitze eher meide: das war schon sehr schön. Außerdem weht draußen auf dem Wasser immer ein leichter Wind. In weiser Voraussicht wurde vorher eine Sonnencreme mit dem Schutzfaktor 50000 herumgereicht.
Ja, gearbeitet haben wir auch.
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Ich sehe ja eher un-arisch aus. Trotzdem bin ich so ein Mittelding. Ich kann einen Schawarmaladen betreten und man spricht mich auf arabisch an, wenn ich in ein Restaurant in P’Berg gehe, redet man deutsch mit mir. Es hängt oft von meiner Kleidung ab, oft von der Länge des Bartes, oft von der Begleitung, deren Ethnie auf mich abfärbt.
An gewöhnlichen Tagen spielt das keine Rolle. Beruflich hat mir mein teutonischer Name allerdings immer die Wege geebnet.
An ungewöhnlichen Tagen spielt das aber wiederum eine Rolle. Oft ist das an Flughäfen der Fall. Wenn ich etwas derangiert vom Reisen die Staatsgrenzen passiere, mit viel Haar im Gesicht, mit zerknittertem Tshirt, mit freigelegten Tätowierungen. Ich werde immer wieder von Polizisten herausgefischt.
Ich sehe sie immer schon von Weitem, wie sie sich das Zeichen geben. Augenzwinker, kurzes Nicken, ja, den da, den fischen wir raus.
- Hallo sprechen Sie deutsch
- Ja
- Können Sie sich ausweisen?
- Ja
- Wo kommen Sie her?
- [ich nenne ein Herkunftsland]
- Aha, italienischer Pass. Was machen Sie in Deutschland?
- Ich wohne hier
- Warum sprechen Sie so gut deutsch?
- Ich spreche seit 45 Jahren deutsch
- Warum haben Sie einen deutschen Namen?
- Ich komme aus Südtirol, da haben alle deutsche Namen
- Nasowas, wirklich?
- Ja, wirklich
- Was machen Sie beruflich?
- Ich leite eine Firma
- Ach wirklich?
- Ja wirklich
Polizist gibt mir meinen Pass zurück
- Es tut mir leid
Es rutscht ihnen fast immer heraus, dieses entlarvende „Es tut mir leid“. Sie wissen alle, wie abfällig sie mich vorher betrachtet haben. Und danach tut es ihnen leid, weil ich doch „einer von ihnen“ bin und so denken sie ja, in diesem Wir-und-Die Muster. Und genau das ist Rassismus. Das „wir“ und das „die“.
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Die einen sind Expats, die anderen sind Ausländer.
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Ich glaube, ich kaufe mir ein Lana del Rey Tshirt.
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Wir hatten viel Besuch in den letzten zwei Wochen. Letztens waren mein Vater, meine Schwester und mein Neffe da. Ich war Sohn, Bruder und Onkel in einer Person. Und natürlich Ehemann. Und Edeka-Kunde. Irre.
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Die Mohrenstrasse müsste man ja in Möhrenstrasse umbenennen. Das wäre eine charmante Geschichte, die man sich auch in 100 Jahren noch erzählen kann. Dass man mal eine Straße albern umbenannt hat weil man nicht abfällig über andere Menschen sein wollte.
(Ich gebe aber zu, dass George Floyd irgendwie gedenkt werden muss, aber diese neuerdings oft verwendeten „Vorname-Nachname-Straße“ kommen mir immer so hölzern daher. Floydstraße fände ich wiederum ganz okay, auch wenn meine Assozation hier eher bei Pink Floyd läge und weniger bei einem Opfer von rassistischer Gewalt.)
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Bartshampoo. Bartmanie. Bartshampoo braucht natürlich kein Mensch. Außer man will nicht mehr ohne. Ursprünglich war es nur ein Scherz, als mir K einmal Bartshampoo schenkte. Es ist natürlich wichtig, den Bart ordentlich zu waschen. Seit Hägar wissen wir, wie viele Geheimnisse Bärte mit sich herumtragen. Sabber im Schlaf, Bier, Kaffee, Saucen, Oralsex, Ausdünstungen die aus der Nase kommen. Ich muss zugeben es in meiner Prä-Bartshampoo-Ära nicht ganz so strikt genommen zu haben. Seit ich dieses nach Zedernholz riechende Bartshampoo geschenkt bekommen habe vergesse ich meinen Bart aber nicht mehr. Vor allem weil ich mich jedes mal freue, diesen Geruch genüsslich in meinen Bart zu massieren. Bartmanie ist eine Marke aus Bremen. Eigentlich vertraue ich meinen Bart nur Hipstermetropolen wie New York, Portland, Oslo oder Berlin an. Deshalb habe ich lange mit mir gerungen. Ich habe es mir jetzt so zurecht gebogen: wenn etwas von der See kommt ist es OK. Profi-Tipp: da wir uns neuerdings ständig die Hände waschen, kann man sich zur Abwechslung einfach mal tagsüber den Bart waschen. Die Hände waschen sich selbstständig mit.
Duschgel. Vulkanwasser. Das ist ein Duschgel und heißt mit vollem Namen „Vulkanwasser, Aktivkohle, Hanf, Oud, Tabak“. Es ist von Tetesept und kostet nur wenige Euro, also in der Preisklasse normaler Duschgels. Das Vulkanwasser unterscheidet sich aber sehr von allen anderen Duschgels die ich kenne. Zum Einen ist es tiefschwarz und lichtundurchlässig, insofern legt es bereits einen cineastischen Auftritt hin wenn man es in die Hand fließen lässt. Außerdem riecht es unfassbar gut nach weichem Samt und den Nebeln an Islands schwarzen Vulkanstränden. Während ich das so schreibe und danach google, lese ich soeben, dass das Produkt eingestellt wurde. Jetzt bin ich maßlos enttäuscht. Glücklicherweise habe ich noch eine Tube aus meiner letzten Massenbestellung. Es ist die Letzte. Bin jetzt schlecht gelaunt.
Pomade. Uppercut Deluxe. Für die alltägliche Frisur. Weil mir das Cover das Gefühl gibt den inneren Tiger in mir zu entfesseln. Außerdem ist die Pomade mit Wasser auswaschbar, anders als die fettbasierten Pomaden, die sich sogar nach mehrmaligem Waschen immer noch nicht ausgewascht anfühlen. Uppercut Deluxe riecht ganz leicht nach Kokos und Mandeln. Und hält die Frisur auch bei einer dreißigminütigen Fahrradfahrt schnittig wie eine französische Zwiebel. Sie härtet allerdings etwas aus und ist daher nicht so formbar und geschmeidig wie die originalen Pomaden.
