[tagebuchbloggend 3.1.]

Was ich vergessen hatte zu erwähnen, ist die Aufgeregtheit am Potsdamer Platz. Die Menschenströme von Außerhalb, die sich Berlin geben wollen und dann vor der Kulisse des Potsdamer Platzes landen, am plattgetretenen Dreieck: Reichstag, Brandenburger Tor, Potsdamer Platz. Ich gehöre ja zur Generation der Berliner, die den neuen Potsdamer Platz schon als integrierten Stadtraum wahrnehmen, und ihn auch entsprechend nutzen, wegen dieser gespielten Mondanität, der wir uns manchmal hingeben, Filme nur im Originalton zu sehen zu können, weil man bei synchronisierten Filmen, nach einer kurzen Entwöhnungsphase im Ausland, diese hermetische TOTALAKUSTIK der Syncronschaltung nicht mehr ausstehen kann. K und ich saßen in einem dieser Touristencafes an der Erhardt-irgendwas-Straße und tranken einen Kaffee, wir waren ziemlich ausgekühlt von der Kälte draußen, K las das Kinoprogramm und ich tat das, was ich früher beim Rauchen auch oft tat: in den Raum schauen. Nur hat man ohne Zigarette das Gefühl man sei ein Tagträumer, während die Zigarette immer die Bedeutungsschwere mitlieferte. Eine alte Erkenntnis. Mir kam jedenfalls in den Sinn, dass die Anwesenden vermutlich dem Trug erlegen wären, sich unter Berlinern zu befinden, das glaube ich, weil ich allen ernstes auch immer glaube, in Paris im 1mere Arrondissement zu sitzen und mich unter Parisern zu befinden, und genauso geht es den Berliner Touristen, sie setzen sich in die Bars am Potsdamer Platz und wähnen sich unter Berlinern, das ist vielleicht das Eigenartige dieses industriellen Massentourismusses – gegen den ich übrigens nichts habe – dass wir uns in, öhm, Sicherheit wähnen. Meine Schwester zieht übrigens wieder um. Der Entschluß alleine zu wohnen. (Diese KAPITALNEBENSÄTZE, ich komme in diesen Tagen nicht drumherum.). Ich begleitete sie zu einer Wohnungsbesichtigung im vorderen Samariterkiez, unweit der besetzten Häuser in der Rigaer-/Liebigstraße. Eine eindrucksvolle urbane Kulisse, die Sprache der bemalten Fassaden, die so explizit daherkommt, in der Ästhetik mit der wir früher die Flyer gestaltet haben. Ein Dutzend Häuser, sie wirken wie eine Territoriumsmarkierung, es ist wie Popart, recycled auf Gründerzeitpappe, TOTALÄSTHETIK. Erst beim Schreiben diese Zeilen fallen mir die Parallelen zum vorgestern erwähnten Quartier Jägerstraße auf, möglicherweise ist Aldo Rossi in seinen letzten Tagen der TOTALPOPART verfallen, der KAPITALTOTALÄSTHETIK, ein gewisser Brutalismus, der angewandt werden will, wenn man mit der Neuen Sachlichkeit brechen muss. Weshalb ich ja auch das Alexa so toll finde. Aber ich schweife ab. Wir haben uns dann diese Einzimmerwohnung im Erdgeschoß in einem Hinterhof angeguckt, die jetzt von den drei Typisierungen her ganz entsetzlich klingt. Das war aber gar nicht so. Die Wohnung war ziemlich geräumig, ziemlich billig, und ziemlich hell. Ich ging mit, weil ich ein fürchterlich