[tagebuchblog:4.11.]

Nachdem ich gesternfrüh todmüde und geschafft aus dem Büro nachhause gekommen war und mich auf das Schlafen vorbereitet hatte – Zähne geputzt, Kleider vom Leib geschält – setzte ich mich auf das Sofa und war unfähig zu schlafen, unfähig mich zu beruhigen, das Nervenkleid vom Leib zu schälen, ich wippte mit dem Bein und schaute abwechselnd zwischen der Landschaft vor dem Fenster und den Dingen in meiner Wohnung, hin und her, eben noch so viele Gedanken gehabt, so viele Gespräche, der nervöse Beat der noch in den Beinen nachwippte.
Später legte ich mich versuchsweise ins Bett, zählte bis anderthalb, und fand mich um 5 Uhr nachmittags wieder.

Drei Stunden später mich noch auf ein paar Drinks mit Kollegen ins Basil am Hackeschen Markt gesetzt. Auch etwas gegessen dort. Auch da, der eigenartige Loungecharakter, der sich immer als Untergang von Berlin entlarvt.

[3.11.]

Es ist ja nur so, dass ich soeben nachhause gekommen bin, und mich gleich ins Bett legen werde, ich bin schließlich ein bisschen durch den Wind, nach dieser langen Nacht im Büro, ich konnte vorhin Berlin nicht mehr von Hamburg unterscheiden, für manche mag das Blasphemisch sein, für manche hingegen einerlei und für meinen mittlerweile wieder in die Firma gekommene Chef, war das der Grund um mich nachhause zu schicken, nicht weil er etwas gegen Hamburg hätte, beigott nein, aber egal, mich hat gestern ja eher dieses hinüberpilgern zu Antville gewissermaßen betrübt, fängt dieser elitäre Scheiß wieder an, ich bin stolze Bürgerin von antville.org oder die Keimzelle der deutschsprachigen Blogs, (usw), rechtes Gefasel einer religiösen Gemeinschaft, unbedingt der coolen Gemeinschaft anhängen wollen und sich den Namen an die Blogadresse tackern, es überrascht mich gar nicht, den ZiWo dort wieder zu sehen. Seit Jahren das erste mal wieder. War der nicht tot?

[2.11.]

Unendlich deprimierendes Wetter.
Unendliches, deprimierendes Wetter.
Unendliches Depri-Wetter.

Heute wollten meine Schwester, K und ich ins Kino gehen, Dust of Time schauen, aber es war absehbar, dass ich in der Rufbereitschaft von der Arbeit angerufen werden würde. Wir haben da gerade so Schwierigkeiten.
Deshalb haben wir uns zuhause getroffen und einen riesigen Kohlsalat zubereitet. Meine Schwester hat Camembert in Sonnenblumenkernen gebraten. Statt des Kinos haben wir dann David Lynch’s Lost Highway gesehen.

[1.9.]

Sonntag. Auf dem Flohmarkt am Mauerpark eine Lampe gekauft die einem umgedrehten japanischen Schirm ähnelt. Bei näherem Hinsehen ist nichts davon japanisch, es sind Pflanzen abgebildet, auf einem cremefarbenen Kunststoff, der auf einem schirmähnlichen Gerüst gespannt ist, aber bei näherem Wegsehen denkt man dabei an Japan, Menschen in Kimonos vielleicht, die durch eine Landschaft von umherwehenden Kirschblüten spazieren, oder diese papierne Wände in Holzrahmen wie man sie von Bildern eines traditionellen Japans kennt, oder zu kennen meint, und hier oute ich mich als totaler Banause.
Der Schirm ist jedenfalls nicht japanisch, er ist auch ein bisschen versifft, und verrostet, den Kunststoff musste ich von kleinen, dunklen Flecken, vermutlich Nikotin bzw. Teer, befreien. In dieser schirmartigen Lampe befinden sich jedenfalls drei Glühbirnen und wenn man die Lampe umgekehrt an die Decke hängt, werden die Birnen die Decke erleuchten und durch den Kunststoff nach unten, als cremig-gedämpfter Lichtschirm, ein bisschen Japan vorgaukeln.