Pomade. Sweet Georgia Brown. Für wenn die Nächte dunkel und lang sind. Sweet Georgia Brown wird seit 1934 in Chicago hergestellt. Und genau so fühlt sie sich an. Als führe man mit einem gepanzerten Cadillac durch Chicago, also weich und geschmeidig. Sie riecht nach Honig und süßen Orangen. Für längere Haare ist sie vielleicht nicht fest genug. Aber mit kürzeren Haaren entflammen sich die Zigarren dann ganz von alleine.
Pomade. Nordmann Donar. Für die Nächte unten am Hafen, wenn die Frisur eigentlich Schiffsdiesel braucht. Wenn ich morgens die Nordmann Donar ins Haar gebe und am Abend in die Bar gehe, kann ich mir mit der bloßen Hand den Scheitel auf die andere Seite legen und die Frisur bleibt weitere zwölf Stunden so bis zum Morgengrauen. Das ist der wesentliche Unterschied zu den Wachsen. Ein Wachs bleibt zwar auch weich und härtet nicht, Wachse bringen das Haar auch gut in Form. Aber die Frisur bleibt danach die Frisur die sie geworden ist. Und wenn sie im Laufe der Nacht zu hängen beginnt, dann ist das eben die Frisur die sie geworden ist. Eine gute, kräftige Pomade wie die Nordmann Donar, hält das Haar wo es sein soll und mitten am Tag kann man die ganze Frisur aber komplett auf 180 Grad drehen. Nur mit der Hand oder auch mit einem Kamm. Mich hat das sehr beeindruckt. Und weil ich eigentlich ja ein Seemann aus dem neunzehnten Jahrhundert bin und kein Tran von Walen mehr in mein Haar schmieren kann, bin ich bei der Marke Nordmann ganz gut aufgehoben.
Parföng. Russian Leather von Molton Brown. Ich habe ja lange nur Düfte von Korres verwendet, weil Korres eine ziemlich korrekte Marke ist, die kaum Syntetik verwendet. Nachdem aber mein Lieblingsparfum von Korres eingestellt wurde, habe ich mir ziemlich miesgelaunt einfach andere Gerüche angelächelt. Als ich meiner Nase das Fläschchen von dem Russian Leather vorführte, war mein erster Gedanke: Whisky. Der Gedanke herumzulaufen und bei Leuten die Assozation zu Whisky zu wecken, gefiel mir ungemein, außerdem wollte ich immer schon Mal riechen wie ein torfiger Whisky von der schottischen Westküste. Und so kaufte ich die Flasche. Anfangs war ich mir aber unsicher ob es schlau ist, mit einem kantigen Geruch daherzukommen, ich meine, wenn mich der Geruch eines Menschen abstößt, dann habe ich eine nachhaltige Abneigung gegen diese Person. Das betrifft zwar nur Körpergeruch, also der Geruch der Ausdünstungen oder wasweißich. Ob ich Menschen auch aufgrund eines gewählten Geruches nicht mag, weiß ich nicht. Andererseits: wer nicht gerne seine Nase in eine Whiskyflasche steckt, sollte vielleicht nicht mit mir befreundet sein. Mittlerweile habe ich aber festgestellt: das ist der beste Parfumgeruch den ich je gerochen habe. Und ich habe bisher fast alle Menschen zu Whiskyfreundinnen gemacht. Das Russian Leather gibt es in zwei ziemlich unterschiedlichen Varianten. Es gibt das Eau de Toilette, das viel rauchiger riecht und als Männerduft konzipiert ist. Das Eau de Parfum ist ein Unisex-Duft und hat weniger Kanten, ist allerdings filigraner und riecht komplexer. Das Eau De Toilette finde ich aber auch für Frauen wesentlich spannender. Viel geradliniger. Total toll.
Dass mein geliebtes Vulkanwasser abgeschafft wurde macht mich jetzt aber wirklich schlecht gelaunt.
[woran ich mich erinnern will. Mai und erste Junihälfte 2020]
Im Mai habe ich meinen neuen Job angefangen. Ich entschied mich gleich für den Gang ins Büro. Mir liegt Homeoffice nicht, ich bin im Homeoffice nicht besonders produktiv. Diese ständigen Ablenkungen, dieses Verschwimmen der privaten und professionellen Ebenen. Ich schalte die Webcam ein und sehe einen Wäscheberg hinter mir. Zudem brauche ich manchmal einen halben Tag bis ich mir eine Hose anziehe. Wenn ich ins Büro gehe, zieht sich die Hose ganz von alleine an.
95% der Belegschaft sitzt im Homeoffice. Ein leeres Büro erleichtert es mir natürlich Abstände einzuhalten. Andererseits ist niemand da zum Tischtennisspielen.
Es ist total merkwürdig in einer Firma zu beginnen und man kennt die meisten Teammitglieder nur als kleine Bewegtbilder auf dem Bildschirm. Alles ungreifbar. Ich merke wie wichtig mir Körperlichkeit ist um Menschen zu verstehen, kennenzulernen, einzuschätzen. Oder auch um mich mitzuteilen, etwas zu bewegen. Interessante Lehre.
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Es ist nicht viel erinnernswertes passiert in den letzten Wochen. Während ich das schreibe fällt mir spontan ein, dass ich seit 4 Wochen keinen Alkohol trinke und ich das Fehlen von Erinnernswertigkeit diesem Umstand zuschieben könnte. Aber das würfe kein gutes Licht auf mich und ist auch bestimmt nicht wahr.
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Die Geschehnisse um George Floyd in den USA deprimieren mich ungemein. Und dass die Lage bei uns zwar anders, aber nicht besser ist, dass es im Grunde nur andere Ethnien trifft, bei uns sind die Schwarzen die Araber, die Türken, die Syrer ja und auch hier ist der Rassismus institutionalisiert.
Die hysterische Kakophonie in den sozialen Medien nervt mich wiederum. Aber vermutlich ist es der richtige Weg eine gewichtige Stimme zu geben.
Ich finde nie die richtigen Worte mein Entsetzen darüber zu äußern. Ich schalte dann immer in Vorlebemodus. Antirassismus vorleben. Vorleben, vorleben, vorleben. Aber was wenn es niemand mitkriegt.
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Ich lese diese Texte immer etwas schlampig vor. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Es flutscht noch nicht so richtig. Ich bin ja Profinuschler und lese immer zu schnell, das fällt mir erst auf, wenn ich einen Text nachhöre, der etwas älter ist, weil ich da den Inhalt nicht mehr ganz präsent habe und ich mich dann selbst nicht mehr verstehe. Das ist so seltsam frustrierend wie die eigene Handschrift nicht entziffern zu können, wie einem fremden ICH ausgesetzt zu sein dem man nicht mehr folgen kann. Oder ich bin gedanklich schon beim nächsten Satz während ich den alten Satz noch zu Ende sprechen muss und ich merke, dass ich mit der Betonung ins Schlingern gerate.