neugieriger Mensch bin. Sehen wie Menschen wohnen, die Details, Gegenstände die Identitäten stiften, zu Personen assoziieren, Möbelstücke, und deren Ausrichtung, wie die Inseln geschaffen werden, wie Intimitäten geschaffen werden, überhaupt, wie der Lebensraum von Intimitäten lebt, wie der Stadtraum von Intimitäten lebt. Ich könnte immer nur Wohnungen ansehen. Mein bester Job war vielleicht Ende der Neunziger in den Niederlanden, als ich fast drei Jahre lang Möbel geschleppt habe, etwa 15 Wohnungen pro Tag, 4 Tage die Woche, 12 Monate im Jahr, ich habe damals NUR Wohnungen gesehen, und ich bin morgens mit wunderbarer Laune in die Fabrik gefahren. Später habe ich dann mit der Büroarbeit angefangen und dann bin ich fett wie eine Mozarella geworden, und schlechtgelaunt dazu. Aber gut, wovon wollte ich erzählen? Ach von den Tagen nur. Am Abend haben wir dann Billy Wilders One, Two, Three geschaut, Film aus ’61 über das Sektorenberlin, eine Komödie in der die Menschen unentwegt brüllen, wie so oft in den Filmen aus dieser Zeit, ich weiss nicht, sogar Willy Brandt hat ja immer gebrüllt, wenn er seine Reden hielt. Ich war am Ende des Filmes jedenfalls ein herbstliches Blätterhäufchen, irgendwas mit Espen oderso, und total erleichtert, als K in normalem und ruhigen Tonfall sagte: toller Film, was? Ich nickte. Der Film wurde übrigens von der Geschichte eingeholt; während der Dreharbeiten wurde die Mauer gebaut, und die ganze Thematik war danach für den Dings. Weshalb der Film anfänglich auch gefloppt ist. Erst später fing man ihn an zu schätzen. Heute kam meine Schwester am Nachmittag vorbei, weil sie sich auf dem Flohmarkt am Mauerpark eine TOTALVEREISUNG zugezogen hat. Ich hatte K kurz vorher eine Nackenmassage versprochen, also bat ich meine Schwester aus »Es« vorzulesen, während K vor mir auf dem Boden saß und sich von mir den Rücken kneten lies. So ging das eine ganze Weile und ich fühlte meine Hände irgendwann gar nicht mehr, wobei Ks Nacken TOTALBREI geworden war, was sie aber ziemlich Okee fand. Stephen King jedenfalls– diese öden Abschweifungen vom Handlungsstrang die er macht, zu viel Ballast, zu viel Nebensächlichkeiten, ich verstehe das nicht, ich meine, ich verstehe den Mainstream, ich weiß genau was funktioniert, aber bei »Es« sehe ich schlichtweg nicht, was den Mainstream an diesen öden Ausschweifungen über öde Figuren reizen soll, doch auf irgendeine Art schafft er es, uns bei der Geschichte zu halten, und während ich das so schreibe, glaube ich, dass er uns einfach eindudelt, es ist vielleicht ein bisschen wie beten oderso, er zieht eine enorme Kulisse hoch, und fängt dann an zu beten, mantraartig irgendwie, auch wenn der Text weiterfließt, vielleicht schauen wir bei King tatsächlich dem Fließen zu, als säßen wir am Fluß, ließen die Füße baumeln und schauen stundenlang hinein. […] ah, der Text verliert an Fahrt, ich will jetzt ins Bett. Morgen fängt das Bürojahr an.

