[13.8.]

Ich bin ganz eigenartig erholt seit meinem Urlaub, es hält an, im Inneren ruhe ich immer noch in diesem roten Häuschen im Wald und esse panierten Fisch mit Kartoffeln, und äußerlich esse ich zum Früshtück noch den mitgebrachten Schmelzkäse mit Krabben, die beste Erfindung der Schweden nach nach nach, nunja, nach Schmelzkäse mit Flußkrebsen vielleicht.

Bin so begeistert deswegen.

[Relevanz ist Ententanz]

[tillbaka]

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Unser Häuschen ist das letzte am Stromnetz aus westlicher Richtung. Nördlich von uns, nach anderthalb Kilometern Wald, steht ein Bauernhof, direkt danach ein weiteres Häuschen. Südlich von uns, zwei Kilometer Wald weiter, ein verlassenes Haus, danach sechzehn Kilometer Wald und dann ein kleines Dorf. Östlich gibt es erstmal Wald, und danach Wald und dann nochmal Wald. Irgendwann kommt laut Landkarte ein Dorf, und dann ein weiteres Dorf. Dazwischen, danach und daneben: Wald.

Westlich von uns fließt ein kleiner Fluss auf dem wir tagsüber manchmal rudern, wir fahren hoch bis zum Wasserfall, wir erzählen uns Sachen, von Tanten, von daheim, von den Menschen. Die Erzählungen werden ganz plastisch beim Plätschern der Ruder im Wasser. Am Ufer sind die Baumwurzeln blankgespült. K sagt da gingen die Trolle ihren Beschäftigungen nach: schlafen frühstücken, einkaufen, meeten, Powerpoint-Präsentationen vorführen.

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Wenn spät Abends sich der Himmel verdunkelt, verdunkeln sich die Baumkronen, es verdunkelt sich der Weg vor dem Küchenfenster, es verdunkelt sich die kleine Lichtung mit dem hölzernen Tisch, es verdunkelt sich der Weg zum Klo hinter der Scheune. Es verdunkelt sich die Sicht auf die Vorgänge.
Und der Wald dehnt sich, die Kilometer ziehen sich in die Länge, und werden zu endlosen, finsteren Weiten, zu Orten gehörtner Zwerge, doppelzüngiger Weiblein, nach Fäule riechender Schuppenmenschen die in flackerndem Schein des Feuers Ratten zerlegen.

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Die Aufregungen vom Lande: der verstopfte Abfluss. Ich bekomme die Aufgabe der Abwasseraufsicht zugewiesen. Das Abwasser ist verstopft und versickert schon beim Zähnepuzten nur zögerlich. Die Waschmaschine braucht daher eine Abwasseraufsicht. Ich sitze draußen auf einem Sofa, die Beine lässig auf einem Holzstuhl, auf dem Holzstuhl ein gefülltes Glas Prosecco, über meine Beine, die als Stütze funktionieren, hinweg, führt der Abwasserschlauch in einen Eimer, der in einer Wanne steht, ich sitze da, lese Christoph Hein und K sitzt drinnen auf der schleudernden Waschmaschine und singt mit vibrierendem Zwerchfell die schwedische Nationalhymne.

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K’s Vater und ich fällen eine Birke die am Wegesrand gefährlich überhängt. Mit einer Motorsäge und einem dicken Seil bringen wir den Baum in die gewünschte Richtung zu Boden. Quer über den Weg drüber, in eine kleine Lichtung hinein. Mit der Axt schlagen wir die mittleren und kleineren Äste vom liegenden Stamm, mit der Säge die Großen. Wir wechseln dabei keine Worte, ich halte mit der Axt den Stamm fest wenn er sägt, er unterstützt mit seinem Fuß den Druck auf dem Stamm wenn ich schlage. Wir nehmen die Äste, zerkleinern diese noch einmal, in Stücke so kurz wie sie in den Herd passen. Ich nehme meine Elle als Maß. Den Stamm sägen wir nachher in ebenso große Stücke. Nach anderthalb Stunden liegt der ganze Baum als Ofenholz im Holzschuppen zum Trocknen. Am Wegesrand erinnert nur ein Baumstumpf an die Birke.
Die Frauen haben kaum etwas davon mitbekommen. Wir Männer aber wissen jetzt alles was wir voneinander erfahren wollten.

Abschnüffeln ist zu steinzeitmäßig.