Ich lese oft Menschen vor. Also meiner Frau und meinen Neffen wenn sie da sind oder auch wenn ich auf Kinderbesuch bin, bringe ich Kinder ins Bett und lese etwas vor, ich mache das wirklich gerne und ich gehe immer davon aus, dass mich die Menschen verstehen.
Aber ich will mich total verbessern, ich werde mir alle paar Zeilen Marker setzen die mich dran erinnern sollen, langsamer zu lesen.
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Die leere Wand in meinem Arbeitszimmer ist sehr weiß und ich suche schon länger nach einem passenden Wandbehang. Passend heißt für mich: eine riesige Karte der Arktis. Im Internet gibt es viele unterschiedlichen Karten, aber alle eher klein und alle eher spezifisch, da die Grafiken üblicherweise zu Artikeln gehören. Den meisten fehlt allerdings Detailreichtum und ich will vor allem Details. Breitengrade und Längengrade sowieso, aber auch Topographische Informationen, Routenbeschreibungen, wenn möglich sogar historische Marker wie Packeisgrenzen der letzten Jahrzehnte usw. Weil das alles sehr unbefriedigend war, schrieb ich das Arctic Institute in Washington an. Das ist eine Organisation von internationalen Wissenschaftlerinnen mit Sitz in Washington D.C. Ich schrieb, dass ich ein hochauflösendes Bild der Arktis suche, mit so vielen Details wie möglich, ich würde mir das gerne ausdrucken und übers Bett hängen.
Die Kontaktadresse dieses Instituts ist offenbar ein Verteiler für viele verschiedene Menschen. Daraufhin erhielt ich eine Menge netter Emails von unterschiedlichen Polarwissenschaftlerinnen die mich mit Links und riesigen Mengen an Kartenmaterial versorgten. Ich bekam Tipps darüber in welcher Große welche Karten am besten aussähen und wie schwer es sei, gute und bezahlbare Printshops zu finden die größer als DIN A0 drucken würden, schließlich sähen die meisten Karten erst ab einer Größe von 150cm richtig gut aus. Genau mein Ding.
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Heute ist Sommersonnenwende. Ich schalte das Licht im Zimmer nicht an. Bis ich nichts mehr sehen kann.
[zehn Alben]
Rémi Dubail reichte mir das Stöckchen, jeden Tag ein Albumcover zu posten, das maßgeblich meinen Musikgeschmack geformt hat. Vielen Dank dafür. Ich lese diese Beiträge immer sehr gerne, mir fehlen bei diesen Stöckchen aber immer die dazugehörigen Geschichten, Geschichten finde ich nämlich immer schön. Ich werde daher die acht Alben aufzählen (zehn sind es leider nicht), die praktisch meinen Musikgeschmack geformt haben. In chronologischer Reihenfoge:
1) Ich war sechs oder sieben Jahre alt. Ich komme aus einer ziemlich unmusikalischen Familie. Meine Eltern besaßen drei geschenkte Schallplatten von James Last, die sie aber nur einmal gehört hatten und sonst gab es bei uns eigentlich nur Musikkassetten mit alpenländischer Volksmusik.
Neben uns wohnte ein Arzt. Als wir einmal bei ihm zu Besuch waren, legte er Beethoven auf. Es war eine der Symphonien, ich weiß aber nicht mehr welche. Offenbar begab ich mich zu dem Plattenspieler und schien dort zu erstarren. Ich hatte so etwas noch nie gehört.
Ein paar Tage später schenkte er mir ein ganzes Boxset der neun Beethoven Symphonien dirigiert von Karajan. Eine dicke schwarze Schachtel Die ersten acht in mono, die Neunte in Stereo. Ich hörte die 3., 5. und die 6. Symphonie praktisch in Dauerschleife auf Kopfhörern in Mono. Aber das machte mir nicht viel aus.
Der Arzt war sich natürlich im Klaren darüber, dass er da in mir etwas entfacht hatte, so kaufte er mir Wochen später ein Best of von Verdis Opernchöre. Nabucco, La Traviata und so weiter und eine Platte mit Arien von Verdi und Puccini. In Stereo. Stereo fand ich auch OK.
2) Never Mind The Bollocks, here’s the Sex Pistols. Ich muss fünfzehn gewesen sein. Ich hatte vorher verzerrte Gitarrenmusik entdeckt, gelang über Pink Floyd bei AC/DC und schließlich beim Metal, wo Iron Maiden meine Favoriten waren. Mein bester Freund kaufte sich eine Platte von Megadeth, auf dieser Platte wiederum gab es einen Song der ganz anders klang als die anderen. Dieser Song hieß „Anarchy in the UK“ und war das energiegelandeste Stück Musik das ich je gehört hatte. Ein Jahr später bei unserem jährlichen Besuch in Bozen (wo es Plattenläden gab) sah ich diese Single liegen. Anarchy in the UK, von einer Band namens The Sex Pistols. Ich erfuhr, dass es sich hier um die Originalversion des Liedes handelte und Megadeth das nur gecovert hatten, was erklärte, warum sich dieses Stück immer so anders angefühlt hatte als der Rest. Ich durfte „Never Mind the Bollocks“ im Laden Probehören. Was danach geschah war vermutlich die gleiche Schockstarre, wie jene die mich als Kind bei Beethoven einfrieren ließ.
Was ich da hörte war so rotzig, so aufgeladen, so gutgelaunt destruktiv, so etwas hatte ich noch nie gehört. Das war 1990, Punk war schon lange tot, aber in Südtirol passierte immer alles mit zehn Jahren Verspätung. Ein Jahr später schmierte ich mir becherweise Bleichmittel in die Haare und wollte nur noch Lederjacken tragen. Ein Jahr später brach ich die Ausbildung ab. Dazwischen brauch ich mir auch den Oberarm. Aber das ist eine andere Geschichte.
3) KOLLAPS. Einstürzende Neubauten. Das war ein oder zwei Jahre nach den Sex Pistols. Ich hörte Punkrock rauf und runter, mir gefiel natürlich das meiste, aber alles fühlte sich nur wie eine Weiterentwicklung von „Never Mind The Bollocks“ an, was ich prinzipiell gut fand, weil ich es mochte was Punk mit der Musik gemacht hatte, was Punk mit der Haltung zu den Dingen gemacht hatte. Aber dann. Dann hörte ich zum erste Mal Kollaps. Ich wusste schon von den Einstürzende Neubauten. Ich hatte einmal „Haus der Lüge“ gehört und verstand die Energie, ich merkte aber auch, dass diese Band den ersten Teil ihrer Entwicklung schon hinter sich hatte. Und als ich dann „Kollaps“ hörte, dachte ich, wenn so eine Musik in die Welt gesetzt wurde, wie kann man nachher ÜBERHAUPT noch ernsthaft Musik schreiben oder hören. Kollaps war damals schon zehn Jahre alt, aber das war das destruktivste, nihilistischste, kälteste und schmerzhafteste was ich bisher gehört hatte.