[tagebuchbloggend 1.1.]

Neujahr. Gut reingerutscht irgendwie. Nach Mitternacht, gegen zwei oder drei, wurde, in der soundsovielten Rückblende, die soundsovielte Uhr eingeblendet, wie der Zeiger in den letzten Sekunden auf das neue Jahr zugeht. Um 00:00 geschah dann gar nichts, der Zeiger der Zeit ging einfach weiter, ohne inne zu halten und zu reflektieren, ohne jemanden zu küssen, oder den Sekt aufzumachen, nach der nullten Sekunde des neuen Jahres, kam einfach die erste Sekunde des neuen Jahres, und die Zweite, und weiter in seiner unendlichen Schleife. K und ich sahen das geschehen und waren total gerührt. Heute war das mit dem Aufstehen dann doch wieder schwierig. Warum auch immer. Am Nachmittag wollten wir spazieren gehen, auch mit meiner Schwester, die Silvester alleine in ihrer Wohnung verbracht hatte, verbringen wollte, es muss in der Familie liegen. Aber unsere Aufbruchstimmung war für sie dann ein wenig zu hektisch. K und ich fuhren also mit der u8 bis zur Heinrich-Heine-Straße, weil ich von dort durch die Luisenstadt zur Friedrichstadt in Mitte laufen wollte, das Quartier Schützenstraße von Aldo Rossi, genauer anzusehen. Bisher war ich ja immer nur daran vorbeigefahren, und in jene Ecke von Mitte kommt man sonst nicht so schnell, ist ja eine dieser Ex-Mauer-Gegenden, die so eigenartig unerreicht bleiben, für das Berlin, das man so im Kopf hat wenn man Berlin im Kopf hat, was vielleicht auch nur an mir liegt, und meinem Lebensumfeld, das so geprägt ist von diesem Aufbruchberlin, das das Berlin seit 1968 geworden ist. Wir sind dann um den ganzen Block herumgelaufen, ahh, die Körperlichkeit, und sehr angetan gewesen von dieser Architektur die sich so verliebt in Szene setzt. Wir sind dann noch weiter durch die Friedrichstadt gelaufen, durch das rechtwinklige Straßenraster der Quarrees, wie es Ende Sechzehnhundert angelegt wurde, und haben uns im Zickzack bewegt, ein bisschen als wäre es ein Abenteuerurlaub, wegen der Schluchten und des historischen Kontextes, was zwar nur zur Hälfte Abenteurlich ist, aber unsere Generation ist ja geprägt vom aufgezwungenen pädagogischen Wert unserer Kindheit. Sag ich jetzt mal so.

[tagebuchbloggend. die letzten Tage]

Was ist jetzt eigentlich alles passiert? Ich weiss es auch nicht mehr genau. In der Nacht zum neunungzwanzigsten hatte ich mich mit einer Falsche Wein am Rechner amüsiert und ein paar Seiten Text geschrieben die jetzt ein bisschen lala sind, komische Euphorie manchmal. Der nächste Tag war ein Handwerkstag, ich habe den großen Spiegel im Flur und eine Ablage für die Kräuter in der Küche montiert. Danach haben K und ich das Bett im Schlafzimmer umgestellt und das Zimmer war dann plötzlich doppelt so groß geworden. Was ziemlich gut war.
Am Abend dann zu Modeste auf ihre jährliche Feuerzangenbowlenparty gegangen. Und dann ziemlich spät und ziemlich trunken und seelig über einen weiten Umweg nachhause spaziert.

Am nächsten Tag mit meiner Schwester und ihrem Besuch aus den Niederlanden ins jüdische Museum gegangen. Wieder ein bisschen neerlands gesprochen, nach wenigen Minuten ächzendem Knarzen, ging das wieder wie geölt, einer verrosteten Maschine gleich, ich meine: man kann die Sprachmaschine direkt hören, wie sie sich hochfährt und die Gelenke entrostet, oder eben ölt. Selftest-selftest.
Danach waren K und ich mit F und R beim Buchstabenballet– nein Scherz, wir waren bei „The Bird“, dem berühmten Burgerrestaurant am Falkplatz, verabredet. Da haben wir Burger mit Pommes gegessen und Bier getrunken und versucht uns zu unterhalten, über AC/DC hinweg, die über uns aus den Lautsprecherboxen schepperten. Draußen schneite es. wie aus Schneemaschinen. Nachher haben wir die beiden, die ja noch bis nach Charlottenburg fahren mussten, fast zur Ringbahn begleitet und sind vorher noch in der Kopenhagenerstrasse, auf einen Absacker in eine Bar gegangen. Wir haben dort komische Sachen getrunken wie: Ricard, Sex On The Beach, Jack Daniels und Absinth.
Auf dem Heimweg sind K und ich lange durch den verlassenen, nächtlichen Gleimkiez, über den Mauerpark und Bernauer Straße, nachhause spaziert. Der Schnee kam von oben und alles war ausgeglichen und eine Art Seelenfrieden hing über der ganzen Stadt und uns beiden und dem ganzen Rest.