Später die Lampe geputzt und mir viel vorgenommen (Spiegel aufhängen, Lampe aufhängen, den Türabsatz im Bad schleifen, usw.), doch dann Tillmann Rammstedts Buch von den Erledigungen vor der Party gelesen (das Buch heißt so ähnlich, und vielleicht sogar genauso, aber ich bin jetzt zu müde um danach zu sehen, es liegt schon auf meinem Kissen) und ziemlich eingedudelt worden. Ich verstehe nie was Menschen an ihn so lustig finden, der Typ ist so durch und durch traurig, dass es eine wahre Freude ist.

[31.10.]

Gestern mit K in den Hackeschen Höfen Hanekes Weißes Band geschaut. So lala gefunden. Also schon gut, diese beklemmende Stimmung war sehr mitreißend, auch die Bilder waren schön, die Gesichter, und das was man Charakteraufnahmen nennt, durchaus ein sehenswerter Film. Doch verließen wir das Kino mit einer gewissen Gleichgültigkeit, nichts war besonders gut, nichts wollte haften bleiben, nichts woran man sich stieß, woran man sich erfreute, worin man die Zähne hätte setzen wollen. Es blieb das Gefühl vorherrschend, Zeit verschwendet zu haben. Aber das ist sicherlich subjektiv.

Als wir das Kino verließen las ich von vier Anrufen in Abwesenheit auf meinem Handy. Sowas mag ich nicht, ich sehe dann sterbende Menschen vor mir, wie sie blutend am Straßenrand liegen und in den letzten Atemzügen versuchen mich zu erreichen. Die Nummer war unterdrückt, aber der Anrufer hatte in seinen letzten Atemzügen auf mein Band gesprochen.

Es war meine Schwester. Meine Schwester sollte erst am heutigen Samstag in Berlin ankommen, aber meiner Schwester Stimme auf dem Band, sagte, sie sei jetzt _da_, sie säße in der Brunnenstraße in einem Cafe und würde Ingwertee trinken, und ich kenne meiner Schwester Lebensraum zwar nicht in Detail, aber zur Genüge, um zu wissen: wenn sie von der Brunnenstraße redet, und dabei das _dasein_ betone, sie auch die Brunnenstraße in Berlin meinte, woraufhin wir in die u8 stiegen und ins Akikaurismäki gingen, dieses Cafe das eigentlich ganz anders heißt, wir aber immer so nennen, weil wir uns den richtigen Namen, etwas Finnisches, nie merken können, aber Aki Kaurismäki ohnehin das beste ist, das Finnland je hervorgebracht hat, ausser den finnischen Clubs natürlich, weil die ja ohnehin immer das Beste sind, und wir das jedenfalls immer als legitime und versnobte Bezeichnung verwenden, weil Akikaurismäki ja cool genug ist um hineinzugehen.
Meine Schwester saß sort jedenfalls beim Ingerwetee und alles war irgendwie supergut.


Samstag. Der Samstag begann etwas mühsam. Um die Ankunft meiner Schwester zu feiern hatte ich am Vorabend ein paar Whiskys zu viel getrunken. Zuviel zuviel zuviel. Das war es gar nicht. Doch habe ich Rufbereitschaft in dieser Woche und das Rufbereitschaftstelefon hatte mich die halbe Nacht lang wach gehalten, und das ist dann zuviel wenn man ein paar Whiskys zuviel hat.
Den Rest des Tages haben wir verspaziert. Schwester, K und ich. Durch die Stadt gelaufen, Architektur besichtigt und am Alexanderplatz Zutaten für die Kürbissuppe gekauft, weil heute, tataaa!, Halloween!, und der Wunsch mitzumachen ist dann doch ein großer Wunsch, synchron mit dem Rest irgendwelcher Hemispheren im Nordatlantik, sowas wie Kultur pflegen. Sowas wie Teil einer Sippe zu sein und zu wissen, alles ist gut.
Während dem Kochen rief C an, er sei in der Gegend, ob jemand noch Gesellschaft wolle.
Gesellschaft war gut.

[29.10.]