Als müsste man in einer Rage alles kaputt machen weil man so einfach nicht weitermachen kann. Ein bisschen wie Punkrock, nur mit schlechterer Laune.
4) KOYAANISQUATSI. Philipp Glass. Meine erste Begegnung mit der Musik von Philipp Glass ging so: jemand sagte: lass uns zu mir nach Hause gehen, kiffen und KOYAANIQUATSI schauen. Mich interessierte es nicht, was das für ein Film war. Kiffen fand ich super und dabei einen Film zu schauen noch superer. Für diejenigen die diesen Film nicht kennen, in Wikipedia fand ich folgenden Satz aussagekräftig: „Außergewöhnlich ist die Abwesenheit von Dialogen und handelnden Personen, der Film besteht ausschließlich aus aneinandermontierten, assoziativen Zeitlupe- und Zeitraffer-Bildsequenzen von Städten und vielen Naturlandschaften in den Vereinigten Staaten und der von Philip Glass komponierten und exakt auf die Bilder zugeschnittenen Musik.“
Was sich nach schwerverdaulicher Kost anhört ist in Wahrheit ein durchgehend fesselnder audiovisueller Trip. Der auch ohnne Drogen funktioniert, wie in mehreren Selbstversuchen für euch getestet.
5) Nick Cave and The Bad Seeds. The Good Son. Zu den Bad Seeds kam ich erst verhältnismäßig spät, da war ich 18 oder 19. Jetzt kam dieser düstere Typ in mein Leben und sang von der Liebe. Fand ich krass.
Von The Ship Song kaufte ich mir später eine Maxi Single. Das Lied hörte ich eine Zeit lang mit 33RPM obwohl sie mit 45RPM aufgenommen wurde. Ein schönes Erlebnis.
6) CocoRosie. The Adventures of Ghosthorse and Stillborn. Danach geschah jahrelang wenig Neues. Ich hörte Nick Cave, Einstürzende Neubauten, ein bisschen Tom Waits und immer wieder Punkrock. Es war dann mit 31 oder 32, als ich über eine Internetsendung (heute nennt man das Podcast) CocoRosies Lilah hörte. Die Band machte mich fertig. Dieser Mix aus Spielzeugmaschinen, Femminismus, naiver Rap und der allgemeinen Schrägness. New weird America. Lustigerweise waren CocoRosie mein Türöffner für HipHop und Rap.
https://www.youtube.com/watch?v=OPCsD7NNcWA
7) Soap&Skin (Anja Plaschg). Lovetunes For A Vacuum. Ein paar Jahre später veröffentlichte eine siebzehnjährige Österreicherin ihr Debütalbum Lovetunes for a Vacuum. Ich kann mit jungen Mädchen üblicherweise wenig anfangen, aber ihr Portrait auf dem Cover ließ mich unbewusst an so etwas wie New Weird Austria denken, wenn es so etwas gegeben hätte. Der Spiegel konkludierte in seiner Albumskritik mit dem Satz: da öffnen sich die Pulsadern von ganz alleine. Ich sofort reingehört und war augenblicklich hin-ge-rissen. Seitdem habe ich kaum eines ihrer Konzerte in Berlin verpasst.
8) Lana del Rey. Born To Die. Auch wenn ich ihre späteren Alben deutlich besser finde, war Born To Die für mich die Befriedung mit dem groß orchestrierten Pop und ist Lana del Rey die spannendste Personalie in der Mainstream Musik. Von Musiksnobs in meinem privaten Umeld wird sie natürlich verachtet und ich verteidige sie immer mit glühender Faust, da sich an Lana del Rey auch zeigt, wie konservativ und schablonenhaft oft gedacht wird. Diese Bilder die sie aufwirft, wie sie mit verspritzten Lippen zwischen den Klischees wandelt, wüste Phantasiekulissen hochzieht, immer Pop, immer im rauschig, nie suggestiv, immer direkt. Sie ist in Wirklichkeit total subversiv (ich weiß das natürlich und niemand hat es bisher durchschaut). Ich habe alle ihre Albums gekauft.
[woran ich mich erinnern will. Zweite Aprilhälfte]
Notiz 14. April. Es hat gerade 0 Grad Celsius in Longyearbyen auf Spitsbergen. Das erste Mal, dass es da seit Ende Oktober keine Minusgrade hat. Das erste Mal keine Minusgrade. Würde ich in Longyearbyen leben, hätte ich das Bedürfnis dies der ganzen Welt zu sagen. Ich lebe in Berlin und habe das Bedürfnis es der ganzen Welt zu sagen.
Notiz 28. April. Vor einigen Tagen ist in Longyearbyen das letzte Mal die Sonne untergegangen. Die Nacht dauerte ungefähr eine Minute. Jetzt dreht sich die Sonne wieder im Kreis. Ein permanenter Sonnenuntergang. Gegen Mitternacht schicke ich sämtlichen Whatsappgruppen aktuelle Screenshots der Aufnahmen von der Webcam der Uni:
https://longyearbyen.roundshot.com/
Wenn die Häuser in der Mitternachtssonne leuchten. Sicherheitshalber schreibe ich dazu „Weil euch das ja so interessiert“.
Wenn ich nachts nicht schlafen kann, dann öffne ich die Webcam auf meinem Handy. Während ich meine Gedanken über den Adventfjord hinausschweben lasse, wird mein Kopf und meine Glieder schwer.
Wenn ich nächstes Jahr dort hinfliege werde ich endlos enttäuscht sein. Aber bis dahin habe ich viele Augen zum Rollen gebracht und habe oft gut einschlafen können.
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Und sonst passieren nach wie vor kaum Dinge an die ich mich erinnern will.
Am vierten Mai beginne ich eine neue Arbeit auf die ich mich bereits sehr freue. Dafür habe ich mich für den ganzen April in eine Art inneren Sabattical eingemottet um diese lange Superheldengeschichte aufzuschreiben die seit einigen Monaten in mir gärt.