Silvester. Um Punkt zwölf Uhr mittags fiel mir die Deadline zu jenem Literaturpreis, für den ich etwas einsenden wollte, ein. K bearbeitete mir noch schnell den Text und dann sind wir zur Friedrichsstrasse spaziert, damit der Brief noch den Poststempel für 2009 bekommt. Und dann war es 15Uhr, uns fiel gleichzeitig der Appetit ein, also sind wir in das „12 Apostel“ in den S-Bahnbögen, Pizza essen gegangen. K aß eine Lukas und ich eine Thaddeus. Ich wollte erst eine Judas essen, aber die hatte Anchovis und das mag ich nicht immer, jedenfalls nicht um 15Uhr, was aber egal war, weil mir Judas ziemlich wurscht ist und ich jetzt weiß, dass es einen Apostel namens Thaddeus gibt.
Um 17Uhr waren wir wieder zuhause. Dort habe ich über jenen Literaturpreis nachgelesen, und gesehen, dass auch Maxim Biller ihn schon gewonnen hat, und jetzt weiss ich auch, wieviel ich von dem Preis gewinnen werde. Hätte ich vorher lesen sollen.

Silvester. Wir wollten in Rewe|Netto|Kaisers|Plus im Bahnhof Friedrichsstraße einkaufen, alles andere hatten ja schon (wieder) geschlossen. Wir sahen dann aber die Schlange vor dem Supermarkt, uns wurde anders zumute, und so kauften wir beim Spätkauf eine Packung Nudeln und kochten am Abend eine Pasta mit Tomatensauce.

Silvester. Wir hatten zwei lose Einladungen für den Abend abgesagt. Silvester immer wieder. Ich bin damit überfordert. Der Zwang. Er verdirbt mir auf eigenartige Weise die Laune, überall diese hibbeligen Menschen, meist in Partyhopping-Laune, man kann nichtmal ganz normal Freunde einladen, weil die dann sowieso nur hibbelig herumsitzen und warten bis alles losgeht und meistens warten sie hibbelend die Zeit ab bis sie noch bei einer anderen Party vorbeischauen. Mehrmehrmehr.

Silvester. Wir aßen also zu zweit Pasta mit Tomatensauce und schauten The fifth Element. Als das fertig war, schauten wir auf RBB „die 50 besten Partyhits“ und zappten ab und zu zum ARD und dem ZDF um die feiernden Menschen am Brandenburger Tor zu sehen und froh zu sein, nicht da zu sein.
Um zwölf Uhr dann Gonggong, Küsse und wir tranken statt des ekligen lieblichen Sekts, den ich fälschlicherweise gekauft hatte, ein großes Glas 18 jährigen Auchentoshan, schließlich zogen wir uns warm an und gingen hinunter auf die Brunnenstraße und schauten den Raketen und Feuerwerken nach. Der Nachbar von ganz oben stand draußen, mit Freunden und seiner Tochter auf den Schultern und zündete Knallfrösche. Er gab K und mir zwei Solidaritätsknallfrösche.
Drei Häuser weiter fiel beim Abfackeln eine Rakete um, sie ging los, knallte gegen eine gegenüberliegende Hausfassade und explodierte dort am Fenster. Zwei Jungens die aus dem Wedding herübergekommen waren, hatten eine Pistole und schüchterten Menschentrauben ein, die mit Wunderkerzen beieinanderstanden, indem sie auf sie schossen, Platzpatronen nur, aber sie machte helle Funken.