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Ich bin kein Naturmensch. Ich hasse Insekten, ich dusche nicht gerne kalt, ich kacke nicht gerne auf die Kacke anderer Leute, ich will mich nicht dauernd auf Zecken untersuchen (allerdings lasse ich mich gerne auf Zecken untersuchen, doch bleibt das ein Workaround und ich hasse Workarounds, zwar weniger als Insekten), ich hasse bäh.
Aber es war natürlich klasse.

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Sie kann mich nicht zuordnen. Ich sitze in der ersten Klasse, exponiert und habe mich breit gemacht. Bücher, Laptop, Halbliterflasche Rotwein. Sie kommt auf mich zu. Sie hat etwas hanseatisch nobles und unheimlich biederes an sich. Ich sitze dort exponiert, mein Bart, mittlerweile zum Vollbart herangewuchert, ist ungestüm, mein Haupthaar lang und ziemlich schmutzig, verwildert vom Leben im Wald. Sie kommt auf mich zu und kneift ihre Augen zusammen. Sie ist möglicherweise sechzig, reist nur erste Klasse, eine edle Dame, nicht ganz stilsicher, aber sicher, wie man sich in ihrem Villenviertel kleidet.
Ich stinke die erste Klasse voll, bin schon ein bisschen angetrunken, schreibe einen Text über die Liebe, über das Ermessen, über den größere Kontext, ich trage Nadelstreife, Hose, Jacket, schwarzes Hemd und eine schicke Krawatte. Sie kommt auf mich zu und kann mich nicht zuordnen. Sie bleibt vor mir stehen und atmet tief durch. Dann geht sie weiter.

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Tillbaka

[sve]

Ich habs ja nie so mit dem Süden, erst recht nicht im Sommer, ich bin ja nicht blöde und fahr der Hitze nach. Die Hitze ist nur gut um nächtens draußen bei einem zwei drei Gläsern Wein dem Mond nachzuschauen. Und um Pistazieneis zu essen.
Überall geh ich hin, in den Osten in den Westen in den Norden, aber es muss wirklich nicht der Süden sein.

Morgenfrüh fahre ich nach Schweden. Für eine Woche in ein hölzernes Haus im Wald. Daneben fließt ein kleiner Bach der sich zu einem See aufstaut, sodaß man darin schwimmen kann, abends streunen Marder und Elche um das Haus herum und ich habe gehört, Elche seien so groß, dass man mit dem Auto untendurch fahren kann und wenn man Pech hat, fallen sie auf das Auto drauf, und dann ist gewissermaßen alles platt.
Morgen fahre ich jedenfalls mit dem Zug nach Schweden. Ich werde viel aus dem Fenster schauen und Wasser an mir vorbeiziehen lassen.

[gourmand]

Neben mir auf dem Fensterbrett stehen die Kräuterpflanzen. Von den Läusen hoffnungslos erfasst. Sie sterben nur langsam, weil ich Hoffnung habe, was deren Qual jedoch nur verlängert. Den Basilikum habe ich vor einigen Wochen gerodet, weil er mir schon Angst machte, aber der Salbei, das Liebstöckl, der Origano und der Thymian: sie halten noch. Das Liebstöckl vielleicht nicht mehr lange, die Läuse hängen wie Trauben an seinen Stängeln, das sieht schon sehr bedrohlich aus, auch komisch, diese Vorliebe für den Stängel, beim Basilikum war es genau umgekehrt, lieber das Blatt als den Stängel, aber was weiß ich schon vom Menüplan der kleinen Viecher, jedenfalls bin ich gerade sehr gut im Verdrängen, die Pflanzen stehen neben mir und hin und wieder gebe ich Wasser, Wasser hilft ja immer, gegen Kopfweh, gegen Dehydrierung und gegen den Sommer und weil ich ja voller Hoffnung bin, gieße ich eben gegen das Aufgeben, und weil meine Seifenlösung nicht geholfen hat, und weil Desinfektionsmittel nicht gefolfen hat und weil auch der Haarspray nicht geholfen hat, mit dem ich die verdinsgten Läuse auf politisch total inkorrekte Manier kaputtgestylt hab.