Das Problem mit dem Text ist, dass ich mich nicht entscheiden kann ob die Hauptfigur ein Mann oder eine Frau sein soll. Ich würde lieber eine Frau einsetzen, da ich Männerfiguren ziemlich ausgelutscht finde und sich mittlerweile total auserzählt fühlen. Es fällt mir schon schwer genug Serien oder Filme zu schauen in denen Männer die Hauptrolle spielen, jetzt auch noch einen männlichen Superhelden in die Welt zu schicken will nicht so recht meine Motivation anfachen. Dennoch passt eine Frau nicht so gut in die angedachte Geschichte. Lustigerweise ändert sich der Plot durch dadurch, aber – es will nicht so recht brennen.
Dafür bin ich auf einen anderen Text ausgewichen und habe einen ganz alten Text aus dem Blog neu aufgelegt. Ich wusste damals schon, dass die etwas schlampig dahingerotzte Hausbesetzergeschichte viel mehr Potential hat und ich hatte schon vor zwei oder drei Jahren damit begonnen sie neu zu schreiben und ihr mehr Raum zu geben.
In meiner Sabatical Mottenkugel ist der Text nun zu einer neunzigseitigen Novelle angewachsen. Das hat sehr viel Spaß gemacht. Jetzt gilt es noch die Rohfassung abzuschließen, Meinungen von Dritten einzuholen, Korrekturlesen und Lektorat, vermutlich noch ein paar Überarbeitungen und dann digital publizieren.
Das Problem mit dem Text: er ist nicht sehr literarisch, es fehlt ihm eine gewisse Welthaltigkeit. Aber es ist einfach eine sehr gute Geschichte. Meine anfängliche Überlegung war daher sie als Ebook zu veröffentlichen. Ohne viel Aufhebens, nicht mit dem Anspruch den ich hätte, wenn ich jetzt einen tollen, inspirierenden Roman geschrieben hätte. Aber es ist doch eine gute Geschichte, die einfach rausgehauen werden muss.
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Und ich habe mir ein neues Mikrophon gekauft. Das NT-USB Mini von RØDE. Ich schiele schon länger auf RØDE Mikrophone, zum einen weil das so ein cooler Name ist mit diesem dänischen Strich durch das O und die Mikros wirklich gut aussehen und zum anderen bekommen sie total gute Bewertungen und haben neben dem Profibereich auch eine breite Palette an Produkten für Leute die was im Internet machen, also Podcasts, Interviews und solche Sachen. Ich bin Zielgruppe.
[nachtigall (Audio)]
Da auch in 2020 wieder eine Nachtigall im Innenhof lebt, habe ich den Text von letztem Jahr eingesprochen. Es ist wieder eine andere. Sie singt eine andere Kadenz am Ende ihrer Strophen.
[woran ich mich erinnern will. Erste Aprilhälfte]
Es gibt dann erstaunlich wenige Dinge an die ich mich erinnern will, wenn ich den ganzen Tag zuhause sitze. Was frustrierter klingt als es gemeint ist. Es gibt weniger Highlights zuhause und wenn ich zuhause bin, gebe ich mich vollends meiner Nerdigkeit hin und das ist ja eher der Standardzustand als ein Highlight.
Aber wir haben viel Filmkultur nachgeholt. Während des Kochens hörten wir die Musikclips auf dem Jungelbuch, also das „Bear necessities“ und das „Trust me“ und das Lied von King Louie sowie der Marsch der Elefanten. Bear necessities blieb uns tagelang als Ohrwurm hängen, einige Tage später schauten wir deswegen Jungle Book, alle verschiedenen verfilmten Versionen, die die näher am Roman sind und die die näher am Trickfilm sind. Aber nirgendwo tanzt Balou so schön mit seinem dicken Hintern als im Zeichentrickfilm.
Und weil wir gerade dabei waren, schauten wir auch noch verschiedene Versionen von Tarzan. Nein, nicht die mit Weissmüller, weil ich ein bisschen Angst hatte, dass ich den knödligen Jungelruf zu albern finde, aber dafür die späteren Versionen, sogar die Version in der Tarzan faktisch schon in der Gegenwart lebt und wieder zurück in den Jungel muss.
Während des Kochens (wir kochen gerade jeden Tag und ausgiebig) lasen wir uns die Hintergründe zu Tarzan aus Wikipedia vor, das ist immerhin eine komplexe Geschichte mit seiner aristokratischen Herkunft und den Ansprüchen auf ein nicht-gewolltes Leben und den verschiedenen Interpretationen über das Zusammenleben bzw. dem Kennenlernen von Jane etc. mich hat das schon sehr begeistert, also die Filme fand ich weniger spannend, aber was aus dieser Kulturfigur Tarzan gemacht wurde, wie die unterschiedlichen Epochen der modernen Filmgeschichte ihren eigenen Tarzan schufen. Das klingt so als sollte man das unbedingt einmal kulturwissenschaftlich aufarbeiten; nein ich habe das noch nicht gegoogelt.
Tarzan, boah.
Außerdem: nachdem wir (ungewollt) fast nur noch Filme und Serien schauen die in Schnee und Eis stattfinden, ist der afrikanische Jungel eine spannende Auszeit.
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Herthainsel. Am 64. Breitengrad (Süd) auf der sogenannten antarktischen Halbinsel gibt es mehrere vergletscherte Inselketten. Eine dieser Ketten heißt Robbeninseln. Das Pack- geht dort in das Meereis über insofern war es immer schwierig Inseln von gewöhnlichen Erhebungen zu unterscheiden. Eine solche Erhebung wurde in 1893 als eigenständige Insel identifiziert. Diese wurde kartografiert und mit einem Namen versehen. Herthainsel. Ich als Herthafan kann mich für diesen Namen natürlich sehr begeistern. Zumal es diese seltsame Parallele mit meinem Fußballclub gibt, beide Herthas sind nämlich nach einem Schiff benannt. Die Insel nach einem der Expeditionsschiffe mit dem man sie entdeckt hat und mein Fußballclub nach einem Haveldampfer. Überhaupt: es gab zwischen 1864 und 1905 insgesamt 6 Schiffe die Hertha getauft wurden und einen Wikipediaeintrag haben. Dinge ohne Wikipediaeintrag sind ja das neue Dunkelziffer. Wie hoch die Dunkelziffer an Herthaschiffen also sein mag, kann man nur spekulieren.
Und dass diese Insel den Namen meinen Clubs trägt aber auch noch in der antarktischen Eiswüste liegt weckt in mir, den Fan von Eiswüsten, fast schon religiöse Gefühle.