Silvester. Wir gingen wieder hoch ins Haus und schauten die Fortsetzung von „die 50 besten Partyhits“. DJ Ötzi war auch dabei.

[tagebuchbloggend: 28.12.]

Den achtundzwanzigsten vor allem nerdend am Computer verbracht. Den Drucker wieder zum Laufen gebracht, aber damit nicht genug, den PC als Druckerserver für alle Computer im Hause eingerichtet, und eine fünfhundertgigabyte USB-Platte als Haushaltsdaten-Share eingerichtet und natürlich für alle Computer in der Wohnung (6, bei zwei Personen) übers Netz zur Verfügung gestellt, und Skripte geschrieben um täglich die aktualisierten Dateien mit dem Server im Netz zu Syncen, und. Nach dem Aufstehen sind K und ich allerdings erst aus dem Haus gegangen, weil der gestrige Tag schon so ein Tag des künstlichen Lichts war, ich hatte nämlich gar nicht erwähnt, dass wir Avatar am Nachmittag geschaut hatten, also während der paar hellen Stunden dieser kurzen Dezembertage, haben wir diese paar hellen Stunden in einem verdunkelten Keller im SonyCenter am Potsdamer Platz verbracht, und sowieso, wenn ich morgens nicht aus dem Bett muss, dann verschiebt sich mein Biorythmus ganz schnell nach hinten, momentan bin ich bei 4:50Uhr Schlafenszeit angekommen, und irgendwann nach Mittag komme ich aus dem Bett, und tja, der Tag fängt dann schon an zu dämmern, und mich ärgert das, also sind wir heute gegen halb zwei aus dem Haus gegangen, die Brunnenstraße hinunterspaziert, sind in zweidrei Schuhläden reingegangen, haben dann in der Rosenthaler Straße einen Burrito gefrühstückt, und sind dann über den Hackeschen Markt, auf die andere Seite der S-Bahntrasse gegangen, um dieses neue, noch im Rohbau befindliche, sogenannte Hackesche Quartier auszuchecken, Quartierquartier, diese Vermarktungssprache, die Angst vor dem Unschicken, jedenfalls befürchte ich ja, dass die da wieder unsägliche Langeweile hinbauen, oder mindestens diese geleckte Ästhetik, der sich in Avantgarde befindend glaubenden Architektonischen Riege, die, wie so oft, Zurückhaltung predigt, Klarheit, Form follows Function — von der Function erwarte ich, dass sie praktisch ist, die Fernbedienung soll (verdammtnochmal) übersichtlich sein, aber von der Form erwarte ich, dass ich (verdammtnochmal) nicht durch eine Stadt von Fernbedienungen laufen muss. Dabei rede ich nicht einmal ausschließlich von Ästhetik. Aber möglicherweise bin ich ein bisschen ungerecht, ich habe mich über die neuen Häuser hinter der SBahn sehr gefreut, die Intensität des Stadtkörpers, die dort wieder hergestellt wird, aah – und ich klinge wie ein Esoteriker wenn ich vom Städtebau rede.

[tagebuchbloggen 27.12.]

