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An unseren ersten Dates sahen wir immer ein bisschen aus, als würden wir Begräbnisse schwänzen. Letztes Wochenende haben wir dann geheiratet. Four faked funerals, aber ein ordentliches wedding.

Wegen der vielen Jahre, die wir nun schon zusammen sind, auch weil wir jetzt alt genug für solche Sachen wie Hochzeiten sind, vielleicht auch, weil es wichtig ist, so etwas wie die Liebe zu unterstreichen, zu zelebrieren, besiegeln, initiieren. Zusammen mit den uns liebgewordenen Menschen die bösen Geister ausräuchern.



[v]

Am letzten Sonntag war das Wetter so schön und ich ein bisschen planlos, weshalb ich im Netz die Spielpläne der unteren Ligen durchsuchte. So sah ich, dass Viktoria89 um 14 Uhr ein Heimspiel gegen Pommern Greifwald austrug. Dazu muss man wissen, dass Viktoria89 vor hundert Jahren einer der deutschen Topclubs war. Zwei mal gewannen sie die deutsche Meisterschaft (1908 und 1911) und in den fünfzigern spielten sie noch gegen Real Madrid. Bis der Club in finanzielle Schwierigkeiten und in die dunklen Kellergeschosse der unteren Ligen abstieg. Und dort fünfzig Jahre lang blieb. Seit zwei Jahren kickt der Verein immerhin wieder in der Oberliga Nordost (5. Liga) und führt dort die Tabelle an, und wenn alles weiter so läuft wie bisher, dann steigen sie im Juni vielleicht in die Regionalliga auf. Die Regionalliga ist so etwas wie die Grenze zum Profifußball. Ab Regionalliga aufwärts gilt der Fußballsport offiziell nicht mehr als Amateursport.

Ich setzte mich also ins Friedrich-Ebert-Stadion in Tempelhof zwischen alten Männern, Familien und vereinzelten jungen Paaren und sah eine ziemlich ansehnliche Fußballpartie. Dazwischen kam eine junge Frau, die Apfelschorle und Bier verkaufte, hinter mir unterhielten sich zwei Männer (vermutlich Oberliga Spezialisten) während des gesamten Spiels über die Fußballspieler auf dem Platz, sozusagen live-Kommentatoren mit dem nötigen Insiderwissen und einer unheimlich unterhaltsamen Subjektivität.

Am Ende gewann Viktoria 2:1 und sicherte sich die Tabellenführung. Nächsten Samstag geht es gegen den Malchower SV.

Beim Gedanken an deutscher Meister, Real Madrid und Olympiastadion ist so eine Spielkulisse natürlich super:

[es blüht, es blüht]

Als ich heute bei 11 Grad nachhause kam, zog ich die Winterjacke aus, holte die Frühlingsjacke aus dem Schrank, zog sie an und ging hinunter auf die Straße. Dort rief ich K an. Ich fragte sie, ob sie noch im Büro säße, oder ob sie schon auf dem Weg sei, ich möchte sie nämlich in meinem frühlingshaften Outfit auf der Straße in Empfang nehmen, es sei mir ein Bedürfnis. Sie sagte, sie sei noch nicht losgegangen, das würde also noch eine halbe Stunde dauern. Ich sagte, das sei bedauernswert, ich könne jetzt nicht einfach eine halbe Stunde auf der Straße herumstehen. Das fand sie auch bedauernswert. Also ging ich wieder in die Wohnung hoch. Hätte ich natürlich besser planen können.

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Ich habe letzte Woche mit dem Joggen begonnen. Zum ersten mal in meinem Leben. Das erste mal bin ich losgerannt bis ich nicht mehr atmen konnte (0,8km). Vor dem zweiten mal habe ich mich im Internet aufgeschlaut. Einfach losrennen ist offenbar total doof. Jetzt habe ich einen Plan. Zwei Minuten laufen, zwei Minuten gehen. Etcetera. 16 Minuten am Stück. Danach spüre ich meine Beine nicht mehr. Der Laufanteil wird wöchentlich erhöht.
In zehn Wochen laufe ich 30 Minuten am Stück und atme dabei durch die Nase.

Immerhin habe ich mir Turnschuhe und einen Trainingsanug (Nike. Oder war es Adidas?) angeschafft. Sieht gut aus. Doof sind nur die Leute, die mir beim Joggen zusehen. Das war ehrlich gesagt der Grund, warum ich nie joggen wollte. Doofe Leute, die doof schauen. Okay, ich war auch jahrzehnte lang zu faul dafür. Aber doofschauende Leute sind die Pest.