Das Problem mit der Herthainsel ist nur: es gibt sie nicht auf Googlemaps. Man kann sich natürlich zu ihr hinscrollen, aber sie heißt eben nicht, sie hat da keinen Namen. Man findet sie allerdings bei Bing Maps und auf Openstreetmaps. Aber eben nicht auf Google. Mich ärgert das, also probiere ich die Funktion aus einen fehlenden Ort hinzuzufügen. Man kann Google nämlich immer Vorschläge machen um das Kartenmaterial zu verbessern. Diese Vorschläge werden dann geprüft und nach Kontrolle den Karten hinzugefügt.
Also mache ich das, die Herthainsel ist schließlich auf mehreren wissenschaftlichen Portalen verbrieft. Google will nur den Namen, den Ort und eine Kategorie kennen. Namen (Herthainsel) und Ort (Antarctica) sind einfach, aber bei Kategorie gibt es nur ein Pulldownmenü. Das Menü ist zwar sehr, sehr lang und reagiert auf Sucheingaben, aber es gelingt mir nicht eine passende Kategorie zu finden die für Googlemitarbeiterinnen einigermaßen glaubwürdig klingen würde. Ich suchte natürlich zuerst nach nach „Island“ oder „Landscape“ oder „Archipelago“ aber solche generischen geographischen Kategorien gibt es dort nicht und ich kann auch keine Hinzufügen. Zur Auswahl stehen mir Kategorien wie „Fitnessstudio“, „Arzt“ oder „Tankstelle“. Auch „Eis“ ist kein hilfreicher Versuch, da gibt es lediglich „Eisdiele“ oder „Eisenbahngesellschaft“. Es gibt auch komplexere Kategorien wie „Makrobiotisches Restaurant“ oder „Aerobics Instructor“.
Kann ich natürlich machen. Aber wenn Googlemitarbeiterinnen auf die Herthainsel einzoomen sehen sie natürlich wenig Kundschaft für einen Aerobics Instructor mitten im ewigen Eis.
Meine Streetcredibility bei Google würde sinken und wenn Google einmal die UN übernommen haben, da will ich lieber im anonymen Untergrund gegen Google kämpfen und nicht gleich als der Betrüger entlarvt werden, der sich den Namen einer vereisten Insel im antarktischen Ozean erschleichen wollte.
Jetzt weiß ich halt auch nicht.
[woran ich mich erinnern will. März]
Am Anfang des Monats spielte Covid-19 noch keine große Rolle in meinem berliner Alltag. Man wusste zwar, dass sich in den nächsten Wochen etwas ändern würde, aber was das genau sein wird, war mir noch weithin unklar bzw. es gibt da dieses Virus am Horizont, man sieht es schön wüten, aber noch ist es nicht da, die Haltung war: das wird schon vorbeigehen. Egal wie sich meine Familie in Südtirol bereits aus dem öffentlichen Leben zurückziehen musste, es gab nur den etwas egaligen Optimismus (zB bei mir) und die entstehende Panik. Dazwischen gab es noch nicht viel. Die Grautöne kamen erst später.
Ich beginne wieder mit der Reihe „Woran ich mich erinnern will“. Vermutlich wöchentlich. Vielleicht öfter.
Woran ich mich also im März erinnern will.
An den Abend nach dem Ligaspiel gegen Bremen. Es war ein frustrierendes Spiel wie schon die ganze Saison frustrierend war. Am Ende rettet meine Mannschaft immerhin noch ein 2:2. Danach bin ich seltsam teilnahmslos, ich kann den Sieg nicht einschätzen ich kann die ganze Saison nicht einschätzen. Ich habe während des Spiels schon zu viel getrunken und gehe danach mit einer kleinen, netten Gruppe aus meinem Fanclub nach Charlottenburg in eine Kneipe. Die meisten Gäste schauen das Spiel Gladbach gegen Dortmund. Es wird der vorläufig letzte Bundesligaspieltag sein. Aber das wussten wir zu dem Zeitpunkt noch nicht. Der Gedanke an Corona haftet schon an jeder Türklinke und an jedem Bierglas aber wenn ich beim Öffnen einer Tür versehentlich die Hand benutze ist es dann doch wieder egal. Dennoch ist es ein sehr kurzweiliger Abend. Erinnern möchte ich mich vor allem an das Gespräch mit diesem Mann in meinem Alter. Wir verwickeln einander überraschend schnell in ein tieferes Gespräch und reden über die Erwartung an so etwas wie Erfüllung im Leben. Er ezählt mir von seinem Werdegang. Dass er studiert habe, dass er jahrelang selbstausbeuterisch in irgendwelchen unbefriedigenden Jobs gearbeitet habe. Dann kam die lange Depression. Danach habe er sich zum Friseur ausbilden lassen. Jetzt ist er Friseur und zieht daraus sehr viel Glück. Er weiß natürlich wie das bei seinem Gegenüber ankommt. Der gut aussehende, studierte, smarte junge Mann, der Friseur geworden ist. Ich denke zu verstehen, was er damit sagen will. Er erzählt von der schönen Einfachheit den Leuten die Haare zu schneiden, zu plaudern, Ansprechpartner zu sein. Die Ansprüche an das was so allgemein an ein erfülltes und erfolgreiches Leben gesehen wird, seien total toxisch für ihn gewesen. Mit welcher inneren Balance er das ausdrückte. Es fiel mir schwer vorzustellen wie er jahrelang Depressionen auf seinen Schultern trug. Aber gut, dass man den Leuten die Depressionen nicht anmerkt, ist wiederum nichts außergewöhnliches.
An einem der darauffolgenden Tagen fahre ich das erste Mal zu einem Herthatraining. Ich bin spät dran, verpasse also alles, dafür laufe ich noch ein bisschen auf dem verlassenen Olympiagelände herum.
Woran ich mich aber erinnern will: weil ich schon mal mit dem Auto in der Gegend bin, beschließe ich nach Pichelsdorf zu fahren. Ich habe diese eigenartig versteckte Gegend vor einigen Monaten auf Google Maps gesehen, seitdem beschäftigt es mich zu wissen was das ist. Auf Maps ist es ein Stadtteil südlich der Heerstraße, mit einem sehr bewegten Havelufer, es gibt an mehreren Stellen eine dörfliche Struktur, aber auch viel Wald da es an den Berliner Forst grenzt, außerdem gibt es dort Jachtclubs, Bootsanleger und Restaurants. Aus der Luft wirkt es beinahe wie ein Kurort.
