Es erstaunt mich, wie sehr mir ein simples Schreibprogramm wie FocusWriter dabei hilft, das Romanprojekt stringent weiterzuführen. Ich kannte diese Konsequenz bei mir bisher gar nicht, mal abgesehen von der Arbeit an der Novelle. Dabei liegt es gar nicht am Programm an sich, sondern an der aus dem Programm gewonnenen Erkenntnis, eine Routine entwickelt zu haben. Für mich ist FocusWriter ideal, aus den Gründen, die ich hier schon einmal aufschrieb. Das Hintergrundbild, die Ruhe, aber eben auch die Statistik, die mir sagt, ob ich das Tagespensum bereits erreicht habe. Denn darum geht es beim Schreiben und wahrscheinlich bei jedem kreativen Output oder Output überhaupt: produziere Output! Du musst es einfach tun, und das, was herauskommt, ist eigentlich immer mehr oder weniger gut. Manchmal weniger, aber schwächere Abschnitte kann man immer noch später bearbeiten oder auch löschen, aber das Wichtigste ist schlichtweg, es rauszulassen, es rauszupressen. Wenn Focuswriter mir sagt, dass ich erst 750 Wörter geschrieben habe und bis Mitternacht noch 250 Wörter schreiben muss, dann muss ich die irgendwie aus mir herauspressen. Früher habe ich immer auf den kreativen Flow gewartet, dann schaute ich im Browser ein bisschen nach anderen Sachen und kam schließlich nie auf ein Pensum. Alle drei Romanprojekte verliefen sich irgendwann, weil ich auf den kreativen Flow wartete. Das Herauspressen ist lustigerweise auch ein total kreativer Prozess, zumindest bei mir. Ich zwinge mich nur zum ersten Satz oder zum Gedankengang, der bringt dann den Flow in Gang. Es ist eher wie mit einem Motorrad: Wenn man den Motor ankurbelt, ein Kraftakt, danach rattert der Kolben. Keine Ahnung, ob wirklich ein Kolben im Motor rattert, aber das Ergebnis ist immer erstaunlich gut. Ähnlich ging das auch mit der Arbeit an der Novelle. Indem ich hier im Blog das Tagespensum dokumentierte. Und vielen Dank an die Leute, die mich darauf hinwiesen, wenn ich mal zwei Tage lang kein Tagespensum erwähnte.
Früher wurden wir von Menschen mit Kindern ja immer um unsere Wohnung beneidet. Wir lebten vergleichsweise geschmackvoll, besaßen wenig Gegenstände auf viel Raum, die Dinge waren unversehrt, vor allem die schönen, geölten Dielenböden und die weißlackierten Küchendielen. Den weißen Boden fand ich immer so schön, dass ich manchmal körperliche Gefühle bei dem Anblick bekam. Seit die Hündin bei uns wohnt, habe ich aber das Gefühl, dass vier Kleinkinder bei uns wohnen. Vor allem riecht es wahrscheinlich immer nach nassem Hund. Wir riechen es nicht mehr. Das ist ja so. Den eigenen Wohnungsgeruch nimmt man nicht mehr wahr. Ich weiß aber, wie meine Hündin riecht, wenn ich meine Nase in ihr Fell stecke. Es ist ein fürchterlicher Gestank, den ich aber wirklich liebe. Es ist meine Hündin, das ist ganz schwer zu erklären, Menschen mit stinkenden Kindern kennen das Gefühl vielleicht. Und ich weiß erst recht, wie ihre beiden Bettchen riechen. Die kann man nur schwer waschen. Außerdem duscht sie ja nie, wie ein Teenager eben, bestimmt stinkt die ganze Wohnung nach ihr. Besucherinnen frage ich deswegen immer vorsichtig, ob die Wohnung nach Hund rieche. Die Frage wird immer verneint, natürlich, ich bin ja nur von freundlichen Menschen umgeben, die Wahrheit kriegt man nie ins Gesicht geklatscht.
Aber die Böden sind hin. Die geölten Dielen haben tiefe Furchen und der weiße Lack sieht von den vielen Kratzern mittlerweile grau aus. Die Aussage „Wie schön ihr wohnt!“ habe ich schon lange nicht mehr gehört. Neulich kauften wir dickes Fettwachs für Holz, mit dem man Dielen pflegen kann. Haben wir heute alles in die tiefen Kratzer eingewichst.
Übrigens, weil es oft heißt, die Novelle sei „lakonisch“: Das Wort kommt von den Spartanern. Habe ich gerade herausgefunden. Weil Sparta in Lakonien liegt, nennt man das lakonisch. Spartaner waren karg. Vermutlich waren die Spartaner auch spartanisch. Eine spartanische Novelle würde aber niemand lesen.
