Mulackstraße. Berlin-Mitte.
[gourmand]
Neben mir auf dem Fensterbrett stehen die Kräuterpflanzen. Von den Läusen hoffnungslos erfasst. Sie sterben nur langsam, weil ich Hoffnung habe, was deren Qual jedoch nur verlängert. Den Basilikum habe ich vor einigen Wochen gerodet, weil er mir schon Angst machte, aber der Salbei, das Liebstöckl, der Origano und der Thymian: sie halten noch. Das Liebstöckl vielleicht nicht mehr lange, die Läuse hängen wie Trauben an seinen Stängeln, das sieht schon sehr bedrohlich aus, auch komisch, diese Vorliebe für den Stängel, beim Basilikum war es genau umgekehrt, lieber das Blatt als den Stängel, aber was weiß ich schon vom Menüplan der kleinen Viecher, jedenfalls bin ich gerade sehr gut im Verdrängen, die Pflanzen stehen neben mir und hin und wieder gebe ich Wasser, Wasser hilft ja immer, gegen Kopfweh, gegen Dehydrierung und gegen den Sommer und weil ich ja voller Hoffnung bin, gieße ich eben gegen das Aufgeben, und weil meine Seifenlösung nicht geholfen hat, und weil Desinfektionsmittel nicht gefolfen hat und weil auch der Haarspray nicht geholfen hat, mit dem ich die verdinsgten Läuse auf politisch total inkorrekte Manier kaputtgestylt hab.
Nach der Sache mit dem Haarspray hatte ich eine ziemliche Weile ziemlich schlechtes Gewissen und ließ deshalb das Treiben neben mir auf dem Fensterbrett ziemlich seinen Gang gehen. Ich sah zwar wie sie wieder an den Stängeln den Saft aus der Pflanze lutschten, aber um einzugreifen fehlte mir jegliche Erlaubnis von oben. Der Himmel schaut unentwegt auch mich herab.
Mit dem schlechten Gewissen auf dem Fensterbrett ergoogelte ich heute Blattläuse. Und weil ich Blattläuse ergoogelte, ergoogelte ich vor allem deren natürliche Feinde. Marienkäfer. Niedliche Biester, solange man sie nicht unterm Miskroskop unter die Lupe (haha. jaja) nimmt.
Ich las, dass Marienkäfer dermaßen populär geworden sind, dass man sie als Schädlingskrieger sogar im Einzelhandel erwerben kann, in Form von Eiern oder Larven. Ich hatte es eben ergoogelt, die Sonne war längst im westlichen Branbenburg versunken, mein kleines Penseezimmer leuchtete einsam in diesem finsteren Berliner Hinterhof und ich schaute nach rechts, über mein schlechtes Gewissen am Fensterbrett hinweg und sah auf der Außenseite der Fensterscheibe den Himmel, der als kleiner, kreisförmigen Käfer auf der Außenseite auf meiner Fensterscheibe krabbelte.
Ich weiß nicht warum, aber ich erkannte den Marienkäfer von unten.
Und so holte ich ihn natürlich herein und legte ihn in das Liebstöckl, mitten in das Läuseleben. Er war völlig erregt, drehte sich, trapste aufgeregte Schritte vor und zurück, es war ein Fest, ein Festschmaus. Drei Minuten lang. Ohne vom Buffet gegessen zu haben verließ er die Szenerie und zog sich zurück auf ein Blatt des Salbeis im Schatten meiner Schreibtischlampe. Erstmal schlafen, ist ja schon spät, das liegt auf dem Magen so eine Läusesippe. Der Gourmet gegen den Gourmand. Ich glaube morgen geht es los.
[wollt ich nurmal gesagt haben]
[…]
Rock&Wrestling. Himmel, wie vermisse ich Hamburg wenn ich sowas sehe. Berlin ist zu cool für sowas. Oder weint darüber, dass früher alles besser war. Je nach Gesinnung.
Via wie auch anders.
UPDATE: Hauptstadtlutscher
[…hallo]
Hallo, hörst Du mich, ja, moment, sagwas, ich höre Dich auch, moment, so, besser.