Hm, K sagt, ich wäre schon zu betrunken für diesen Tagebuchblogscheiß um diese Uhrzeit. Ich hingegen bin mir noch nicht ganz sicher. Dabei liebe ich es ja gerade so sehr, diese Zwischenzeit, ha und jetzt erwähne ich es wieder, ich weiss nicht genau warum mir dieser Term in diesen Tagen so oft in die Quere kommt, die Zwischenzeit gibt es ja jedes Jahr, mehr oder weniger jedenfalls, vielleicht weil ich mich darauf eingestellt habe. Und dabei weiss ich nicht was das jetzt wiedermal zu bedeuten hat. Vielleicht wäre wiedermal Kulturkritik angebracht, heute sind wir nämlich in Avatar gewesen, der Film, der die Kinogeschichte umschreiben soll, […] Ploink. Doch nur der 3D-Technik erlegen, eigentlich. Obwohl man immer nur fokussieren kann, man tut sich so schwer das gesamte Bild zu erfassen, man muss immer Details scharfstellen. Wenn man den Überblick behalten will, sich zurückziehen aus dem Geschehen und auch die Ecken erfassen, dann wird alles unscharf, die Augen folgen dem Geschehen nicht mehr. Aber die 3D-Brillen haben ich natürlich behalten. Und das zerstreuende an diesen platten, emotionalen Geschichten ist immer, dass man weiß, wie sehr die Bösen am Ende auf den Deckel kriegen werden. Opium für das Volk, ich meine, man lehrt eine Art von Moral vielleicht, vielleicht; vielleicht ist das auch OK so. Möglicherweise bin ich aber tatsächlich gerade zu betrunken.

[tagebuchbloggen 26.11.]

Wir machen ja oft Spaziergänge Unter den Linden.

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Am Abend endlich wieder an diesem langen Text gearbeitet, ich habe ihn seit etwa drei Monaten nicht mehr angefasst und überhaupt war ja diese freie Weihnachtswoche dafür da, aufzustehen und ein bisschen dazwischen zu hängen, zwischen den Tagen, zwischen den unterschiedlichen Wahrnehmungen, zwischen den Zeiten auch, wenn man so will, aufstehen und mich an den Text zu setzen, in dieser undefinierte Leere, nicht nur des entvölkerten Berlins, weil Berlin ja gar nicht so entvölkert ist, wie ich immer glaubte, es spielt sich nur alles in den Häusern ab, das Introvertierte an der Weihnacht, daran musste ich an diesem Heiligabend denken, als wir im Treppenhaus einer chinesischen Familie begegnet sind, sie waren auf dem Weg nach oben in die Ferienwohnung, das vermultich einzig gute daran, eine Ferienwohnung im Haus zu haben, dass man chinesische Familien im Treppenhaus trifft und sich wundert; es waren offensichtlich Touristen, zu Besuch im weihnachtlichen Europa, die Geburtsstätte dieses eigenartig bilderstarken Volksfestes, einer Ästhetik die wirklich so etwas wie Sehnsüchte zu erwecken vermag, ich meine, die Weihnacht strotzt ja nur so von Sehnsuchtsbildern, wenn auch nicht meine: der Schnee, die Glocken, die sanften Lichter, der nächtliche Himmel, die roten Wangen, die roten Gewänder, die roten Tischdecken, die bunten Geschenke, der Schnee, der Schnee, der Schnee, das sind ja die Bilder die hinaus in die Welt gebracht werden, und dann frage ich mich wie man als chinesische Familie die Weihnacht in Europa überhaupt erlebt, erleben kann, ich meine: wir Europäer gehen nach Japan um die Sache mit den Kirschblüten zu feiern und alles ist irgendwie Kirschblüte, dann gehen wir nach Rio um den Fasching zu feiern und alles ist irgendwie Fasching, aber dann kommt eine chinesische Familie nach Europa um Weihnachten zu feiern und findet am Tag an dem alles geschehen soll, an dem Abend an dem diese ganze aufgestaute Adventsspannung, alle Weihnachtsmärkte, alle Glühweinstände, alle Kerzen, alle rotweiß kostumierten Bartträger, und alles, alles irgendwie in tausende Lichter zerplatzen müsste, an diesem Abend findet die chinesische Familie eine tote Stadt vor.
Dieses Introvertierte der Weihnacht. Ich finde das ja ganz gut, eigentlich.

[tagebuchbloggen: 25.12.]