Vom Olympiastadion aus sind es gerade einmal fünf Minuten Autofahrt. Ich fahre also hin, parke irgendwo im Ortskern unweit des Wassers und laufe zum Ufer hinunter. Da spaziere ich ein wenig am Wasser entlang. Dann muss ich aufs Klo. Ich sehe von Weitem so etwas wie ein Café. Ich erkenne es daran, dass davor ein überdimensioniertes Eis aus Plastik steht. Als ich dem Gebäude näher komme, fällt es mir schwer einen Eingang zu finden. Ich schaue in ein leeres Geschäft, dunkle dabei die Scheibe so ab, damit ich besser hineinschauen kann. Auf einmal steht eine Frau von mir. Sie öffnet mir die Tür und fragt freundlich ob sie mir helfen könne. Ich frage ob es hier Kaffee gibt. Sie sagt, aber ja, also setze ich mich hinein. Das Café ist neben Eisdiele auch ein Laden für Sportmode, ein Kosmetikstudio und von hinten kommt manchmal eine ältere Frau nach vorne. Wie ich später feststellen werde, finden dort irgendwelche Therapien statt. Es ist mir unklar was die Frau genau therapiert, aufgrund der Gespräche reime ich mir etwas orthopädisches zusammen, ganz sicher bin ich mir aber nicht.
Während des Kaffees bekomme ich Hunger und ich frage die Wirtin nach Essen. Sie sagt sie habe Flammkuchen. Das ist genau das was ich brauche. Ich bestelle eine Cola dazu.
Es kommen immer mehr ältere Frauen in den Laden. Einige scheinen einen Termin bei der Orthopädin im Hinterzimmer zu haben. Jede Frau setzt sich an einen eigenen Tisch aber dennoch reden sie ständig mit den Tischnachbarinnen. Es sind mittlerweile fünf. Davon sind besonders zwei sehr redselig. Sie sitzen an den Tischen gegenüber mir. Eine erzählt vom Rammsteinkonzert im Olympiastadion, das seien ja wilde Rocker, das sei so laut gewesen, dass man sich in ihrer Wohnung nicht mehr normal unterhalten habe können. Aber das ist nur so wenn der Wind ungünstig steht. Die Frauen scheinen mit mir zu reden. Also sie reden zwar untereinander, aber sie sind alle mir zugewandt und schauen mich während des Redens ständig an, als würden sie mich unterhalten wollen. Ich sitze da mit meiner Cola und den Flammkuchen und fühle mich in der Tat unterhalten.
Die eine beschwerte sich, dass sie von so etwas ja immer einen hohen Blutdruck bekäme. Neulich war sie bei einem Zwölftonmusikkonzert, da musste sie nach 5 Minuten wieder raus, das habe ihren Blutdruck dermaßen in die Höhen getrieben, dass sie fürchtete ihr Kopf würde platzen.
Soso, sagt eine andere, ernsthaft besorgt und mit analytischen Miene, Klänge gehen dir also an dein Nervenkostüm. Sie sagte Nervenkostüm ohne mit der Wimper zu zucken.
Aber nur bei Zwölftonmusik. Andere Musik sei völlig in Ordnung.
Die andere hatte einen Hund bei sich den sie immer Angsthund nannte. Es war ein sehr ruhiges und ihr zugewandtes Tier.
Ihr Angsthund hat immer Angst vor allem. Auch beim Rammsteinkonzert. Und Silvester sowieso. Die andere erwähnte daraufhin ihren Blutdruck zu Silvester. Wie der da immer hochging.
Die Wirtin merkte an, dass hier schon seit zwei Jahren keiner mehr Cola bestellt habe. Sie gönne sich jetzt auch mal einen Schluck. Ich sage, manchmal ist eine Cola einfach eine gute Sache. Alle nicken. Eine sagt: och, mach mir doch auch eine Cola. Noch jemand bestellt ein Glas. Wir sind uns einig, dass Cola manchmal einfach eine gute Sache ist.
Ich liebe diese Frauen. Ich könnte noch stundenlang hier sitzen.
Am Ende bezahle ich 8 Euro für einen Latte Macchiato, eine große Cola und einen Flammkuchen. In Kreuzberg hätte ich dafür das Doppelte bezahlt.
Fast die gesamte letzte Woche habe ich mit der Produktion dieses Videos verbracht:
In der WhatsApp-Gruppe meines Fanclubs #AxelKruseJugend kam jemand mit der Idee, man müsste aufgrund der Coronazeiten eigentlich die Stadionhymne von „Nur nach Hause“ in „Nur nach Draussen“ umdichten.
Das war eine tolle Idee, wir fingen sofort an uns zu organisieren, Text umdichten, Karaokeversion mit Text versehen und aufnehmen.
Ich saß dann etwa zwei Tage lang in einer etwas unwirklichen euphorischen Blase. Ich schnipselte Clip an Clip, schob herum, schnitt Audio raus und rein. Ich aß wenig, vergaß zu trinken, konnte nicht einschlafen, verfiel dann in einen mehrstündigen Halbschlaf und war ziemlich abwesend in allen anderen Lagen.
Schon am ersten Tag twitterte Lorenz Marold vom Tagesspiegel, man sollte jetzt eigentlich die Hertha-Hymne in „Nur nach Draussen“ umdichten. Wir so: schnell schnell, wir müssen schnell sein.
Mit etwas Glück würde das Video Freitagmittag live gehen können, aber ich hatte Probleme mit dem Schnitt, ich bin ein Amateur, es verschob sich, auf frühestens Freitagabend sehr spät.
Freitagabend dann: Frank Zander veröffentlicht seine Version von „Nur nach Draussen“.
Ich sage es jetzt mal ganz unumwunden. Das hat mich schon sehr runtergezogen. So eine tolle Idee, so einen Aufwand betrieben und dann sind wir nur noch ein Video mit dem sich die Fans Frank Zanders Botschaft anschließen. Aber gut, es ist sein Lied, er ist das Gesicht der Stadionhymne, ich brauchte nur ein paar Stunden, dann war wieder alles gut.
Das Video kam dann sogar ins Fernsehen. Das hat uns schon sehr gefreut.
An jenem Morgen in dem das Video dann über die sozialen Medien raus ging, legte ich mich ins Bett und schlief sofort ein.
Ich habe auch mein erstes Brot gebacken. K macht sich lustig über mich. Ich sei jetzt keine Brotjungfrau mehr.
Das muss ein kollektiver Gedanke sein. Draußen gehen die Vorräte zur Neige also machen wir alle Brot. Angesichts des aktuellen Hefemangels und der vielen Fotos von selbstgebackenem Brot in den sozialen Medien war ich offenbar nicht der Einzige mit dieser Idee. Ich schäme mich ein bisschen. Aber dafür habe ich kein Klopapier gekauft.
Das Rezept ist jedenfalls supereinfach und geht so:
500g Dinkelvollkornmehl
120 Nüsse und Haferflocken
Mit 500ml hefisiertem Wasser in einen Teig verrühren
Sofort in einen kalten Ofen stellen
Ofen anschalten und 1 Stunde warten
Beste Brot.