Den Mittwoch konnte ich jedenfalls relativ kühl gestalten, die Kartonteile hielten die Wärme aus der Küche raus und damit auch mehr oder weniger aus der Wohnung. Einmal ging ich gezwungenermaßen mit der Hündin auf die Pipirunde. Das war aber auch ihr zu viel. Abends um 21 Uhr wiederholten wir den Vorgang bei immer noch 32 Grad. Und sonst hatte ich es geschafft, das Schlafzimmer auf 27 Grad zu halten. Mit dem Ventilator, den ich auch auf meine Oberschenkel gerichtet hatte, kam ich immerhin zu einigen kurzen Schlafphasen. Um drei Uhr stand ich auf, weil mittlerweile auch Berlin auf 25 Grad heruntergekühlt war. Also öffnete ich das Schlafzimmerfenster und das Wohnzimmerfenster. Damit fühlte ich einen leichten, etwas kühleren Luftzug. Danach schlief ich durch bis 5. Da schien mir wieder die Sonne ins Gesicht. Es ist alles nicht einfach. Aber es ging besser als gedacht.
Der heutige Donnerstag verfing sich jedenfalls wieder in angenehmeren Temperaturen. Ich stellte Fotos meines senfgelben Bürostuhls auf Facebook und Instagram ein, mit dem Hinweis, dass er zum Verschenken sei. Innerhalb von nur wenigen Minuten meldete sich eine Bekannte, die ihn haben wollte, und wie der Zufall so will, war ihr Sohn gerade mit dem Auto in der Gegend, um ein anderes Möbelstück für sich selber abzuholen. Zwischen dem Fotoshooting und der Abholung lagen etwa anderthalb Stunden. Ich liebe solche Schnellschüsse. Dazwischen war ich sogar noch im Fitnessstudio. Heute übernahm ich mich allerdings ein wenig, das merkte ich erst am Abend, nachdem ich mich mit einem ehemaligen Mitarbeiter auf einen Drink im Golgatha Biergarten verabredet hatte. Er erzählte mir alle neuen Tratschgeschichten aus der Firma und wir redeten über Sex, dabei werde ich immer ein bisschen neidisch, wenn ich mit schwulen Männern über Sex rede bzw. wenn schwule Männer mit mir über Sex reden. Ich höre da schließlich nur zu und stelle dumme Fragen. Je länger ich beneide, desto stärker kommt aber auch das Gefühl auf, wie anstrengend das alles ist. Auf dem Rückweg mit dem Fahrrad fing ich jedoch an, die Überanstrengung zu spüren. Ich hatte heute vor allem Schulterpartien und Oberschenkel trainiert und bei allen Übungen die Gewichte, die Wiederholungen und die Frequenz erhöht. Meine Oberschenkel brannten und fühlten sich gleichzeitig verbrannt an. Ausgelaugt, kraftlos. Ebenso ging es mir mit den Schulterpartien. Als ich zuhause ankam, konnte ich mich kaum noch am Lenker abstützen, so kraftlos war ich geworden.
Also verklebte ich das große Küchenfenster mit dem Karton meines neuen Bürostuhls. Vier passend zurechtgeschnittene Teile, die sich schnell anbringen und abnehmen lassen. Mit Klebestreifen zwar, aber es ist ja keine fixe Installation, sondern ein Notnagel/Notklebestreifen für die ganz heißen Tage. Ich glaube, es half. Da ich wusste, dass meine Frau meine Ingenieurskunst nicht schätzen würde, schickte ich ihr ein Foto davon per Messenger, damit sie am Abend, wenn sie nach Hause kommt, nicht von der imposanten Erscheinung der Installation erschlagen wird. Salami-Taktik. Ihre Antwort kam unverzüglich und enthielt nicht viele positive Emotionen. Aber ich halte es nicht aus. Wenn sie schon keine Gardinen in der Küche will, dann muss sie an Höllentagen meine Sonnenschutztechnik ertragen.
Um 15 Uhr hatte ich einen Vorstellungstermin und fuhr deshalb mit langer Hose und einem schwarzen Hemd nach Mitte. Um nicht zu viel zu schwitzen, verzichtete ich auf das Fahrrad und fuhr stattdessen mit einem Elektroscooter, auf dem man immer so steif drauf aussieht. Es maß bereits 32 Grad. Ich stand regungslos wie eine Napoleonstatue auf dem Scooter und die körperliche Anstrengung zu minimieren. Es funktionierte mittelmäßig gut.
Zurück zu Hause waren die Kartonpaneele vom Fenster abgefallen. Die Wohnung schien mir dennoch nicht so aufgeheizt wie erwartet.
Tja, nun.