Inzwischen ja total befriedet mit der Weihnacht.
Am Vierungdzwanzigsten lange mit K im Bett geblieben, und dann mit dem Frühstück wieder zurück zwischen die Laken. Und danach wollte ich Bescherung, ich sagte, ich sei jetzt alt genug um wieder Spaß daran zu haben, ich wollte ein Ritual, ich meine, wenn wir am Abend schon so etwas wie ein Weihnachtsessen machen, dann wäre dieser ganze Weihnachtskram ja ohnehin schon initialisiert, und Geschenke hatte auch jeder schon gekauft, dann kann auch alles gleich Weihnacht sein. Wir zogen etwas vernünftiges an, um nicht in Unterkleidung Geschenke zu vergeben: ich sagte: hier: das und das und das, und ich bekam: das und das und das. Und danach haben wir eine zeitlang über die Geschenke geredet.
Nachher sind wir zusammen zu Kaisers geschlendert um die letzten Zutaten für den Abend zu kaufen, aber es war schon lange nach zwei Uhr, also alles schon zu und dunkel, deswegen mussten wir bei den Spätkaufs die Sachen ein bisschen zusammengekaufen.
Um fünf Uhr kam meine Schwester. Wir öffneten eine Flasche gekühlten Sekt und fingen mit dem Kochen an. Terlaner Weißweinsuppe und Südtiroler Semmelknödel mit einer schweren Sauce auf Salat. Auch meine Schwester hatte Geschenke für uns, und wir hatten auch ein Geschenk für sie, und danach haben wir Whiskys gekostet, ein paar der Flaschen auf den Tisch gestellt und uns durch die Whiskyregionen getrunken, ein bisschen vorsichtig aber, mehr gekostet als getrunken, und danach wieder zurück zum Wein und zum Bier und geredet, und weitergeredet, bis es schließlich drei Uhr war; waren wir nicht schon im Sofa versunken?

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Heute am Fünfundzwanzigsten, wieder lange im Bett geblieben, aber das Frühstück am Tisch gegessen, danach geduscht, und plötzlich war es schon wieder Abend, und überhaupt, diese ganzen Und-Sätze, ich könnte nur noch Und-Sätze schreiben, Aneinanderreihungen von Ereignissen, die, was auch immer passiert ist, wie langweilig auch immer, zu einer Perlenschnur werden, mit den UNDen als GLieder, so musikmäßig tamtam UND tamtam UND tamtam UND, und K hat Köttbullar gemacht, mit Kartoffelpüre, glasigen Zwiebeln, einer braunen Sauce und Preiselbeermarmelade, und ich war total hinundweg deswegen, habe dreimal nachgeschöpft und dachte mir: K, können wir das nicht immer machen?, so in den Tag hineinschlafen, essen und tamtamtam UND tamtamtam,

[tagebuchbloggen: 22.12.]

Dieser seitliche Kopschmerz, dieser seitliche Kopschmerz, dieser seitliche Kopschmerz. Von der linken Stirnkante bis zum linken Wangenknochen und nach hinten bis zum Ohr, zuweilen wird es da auch fiebrig warm. Er treibt mir sporadisch Tränen ins linke Auge. Und er macht komische Sachen mit der Haut auf meiner Nase, große Pickel, die ziemlich schnell zerplatzen. Auf beiden Flügeln.
Vermutlich die Kälte vom Samstag, die mir bis in die Knochen gekrochen ist und dort ein paar Tage ausgeharrt hat, auf die Gelegenheit wartend, mir bei den Ohren wieder herauskriechen zu können.

Sonst aber alles OK. Heute sowieso besser.
Nur gestern meine Verabredung mit Modeste absagen müssen.

Heute noch die letzten Erledigungen im Büro getan: Abschied genommen, Froheweihnacht gewünscht, und den guten Rutsch, zwischen den Tagen haben wir alle frei bekommen, und alle sagen, wie blöd das zu sagen: zwischen den Tagen. Ich hingegen mag das, den Ausdruck meine ich, natürlich auch die freien Tage, aber im Ausdruck ist es dieses Undefinierte dieser Tage, das Dazwischen, so eine _Dazwischenzeit_ ist das, alles bleibt ein bisschen stillstehen und eine warme Decke wird über alles drübergelegt und jetzt glaube ich, dass das alles ziemlich dämlich ist, das so zu beschreiben.