Nach der Sache mit dem Haarspray hatte ich eine ziemliche Weile ziemlich schlechtes Gewissen und ließ deshalb das Treiben neben mir auf dem Fensterbrett ziemlich seinen Gang gehen. Ich sah zwar wie sie wieder an den Stängeln den Saft aus der Pflanze lutschten, aber um einzugreifen fehlte mir jegliche Erlaubnis von oben. Der Himmel schaut unentwegt auch mich herab.

Mit dem schlechten Gewissen auf dem Fensterbrett ergoogelte ich heute Blattläuse. Und weil ich Blattläuse ergoogelte, ergoogelte ich vor allem deren natürliche Feinde. Marienkäfer. Niedliche Biester, solange man sie nicht unterm Miskroskop unter die Lupe (haha. jaja) nimmt.
Ich las, dass Marienkäfer dermaßen populär geworden sind, dass man sie als Schädlingskrieger sogar im Einzelhandel erwerben kann, in Form von Eiern oder Larven. Ich hatte es eben ergoogelt, die Sonne war längst im westlichen Branbenburg versunken, mein kleines Penseezimmer leuchtete einsam in diesem finsteren Berliner Hinterhof und ich schaute nach rechts, über mein schlechtes Gewissen am Fensterbrett hinweg und sah auf der Außenseite der Fensterscheibe den Himmel, der als kleiner, kreisförmigen Käfer auf der Außenseite auf meiner Fensterscheibe krabbelte.
Ich weiß nicht warum, aber ich erkannte den Marienkäfer von unten.

Und so holte ich ihn natürlich herein und legte ihn in das Liebstöckl, mitten in das Läuseleben. Er war völlig erregt, drehte sich, trapste aufgeregte Schritte vor und zurück, es war ein Fest, ein Festschmaus. Drei Minuten lang. Ohne vom Buffet gegessen zu haben verließ er die Szenerie und zog sich zurück auf ein Blatt des Salbeis im Schatten meiner Schreibtischlampe. Erstmal schlafen, ist ja schon spät, das liegt auf dem Magen so eine Läusesippe. Der Gourmet gegen den Gourmand. Ich glaube morgen geht es los.

[wollt ich nurmal gesagt haben]

[…hallo]

Hallo, hörst Du mich, ja, moment, sagwas, ich höre Dich auch, moment, so, besser.
Dieses Urmisstrauen in Skype, das sich auch nach dem hundertsten Male nicht einstellen will. Ich werde jetzt beim Abnehmen immer in mein Handy rufen: Hallo, hörst Du mich, ja, moment, sagwas, ich höre Dich auch, moment, so, besser.

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Meine Exex-Freundin, aus holländischen Zeiten, mit der ich seit etwa einem Jahr wieder regen Kontakt pflege, hat jetzt Skype, was die Gespräche ungemein entspannt. Sie hat vor einem halben Jahr ihr zweites Kind zur Welt gebracht, sie sagte von Anfang an, dass mit dem Kleinen etwas nicht in Ordnung sei, er halte sich so unnatürlich schief, als sei er verformt, aber die Ärzte wiegelten ab, das sei nichts, sie könne beruhigt sein, ein Haltungsfehler vielleicht, das pendle sich mit der Zeit wieder ein.
Ihr Mann, ein Rastafari, blieb auch cool. Wird schon nichts sein.
Unterdessen geht alles weiter wie es bisher ging, sie erzieht die beiden Kinder in einem kleinen mittelalterlichen Städtchen in der niederländischen Provinz, er, Rastamusiker lebt vorwiegend in Amsterdam, macht Musik, raucht Joints, folgt den guten Vibes und geht manchmal aufs Land um nach seiner Familie zu sehen. Geld hat er keines, er ist verkannter Musiker, das bringt kein Geld, sie finanziert ihn, weil sie an ihn glaubt, und weil sie ihn liebt, auch wenn er sich dann wochenlang nicht blicken lässt, auch nichts von sich hören lässt, verschollen mit dem Typen der ihn einmal zu einem Drogenschmuggel aus Curacao überreden wollte. Ab und zu kommt er dann, lässt sich als Vater feiern, ist so gütig und begattet seine Frau und alles ist gut.
Als sie ihn einmal vor etlichen Jahren unter Druck gesetzt hat, er solle sich mehr um die Kleine kümmern, er solle seine Verantwortung als Vater wahrnehmen, zog er sich zurück und meldete sich drei Wochen später, er müsse die Beziehung beenden, er brauche seinen Freiraum, aber sie seien verheiratet, sie müsse ihm weiterhin die Miete für seine Wohnung bezahlen. Irgendwann beruhigen sich die Gemüter, es verweichen sich die Forderungen, sie kommen sich wieder nahe, sie nimmt ihn zurück.
Inzwischen verschlechterte sich ein altes gesundheitliches Übel meiner Exex. Die Wirbelsäule. Mittlerweile ist sogar die Halspartie betroffen. Streckenweise kann sie nur noch mit Schmerzmitteln leben. Sie muss ihre Arbeit einschränken, sie restauriert als Selbstständige antike Möbel, das kostet körperliche Kraft. Ihr Einkommen schrumpft, das Einkommen für die Tochter, das Einkommen für den Mann.
Dann das zweite Kind. Der Junge mit der komischen Haltung.
Irgendwann kommt dann doch eine Diagnose: KISS Syndrom. Nichts supertragisches, aber doch so stark ausgepärgt, dass der Kleine therapiert werden muss, möglicherweise über viele Jahre hinweg.
Dem hält die Beziehung nicht stand, es überfordert den Mann. Er kehrt zurück nach Amsterdam. Das ist jetzt zwei Monate her.