Den Rest des Nachmittags saß ich dann wie eine Paul-Auster-Statue an meinem Schreibtisch und schrieb weiter an dem Text. Dabei aß ich nur Äpfel. Das Abendessen strich ich und nahm dafür ein paar Radieschen zu mir. Das funktionierte prima. Um Mitternacht war die Temperatur auch wieder auf 25 Grad gesunken. Damit kann ich schlafen.
Ich fürchte mich vor Mittwoch. Jedes Mal, wenn ich die Wetterseite öffne, dann steht in der Mitte der Woche diese 37. Diese 37 Grad, die wie eine finster dreinschauende, rote Kröte dort in der Mitte des Kalenders sitzt und sich über mich ausbreiten wird, über mich und über Berlin, man wird ihr nicht entkommen können, nur bei Edeka, wenn man durch den Klimafilter geht, vielleicht sollte ich mich am Mittwoch bei Edeka einquartieren, ich werde wieder nicht schlafen können, sie wird mich wieder lähmen, die Hitze, ich werde sie nicht von mir abschaben können, sie ist eine dicke, träge Lage, spürbare Luft, eine Suppe eher, eine gasförmige Suppe, die meine Füße anschwellen lässt, ich habe keine Ahnung, wo sie die Öffnungen in mir dafür findet, mein Arsch klebt auf ihr, meine Achselhöhlen, aber am schlimmsten vielleicht die Oberschenkel, nein, auch die Unterschenkel und die Füße. Und alles. Ich werde an der Matratze kleben, ich werde am Sessel kleben, ich werde jegliche Oberflächen vermeiden, ich werde mich entkleiden, Lage für Lage, bis ich halt die Haut nicht mehr abschaben kann.
Alkohol. Bloß kein Alkohol.
Heute wagte ich noch drei Biere. Ich war bei „Für immer Bärbel“, dieser neuen Lesebühne in Weissensee. Dort werde ich auch am 24. November mit Isabel Bogdan lesen. Heute lasen Isobel Markus und mein Lektor Klaus Ungerer. Die Organisatoren heißen Daniel Klaus und Klaus Esterluss. Da ich ja Markus heiße, merkt ihr das Muster, ja? Isobel kennt auch Isabel und man fand, wir sollten heiraten, unter der Bedingung, dass ich ihren Nachnamen annähme. Markus Markus. Fast wie Klaus & Klaus. Nur ohne das Und-Zeichen. Und einer Person weniger. Sicherlich Fame.
Was auch schön war: Mit dem Fahrrad an der Kindlbrauerei in Weissensee vorbeigefahren. Es zieht dort dieser brotige Duft von köchelndem Malz durch die Straße.
Aber am Mittwoch bloß kein Alkohol. Früher traf ich mich an Hitzetagen oft draußen, aß Pizza und trank Bier. Damals wusste ich wenig darüber, dass Pizza und Bier mich praktisch in einen Ofen verwandeln. Das waren immer die Nächte, in denen ich kein Auge schließen konnte. Wegen der mangelnden Selbstbeobachtungsgabe merkte ich das nie. Ich gab die Schuld immer jemand anderem, dem Sommer, der Hitze. Seit ich gelernt habe, die Schuld zuerst bei mir zu suchen, haben sich meine Hassgefühle für Hitze aber nicht verändert. Allerdings hasse ich die Hitze jetzt schuldbeladen. Blödes Gefühl.
Vielleicht esse ich am Mittwoch einfach nichts, den ganzen Tag lang, und ich sollte an dem großen Küchenfenster irgendwas anbringen, ich könnte Karton verkleben, großflächig. Das Altpapier wurde diese Woche noch nicht abgeholt, der große Karton meines Bürostuhls sollte noch darin liegen. Meine Gedanken schon delirieren.
Es hat dann tatsächlich Natascha Gangl den Bachmannpreis gewonnen. Die Kandidatin, über die ich gestern so lobend schrieb. Freut mich sehr. Außerdem gewann sie auch den Publikumspreis.
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Am Vorabend waren wir bei den Nachbarn auf ein kurzes Abendessen eingeladen. Die Idee war es, einfach vorbeizukommen, etwas abzuholen, etwas zu essen und wieder zu gehen. Ich hege gerade den Wunsch, unkomplizierte, aber sozial bedeutende Bindungen zu unterhalten. Zweckmäßig und verbindlich. Dass nicht jedes Treffen immer ein Gelage wird. Ich bilde mir ein, dass das in Dörfern so abläuft. Dass man Teil einer Community ist, die Kontakte sind oft zweckmäßig, weil man einander braucht, schließlich ist niemand vollständig autark und autonom, aber andererseits können die Kontakte gleichzeitig trotzdem verbindlich und bedeutsam sein.
