Morgens begleitete ich einen Freund zu einem Termin mit seinem Ex-Arbeitgeber. Es ging darum, Laptop, Schlüssel und Handy abzugeben. Das zwischenmenschliche Klima in dem Büro ist kein guter Ort für mentale Gesundheit. Die Übergabe verlief professionell und entsprechend harmonisch. Danach setzten wir uns in ein Café und tranken einen Latte. Wir sassen noch draussen, es war ein sonniger Dienstagvormittag, bei kühlen Temperaturen.
Den Rest des Tages wollte ich am Text arbeiten, aber ich bekam nichts zustande.
Heute wird in den USA gewählt und mich deprimiert die Aussicht auf eine Regentschaft von Trump. Meine Frau schaltet abends CNN und NBC an. Ich will das nicht sehen, ich will nur Mittwochmorgen das Ergebnis kennen, ich will mich nicht stundenlang vorher mit Eventualitäten aufhalten. Falls Harris die Wahl gewinnt, würde es sich dennoch nicht wie eine Abkehr eines Horrorszenarios anfühlen, sondern lediglich wie ein Aufschub. Der Aufschub einer Entwicklung, die ins Rollen gekommen ist.
Ich werde mich schlafenlegen. Wenn dieser Eintrag online geht, werden wir es wissen.
Die Hündin ist seit Samstag läufig. Deswegen pflege ich wieder die Läufigkeitstabelle. Ich finde es ungemein praktisch, Vergleiche zur letzten Läufigkeit ziehen zu können. Ihr Verhalten mit Rüden, ihre Konzentration, ihre Niedergeschlagenheit. Es ist ein biologischer Zyklus, der immer in einem ähnlichen Muster abläuft.
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Heute verbrachte ich viel Zeit mit der Arbeit an der Novelle. Morgen oder spätestens Mittwoch möchte ich damit fertig sein. Es erstaunt mich aber immer wieder, wie zeitaufwendig das ist. Neben der besseren Beschreibung der Figuren, empfahl mir der Lektor auch den Text in mehrere Kapitel zu unterteilen. Ich sah die Geschichte bisher immer in Teilen. Das alte Spukhaus besetzten wir nämlich drei Mal, deswegen war es ursprünglich eine Trilogie, der ich später, als ich sie zur Novelle umschrieb, eben drei Kapitel verpasste. Der Lektor sagte, ich solle den Text atmen lassen. Lieber kürzere Kapitel, fast episodenartig, das gäbe dem Text mehr Raum. Die Kapitel müssen ja auch nicht benannt werden, längere Absätze täten es auch. Das war schlüssig, der Text wirkt jetzt tatsächlich anders. Er sieht freundlicher aus. Er atmet. Die Novelle hat jetzt aber auch 130 Seiten anstatt 120. Wenn ich jetzt noch das Schriftbild vergrössere, dann ist es ein Roman und keine Novelle mehr.
Und sonst ist heute nicht viel Erzählenswertes passiert. Das ist aber auch gut so.
Die Jungs sind heute zu Mittag wieder geflogen. Es war eine anstrengende Woche, aber Anstrengung ist ja auch Teil des ganzen Spasses. Gestern gab es noch ein Highlight im fast ausverkauften Olympiastadion, in dem ich die beiden mit in die Ostkurve nahm. Es war sehr eng und sehr laut und plötzlich verteilten sich junge, maskierte Männer in den Reihen. Einer davon stellte sich genau neben meinen fünfzehnjährigen Neffen. Der Mann war in Schwarz gekleidet und hatte seine Kapuze in den Kopf gezogen. Im Gesicht trug er eine Sturmhaube und in der Hand zwei Feuerwerkskörper, die blauen Rauch produzieren. Es dauerte eine Weile, bis sie angezündet wurden. Der junge Mann stand lange neben uns, er war offensichtlich aufgeregt, zupfte ständig an sich herum, prüfte das Feuerzeug, schaute nach links und nach rechts. Der Vorsänger kündigte an, dass wir zuerst die Hymne singen und danach zum Anpfiff das Feuer losgeht. Als wir die Hymne sangen, zündeten sie im Kölner Block ihrerseits rotes Feuerwerk. Nach unserem Lied gingen bei uns mit Pyrotechnik los. Die Rauchkörper des jungen Mannes neben uns schlugen Funken. Mehrere Glutbällchen landeten auf der Jacke seines Vordermannes. Dieser bemerkte die Glut nicht, deswegen war mein Neffe so freundlich und schlug ihm die Glut von der Jacke. Dieser bekam aber auch das nicht mit. Morgen wird er sich über die vielen Brandflecken wundern.
