[…]

Während Birgit Minichmayr in Alle anderen über die Leinwand bretterte, fiel mir auf wie unglaublich fortgeschritten das Ganze auf einmal geworden ist, schon fast eine zivilisatorische Leistung, um es in überschwänglicher Rhetorik zu formulieren, wie man mit einem ungewöhnlichen Gesicht, oder besser noch: wie man mit der ungewöhnlichen Erscheinung der Minichmayr plötzlich einen Typ Frau in Szene setzen kann der nicht mit Schönheit punktet, nicht mit der Gazellenhaftigkeit einer Fee, auch nicht mit dem üblichen Typus einer starken Frau, und auch nicht allen anderen Attributen die den Frauen auf Leinwänden so angeschrieben werden, dabei hat sie zwar einen unheimlich tollen Hintern, der in Alle anderen geradezu zelebriert zu werden scheint, aber allem voran ist es diese, diese, diese, ja was ist es nun eigentlich.

Möglicherweise ist es neben ihrer energiegeladenen Präsenz, gerade alles was sie eben nicht hat, was man aber die ganze Zeit über erahnt, eine Art Brüchigkeit.

[12.7.]

Ein bisschen sprachlos gewesen in den letzten beiden Wochen, was nicht am Stoff lag, da ja so vieles passiert ist, sondern wegen der Pflicht, aus der ich mich wieder genommen habe, und wenn ich mich nicht in die Pflicht nehme, hier im Blog von den Dingen zu erzählen, dann picke ich wieder in den Geschehnissen herum, zerwühle, sortiere, knete und schiebe es beiseite. Anstatt Gebete vorzutragen. Die Irrelevanz. Schon witzig wie anders das früher war, das Gefühl, man wolle es der Welt mal erzählen.

Jedenfalls war gestern ein guter Tag. Und heute ist P aus Wien zu Besuch und wir gehen jetzt auf den Flohmarkt in den Mauerpark und nachher ins Due Forni an den Senefelder Platz, so leicht wie die Sonntage manchmal sind.

[maria]

Maria wartete auf dem Bürgersteig in der Rosenthaler Straße und ich kam von einem der Spreestrände am Ostbahnhof, von der Firmenfeier, und hatte den Umweg durch das Klosterviertel genommen weil ein Taxifahrer neulich diesen Umweg gefahren war, als ich aus Kreuzberg nach hause musste und während jener Fahrt kam ich drauf, dass das gar kein Umweg ist, sondern schlicht die schönere Route, und so torkelte ich auf dem Fahrrad durch diese eigenartige historische Kulisse: Stralauer Straße, Spandauer Straße, merkwürdiges Stück Stadt, so vollkommen aus dem Zusammenhang geholt, und wenn ich nachts betrunken durch diese Stadt fahre, dann werde ich ja immer ungemein ehrfürchtig, so mit dramatischer Musik im Kopf und den Bildern der historischen Momente (meist Bombennächte oder der kalte Krieg in einer plakativen Größe die mir immer die Sicht nimmt) vor Augen, so auch gestern, ich feierlich betrunken auf der Spandauer Straße, geblendet und kopflos, da packte ich mich hin, ich weiß nicht mehr warum, das Gleichgewicht vermutlich, und donnerte mit lautem Krach in die Gosse, dass mir heute noch die Knochen schmerzen, doch raffte ich mich gleich auf, die Schmerzen würde ich erst nach dem Ausschlafen spüren und die Stadt war um diese Uhrzeit so leer, niemand würde mir zu Hilfe eilen wenn ich noch lange im Graben liege und wimmere, dann zwei Ecken weiter, in der Rosenthaler Straße, stand Maria auf dem Bürgersteig und rief mir zu: „hey du schicker Typ im schicken weißen Anzug, wie wäre es mit uns beiden?“ Worauf ich ein wenig die Haltung verlor, auf meinen Anzug hinunterschaute und mir dachte: „Scheiße Du trägst ja diesen weißen Anzug“ und spontan fiel mir in diesem Zusammenhang der Sturz ein und dann sah ich auch schon meine ganze rechte Körperhälfte, oder Anzugshälfte eben, eingeschwärzt. Ich hatte angehalten und dachte über meinen Anzug nach, Maria stand neben mir, fragte, ob ich nicht noch wolle. Ich lachte und antwortete: nein es tut mir leid, ich bin vergeben, das schickt sich nicht, und sie sagte, das sei egal, die Frau zuhause würde ja nichts davon erfahren und griff mir dabei mit der Hand in den Schoß, und ich sagte, ach laß das sein bitte, das bringt nichts, und sie sagte, dochdoch, sie sei um diese Uhrzeit auch nicht mehr so teuer. Sie knetete an meinen Dingern und ich fragte: wie heißt Du? Und sie sagte: Maria. Und ich sagte: Maria, Du bist schön, aber ich will jetzt gehen. Sie sagte: ach bitte. Und ich sagte: Nein, tut mir leid. Und sie: ach bitte. Und ich: Nein sorry. Und sie: ach bitte.
Ich verabschiedete mich mit einem freundlichen Gruß. Zehn Meter weiter hallte ihr Flehen nach und ein tiefes Schuldgefühl erfasste mich. Ich drehte um und sagte: sorry Maria, ich wollte Dich nicht abweisen, tut mir leid. Und sie sagte, das ist gut, ich koste nur noch achtzig heute. Und ich sagte: nein, so meinte ich das nicht. Und sie sagte: was meinst Du dann? Und ich sagte: ich weiß es nicht.
Wir standen ein bisschen da. Und sie sagte: komische Nacht heute. Und ich sagte: ja, vermutlich.