In der Stadt habe ich das Gefühl, dass wir oft eher alleine leben oder eben im Paarverbund, und wenn man mit Menschen in Kontakt tritt, dann ist es meist eine Verabredung, die sorgfältig geplant und zelebriert wird, für die man sich viel Zeit nimmt. Das gilt auch fürs Ausgehen, wenn man jemanden auf einen Drink trifft. Es ist selten ein Drink, es ist immer ein Abend, auch wenn man es nicht so nennt. Es gibt selten einfaches Essen, sondern immer etwas Besonderes. Das finde ich an sich sehr schön, andererseits sorgt das auch für Entfremdung und es erhöht die Schwelle, soziale Kontakte zu pflegen.
Es geht natürlich nicht allen so. Ich spreche vor allem von mir. Vielleicht sollte ich generell mehr von mir reden.
Letztendlich blieben wir drei Stunden. Das kann ein gutes Zeichen sein, dass es einfach nett war, oder auch ein schlechtes, dass Treffen einfach nie unkompliziert und kurz sein können. Wahrscheinlich war es einfach nett.
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T. C. Boyle. Neulich las ich von T. C. Boyle. Dass er vor allem in Deutschland gelesen wird, sogar noch mehr als in seinem Heimatland USA. So etwas finde ich ulkig, und dann will ich sofort verstehen, was es damit auf sich hat. Seine Romane interessierten mich vom Thema her nie, deswegen gingen seine Bücher weitgehend an mir vorbei. Jetzt, wo ich aber diesen Umstand mit der deutschen Leserschaft kenne, kaufte ich mir „Blue Skies“.
Zuerst lese ich aber noch Knausgårds „Sterben“, den ersten Roman aus der autobiografischen Reihe. Ja, ich verstehe, warum man das gerne liest, ich verstehe die Schonungslosigkeit, die aber natürlich auch immer von der eigenen Sichtweise und Erinnerung geprägt ist, das ging mir auch bei der Springweg-Novelle so. Ich bin mir sicher, jemand anderes von meinen damaligen Weggefährtinnen hätte die Geschichte anders erzählt, mit einem anderen Fokus und auch mit einer anderen Beschreibung der handelnden Personen. Knausgårds Ex-Frau, der in diesen Romanen eine bedeutende Rolle zukommt, äußerte sich dazu: „Seine Sicht auf mich war beschränkt, er sah nur das, was er sehen wollte.“ Und entsprechend verärgert war sie über viele Jahre hinweg, weil natürlich auch sie „schonungslos“ beschrieben wurde.
Ich lese das trotzdem durchaus gerne, der Text hat unglaublich starke Passagen, vor allem in jenen Momenten, in denen sie schmerzen. Andererseits ist es auch ein wülstiger Strom an Gedanken und Beschreibungen, wovon sich vieles sehr belanglos anfühlt. Und oft habe ich das Gefühl, dass er sich einfach gerne beim Schreiben zuhört.
Am Nachmittag kam meine Frau rein und legte sich zu mir aufs Bett, als sie TC Boyle auf der Fensterbank liegen sah. Sie sagte, sie hätte vier Bücher von ihm gelesen. Ich meinte, ich hätte 14 Seiten gelesen, ich fände es bisher aber ziemlich uninteressant. Natürlich würde ich weiterlesen, ich gebe jedem Buch 50 Seiten Zeit, mich zu überzeugen. Aber weil sie sich gerade neben mir gelegt hatte, legte ich Knausgård zur Seite und bat sie, mir aus TC Boyle vorzulesen. Sie kann wirklich gut vorlesen. Sie nuschelt nicht, sondern liest klar und deutlich, zudem intoniert sie sehr lebendig. Wenn ich meiner Frau vorlese, dann schläft sie immer ein. Sie sagt, das läge an meiner warmen, wohligen Stimme. Zumindest sagt sie das, wenn sie gut gelaunt ist. Einmal, in einer anderen Laune, sagte sie schon einmal, dass ich sehr monoton lese und nuschele. Alle diese Fakten stimmen übrigens. Was ich damit mache, weiß ich aber auch nicht. Ich wollte die Novelle ja einmal als Hörbuch einlesen und auf Spotify hochladen. Vielleicht tagge ich sie mit ASMR und Einschlafhilfe.
Seit zwei Tagen läuft ja wieder der Bachmannpreis im Fernsehen, und gleich wie bei Podcasts kann ich am besten zuhören, während ich mit anderen Dingen beschäftigt bin, beispielsweise mit Putzen oder Aufräumen. Die Wohnung ist jetzt wirklich sauber. Sogar die Vormauerungen überm Waschbecken und unten überall an der Wand entlang sind sauber, alle Utensilien, Parfüms, Cremen, Behälter, sogar beide Spiegel, der große in der Dusche sowie der am Waschbecken, außerdem die Duschwände, die in Berlin wegen des harten Wassers immer so schnell verkalken, die Dichtungen der Dusche und die Fugen – alles ist jetzt weiß und blank.