Das Spiel selbst bot leider wenig Freude. Dafür kennen meine Neffen jetzt die gesamte Palette an Schiedsrichterbeschimpfungen und Gegnerverunglimpfungen. Inklusive Uhrensöhne-Rufe, woran wir uns aber nicht beteiligten, weil wir tagsüber bei Mediamarkt noch Smartwatches begutachteten und keinen Grund sahen, den Gegner damit zu diffamieren.
Kurz nach Mitternacht waren wir wieder zu Hause. Todmüde und kaputt.
Heute brachte ich sie dann zum Flughafen. Danach fuhr ich nach Hause und tat ziemlich gar nichts. Ich hing auf dem Sofa und schaute mit meiner Frau zwei Filme über Zeitreisende (beide eher mittelmässig) und danach die letzten vier Folgen von Agatha All Along. War okay, aber das Ende dann doch eher mittelmässig.
So.
Morgen muss ich mich wieder um meine berufliche Zukunft kümmern, ausserdem werde ich die ganze Woche an den Anmerkungen des Lektors an der Hausbesetzernovelle arbeiten.
Wir sind immer noch da. Aber nach 5 Tagen auch schon ein bisschen müde. Teenager sind zudem erstaunlich empfänglich für Chill-Phasen. Erwachsene prügeln ja gerne ein anspruchsvolles Programm durch, Teenies hingegen liegen auch gerne einfach auf dem Sofa und schauen ins Telefon. Das finde ich sehr löblich und kommt meinem Biorhythmus durchaus entgegen.
Was wir gemacht haben, für mich fürs Protokoll:
Mo: am Abend vom Flughafen abgeholt, dann Burritos bestellt und “How to buy drugs online (fast)” geschaut Di: Gamestation am Potsdamer Platz besucht, Kollhofftower bestiegen, Burgermeister am Schlesischen Tor gegessen, ins Kino und “Venom 3” geschaut Mi: Fahrradrundfahrt, Alex, Potsdamer Platz, Kreuzberg, den mutmasslich besten Döner der Stadt bei 7days am Kottbusser Tor gegessen und abends zu Hertha ins Olympiastadion wo wir ein spektakuläres Spiel sahen Do: mittags Sushi, nachmittags den ersten Teil von Venom auf Prime Video geschaut, abends zu Alba im Euroleague Spiel gegen Istanbul Fr: mit dem Auto zum Teufelsberg gefahren, auf dem Rückweg durch den Wedding zu Curry Baude, abends Chicken Wings bei Brewdog, dann den zweiten Teil Venom
Auf diese Weise geht eine Woche rum. Die Jungs wollten vor allem viel unterschiedliches Essen probieren. Heute gingen wir einmal alle Mahlzeiten durch und das Highlight war offenbar Burgermeister am Schlesischen Tor. Aber auch alle anderen Mahlzeiten fanden sie richtig gut. Berlin, die Hauptstadt des Essens. Höhö.