[futter]

Wie Susanne auch schon angemerkt hat, will Bloglines nicht mehr so richtig. Die vielen toten Feeds die nicht mehr aktualisiert werden. Ich erschrecke immer wieder, wenn ich über andere Blogs auf quicklebendige Blogs stoße die ich tot wähnte weil sie in meinem Feedreader nicht mehr aktualisiert werden.
Ich war schon so weit gegangen einige Blogs anzuschreiben, dass ihr Feed nicht mehr ginge, aber jetzt weiß ich es besser.
Ich habe mir jetzt mal dieses Netvibes angesehen aber Netvibes und ich, wir werden nicht richtig warm. Nicht so sehr die vielen Farben, sondern die Navigation ist es, die mir nicht zusagt. Ich hatte früher Sage lokal im Firefox und danach Bloglines um überall im Netz den gleichen Status der Feeds zu haben. Ich weiß jetzt nicht ob das altbacken ist, aber: ich vermisse bei Netvibes das Menü an der linken Seite. Links klicken, rechts Inhalt, das ist so einfach wie Butterbrot. Das mag ich.
Gibt es empfehlenswerte Feedservices die das so machen?

[03.07]

Ahh, der Sommer hat aufgehört zu zögern und jetzt faltet er ungeniert seine ganze Vulgarität über die Stadt aus, schwer, plump, drückend. Als müsse er noch lernen wie man sich verfeinert. Kommt noch. Deshalb sollten wir diese Nächte nutzen und sie draußen verbringen wo die warme Sommernachtsluft gerade obszön an allen Ecken angelehnt steht und mit dem Zeigefinder lockt.
Gestern saßen Modeste und ich in der Schwedter Straße bei Pappa e Ciccia, dieser Name der sich sinngemäß vielleicht mit Pampe und Hüftspeck übersetzen lässt, dabei weiß ich jetzt nicht wieso ich die Übersetzung erwähnen muss, ah doch ich weiß es, weil mir der Name gut gefiel, obwohl ich von witzigen Namen meistens Hautflecken kriege, aber Pappa e Ciccia würde der durchschnittliche Toskanaurluaber mit dem Wörterbuch vermutlich in Brei und Speck übersetzen, oder wenn es dezenter sein soll: Brei und Fett. Aber jede Sprache hat jedenfalls seine Umgangstöne.
So saßen Modeste und ich im Pampe und Hüftspeck und aßen wirklich vortreffliche Pasta, neben Menschen die im Brei und Speck saßen und wirklich vortreffliche Pasta aßen. Das war amüsant, mehr hat der Name aber nicht herzugeben.
Ich habe gerade den lakonischen Part inne, wie es aber wirklich war, erzählt euch die Madame.

Da ich gerade wieder am Tagebuchbloggen bin –man verzeihe mir bitte die letzten Tage, ich war anderswie berschäftigt– sollte ich vielleicht erwähnen, dass das händische Töten der Blattläuse auf meinem Basilikum, nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt hat. Auch nicht in der Konsequenz in der ich kleine grüne Mistviecher zerquetschte und nebenher der Planze Gutes tat, wie singen und summen und grüne Gedanken von mir geben. Vermutlich sind die Blätter und der Boden schon völlig kontaminiert, mit Eiern, die unablässig für Läusenachschub sorgen. Ich habe nämlich gegoogelt, ich weiß wie das mit den Läusen funktioniert.
K hat dann Desinfektionsmittel in die Pflanze gesprüht, seitdem bewegt sich da nichts mehr.

[28.6.]