[zehn Jahre]

Ende März fing ich mit dem Bloggen an. Das war vor genau 10 Jahren, in 2003. Ich wohnte damals in Madrid und begann auf meinem Webspace mit einer simplen Seite namens tagebuch.shtml. Ich setzte das Datum oben dran und schrieb darunter, was an jenem Tag passiert war. Es war nichts besonderes geschehen, aber ich wollte es aufschreiben. Ich kannte damals antville und blogger nicht, und damit will ich jetzt nicht sagen, dass ich avantgardistisch unterwegs gewesen sei und an meinem eigenen finnischen Klub gezimmert hätte, damit will ich nur sagen, dass das Bloggen nicht erfunden zu werden brauchte, sondern es nichts weiter ist, als Dinge irgendwo hinzuschreiben. Leute, die eitel, extrovertiert oder verliebt sind, machen sowas, die schreiben ihre Sachen immer irgendwo hin. Als das Internet zu uns kam, schrieben wir es eben ins Internet. Ich fand die Bedeutungsschwere, die dem Bloggen eine zeitlang anhaftete, oft ein bisschen affig. Später verlief sich das glücklicherweise, es kamen ein paar Blogs, die als wichtig und gut und relevant angesehen wurden. Und der Rest tat weiter so, wie sie es gewohnt waren. Dadurch schlief es aber auch wieder ein wenig ein. Die Euphorie war raus. Oder die Leute waren weniger verliebt, ich weiß es nicht.

In diesen zehn Jahren ist natürlich unheimlich viel passiert. Ich bin jetzt 38 Jahre alt. Damals war ich 28. (Ahem). Ich zog nach Deutschland, Hamburg, dann nach Berlin. In Hamburg lernte ich über Blogs viele Menschen kennen, die mir wichtig wurden. Dann wurde ich zu Lesungen eingeladen, weil gewisse Leute gut fanden, was ich hier so schrieb. Als ich nach Berlin kam, landete ich in einen voll funktionierenden Freundeskreis, der sich gänzlich aus Blog-Bekanntschaften zusammensetzte. Menschen, die ich vorher drei oder vier mal gesehen hatte, kannte ich über das Internet bereits so gut, dass sie nach meinem Umzug sofort zu vollwertigen Freundschaften wurden. Das fand ich gut. Witzig auch. Andererseits ebbt diese Entwicklung aber auch wieder ab. Neuerdings lerne ich hauptsächlich Leute kennen, die mit Blogs überhaupt nichts anzufangen wissen. Vielleicht, weil die Euphorie der Blogs vorbei, schließlich verwenden sie Facebook und vermutlich sind sie nicht extrovertiert/eitel/verliebt genug. Vielleicht ist das der Erfolg von Facebook. Facebook ist vielleicht für Blogger, die nicht extrovertiert/eitel/verliebt genug sind.
Und dann meine Freundin. K habe ich in einem Restaurant kennengelernt. Na sowas. K konnte mit Blogs nichts anfangen und Facebook misstraut sie sowieso. K sagt aber ständig twitterwürdige Sätze. Da sie nicht twittern mag, habe ich einmal darüber nachgedacht in ihrem Namen ein Twitteraccount zu öffnen um ihre mündlichen Tweets ins Netz zu bringen. Damit ich beliebt werden würde. Habe ich aber sein lassen. Fand ich gleich blöd, als ich den Gedanken zu Ende gedacht hatte.

Für Twitter bin ich nicht ungeniert genug. Ich verwerfe Tweets ständig, weil sie mir vor dem Posten immer albern vorkommen. Oder zu gewollt. Oder aufdrängend. Ich dränge mich damit in die Timeline anderer. Das ist mir unerträglich. Bloglesen ist eher ein Holen. Wobei das mit durch RSS-Feeds faktisch auch nicht stimmt. Aber es fühlt sich eben so an. Twitter ist ein Freundeskreis, das mag ich daran. Wenn man sich beispielsweise Abends auf dem Sofa mit dem Handy live über Serien austauscht oder wenn man sich einfach Gute Nacht wünscht. Mir liegen im Freundeskreis eher die eins-zu-eins Gespräche, oder die Gespräche am Esstisch, was sich wiederum in meinem Twitterverhalten wiederspiegelt. (Leider. Ich finde Twitter nämlich total genial.)

Aber zurück zu den zehn Jahren Weblog. Als ich irgendwann verstand, dass ich bloggte, fiel mir auf, dass ich mir nicht mehr vorstellen konnte, es NICHT zu tun. Vermutlich werde ich in zehn Jahren also wieder einen ähnlichen Eintrag schreiben.