Mit meinem semi-defekten Netbook zurück zu Saturn gegangen. Feierabend, der Saturn am Alex. Die Helfer in den blauen Saturnhemden, sind nicht wirklich helfbedürftig. Dieses Gefühl man hätte etwas verbrochen, es zwingt einem zu überfreundlichem Vokabular und zu […]. Aber ich larmoyiere natürlich nur rum, sie haben mir das Teil natürlich ersetzt.
Danach, am Abend mit Casino über ein paar Gläser Wein im Liebling am Helmholtzplatz gesessen, geredet, über alles, ich glaube wirklich über alles.
Auch meine Ex-Nachbarin getroffen. Ich sehe sie nicht oft, aber ich sehe sie immer wenn ich ins Liebling gehe. Das ist so eine eigenartige Konstante. Wir sagen dann immer, achmensch, wir müssen uns mal treffen, lass uns mal etwas trinken!, dabei ist es so todsicher, dass ich sie treffe wenn ich ins Liebling gehe, dass dass dass. Nunja, dass es eben todsicher ist. Für mich natürlich nur, sie ist ja öfter da. Aber das ist quatsch.

[28.10.]

Heute Homeoffice gemacht, weil der Mensch von den Wasserwerken die Wasseruhren austauschen kommen musste. Homeoffice ist die Pest, zu viel persönliche Dinge die mich umgeben, als könnte ich privates und berufliches nicht auseinanderhalten. Never fuck your Hauspantoffeln, oderso.
Da der Mensch ziemlich früh kam, habe ich noch am Vormittag die Hauspantoffeln für die Schuhe eingetauscht und bin ins Büro gefahren. Und Seelenfrieden kam herein. Woher auch immer.

Abends pensiert.
Doch war ich leicht unruhig. K kam später aus Bremen zurück und wir beschlossen diese unsäglich ätzende Serie zu schauen, die wir aus einem unerklärlichen Grund einmal angefangen hatten zu schauen und trotz der Erkenntnis, dass die Serie wirklich schlecht ist, und in den USA nicht grundlos abgesetzt wurde, haben wir immer wieder den Fernseher dafür eingeschaltet. Harpers Island. Charaktere die uns nicht interessieren, ein Plot der uns nicht interessiert, die Suche nach einem Mörder der uns nicht interessiert. Aber wir haben schon in Wikipedia nachgeschlagen und wissen wer der Mörder ist. Was das Desinteresse nur noch uneträglicher macht.

Nachher habe ich tagebuchgebloggd.

[27.10.]

OK, Tagebuchbloggen wieder, losgehts: ein typischer praktischer Tag. Mit der einzigen Abweichung, dass er sich im Nachhinein sehr unpraktisch anfühlt. Anfühlt_wie_unpraktisch_gewesen.
Was ist also passiert: neben den vielen Stunden im Büro, die ich tagebuchbloggend immer erfolgreich zu umgehen weiß, wollte heute vornehmlich der Haushalt angegriffen werden. In den paar Abendstunden die noch blieben. Haushalt hieß vor allem alle Wäsche aus dem Urlaub irgendwie zu sortieren (in die Waschmaschine) und die Koffer zu leeren, damit sie in den Keller gebracht werden und nicht unnötig Platz einnehmen. Hat so einigermaßen geklappt.

OK, das war jetzt superlangweilig.

Vielleicht ist das spannender: Kalbssteaks gemacht. Nicht ich, sondern K. Ich bin ja nur der Typ der den Salat schleudert und das Feuer macht. Gut, ich habe auch den Rosenkohl geputzt und in Hälften geschnitten. Ich könnte jetzt beschreiben wie wir die Steaks zubereitet haben, aber das ist auch superlangweilig.
Wir haben dann auf dem Sofa gegessen und dabei diese Doku zum Mauerfall im ZDF geschaut. War aber nicht besonders erhellend.

Nunja.
> Das eigenartige am Tagebuchbloggen ist ja, dass ich mir die Regel gemacht habe, auch einen solchen Textfetzen, der nun gründlich missglückt ist, nicht in die Tonne zu treten. Das Eigenartige ist die Regel. Nicht die Tonne.