Währenddessen lief auf Bsky und Mastodon der Stream unter #tddl. Ich hatte dem nur wenig Konstruktives hinzuzufügen, außer dem Hinweis, dass man währenddessen gut putzen kann.
Wie wahrscheinlich viele war ich ziemlich beeindruckt von Natascha Gangls Text. Während er mich auf Papier sicherlich sehr schnell gelangweilt hätte, war er als Vortrag ein wirklich beeindruckendes Stück Literaturkunst. Natürlich hatte ich den Vorteil, dass ich die Austriazismen alle verstand, aber eigentlich mag ich Austriazismen und Dialekte überhaupt nicht. Dennoch ließ mich dieser souveräne Umgang mit Sprache ziemlich in Ehrfurcht erstarren. Denn es war keine simple Sprachspielerei, sondern die gesamte Masse der Sprache, in Schrift wie Mund, wurde als eine Art Vehikel genommen, um dieser Leere, der Geschichte Österreichs, der Verdrängung, der subtilen Abgrenzung vom slawischen Süden, der Abgrenzung überhaupt, von Dorf zu Dorf, mit den Feinheiten der lokalen Begriffe und Intonationen – boah, ich weiß gar nicht, wie ich den Satz beenden soll. Der Text zieht aus einer düsteren Tiefe so viele Bilder und Fragen herauf, dass man ihn von Satz zu Satz sezieren möchte.
Andererseits: Was soll man mit einem Text, der anstrengend zu lesen ist? Das liest dann halt niemand. Literatur funktioniert ja anders als beispielsweise Musik, Fotografie, bildende Kunst oder Film und auch Architektur, denen man nicht so leicht entfliehen kann, wenn sie anstrengend sind, weil sie sich ja aufdrängen, während man Literatur aktiv lesen muss, in sich hineinziehen, und wenn es anstrengend wird, zieht man einfach nicht daran. Vielleicht funktioniert der Text deswegen vorgetragen so gut, weil man sich ihm ausliefert.
Ein brutalistisches Gebäude hat sogar Onkel Hans einmal gesehen und sicherlich auch die ersten zehn Minuten eines verstörenden Kunstfilms. Aber ein solcher Text wird Onkel Hans niemals erreichen. Und dann wird es ganz schnell elitär. Außer er wird im Fernsehen vorgetragen.
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Freitagabend aßen wir bei Freunden Rindsbraten mit Risotto und einen blattsalatlosen Salat aus Blumenkohl, Kapern, Kichererbsen und Dill. Eine Erkenntnis, mit der ich schon länger herumlaufe, ist die Tatsache, dass ich bei Fleischgerichten immer eher die Beilagen als Highlight empfinde. Zwar esse ich durchaus gerne Fleisch, aber ich esse es eher als Proteinbeilage zu Salaten oder anderen Speisen. Das Highlight war für mich zweifelsohne der Blumenkohlsalat und auch der Risotto. Dazu aß ich zwei saftige Scheiben Rinderbraten als Beilage. Das lässt sich preislich und vom Aufwand her natürlich sehr schlecht rechtfertigen, zumal der Braten stundenlang mit Whiskyhölzern geräuchert wurde und sehr delikat zwischen meinen Zähnen zerfiel. Sorry, Jan.
Außerdem ist ein Rind ein Lebewesen, schon nur deswegen sollte ich es mehr schätzen.
Aber ja. Fleisch. Weiß nicht. Ich finde Fleisch immer ein bisschen unspannend, zumal es wenig Eigengeschmack hat und eigentlich nur gewürzt oder gesalzen zu einem kleinen bisschen Komplexität kommt. Fleisch konsumiere ich am liebsten ganz dekadent als Wurst. Aber Wurst ist halt auch einfach, weil es gewürzte und verarbeitete Fleischmasse ist. Das muss ja gut schmecken.
Ein Kollege aus der Ex-Firma in Amsterdam schrieb mir. Er käme heute nach Berlin und bliebe für ein paar Tage, er würde sich freuen, mich zu treffen. Da meine Verabredung wegen des angekündigten Sturmes abgesagt hatte, war ich praktisch frei, und so schrieb ich ihm, dass ich auch spontan heute könne. Also trafen wir uns noch zu später Stunde auf den Treppen am Frankfurter Tor und tranken ein „Wegbier“, wie er wusste, dass es heißt. Als echter Amsterdamer hatte er doch tatsächlich sein rostiges Fahrrad aus den Niederlanden mitgebracht und kam damit zur Verabredung. Weil ich darüber staunte und es lustig fand, erzählte er mir, wie gerne er mit seinem Rad unterwegs sei. Es sei Baujahr 1959 und es reite sich wie ein Pferd, dem man vertraue.