(Okay, dem Ende fehlt jetzt irgendwie der Schwung.)

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Neulich: mit Frau Casino auf einer Party. Wir standen in der Küche herum, jemand wollte wissen, wie das so ist mit den Blogs, ob das nun nicht ein bisschen tot sei. Wir aber sagten: NEIN, wir haben jetzt Montez! Wir sind jetzt alle verliebt in Montez. (So ähnlich sagten wir das).

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WhenyouliveinBerlin — Tumblr GIFs.

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„It was always you, Helen“. Abgelegt in meine Liste der romantischsten Songtitel. In diesem Fall: aus dem Soundtrack für einen etwas trashigen Horrofilm aus den Neunzigern. Musik von Philip Glass. Dieser Titel!

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Als ich vorhin die Kommandantenstraße hinunterlief erhaschte ich die letzten paar Strahlen der Abendsonne, die sich noch zwischen den Häusern hindurch stahlen. Ich hatte den ganzen Tag nichts vom Sonnenschein mitbekommen und war nun sehr überrascht, ob es das jetzt war mit dem grauesten Winter aller Zeiten. Eine Angst überkam mich, dass der Himmel sich womöglich nur für ein kurzes Zeitfenster geöffnet hätte, dass dies vielleicht meine letzte Chance sei, Sonnenstrahlen zu tanken, wer weiß, leben wir nicht immer irgendwie am Abgrund?
Ich blieb kurzentschlossen stehen und drehte meine Breitseite in die Sonne. Ich fühlte aber wenig.

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Wenn ich Fieber habe, dann gibt es eine weiße Linie in mir. Diese weiße Linie bedeutet Wohlbefinden. Alles Drumherum ist Unwohlbefinden. Wenn ich Fieber habe, schließe ich die Augen und bin bemüht, mich schmal zu machen, um auf diese Linie zu passen, ich versuche mich längs draufzulegen. Wenn ich ganz ruhig bleibe und regelmäßig atme, dann schaffe ich es, sobald ich dann auf der weißen Linie liege, denke ich an die sanften Hügel in der Uckermark oder an des Landes Ende an der Ostsee und schon geht es mir besser.

[zacko]

Die eifrigen Kassiererinnen an der Supermarktkasse. Ich liebe sie. Wenn sie so schnell sind, dass ich mich anstrengen muss, die Waren in meine Tüten zu verstauen. Ich gewinne aber immer, zack zack. Die schweren Sachen in meine Umhängetasche, Käse und Wurst in die vorderen Schlitze, die leichten Waren in die Plastiktüten. Joghurt immer obenauf, damit der Deckel nicht durchbricht. Die unförmigen Waren nahtlos einfügen. Tetris in der Einkaufstüte.
Es gibt Kassiererinnen, die so langsam sind, dass ich ständig warten muss. Weißglut.

Ich fand Fließbandarbeit auch immer super. Mein bester Job war in einer Käsefabrik. Anfangs durfte ich nur Deckel drauf packen und Verfallsdatum stempeln. Weil ich so gut war, wurde ich befördert und durfte Blauschimmelkäse in Papier einfalten. Im Kampf gegen die Maschine gewann ich immer. Am Fließband störte mich nur das lange Stehen. Ich habe nie verstanden was an Fließbandarbeit sonst verächtlich sein soll, ich habe die Horrorbilder auch nie verstanden, wo man Menschenmassen zeigte, wie sie im Akkord Waren von Fließband zu Fließband verschieben. Ich habe nur jene Horrorbilder verstanden, wo ein ganzes Büro voller Menschen am Computerbildschirm sitzen mussten. Ein ganzes Büro voller Menschen am Computerbildschirm, das muss man sich einmal vorstellen.

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Mir macht #aufschrei ja gute Laune. Ich glaube, es wurde der richtige Ton getroffen. Die tausenden Beispiele, mal dramatisch, mal traurig, mal krass, aber immer bäh. Wie eine unendliche Playlist der Arschlocherei. Es gefällt mir, wie wuchtig das Thema im Mainstream aufgeschlagen ist und die Meinung ist ja durchaus einhellig, die Kritiker haben sich schnell deklassiert. Ich finde das super, ich finde das zivilisatorisch total super. Solche Themen bewegen ja nur wirklich etwas, wenn der Weg über den Mainstream geht und ich glaube ja durchaus, dass Männer beginnen, sich fremdzuschämen und vor allem glaube ich, dass viele Männer sich deren Sexismus gar nicht bewusst sind und erst durch Aktionen wie diese für das Thema sensibilisiert werden. Ich finds super. Aber das habe ich schon gesagt.