Dieses Urmisstrauen in Skype, das sich auch nach dem hundertsten Male nicht einstellen will. Ich werde jetzt beim Abnehmen immer in mein Handy rufen: Hallo, hörst Du mich, ja, moment, sagwas, ich höre Dich auch, moment, so, besser.
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Meine Exex-Freundin, aus holländischen Zeiten, mit der ich seit etwa einem Jahr wieder regen Kontakt pflege, hat jetzt Skype, was die Gespräche ungemein entspannt. Sie hat vor einem halben Jahr ihr zweites Kind zur Welt gebracht, sie sagte von Anfang an, dass mit dem Kleinen etwas nicht in Ordnung sei, er halte sich so unnatürlich schief, als sei er verformt, aber die Ärzte wiegelten ab, das sei nichts, sie könne beruhigt sein, ein Haltungsfehler vielleicht, das pendle sich mit der Zeit wieder ein.
Ihr Mann, ein Rastafari, blieb auch cool. Wird schon nichts sein.
Unterdessen geht alles weiter wie es bisher ging, sie erzieht die beiden Kinder in einem kleinen mittelalterlichen Städtchen in der niederländischen Provinz, er, Rastamusiker lebt vorwiegend in Amsterdam, macht Musik, raucht Joints, folgt den guten Vibes und geht manchmal aufs Land um nach seiner Familie zu sehen. Geld hat er keines, er ist verkannter Musiker, das bringt kein Geld, sie finanziert ihn, weil sie an ihn glaubt, und weil sie ihn liebt, auch wenn er sich dann wochenlang nicht blicken lässt, auch nichts von sich hören lässt, verschollen mit dem Typen der ihn einmal zu einem Drogenschmuggel aus Curacao überreden wollte. Ab und zu kommt er dann, lässt sich als Vater feiern, ist so gütig und begattet seine Frau und alles ist gut.
Als sie ihn einmal vor etlichen Jahren unter Druck gesetzt hat, er solle sich mehr um die Kleine kümmern, er solle seine Verantwortung als Vater wahrnehmen, zog er sich zurück und meldete sich drei Wochen später, er müsse die Beziehung beenden, er brauche seinen Freiraum, aber sie seien verheiratet, sie müsse ihm weiterhin die Miete für seine Wohnung bezahlen. Irgendwann beruhigen sich die Gemüter, es verweichen sich die Forderungen, sie kommen sich wieder nahe, sie nimmt ihn zurück.
Inzwischen verschlechterte sich ein altes gesundheitliches Übel meiner Exex. Die Wirbelsäule. Mittlerweile ist sogar die Halspartie betroffen. Streckenweise kann sie nur noch mit Schmerzmitteln leben. Sie muss ihre Arbeit einschränken, sie restauriert als Selbstständige antike Möbel, das kostet körperliche Kraft. Ihr Einkommen schrumpft, das Einkommen für die Tochter, das Einkommen für den Mann.
Dann das zweite Kind. Der Junge mit der komischen Haltung.
Irgendwann kommt dann doch eine Diagnose: KISS Syndrom. Nichts supertragisches, aber doch so stark ausgepärgt, dass der Kleine therapiert werden muss, möglicherweise über viele Jahre hinweg.
Dem hält die Beziehung nicht stand, es überfordert den Mann. Er kehrt zurück nach Amsterdam. Das ist jetzt zwei Monate her.
[Alles wertend natürlich]
[20.7.]