[Alles wertend natürlich]

[20.7.]

Gestern mit der S-Bahn nach Köpenick gefahren, jetzt wo man noch vergleichsweise unbehelligt mit der S-Bahn fahren kann, ab heute steht ja so vieles still, und dann dachte ich mir, Mensch Meko, jetzt tu mal nicht so bedeutungsschwer über die S-Bahn sinnieren, am Ende gehst Du das noch bloggen, Du fährst nach Köpenick um C zu besuchen, einen anderen Grund hat das nicht, und so kam ich nach Köpenick, C wartete am Bahnhof und wir spazierten zu seiner Wohnung, redeten über seine gescheiterte Ehe und über Stolz und den Dingen die man sich deswegen verwehrt, er kochte die leckerste Pasta mit Tomatensugo östlich des Teltows und öffnete einen spanischen Wein und so saßen wir an seinem Küchenfenster, schauten runter auf eine Hauptstraße, kauten köstliche Nudeln, und hatten um die Mittagszeit schon ziemlich einen im Tee. Aber warum ich das jetzt aufschreibe, ich wollte ja nicht mehr wirklich tagebuchbloggen, ist, um die S-Bahn zu erwähnen, dass ich am letzten Tag vor dem großen Ausfall, S-Bahn gefahren bin, bis ganz nach Köpenick, und es ist jetzt furchtbar peinlich dies zu erwähnen, aber was ist wenn man dieses Blögchen in tausend Jahren unter einem Felsen wiederfinden wird und nichts vom Ausfall der Stadtbahn wiederfinden werden, wo ihnen ja schon die Einweihung des Kinderspielplatzes hier um die Ecke entgangen ist.

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Ein Bericht aus 1882, von einer der ersten Fahrten mit der sogenannten Stadtbahn auf der Berliner Ost-West-Achse (die übrigens später überall den Namen S-Bahn prägen wird).

[…]

Die Morgenpost fragt in ihrer sogenannten Online Debatte ihre Leser: Was sagen Sie zum Chaos bei der Berliner S-Bahn? Geben sie Ihren Kommentar ab
Sie hätten auch Kotztüten verteilen können.
Und nein, das verlinke ich jetzt nicht. Der Mob ist immer so gruselig.

(Ab Montag bricht bei der S-Bahn die Ost-West-Achse weg. Für die nicht-Berliner unter uns: seit zwei Monaten wackelt bei der S-Bahn so ziemlich alles und ab Montag wird alles was zuvor wackelte, einfach umfallen. Und wie schwer das Gewicht einer Ost-West-Achse wiegt, sagt ja schon der Name.)

[16.7.]

Ich verbringe in diesen Tagen die Nächte und lange Abende merkwürdig angespannt im Büro oder arbeitsmäßig verknüpft am Rechner, wegen dieser Ausnahmesituation die wir gerade fahren. Fahren fahren fahren. Das habe ich absichtlich so geschrieben, weil ich gerade in einer Raumkapsel sitze und die Sterne an mir vorbeiziehen sehe, die Nahen schnell und die Entfernten langsam und unterm Hintern dieses leise aber immer wahrnehmbare Brummen der Fahrt.