Wir schalten auf die dunkle Zeit des Jahres um und es wird kühler, erst kommt Halloween, dann Allerseelen, im November fallen die Blätter, als würden sie die Tage herunterzählen, die Tage werden kürzer, ruhiger, die Dämmerung kommt immer früher, man schaltet wieder die Lichter an, trifft sich zunehmend in Innenräumen, bei Freunden zu Hause, in Bars, in Kneipen, bei gedämmtem Licht, bei Wärmequellen. Draussen knöpfen wir uns die Jacken immer höher zu, wir tragen Mützen und auf dem Fahrrad auch Handschuhe, im Dezember sind wir eingepackt, manchmal fällt der erste Schnee und der Boden knistert, es wird immer dunkler, ab Mitte Dezember verabreden wir uns kaum noch, wir sagen Meetings ab, verschieben die Dinge auf das neue Jahr, wir fahren uns alle runter, immer dunkler, bis zum 21. Dezember zu und dann schalten wir den Motor aus, es kommen die Lichterketten, das Essen, das viele Bier und dann hängen wir tagelang herum bis die Jahreswende über uns hereinkommt. Danach kommt der seltsam tote Januar. Immerhin habe ich an dessen Ende Geburtstag. Dieses Jahr werde ich fünfzig, vielleicht sollte ich es feiern. Andererseits fand ich letzten Januar in Lappland so schön, das würde ich gerne wieder erleben, allerdings lassen sich Erfahrungen ja nicht wiederholen, vielleicht lade ich Freunde zu mir nach Hause ein, ich sollte ohnehin mehr zelebrieren. Danach erst kommt der furchtbare Februar und der furchtbare März, der magische Teil des Winters ist längst vorbei und das Olympiastadion wird zum Kühlschrank, da will man, dass der Winter jetzt doch vorbeigeht, aber Berlin schickt uns immer noch eine dritte oder vierte Spätwinterwoche nach.
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Früher war der Winter die Zeit, in der ich viel schrieb. Der Sommer hämmert immer auf mich ein, der Sommer baggert an mir, ich soll rausgehen, die Sonne scheint, alle Menschen fahren ihre Blüten aus. Der Winter holt mich hingegen rein, beruhigt mich, da fand ich immer Zeit für die langen Prosatexte.
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Am Montag kommen die beiden Jungs meiner Schwester. Es wird eine aufregende Woche. Gestern fragte ich in meinem Fanclubchat nach dem besten Döner und dem besten Burger und dem besten Sushi und der besten Currywurst. Natürlich bestand die Gefahr, einen religiösen Krieg auszulösen. Es hielt sich allerdings in Grenzen. Die Jungs interessieren sich vor allem für Essen, das finde ich gut, wir werden Spass haben.
Ich weiss nicht, wie gut ich in dieser Woche Tagebuchschreiben kann. Sie schlafen schliesslich in meinem Arbeitszimmer und ich werde ja ständig den Plan in der Hand halten. Mal sehen.
Nach einem solchen Abend bin ich immer sehr selbstkritisch. Meine Performance war eher mittelmässig. Ich lese viel zu schnell und nuschle dabei. Ich bin aus der Übung. Aber das wird wiederkommen. Wenn demnächst die Novelle rauskommt, werde ich vielleicht wieder öfter vor Publikum lesen und es wird wieder besser flutschen. Ausserdem bin ich wegen der Arbeit an der Novelle sehr motiviert die Arbeit an den anderen, langen Prosatexten wieder aufzunehmen, ich täte gut daran, das Nuscheln abzustellen.
Gestern fehlte mir ein wenig die Zuversicht in den Texten. Es waren rohe Texte, direkt aus dem Blog, unlektoriert und nur wenig geschliffen. Die Stadiontexte funktionieren als Tagebucheinträge einigermassen okay, vor einem zuhörenden Publikum brauchen sie aber noch mehr Feinschliff. Das merke ich mir fürs nächste Mal. Aber mein Bauch! Wenn ich wählen könnte, den Bauch loszuwerden oder das Nuscheln, würde ich mich für den Bauch entscheiden. Christian Bale nuschelt schliesslich auch und legt dabei eine gute Performance hin.
Dennoch war es ein schöner Abend. Christian Barons Tante sass im Publikum. Das ist die Frau aus dem Roman, die ihn später aufzog. Und Natalie sass überraschenderweise im Publikum, deren Namen zwei Mal in meinen Texten vorkam. Um sie nicht zu erschrecken, warnte ich sie sicherheitshalber vor. Nachher meinte sie aber, dass sie das gut fand. Später redete ich noch lange mit dem Mann, der für die Räumlichkeiten zuständig ist. Er erzählte mir vom Autorenforum Berlin, einer wöchentlichen Veranstaltung, in der Texte von vortragenden Autorinnen besprochen werden. Da fahre ich sicherlich einmal hin, auch wenns in JWD-Steglitz liegt.