Gestern früh sind wir um zehn Uhr mit den Federbetten ins Wohnzimmer umgezogen und haben 3Sat eingeschaltet, um mit Kaffee und dem Wettlesen in Klagenfurt im Ohr, ein bisschen weiterzudösen. Gregor Sander zum Frühstück war angenehm, diese warme Stimme, der Ton der Erzählung. Um 14 Uhr war alles vorbei und anschließend machten wir ein bisschen dies und ein bisschen das. K wollte das ganze Wochenende keine Pläne haben, weil ihre letzten Wochenenden alle so verplant gewesen sind. Ich hatte nichts gegen Planlosigkeit. Wir sind dann die Brunnenstraße in den Wedding hochspaziert und haben über die Sachen geredet die uns gerade über den Weg liefen.
Später mit dem Gedanken gespielt, vielleicht noch nach Schöneberg, zum CSD zu gehen. Doch war das zu aufwändig, denn, wenn Plan das erste ist das man nicht haben will, dann kommt Aufwand direkt danach.

Mein Basilikum hat Läuse. Ich habe meinen Basilikum ein paarmal zu oft lieblos behandelt (Trockenheit, keine Lieder vorgesungen), was ihm etwas von seiner Lebenskraft genommen hat. Läuse riechen es wenn Pflanzen mal ein bisschen down sind, und ich weiß nicht woher sie kommen, möglicherweise haben sie überall schlafende Eier verstreut, die mit Anlässen schlüpfen wie Winterschläfer nach dem Winterschlaf. Jedenfalls riechen Läuse das und nun sind sie über meinen Basilikum hergefallen. Der Schreck war groß, der Ärger auch. Und vor allem das Schuldgefühl. Zumal es meine neuen Babies betraf. Die, die ich als Samen, sozusagen mit der Milchflasche großgezogen habe. Läuse.
Ich habe jedes einzelne der hundert Blätter händisch abgestreift und damit die Läuse zerquetscht. Ich habe sie noch laufen sehen, es herrschte große Aufregung im Pestopflanzenhain.
Danach habe ich ihm Waiting For The Sun von den Doors vorgesummt.
Meine Finger stanken nach Läusepisse. Und in meinem Nacken und meinem Rücken, und in meinem Haar, an meinen Armen, zwischen meinen Beinen – überall juckte es auf einmal.
Jetzt wieder während ich das so niedertippe.

[27.6.]

Mit dem zweiten Kaffee in der Hand ging ich zu meinem Chef, ein paar Sachen zu besprechen. Wie der kritische Bug zu bewerten sei und wie das Wetter am Wochenende werde, und dass wir das Kickermatch nächste Woche unbedingt gewinnen müssen, da der Pokal in unserer Abteilung zu bleiben hat. Ich fragte ihn, warum er keine Tore mehr schieße, ob ich mir Sorgen mache müsse, vielleicht bräuchte er eine Pause, wer weiß, ihm Sommer bei dieser stickigen Luft in dem Raum mit dem Kickertisch, vielleicht sei das einfach nicht sein Ding, man rieche ja schon den Schweiß in der Luft, das sei alles so FightClub-mäßig und er sagte, er wisse nicht ob er ein sportlerisches Tief habe, aber er würde ja immer noch diese fetten Schüsse von ganz hinten machen und ich sagte, Michael Jackson sei gestorben, woraufhin sich die eine Kollegin umdrehte und sagte, das sei so tragisch und ich sagte, ja nicht toll das und Chef sagte, Jacko wäre unsere Jugend gewesen, er hätte uns alle ziemlich geprägt oder mindestens begleitet und ich fragte in die Runde warum wir alle so blöd in indirekter Rede reden würden, worauf die beiden mit den Schultern zuckten und wie aus einem Mund sagten: „Wees ick nüscht“. Ich wusste auch nicht, weshalb wir erstmal schwiegen, doch dann kam KK aus der Entwicklung und sie sagte: Mek ich brauche Dich nicht mehr, ich habe alles klären können. Das freute mich und ich sagte: das ist super, hast Du übrigens gehört, Michael Jackson ist gestorben, und sie sagte: Ja, ich habe es vorhin von jemandem gehört, nicht schön das. Ich nickte. Mein Chef schaute. Und die andere Kollegin schaute auch.

Ja, und jetzt weiß ich auch nicht mehr.