Wir redeten über die Firma. Er wurde im November entlassen. Die ganze Abteilung hatte man geschlossen. Er konnte die Entscheidung allerdings nachvollziehen, es war nicht die Schuld der Firma. Die Firma ist ja ein queeres Datingportal. Nach der Wahl in den USA haben sowohl Twitter als auch Facebook und Insta die Kanäle der Firma geblockt und gelöscht. Von solche Aktionen kriegt man in den großen Medien nichts mit. Die Konten wurden nach einigen Monaten wieder reaktiviert, aber alles ist leer, der gesamte Content, Bilder, Videos, Reels, Likes, Follower, Kommentare, alles ist weg. Aus Gründen der Unsittlichkeit. Während auf Twitter weiterhin Pornografie und auf den Zuckerberg-Kanälen Softpornos laufen. Aber wenn zwei Männer sich küssen, dann ist das unsittlich.
Lediglich TikTok ließ den Account unangetastet. Ausgerechnet die Chinesen. Kannste dir gar nicht ausdenken. Immerhin ist die Firma jetzt damit vor Gericht gezogen.
Aber für meinen Ex-Kollegen und die Social-Media-Abteilung war damit trotzdem Schluss. Es gab schlichtweg nichts mehr zu tun. Nicht, dass er unglücklich damit ist. Er sagte, nach fast einem Jahrzehnt in der Firma fühlte es sich wie eine Erleichterung für ihn an. Er hätte sich als schwuler Mann dort schon sehr in seiner sicheren Arbeitsblase eingerichtet und wurde jetzt sozusagen zu einer Entscheidung gezwungen, die er länger schon in Betracht zog, sich aber nicht zutraute. Jetzt ist er wieder draußen in der Welt, sagte er, und fühlt sich für alles bereit.
Ich konnte die Freude verstehen, wenn man zu einer Entscheidung gezwungen wird, die man als Befreiung erlebt. Dennoch wunderte ich mich darüber. Mir wurde es in dieser Firma erst so richtig bewusst, was es bedeutet, schwul zu sein. Da half es nichts, dass ich vorher mit schwulen Männern befreundet war und Herthasticker mit Regenbogenfahne verklebte. Erst in der Firma und im Arbeitsalltag verstand ich in der gesamten Tiefe, was es bedeutete, eine soziale Minderheit zu sein, wie sich die Dynamik ändert, wenn man plötzlich zu einer Mehrheit gehört, der Duktus, die Körperlichkeit, der Umgang, man ist nicht „der Schwule“, vor allem wurde ich damit konfrontiert, wenn stinknormale, also heterosexuelle Dienstleister für Projekte zu uns in die Firma kamen und sie irgendwann herausfanden, dass ich mit einer Frau verheiratet war, wie sie mich plötzlich als einen der ihren betrachteten, uff, „die Schwulen“ sind schon alle sehr nett, aber – ja aber, es gab dann immer diese harmlos gemeinten ABERS. Umgekehrt war ich dort als nicht-schwuler Mann in der Minderheit, und ich merkte durchaus, dass man mit mir anders über die Partys am Wochenende sprach, als sie es untereinander taten. Klar, ich war der Chef und mit dem spricht man immer anders, aber die juicy Details von den Fisting-Partys bekam ich immer nur aus dritter Hand erzählt, während der schwule CEO ganz selbstverständlich dazugehörte.
Neulich, als wir bei der Verwandtschaft meiner Frau in Schweden zu Abend aßen, erzählte ich dem gutbürgerlichen, akademischen Ehepaar von diesem Safe-Space. Ich sagte, als schwuler Mann in einer gewöhnlichen Firma ist man halt doch immer der schwule Mann. Es ist nie böse gemeint, aber du gehörst in einer Runde von zehn heterosexuellen Männern halt nie zu hundertprozent dazu. Bei den unterschwelligen Witzen, bei den kumpeligen Kommentaren, bei den Berührungen auch.
Die Cousine wollte das nicht glauben. Mit einer gehobenen Augenbraue fragte sie, ob das in Deutschland echt noch ein Problem sei, in Schweden sei man ja sehr tolerant. Ich sagte, das habe wenig mit Toleranz zu tun, und in Schweden sei das sicherlich nicht anders. Das sind nur die feinen Linien, die man als Teil der Mehrheit nicht wahrnimmt. Man nimmt keine Alltagsrassismen wahr, keine Alltagsdiskriminierung, keinen alltäglichen, meist auch nur unbewussten Ausschluss. Als Mehrheit sitzt man immer gottgleich drüber und wähnt sich in Toleranz.