Gestern mit der S-Bahn nach Köpenick gefahren, jetzt wo man noch vergleichsweise unbehelligt mit der S-Bahn fahren kann, ab heute steht ja so vieles still, und dann dachte ich mir, Mensch Meko, jetzt tu mal nicht so bedeutungsschwer über die S-Bahn sinnieren, am Ende gehst Du das noch bloggen, Du fährst nach Köpenick um C zu besuchen, einen anderen Grund hat das nicht, und so kam ich nach Köpenick, C wartete am Bahnhof und wir spazierten zu seiner Wohnung, redeten über seine gescheiterte Ehe und über Stolz und den Dingen die man sich deswegen verwehrt, er kochte die leckerste Pasta mit Tomatensugo östlich des Teltows und öffnete einen spanischen Wein und so saßen wir an seinem Küchenfenster, schauten runter auf eine Hauptstraße, kauten köstliche Nudeln, und hatten um die Mittagszeit schon ziemlich einen im Tee. Aber warum ich das jetzt aufschreibe, ich wollte ja nicht mehr wirklich tagebuchbloggen, ist, um die S-Bahn zu erwähnen, dass ich am letzten Tag vor dem großen Ausfall, S-Bahn gefahren bin, bis ganz nach Köpenick, und es ist jetzt furchtbar peinlich dies zu erwähnen, aber was ist wenn man dieses Blögchen in tausend Jahren unter einem Felsen wiederfinden wird und nichts vom Ausfall der Stadtbahn wiederfinden werden, wo ihnen ja schon die Einweihung des Kinderspielplatzes hier um die Ecke entgangen ist.
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Ein Bericht aus 1882, von einer der ersten Fahrten mit der sogenannten Stadtbahn auf der Berliner Ost-West-Achse (die übrigens später überall den Namen S-Bahn prägen wird).
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Die Morgenpost fragt in ihrer sogenannten Online Debatte ihre Leser: Was sagen Sie zum Chaos bei der Berliner S-Bahn? Geben sie Ihren Kommentar ab
Sie hätten auch Kotztüten verteilen können.
Und nein, das verlinke ich jetzt nicht. Der Mob ist immer so gruselig.
(Ab Montag bricht bei der S-Bahn die Ost-West-Achse weg. Für die nicht-Berliner unter uns: seit zwei Monaten wackelt bei der S-Bahn so ziemlich alles und ab Montag wird alles was zuvor wackelte, einfach umfallen. Und wie schwer das Gewicht einer Ost-West-Achse wiegt, sagt ja schon der Name.)
[16.7.]
Ich verbringe in diesen Tagen die Nächte und lange Abende merkwürdig angespannt im Büro oder arbeitsmäßig verknüpft am Rechner, wegen dieser Ausnahmesituation die wir gerade fahren. Fahren fahren fahren. Das habe ich absichtlich so geschrieben, weil ich gerade in einer Raumkapsel sitze und die Sterne an mir vorbeiziehen sehe, die Nahen schnell und die Entfernten langsam und unterm Hintern dieses leise aber immer wahrnehmbare Brummen der Fahrt.
[…]
Während Birgit Minichmayr in Alle anderen über die Leinwand bretterte, fiel mir auf wie unglaublich fortgeschritten das Ganze auf einmal geworden ist, schon fast eine zivilisatorische Leistung, um es in überschwänglicher Rhetorik zu formulieren, wie man mit einem ungewöhnlichen Gesicht, oder besser noch: wie man mit der ungewöhnlichen Erscheinung der Minichmayr plötzlich einen Typ Frau in Szene setzen kann der nicht mit Schönheit punktet, nicht mit der Gazellenhaftigkeit einer Fee, auch nicht mit dem üblichen Typus einer starken Frau, und auch nicht allen anderen Attributen die den Frauen auf Leinwänden so angeschrieben werden, dabei hat sie zwar einen unheimlich tollen Hintern, der in Alle anderen geradezu zelebriert zu werden scheint, aber allem voran ist es diese, diese, diese, ja was ist es nun eigentlich.
Möglicherweise ist es neben ihrer energiegeladenen Präsenz, gerade alles was sie eben nicht hat, was man aber die ganze Zeit über erahnt, eine Art Brüchigkeit.
[12.7.]
Ein bisschen sprachlos gewesen in den letzten beiden Wochen, was nicht am Stoff lag, da ja so vieles passiert ist, sondern wegen der Pflicht, aus der ich mich wieder genommen habe, und wenn ich mich nicht in die Pflicht nehme, hier im Blog von den Dingen zu erzählen, dann picke ich wieder in den Geschehnissen herum, zerwühle, sortiere, knete und schiebe es beiseite. Anstatt Gebete vorzutragen. Die Irrelevanz. Schon witzig wie anders das früher war, das Gefühl, man wolle es der Welt mal erzählen.