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Und dann auch sowas: Rainerbrüderlelookingatgirls

[burg]

Vorhin schickte mir ein mir unbekannter Leser diesen Link, eine Sendung vom BR über eine Burgpächterin in Südtirol. Ich habe üblicherweise wenig für Folklore übrig, zudem halte ich wenig von Romantisierung ethnischer Gruppen, aber dieses Filmchen handelt von einer kleinen Burg, an der ich in meiner Kindheit jahrelang mindestens zweimal pro Woche vorbeigefahren bin. In diesem Zusammenhang muss man wissen, dass ich als Kind eine Obsession mit Burgen hatte (ich war als Kind schon obsessiv und ein unheimlicher Nerd). Ich kannte alle etwa 800 Burgen (ob intakt, Ruine, oder Andeutung eines Steinhaufens) beim Namen und konnte sie Ortschaften zuordnen. Die meisten hatte ich (zumindest von außen) besucht. Dabei war ich nicht so sehr von den als schön geltenden barocken Bauten angetan, sondern eher von jenen Burgen, denen man ihre staubige Vergangenheit als Festung ansah. Schlösser von gepuderten Faulenzern fand ich eher langweilig, die Burgen aber, in denen die Ritter heißes Pech von den Zinnen geschüttet hatten, die fand ich gut.

Die Trostburg aus dem verlinkten Filmchen ist vielleicht eines der schönsten ihrer Sorte, sie wirkt auf ihrem strategischen Plätzchen steil über Waidbruck ein bisschen wie eine Trutzburg, und hat dabei aber trotzdem gewisse anmutige Eleganz. Ästhetisch perfekt. Ich kann die Perfektion keinen architektonischen oder geometrischen Regeln zuordnen, aber sie wirkt in ihrer Form für mich wie eine perfekte, harmonisch komponierte Burg. Wie ich mir als Kind vielleicht einen richtigen Ritter vorstellte: blutüberströmt, unbrechbar, aber elegant auf dem Ross sitzend.

Als ich dann das erste mal die Trostburg besichtigte, war ich dann doch ziemlich enttäuscht. Wir fuhren zwei mal in der Woche an der Burg vorbei, wir waren zwar immer in Eile, aber weil ich meinen Vater ständig nervte, planten wir einmal einen Besuch ein. Wir fuhren zur Burg hoch und begegneten einer alten Frau. Es kann eigentlich nur die alte Frau im Film sein, da sie laut Film seit ’69 alleine auf der Burg wohnt. Ich war etwa acht Jahre alt, es muss also Anfang der achtziger gewesen sein, als wir da waren. Eine einsame, ältere Bauernfrau lief über den Burghof und verrichtete das, was man sich unter Bauernarbeit vorstellt (mit Eimern durch die Gegend laufen). Mein Vater fragte sie, ob man die Burg besichtigen könne. Sie sagte, ja, das ginge, und gab uns schließlich persönlich eine Führung. Ich kann mich eigentlich nur noch daran erinnern, dass die Burg ziemlich leer war. Es gab ein paar Kachelöfen, drei oder vier langweilige Gemälde, viel grauer Holzboden, viele weißgekalkten Wände und so etwas wie eine Kapelle mit halben Fresken (ganz Südtirol bestand in meiner Wahrnehmung aus halben Fresken). Keine Ritterrüstungen, keine Verliese, keine Schießscharten, keine Geheimgänge.
Ich war natürlich rundum enttäuscht.

Mehr Erinnerungen an die Trostburg habe ich nicht. Höchstens, dass in Waidbruck, —dem Dorf unterhalb der Burg— am Ortseingang bei der großen Brücke, mehrere Trauerweiden stehen. Da habe ich als Kind meinen vielleicht ersten intellektuellen Witz gerissen. Ich verwies auf die Sinnhaftigkeit bei einer Trostburg ein paar Trauerweiden zu pflanzen. Wobei das bei näherer Betrachtung natürlich unsinnig ist, es gibt keinen Grund, künstlich zu trauern und sich dann künstlich trösten zu lassen (obwohl!).
Mein Vater und meine Mutter lachten jedenfalls nur mäßig. Ich hatte damals aber eine vage Vermutung, dass der Witz durchaus intellektuelles Potential hatte. Der Witz fühlte sich anders an als die vorherigen. Daran machte ich es wohl fest.