Es gibt diese sonderbaren Tage, an denen jeglicher Output, sei es der Umgang mit Freunden, der Umgang mit Kollegen, genau so abgehakt und unforschend ist wie der Output den man nachher auf Papier setzt, ich meine, mein ganzer Tag hat sich schon so angefühlt wie der Beat dieses Textes: nichts mehr suchen, nicht mehr buddeln, sondern erledigen, abhaken, aber nicht schleifen lassen oder verschieben, sondern erledigen, strikt den Code folgend, Häkchen setzen. Und gerade während ich versuche das hier zu erklären, merke ich, wie ich es gar nicht erklären, sondern abhaken will.

[26.10.]

Wieder zurück in Berlin und beschlossen, erneut einen Monat lang Tagebuch zu bloggen. Ohne besonderen Grund, nur weil ich gerade Lust dazu habe, wenn es übermorgen wieder anders ist, dann ist es übermorgen eben wieder anders, dann gehe ich vielleicht twittern, was jetzt klingt wie: dann gehe ich halt auf die Bahamas!, aber das ist ja Quatsch, so etwas so klingen zu lassen, doch ist mein Problem mit Twitter jenes, dass ich genau weiß, warum ich bald wieder damit aufhören werde, es ist das Rauschen das ich nicht mag, es ist der ungefilterte Fluß an Information der überspült, es nimmt mir die Konzentration, ich werde schon so einfach abgelenkt, der nervöse Blick über den eingegangenen Status, die Wulst die es zu filtern gilt, ich käme mir vor wie ein menschlicher Spamfilter.
Zu wissen, dass ich bald wieder aufhören werde, und dann noch mit diesem Urteil das ich mir gebildet habe, macht es mir wirklich schwer.

Vorhin jedenfalls auf dieser Jour-Fitz-Lesung in der Stargarder Straße gewesen, eine neue Lesereihe die sich, wenn ich es richtig verstanden habe, Twitterern widmet, die auch mal längere Texte schreiben, aber es fehlt in dieser meiner Beschreibung eine Information, die ich jetzt auch nicht mehr nachzutragen weiß. Jedenfalls ist alles sehr Twitterig, und das ist witzig. Vor mir sitzt eine art Saschalobo, aber dann in schlank und mit schwarzem Iro, er hält ein iPhone in der Hand, dreht sich lachend zu mir um und fragt: Wo ist der Hashtag? und ich antworte: ja. Weil ich auf diesen Witz auch nur ein globales, weltumfassendes „ja“ zu antworten weiß. Er schaut mich an und fragt: ja? Ich antworte: nein.
Ich habe noch kein Twitteraccount, ich muss mich vermutlich nicht schämen.
Ich kannte nur wenige Menschen. Es war eine Bloggerin dort, die ich rothaarig in Erinnerung habe, doch schien sie mir diesmal viel blonder, aber ich kenne sie nicht weiter und das war es dann auch schon.
Lisa war da als Lesende, und sie war ja der Grund, warum ich überhaupt da war, und auch Andre vom Boschblog, den ich noch aus Hamburg kenne. Zu Lisa will ich nicht viel sagen, sie ist super, sie weiß um die Stimmung des Publikums das ein wenig hibbelig wird bei ihren leisen Texten, und sie liest gnadenlos leise weiter. Und feixt dabei in die Menge. Ihr Buch ist vielversprechend und erscheint im Mai bei Suhrkamp. Auch Andre ist super. Mit seinem geschriebenen Wort wurde ich nie gänzlich warm, aber vorgetragen sind seine Texte überraschend gut, sehr pointiert, sehr witzig, sehr klug auch, ich weiß nicht warum mir diese Attribute beim Lesen verlorengangen sind. Ich werde mich der Sache nochmal annehmen.
In der Pause bin ich dann gegangen. Es war mir zu heiß in dem Raum und zu eng und mein rechtes Bein war eingeschlafen. So, und ein weniger abruptes Ende wäre auch nicht schlecht, aber den eigenartigen Regen will ich jetzt nicht mehr beschreiben.