Shit, morgen ist ja schon Freitag und damit Lesung. Meine innere Zeitwahrnehmung war im Dienstag hängen geblieben. Was ziehe ich bloss an? Und ich habe wieder so viel zugenommen.
Jetzt alle Lesungstexte für Freitag lesefest gemacht. Ausserdem stellte ich den technischen Unterbau für den englischsprachigen Herthapodcast “DMTF – don’t mention the fussball” fertig. Es ist schon ein älterer Podcast, aber wegen den Platzbeschränkungen bei Soundcloud wollten die Jungs einen anderen technischen Unterbau, damit man leichter hochladen und auch ein Archiv anlegen kann. Habe ich jetzt gemacht.
Undsonstso. Meine Frau ist gerade krank und ich fürchte mich davor, mich anzustecken. Am Montag kommen meine beiden Neffen. Ich freue mich sehr auf die beiden, wir werden eine spassige Woche haben. Aber da muss ich natürlich fit sein. Wir werden sehr viel unternehmen. Sie wollen vor allem gut Essen (echten Döner, echte Currywurst und mehr oder weniger echtes Sushi) und zu Hertha gehen. Nächste Woche gibt es zwei Heimspiele, am Mittwochabend im Pokal und Samstagabend in der Liga gegen Köln. Flutlichtspiele. Das wird bestimmt super. Und generell werden wir viel unterwegs sein, sie haben sehr viel Lust auf grosse Stadt. Krank werden wäre nicht besonders cool.
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Ich frage mich, ob Sperrbildschirme persönliche Happyplaces sind:
Schon seit Längerem überlege ich, die Domain mequito.org aufzulösen. Der Erwerb dieser Domain war vor 21 Jahren ein lustiger Gag, weil ich gerade in Madrid lebte und von vielen Menschen “Mek” genannt wurde, woraus ich schliesslich “Mequito” ableitete. Jetzt wohne ich schon wirklich lange nicht mehr in Spanien und habe auch kaum noch Bezug zu dem Land. Dabei finde ich Spanien wirklich schön, ausserdem wirkt es derzeit, neben Irland und Norwegen, wie das einzige wirklich progressive Land auf dieser Welt. Dennoch hat sich damals zwischen uns keine echte Liebe entwickelt. Das mag daran liegen, dass ich eigentlich nur die Niederlande verlassen wollte und Paris als neuen Wohnort vorzog, als mir mein damaliger Arbeitgeber eine Stelle in Madrid anbot. Es fühlte sich immer nach Plan B an und wurde nie eine Liebesbeziehung. Zudem beschwörten die langen und unerträglich heissen Sommer keine Glückgefühle in mir herauf.
Die Domain mequito.org fühlt sich also schon seit langer Zeit etwas fremd an. Unter dieser Adresse erwartet man etwas anderes als einen Südtiroler in Berlin, der seinen Urlaub in der Arktis verbringt. Die ersten paar Monate lief dieses Blog unter dem Namen “antarctica.dhs.org”, das war die ursprüngliche Ausgangslage, zuvor betrieb ich in den Neunzigern meinen ersten eigenen Mailserver unter antarctica.xs4all.nl. Ich hatte wohl damals schon einen Fimmel.
Die Domain mequito.org behielt ich jedenfalls trotzdem, schlichtweg, weil es anstrengend ist, ein Blogsystem auf neue Domain umzuziehen. Aber demnächst habe ich wieder etwas Zeit, deswegen beschäftigte ich mich bereits mit neuen Namen. Ich entschied mich für “esregnet”. Schwierig wird allerdings die Wahl der Toplevel-Domain, also bei der sogenannten Endung. Das .de ist schon besetzt und bei allen anderen bin ich eher mittelmässig begeistert.