Ja, wissen wir alles. Muss ich jetzt nicht weiter ausführen. Habe mich nur ein bisschen in Rage geschrieben. Mein Ex-Kollege sagte: „Ja, das stimmt auch wieder.“ Aber es ist ihm egal. Er will halt nicht in einer Blase sitzen. Es beunruhigte ihn mehr, wie schnell die Firmen ihre Diversity-Programme aufgaben und die Regenbogenfahnen wieder abmontierten. Das fühle sich wiederum wie ein Dolchstoß an. Wie man plötzlich fallengelassen wird. Es kam fast über Nacht.
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Themenwechsel.
Der mit vielen Warnungen angekündigte Sturm kam fast aus dem Nichts. Ich ging mit der Hündin kurz raus, um dem Sturm voraus zu sein. Die Luft drückte bei 31 Grad. Aus dem Westen bauten sich finstere Wolken zu bedrohlichen graublauen Strukturen auf. Plötzlich wurde es laut, die trockene Erde im Park wurde zu Staub aufgeweht, ich hatte Sand in den Augen, dann kam der Regen. Die Hündin und ich liefen nach Hause. Und dann war es wieder vorbei. Irgendwie underwhelming. Unterwältigend. Allerdings stellte sich später heraus, dass es in diesen zehn Minuten Schwerverletzte gab und die Feuerwehr fast tausend Einsätze fuhr. Es soll nicht wie eine Beschwerde klingen.
In Brandenburg an der Havel gewesen. Und in Brandenburg an die Havel gegangen. Ich versuche den ganzen Tag schon, diesen Witz mit dem Artikel für Social Media oder fürs Blog zu verwursten, es gelingen mir aber nur onkelige Wortspiele.
Mein Ex-Chef kommt aus der Gegend. Ich schrieb ihm, dass ich zwei Stunden in BRB (das schreibt man als Einheimischer doch nicht immer aus, oder?) verbringen muss, und fragte ihn, was man mit Hund da unternehmen kann. Er sagte, in BRB würde er nicht tot überm Zaun hängen wollen. Er konnte mir aber dennoch ein paar Dinge nennen. Die Jahrtausendbrücke, zweidrei Strassen, den Humboldthain und ein paar gute Kaffees. Habe ich dann alles gemacht. Hündin und ich waren happy und haben ein positives Bild der Stadt.
Über die Stadt sind zahlreiche Waldmöpse verteilt. Das scheint dort ein Ding zu sein. Kleine, lebensgroße Plastiken aus Metall, vermutlich Bronze. Sie stellen Möpse dar, also die kleinen Bulldoggen, aber mit einem kleinen Elchgeweih. Offenbar hat Loriot den Begriff erfunden und Loriot kam aus Brandenburg und deswegen nennt sich Brandenburg „Loriot-Stadt“ und deswegen musste sie etwas unternehmen, um dem berühmten Sohn zu huldigen und den Menschen einen Grund zu geben, in die Stadt zu kommen und sie zu fotografieren, damit sie auf Insta gestellt werden können und weitere Menschen anlocken, die das gleiche tun. Da ich in dem Loop gefangen war, schoss ich ein Foto davon und stellte es auf Instagram.
Ich dachte immer, Loriot sei Hamburger. Ihn umweht eine gewisse hanseatische Eleganz. Aber nein, er kommt aus Brandenburg an der Havel. Und bei aller hoffnungsvoller Zugewandtheit: Nichts in Brandenburg (dem ganzen Bundesland) verbinde ich mit Eleganz. Nicht einmal Potsdam, das sich allerdings große Mühe gibt. Bei näherer Betrachtung merkt man allerdings, dass die Stadt einmal wirtschaftlich bedeutend war. Die ganze Struktur der Stadt, die Größe des historischen Kerns bzw. der beiden Kerne, auch die Größe der Kirchen, verschiedene große Stadthäuser, zudem ein wunderbares Wohnhaus eines Spielzeugfabrikanten, der sich seine Stadtvilla in ein Jugendstilparadies umbauen ließ. Leider war dieses Haus heute geschlossen, aber auf den ausgestellten Fotos bekam ich eine Idee davon.
Auch wieder so eine Sache im Osten: Das ganze kulturelle Erbe ist kaputt.