[was ging]
Vorgestern rief mich meine Ex-Ex-Freundin per Videocall über Skype an. Als das Telefon klingelte hatte ich meine Lesebrille auf. Man mag es mir nachsehen, aber es ist mir wichtig, bei meinen Ex-Freundinnen gut auszusehen. Zumindest den Eindruck zu erwecken ich sähe gut aus, oder mindestens jugendlich, oder gut gereift und natürlich brauche ich noch keine Lesebrille, ich habe ja gute Gene, Exfreundinnen können ruhig das Gefühl haben es sei ihnen etwas entgangen.
Die Ex-Ex-Freundin wohnt wieder in den Niederlanden, ich habe sie vor drei Jahren das letzte Mal gesehen, ab und zu schickt sie mir Fotos von ihren Kindern und vorgestern waren wir zum Skypen verabredet.
Bevor ich das Gespräch annahm, richtete ich mir die Frisur und setzte die Lesebrille ab. Dann klickte ich auf den grünen Knopf und sah meine Exfreundin. Sie sah immer noch gleich gut aus, etwas unscharf vielleicht, also kniff ich die Augen zusammen und hielt mein Telefon weiter von mir weg. Sie grüßte mich zurück. Dabei kniff sie die Augen zusammen und entfernte ihr Gesicht vom Display. Wie wir da so saßen und mit seltsam angestrengten Augen und das Telefon auf einer Armlänge entfernt, richteten wir gleichzeitig die Zeigefinger auf den jeweils anderen und lösten uns in Gelächter auf. Dann zogen wir beide die Lesebrille (natürlich griffbereit) hervor und setzten sie auf.
Fistbump.
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Heute hustete ich in der u8. Ich aß zwar gerade nichts, aber beim ganz normalen Schluckvorgang setzte sich etwas in meiner Kehle quer und ich bekam einen Hustenanfall. In der Ubahn sitzen alle Menschen ja schon mit ihren ausgefahrenen Corona-Antennen, dann beginnt ein unrasierter Mann auch noch zu husten.
Alle so: Blicke auf mich gerichtet.
Ich kenne diesen Blick aus den Filmen. Dieser Mix aus Besorgtheit, Panik und bei einigen mischt sich aufquellender Hass dazu.
Ich bekam den Hustenanfall nur schwer in den Griff, ich versuchte ihn zu unterdrücken, dadurch rannen mir die Tränen in meine erröteten Augen, wenn ich dann hustete, hustete ich nur vorsichtig, viel zu wenig um den quersitzenden Reiz in der Kehle auszuhusten, also irritierte es weiter und meine Augen wurden feuchter und roter. Ich sah mich zu einer Erklärung genötigt, und sagte mit einem gequälten Lächeln, sorry, nur verschluckt, nix schlimmes. Dem besorgten Blick der Umstehenden mischte sich ein gequältes Lächeln.
Moritzplatz stieg ich dann aus und ließ es mal so richtig krachen.
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Letztes Wochenende haben wir The Terminator geschaut. Den ersten Teil. Das ist einer der Filme der immer noch auf so vielen Ebenen funktioniert. Das Tempo, die Dialoge, die ikonenhaftigkeit der Szenen, diese ständig begleitende Vierviertel-Beat, mal als Basslinie, mal metallischer. Auch die Story. Und diese nie einkehrende Ruhe, ich habe jetzt erst begriffen, wie das geschnitten ist, zB wenn Sarah Connor und Kyle Sex haben herrscht diese immense Friedlichkeit in der Szene selbst, als Betrachterin weiß man aber schon, dass der Terminator wieder die Fährte aufgenommen hat und auf dem Weg in dieses Motel ist, diese ständige Parallelität der Antagonismen.
Jetzt 34 Jahre später wirkt eigentlich nur die Figur der Sarah Connor etwas blass, da ich den Film ansonsten in weiten Teilen liebe, habe ich beschlossen darüber hinwegzusehen, dass Frauen in den achtzigern in Actionfilmen schlichtweg immer blass waren und dass Sarah Connor in den späteren Teilen erst richtig gut wurde. OK.
Ich muss an dieser Stelle erwähnen, dass ich den Film etwa 50 oder 60 Mal gesehen habe. Das letzte Mal ist aber sicherlich 15 Jahre her.
Das erste Mal war ich 11 Jahre alt. Zu jener Zeit war ich auf einem katholischen Internat und es gab aufgrund der Hausregeln keine Möglichkeit den Film zu sehen. In meinem Heimatdorf gab es ein kleines Kino für Touristen, die zeigten während der Skisaison immer die aktuellsten Actionfilme aus den USA. Dort hätte ich den Film schauen können, es gab damals zwar auch Altersbeschränkungen für Filme aber so lange es nur Gewalt war und keine Geschlechtsorgane gezeigt wurden, kümmerte es niemanden. Ich saß also in meinem katholischen Internat in der Stadt und alle meine Freunde im Heimatdorf hatten Terminator gesehen, nur ich nicht.
Dabei war ich der einzige, der u-n-b-e-d-i-n-g-t den Film sehen wollte, ich war derjenige der vorher bereits alles über den Film gelesen hatte und alles über den Film wusste, ich hatte damals schon Obsessionen.
Ich ließ mir dann von unterschiedlichen Leuten die Szenen erzählen und bekam so ein ziemlich breitgefächertes Bild für meine Immagination. Ich wusste schon vorab Szene für Szene, was passieren würde. Als ich den Film dann einige Monate später auf einer VHS zu sehen bekam war meine Erwartung zu einem riesigen Ungeheuer herangewachsen. Der Film übertraf tatsächlich noch einmal meine Erwartungen. Das will etwas bedeuten.
Ich schaute den Film gleich ein zweites Mal.
Letztes Wochenende schauten wir nach dem ersten Teil gleich Terminator 2. Dem zweiten Teil konnte ich nie etwas angewinnen. Ich kann mich erinnern, dass DER SPIEGEL in ihrer von der Redaktion kuratiertern Filmsammlung Terminator 2 aufgenommen hatten. Das war mir unverständlich. Ich konnte es mir nur so erklären, dass jedes Redaktionsmitglied sich für einen Film entscheiden durfte und schlichtweg eine Person mit schlechtem Geschmack dabei war die diesen Film ausgewählt hatte.
In späteren Jahren habe ich oft Lob über den zweiten Teil gehört. Die Spezialeffekte mit diesem flüssigen Terminator. Jaja, die Spezialeffekte. Spezialeffekte haben mich nie interessiert.
SO. Was wollte ich sagen? Achja. Wir haben Terminator 1 und 2 geschaut.