Das ist die Liste:
esregnet.de -> besetzt esregnet.org -> ich war immer ein Fan von .org Domänen aber es passt besser zu richtigen Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen und solchen Sachen esregnet.cloud -> lustig wegen Regenwolke. Aber auch nur deswegen. esregnet.eu -> nah esregnet.me -> hat was, das verwenden Frau Fragmente und Frau Modeste. Danach hörte sie aber auf zu bloggen. Kein gutes Omen. esregnet.berlin -> hm vielleicht, aber eher näh esregnet.fun -> hehe esregnet.life -> lustig, aber das klingt, als wäre es etwas schlechtes esregnet.com -> besetzt
esregnet.sj -> SJ ist Spitzbergen. Aber diese Domains werden nicht vergeben esregnet.blog -> nah, zu bloggig esregnet.beer -> näh, zu bierig esregnet.edeka -> gibt es tatsächlich esregnet.fish -> religiöse Symbolik, hat was, passt aber nicht zum Inhalt esregnet.monster -> lustig, aber esregnet.xxx -> lustig, aber. Ausserdem besteht das Risiko, dass man mich dann nur noch ohne “safe search” googlen kann esregnet.one -> diese Toplevel Domain kannte ich gar nicht. Hat was. esregnet.black -> Würde ich normalerweise sofort nehmen, es passt farblich aber nicht. Was mich jetzt zu langem Nachdenken gebracht hat esregnet.blue -> passt farblich irgendwie besser esregnet.bz -> Belize. Oder das ehemalige Kfz Kennzeichen für Bozen. Wir von vielen Bozner Initiativen verwendet. Könnte lustig sein, aber ach, meine Personality ist nicht so Bozen. Und in Bozen regnet es ja nie esregnet.aq -> Antarctica. Kostet aber 7 Euro pro Monat
esreg.net -> hm esregn.et -> hm. Äthiopien. Hat was. Die beiden letzten sehen aber etwas zerstückelt aus.
Auf dem Flug zurück sass eine Frau Anfang vierzig neben mir. Zuerst scherzten wir ein bisschen hier und da wegen der engen Sitze und der Gurten, die sich so schwierig einstecken liessen. Das Scherzen ging sofort in ein Gespräch über. Anfangs sprachen wir über den Grund unserer Aufenthalte in Südtirol. Sie war beruflich unterwegs, auf einer Konferenz, dabei hatte sie allerdings viel Zeit gefunden, sich in der Gegend umzusehen und war völlig von der Landschaft in der Umgebung ihres Hotels verzaubert. Wir redeten über die Berge und über Landschaften. Auch redeten wir über die bedrohliche Weltlage und wir redeten über meine Kindheit in den Bergen und dass ich mit Markus Lanz auf der Schule war. Dabei waren wir uns einig, dass sein Gesprächspartner Precht ein komischer Typ sei. Ich machte mich zwei Jahre älter, als ich tatsächlich bin, ich weiss nicht, warum ich das tat, ich lüge eigentlich nie über mein Alter und erst ist es seltsam, mich zwei Jahre älter zu machen. Sie sagte, dass ich aber wesentlich jünger aussähe. Da hätte ich schon gerne nachgeschoben, dass ich nur 49 Jahre alt bin, aber jünger auszusehen ist ja auch eine gute Sache und die Wahrheit war ja nicht wichtig, nach der Landung würden wir uns nicht mehr wiedersehen, es muss ja nicht alles immer wahr sein, man kann einfach eine schöne, kurze Zeit miteinander haben, mit ihr zu reden war sehr nett, sie war wegen des Fluges auch etwas nervös, also tranken wir Gin Tonic und stiessen auf die Flugnervosität an. Wenn ich von mir erzähle, erwähne ich eigentlich immer meine Frau, das mache ich schon aus Gewohnheit, wenn ich beispielsweise über meine Sommerurlaube in Schweden erzähle, aber auch in anderem Kontext. Und Frauen gegenüber ist es fair, wenn man gleich den sozialen Status auswickelt, schliesslich trage ich keinen Ehering, viele Menschen achten darauf. Heute war es das erste Mal, dass ich das nicht tat. Das Gespräch war einfach nett, ich mochte sie, ein leichter, harmloser Flirt, wir würden uns nicht mehr wiedersehen, ein bisschen fühlte ich mich wieder, als sei ich achtzehn, das kann man mal machen.