In einer spontanen Aktion fuhr ich heute zu Ikea und kaufte mir einen neuen Bürostuhl. Das Thema Bürostuhl hatte ich nun schon sehr oft in diesem Blog. Ich suchte gerade nach einem passenden Blogeintrag, um ihn an dieser Stelle zu verlinken, sah dann aber, dass sich das Thema quer über die ganzen Jahre streute. Mein jetziger Bürostuhl sieht mit seiner senfgelben Polsterung zwar nett aus und sitzt sich auch OK, aber meinem Sitzverhalten ist er nicht sehr zuträglich. Als ich mich heute im schwedischen Möbelfachgeschäft auf die verschiedenen Stühle setzte, spürte ich meinen Körper buchstäblich Seufzer der Freude von sich geben. Dabei fällt auf, wie Gamingstühle durchgehend besser performen als alle anderen Stühle mit einem seriöseren Anstrich. Das ist wie mit mechanischen Tastaturen, die als Gamingtastaturen verkauft werden, aber in Wahrheit einfach hohen Anforderungen einer anspruchsvollen Kundschaft entsprechen.
Am lautesten freute sich mein innerer Sitzfrosch, als wir uns auf den Gamingstuhl „Styrspel“ setzten. Was ihn für mich, neben des Sitzgefühls, zusätzlich besonders macht, ist die fehlende Polsterung. Man sitzt praktisch auf einem Netz, durch das die Wärme besser abstrahlen kann. Mein Körper ist ein Ofen. Ich strahle immer Wärme ab. Der Sommer macht mir das Arbeiten am Schreibtisch zu schaffen. Po, Oberschenkel und Rücken heizen sich auf. Vor allem der obere Teil der Oberschenkel. Hölle. Beim Anblick dieses Netzes bekam ich so etwas wie Liebesgefühle. Die Leute kannten mein Problem und offensichtlich bin ich nicht der einzige.
Zugegebenermaßen brauchte ich sehr lange, bis ich mich dann doch für diesen Stuhl entschied. Der Grund dafür waren die nicht so positiven Kundenbewertungen auf der Ikea-Seite, er hat lediglich einen Score von 3,9 von 5. Einige bemängelten wackelige Lehnen und irgendwas mit Schrauben an der Innenseite des Stuhls. Die Lehnen sind tatsächlich wackelig, aber die würde ich ohnehin nicht montieren, ich mag keine Lehnen, und das Schraubenproblem konnte ich nicht sehen und es entsprechend auch nicht verstehen. Dann gab es noch andere Themen. Einige beschwerten sich darüber, dass er im Winter zu kalt ist (jajaja) aber auch Rückenschmerzen verursache, wiederum andere freuten sich aber über die perfekte Unterstützung des Rückens. Letzteres kann ich nicht einschätzen, aber ich wollte mich in die zweite Gruppe einteilen. Das ging etwa anderthalb Stunden so, in denen ich immer auch andere Stühle testete und die Bewertungen las, aber ich kam immer wieder zu diesem „Styrspel“ zurück.
Irgendwann war ich so genervt von meinem Zögern, dass ich ihn einfach kaufte.
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Mittlerweile habe ich 12 Kilo abgenommen und an meinen Oberarmen zeichnen sich wieder erste, leicht definierte Muskelpartien ab. Das ist ein richtig gutes Gefühl. Ich kann den Rausch der Sportlerinnen schon verstehen. Zusätzlich zum Fitnessprogramm im Studio mache ich täglich mehrere Liegestütze und Klimmzüge sowie Planks, und am Wochenende turne ich irgendwelchen Influencerinnen auf YouTube hinterher. Wenn das so weitergeht, dann werde ich bald aus Selbstliebe ejakulieren.
Allerdings meinte meine Frau, dass mein Hintern ungewöhnlich weich geworden ist. Das traf mich dann schon. Es gibt nämlich nur zwei Sachen, die richtig gut an mir sind: mein Hintern und meine Hündin. Mit Verlust von Gewicht geht immer auch Verlust von Muskelmasse einher, das ist eine bekannte Symbiose, offenbar vernachlässige ich beim Fitnessprogramm aber gewisse Körperpartien. Am Abend war ich in Neukölln im Berliner-Berg-Biergarten verabredet. Normalerweise wäre ich mit der Hündin S-Bahn gefahren, so ließ ich die Hündin zuhause und nahm stattdessen das Fahrrad. Es liegt vielleicht am Radfahren. Seit ich die Hündin habe, fahre ich wesentlich weniger mit dem Rad. Früher fuhr ich täglich viele Kilometer, ich fuhr fast jede Strecke mit dem Fahrrad, zumindest alles, was sich in unter 10 Kilometer Entfernung befindet. Das handhabe ich so, seit ich 20 Jahre alt bin und nicht mehr in den Bergen lebe. Es muss daran liegen. Zur Sicherheit fragte ich die Suchmaschine: Macht Radfahren einen schönen Po? Die Antwort war: Ja.
Welche Konsequenzen ich daraus ziehe, weiß ich jetzt nicht. Der Biergarten war aber geschlossen. Das hätten wir auch vorher wissen können.