Jedenfalls war gestern ein guter Tag. Und heute ist P aus Wien zu Besuch und wir gehen jetzt auf den Flohmarkt in den Mauerpark und nachher ins Due Forni an den Senefelder Platz, so leicht wie die Sonntage manchmal sind.
[maria]
Maria wartete auf dem Bürgersteig in der Rosenthaler Straße und ich kam von einem der Spreestrände am Ostbahnhof, von der Firmenfeier, und hatte den Umweg durch das Klosterviertel genommen weil ein Taxifahrer neulich diesen Umweg gefahren war, als ich aus Kreuzberg nach hause musste und während jener Fahrt kam ich drauf, dass das gar kein Umweg ist, sondern schlicht die schönere Route, und so torkelte ich auf dem Fahrrad durch diese eigenartige historische Kulisse: Stralauer Straße, Spandauer Straße, merkwürdiges Stück Stadt, so vollkommen aus dem Zusammenhang geholt, und wenn ich nachts betrunken durch diese Stadt fahre, dann werde ich ja immer ungemein ehrfürchtig, so mit dramatischer Musik im Kopf und den Bildern der historischen Momente (meist Bombennächte oder der kalte Krieg in einer plakativen Größe die mir immer die Sicht nimmt) vor Augen, so auch gestern, ich feierlich betrunken auf der Spandauer Straße, geblendet und kopflos, da packte ich mich hin, ich weiß nicht mehr warum, das Gleichgewicht vermutlich, und donnerte mit lautem Krach in die Gosse, dass mir heute noch die Knochen schmerzen, doch raffte ich mich gleich auf, die Schmerzen würde ich erst nach dem Ausschlafen spüren und die Stadt war um diese Uhrzeit so leer, niemand würde mir zu Hilfe eilen wenn ich noch lange im Graben liege und wimmere, dann zwei Ecken weiter, in der Rosenthaler Straße, stand Maria auf dem Bürgersteig und rief mir zu: „hey du schicker Typ im schicken weißen Anzug, wie wäre es mit uns beiden?“ Worauf ich ein wenig die Haltung verlor, auf meinen Anzug hinunterschaute und mir dachte: „Scheiße Du trägst ja diesen weißen Anzug“ und spontan fiel mir in diesem Zusammenhang der Sturz ein und dann sah ich auch schon meine ganze rechte Körperhälfte, oder Anzugshälfte eben, eingeschwärzt. Ich hatte angehalten und dachte über meinen Anzug nach, Maria stand neben mir, fragte, ob ich nicht noch wolle. Ich lachte und antwortete: nein es tut mir leid, ich bin vergeben, das schickt sich nicht, und sie sagte, das sei egal, die Frau zuhause würde ja nichts davon erfahren und griff mir dabei mit der Hand in den Schoß, und ich sagte, ach laß das sein bitte, das bringt nichts, und sie sagte, dochdoch, sie sei um diese Uhrzeit auch nicht mehr so teuer. Sie knetete an meinen Dingern und ich fragte: wie heißt Du? Und sie sagte: Maria. Und ich sagte: Maria, Du bist schön, aber ich will jetzt gehen. Sie sagte: ach bitte. Und ich sagte: Nein, tut mir leid. Und sie: ach bitte. Und ich: Nein sorry. Und sie: ach bitte.
Ich verabschiedete mich mit einem freundlichen Gruß. Zehn Meter weiter hallte ihr Flehen nach und ein tiefes Schuldgefühl erfasste mich. Ich drehte um und sagte: sorry Maria, ich wollte Dich nicht abweisen, tut mir leid. Und sie sagte, das ist gut, ich koste nur noch achtzig heute. Und ich sagte: nein, so meinte ich das nicht. Und sie sagte: was meinst Du dann? Und ich sagte: ich weiß es nicht.
Wir standen ein bisschen da. Und sie sagte: komische Nacht heute. Und ich sagte: ja, vermutlich.