Irgendwann über Prag hatte ich wieder meine App mit den offline Karten in der Hand. Damit kann man per GPS sehen, wo man sich gerade befindet. Europa war bewölkt. Dann sagte sie: Du, ich finde unser Gespräch ja sehr schön. Es würde mich freuen, wenn wir in Kontakt blieben. Ich sagte natürlich, dass mich das auch freuen würde und tatsächlich freute es mich auch, allerdings wurde ich auch aus einem etwas plüschigen Schlaf gerissen. Sie gab mir ihre Telefonnummer. Diese trug ich in mein Adressbuch ein und ich sagte, ich würde ihr nach der Landung, wenn ich den Flugmodus wieder ausschalte, eine Whatsapp schicken.
Zehn Minuten später erwähnte sie einen Mann, mit dem sie zusammen sei. Dieser sei Italiener und so lerne sie gerade nebenher Italienisch. Bald darauf streute ich die Erwähnung meines Schwagers. Ich bin mir nicht sicher, ob es der netten Plauderei einen Abbruch tat. Ein bisschen vielleicht schon. Aber vielleicht auch nicht.
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So viel Traurigkeit heute. Morgens, als ich mit der Hündin unterwegs war, sass eine Frau mit ihrem Telefon an einer Häuserwand und weinte so laut, dass man es in der ganzen Strasse hören konnte. Als ich zwanzig Minuten später zurückkam, sass sie immer noch da und redete laut weinend in ihr Telefon hinein.
Nachher traf ich das Frauchen von Paule. Die Frau ist 79 und schwerhörig. Sie ist nicht mehr besonders fit. Aber meine Hündin liebt sie, weil sie von ihr immer mit Leckerlis versorgt wird. Die alte Frau kam heute ohne Paule. Sie läuft neuerdings oft ohne ihren Hund, weil sie Probleme mit der Lunge hat und ihre Werte nicht gut sind, weswegen sie immer zum Arzt geht und da nimmt sie Paule natürlich nicht mit. Ich sagte schon von Weitem: “Na heute wieder beim Arzt gewesen?” Sie redet gerne über ihre Gesundheit, die Frage kann man also stellen. Diesmal blieb sie aber sehr ernst, sie hielt an und schien nach Worten zu suchen. Dann sagte sie, dass Paule vorletzte Nacht verstorben ist.
Wie schwer der Tod eines Hundes einen trifft, habe ich erst verstanden, seit ich meine eigene Hündin habe. Vorher dachte ich immer, das seien halt Haustiere. Wie Goldfische. Oder Hamster. Wie sie über ihren Hund redete, merkte man, dass sie einen Partner verloren hat. Sie sieht ihn überall. In seinem Körbchen, auf dem Bett, in der Küche. Paule hatte seit dem Sommer Krebs. Mit den Schmerzmitteln hielt er sich eigentlich ganz gut. Aber heute früh fand sie ihn nicht mehr. Ihre Wohnung ist zwar klein, aber Paule war unauffindbar. Bis sie in seine Hundehütte schaute. Paule lag nie in seiner Hundehütte. Die hatte er einmal geschenkt bekommen und seitdem steht sie da. Er ging aber nie hinein. Jedoch hatte er sich dort zum Sterben zurückgezogen.
Sie hat nun seinen leblosen Körper in eine Decke gewickelt und in den Keller gebracht. Heute kommt ein Freund, dann bringen sie ihn nach Pankow ins Krematorium. Irgendwann will sie sich wieder einen Hund zulegen, aber sie ist ja schon 80 und bis sie über Paule hinweg sei, dauert es ja auch eine ganze Weile. Vielleicht war es auch ihr letzter Hund.
Später im Park setzte ich mich kurz auf eine Bank. Die Hündin unterhielt sich mit einem Erdloch und ich las Nachrichten. Am Rande des Parks weinte wieder eine Frau in ihr Telefon. Sie lief langsam.
Für mich persönlich lief der Tag aber ganz okay. Die Traurigkeit um mich herum wird schon kein Vorbote sein.