Heute hatte ich kein einziges Meeting. Was aber nicht heißt, dass man dann Arbeit vom Tisch schafft, wenn man nämlich dauernd am Platz sitzt, wird man auch dauernd von den Kollegen unterbrochen die immer schonmal fragen wollten, sich aber nie zu fragen wagten. Denen habe ich dann ein Beat it vorgesungen.
Wir haben Großraumbüro. Später fragte jemand lautstark: Wollte der Jackson sich eigentlich nicht einfrieren lassen? Und ich dachte: Herrje, wenn das heute so weiter geht, dann kann ich wirklich nur noch über Michael Jackson tagebuchbloggen, weil sonst nichts anderes passiert, aber dann unterbach jemand meinen Gedanken, der sagte: nein, der wollte doch in Sauerstoffzelten wohnen, und dann rief jemand dazwischen: aber jetzt ist er ja tot und daraufhin sagte jemand anders: dann kommt er eben als Zombie in Thriller2.0 zurück und irgendwie fanden das alle zum lachen.
Ja und jetzt. Passt alles nicht so zum Bachmannpreis.

[26.6.]

Zu lange im Büro gesessen um noch guter Dinge zu sein. Trotzdem noch abgewägt zur OPAK-Release-Party ins NBI zu gehen, weil das ja der eigentliche Plan war, und Plänen folge ich manchmal bäuchlings blickdichts blindlinks. BlindLINKS? Weitlinks Trassenkiez. [Himmel]

Doch dann die Pläne links liegen lassen und den Laptop an den Fernseher angeschlossen um mit K die Bachmannpreisfilme anzuschauen. Ich wollte erst Christiane Neudecker sehen, wegen des roten Rockes den sie scheinbar trug, doch sahen wir, aus Gründen die ich jetzt nicht mehr nachvollziehen kann, zuerst Karsten Krampitz und danach Philipp Weiss.
Danach war ich so müde, dass ich sagte: ich gehe jetzt tagebuchbloggen und danach falle ich tot ins Bett.
Jetzt sitze ich hier und falle bestimmt gleich tot ins Bett.

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Von Klagenfurt berichten:
Moni
Die Sopranisse
Andrea Diener

[25.6.]

Ich war am Vorabend doch betrunkener gewesen als ich in Erinnerung hatte, oder: betrunkener als ich gedacht hatte. Das merke ich meist erst am nächsten Tag wenn ich im Büro sitze und die Zeit nicht vorangehen will. Irgendwann bekomme ich schlechte Laune und seitliche Kopfschmerzen (Kopfschmerzen an der Seite) und dann fange ich an so deprimierende Musik zu hören mit der ich eine Symbiose eingehe und dann kippt die Laune von schlecht nach schwer, und die Laune bleibt nicht Laune sondern heisst dann tiefes schwarzes Loch, ich werde also zum schweren tiefen schwarzen Loch und dann weiß ich es wieder: so ein Kater der subtilen Sorte.

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Über die Chausseestraße gen Norden geradelt und dort den engen Stellen getrotzt. Ich fahre gerne durch die Chauseestraße, gleich wie ich gerne durch die Friedrichstraße fahre. Die Enge, das Abmessen, diese gewisse städtische Düsterkeit im Schatten der großen Straßen. Wie wir Verkehrer uns als zähe Masse durch die abgedunkelte urbane Kulisse fließen lassen.
Diesmal hatte ich aber keinen Bock auf diesen poetischen Scheiß und nahm den Füßgängerweg (Teer und Schwefel), was es nicht unbedingt besser machte, die Chausseestraße hat nämlicht nicht nur viel Verkehr auf dem Asphalt sondern auch auf dem Fußgängerweg, und bald stieß ich vor dem Hotel Soundso auf eine Menschentraube die das Hotel zu verlassen schien und damit den Fußgängerweg blockierte. Eine Menschentraube japanischer Touristen, Menschen aus Japan, die mir gerade so ungewöhnlich vertraut vorkommen, wegen dieser Murakami-Phase die ich momentan wieder habe, drei Bücher von ihm in einem Rutsch durchgelesen und jetzt gerade beim Vierten, ich lebe gedanklich schon fast in Japan, denke mich an diese, mir mystisch vorkommenden Orte wie Sapporo, hin, und die nächtlichen Fahrten durch Tokyo, die Gespräche mit den Menschen, sie sind mir so deutlich vor Augen und diese ganze japanische Welt, wie bekannt sie auch wirken mag, ja sehr europäisch sogar, aber immer liegt eine gewisse Firnis über den Figuren, über den Landschaften, unantastbar, die man nur mit den Augen betrachten darf, was sie dann für alle, die nicht ungläubige Thomase sind, zu einer Art Überwesen stilidingsen. Und so stieß ich in der Chauseestraße auf die Menschentraube japanischer Touristen und ich war auf einmal in Tokyo, auf dem Fahrrad, und ich wusste mich nicht mehr zu verhalten. Was waren die Regeln, waren sie an Fahrradfahrern gewöhnt, würden sie den Weg freimachen? Von Fahrrädern liest man in den Murakamibüchern ja nie.
Ich bin dann abgestiegen.