[tagebuchbloggen 21.12.]

Die längste Nacht im Jahr. Und so spät.

K war nicht zuhause. Meine Schwester und ich hatten uns verabredet Von Triers Dancer in the dark zu schauen. Wir wollten uns vorher noch Ks Eintopf von gestern aufwärmen, das hat dann aber ewig gedauert, inzwischen war auch K wieder zuhause und dann hieß es Dancerinthedark dauere fast drei Stunden und da ich weiß, wie von Trier mich immer bis tief in die Träume beschäftigt hält, entschied ich mich dagegen, und dann haben wir ungefähr eine Stunde lang durch unsere DVD-Mappe geblättert und uns für Jim Jarmusch entschieden, einer seiner ersten langen Filme, Stranger than paradise, der machte das damals schon, dieses lange Draufhalten der Kamera, dieses Einfangen der Szenen, die Andere streichen würden, und dann alles noch ein wenig unverfeinert, oder unverfälscht wenn man so mag, rohe Melancholie vielleicht.

[tagebuchbloggen 20.12.]

Freitagabend war übrigens der erste Tag an dem K und ich wieder einmal Zeit hatten, also Zeit für einander. Darüber waren wir dermaßen aufgeregt, dass wir uns eine Riesenpasta gemacht haben und uns einen Film gegeben, einen Krimi auf Arte, und daraufhin sind wir so müde geworden, dass wir ins Bett gegangen sind. Das mit Stephen King ist ja nicht mehr so am Laufen, nach dem dritten Kapitel wurde irgendwie alles egal. Deshalb sind wir jetzt auf Maxim Biller umgestiegen. Kurze Geschichten, manchmal lese ich sie alleine, manchmal lese ich sie vor, das ist das Praktische an kurzen Geschichten, das Kurze, es nimmt keine Epochen des eigenen Lebens ein, sondern einige Minuten, manchmal wenige Stunden, man muss also nicht das ganze Leben danach einrichten, ausrichten, das sind kurze Momente der Kunst, die man aufnimmt und in Rauch aufgehen lässt, Sex. Andererseits bleibt meist wenig davon hängen, bei den Romanen hingegen beginnt man schon regelrecht Beziehungen und Freundschaften mit den Charakteren aufzubauen, als Romanleser ist man Teil einer Parallelgesellschaft, während Kurzgeschichtenleser Buschauffeure sind.
Wir lagen jedenfalls im Bett und ich las Maxim Biller vor, und K fragte mich, ob ich eigentlich Fischstäbchen mochte und ich sagte, ich würde Fischstäbchen sehr gerne mögen, und sie sagte, sie auch, das sei eine gemeinsame geheime Leidenschaft und ich sagte, ich hätte Fischstäbchen manchmal pur und aus der Pfanne und ohne gar nichts gegessen, und sie sagte, wir sollten zwischen den Tagen mal Fischstäbchen machen und ich sagte ja. Mit diesem wohligen Gedanken schliefen wir kurz danach ein.

Am Samstagnachmittag mit meiner Schwester, ein wenig zu leicht bekleidet, hinaus in die Kälte gegangen, Schuhe für sie zu kaufen, ich als modischer Berater, wir liefen lange und viel, als ich dann nachhause kam, fühlte ich mich irgendwie konserviert, die Haut war eigenartig flaumig und rot, die Nieren schienen zu Rosinen geschrumpft zu sein. Für den Abend waren K und ich beim Nachbarn zu seiner Party eingeladen. Ich entschied mich dagegen. K kochte eine wunderbare Pasta mit Thunfisch, Sellerie, Tomaten und Sahne. Und Knoblauch.

Zudem ärgere ich mich wieder über all die Menschen mit den albernen Mützen.