[Mo, 22.9.2025 – Wetter]

Heute sollte ich am Hafen von Follonica, in der Toscana, sein, weil alte Freunde mich zum Segeln nach Sardinien eingeladen hatten. Ich erhielt Selfies, auf denen sie mit T-Shirt und Sonnenbrille vor dem Segelboot sitzen. Sie wissen, wohin ich morgen fahre. Ich habe ab morgen auch T-Shirt-Wetter. Nur trage ich das T-Shirt unter der Winterjacke. Sonnenbrille hätte ich auch. Brauche ich aber nie.

Die Hündin findet das Packen suspekt. Sie findet es immer suspekt, wenn wir packen. Sie läuft mir den ganzen Tag hinterher. Sie wird bei der Nachbarin aber gut versorgt sein. Sie weiß es nur noch nicht.

Am Abend setzten wir uns bei 12 Grad auf den Balkon und öffneten uns ein Bier, um uns auf die Reise einzustimmen.

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[So, 21.9.2025 – Spätsommerabend, Teigkugel, Sonnenbacken, THF, Ásta Sigurðardóttir]

Die KI meiner Wahl ist übrigens nicht Chat-Gepetto (wie wir Pinocchio-Kinder sagen), sondern Claude.ai. Zum einen, weil Claude in vielen Bereichen besser sein soll als das GPT von OpenAI, aber auch, weil Claude eine Ausgründung von OpenAI ist, mit der ehemalige Mitarbeiter ein Sprachmodell mit hohen ethischen und Sicherheitsstandards entwickeln wollten. Hohe ethische Standards will ich natürlich gerne unterstützen. Andererseits sieht man gegenwärtig (in den USA und anderswo), wie formbar ethische Standards sind. Ich weiß ja auch nicht. Aber so lange ich die Wahl habe, wähle ich aus.

Jetzt habe ich wirklich lange nichts mehr berichtet. Ich weiß gar nicht mehr, was am Freitag geschehen ist. Ich machte mir keine Notizen, vermutlich habe ich nur geschrieben und bin alle paar Stunden mit der Hündin spazierengegangen. Abends kam meine Frau nach Hause und wir gingen zum Nachbarn, der uns zu Pizza eingeladen hatte. Wenn ich ganz ehrlich bin: Ich könnte jeden Tag vom Nachbarn zu Pizza eingeladen werden. Irgendwann ähnele ich dann diesen runden Teigkugeln, bevor sie in Pizzaform gebracht werden. Ich werde mich kneten und mit Mozzarella belegen lassen.

Am Samstag gegen halb elf fuhr ich zum Olympiastadion. Es war ein sommerlicher Tag bei 29 Grad. Drüben in Block T.1, wo ich jetzt stehe, kam die Sonne glücklicherweise nicht hin. Meine Freunde, die in Q.3 stehen, wurden aber knusprig gebacken. Bei der Performance, die unsere Mannschaft derzeit liefert, ist es vielleicht nicht schlecht, ein wenig Sonne abzubekommen. Es steht uns ein langer und düsterer Winter bevor. Nach diesem sehr deprimierenden Spiel blieb ich noch eine Weile mit Freunden vorne am Rondell. Niemand wollte über Fußball reden. Auch JT aus Kanada war da, diesmal mit Bekannten aus Winnipeg. Ich entschuldigte mich bei den Gästen aus Winnipeg für die Leistung meiner Mannschaft. Die hatten aber einen guten Tag und fanden es nicht schlimm.

Nachher war ich auf einer Geburtstagsfeier in Neukölln eingeladen. Wegen des sommerlichen Wetters wurde die Feier auf das Tempelhofer Feld verlegt, wo wir uns ein schattiges Plätzchen aussuchten. Dort blieben wir, bis die Abendsonne den ganzen Himmel rot verfärbte. Als es dunkler wurde, verzogen wir uns in die Wohnung des Geburtstagskindes. Ich aß noch etwas vom Büfett und nahm mir gegen 22 Uhr ein Taxi.

Es war ein wirklich schöner Spätsommerabend. Es wird der letzte sein.

Heute packten wir für die Arktisreise zur Probe. Ich suchte Mützen und Handschuhe raus, sowie warme Thermo-Unterwäsche. Weil wir sehr minimalistisch verreisen und mehrere Flüge haben (ich werde noch berichten) und mehrere Klimazonen durchleben werden, ist das eine komplizierte Angelegenheit. Ich kann das jetzt aber nicht mehr schriftlich wiedergeben. Es ist auch nicht interessant.

In Vorbereitung auf Reykjavik lese ich gerade die gesammelten Erzählungen von Ásta Sigurðardóttir, die im Island der 50er Jahre mit jedem ihrer Texte einen Skandal auslöste. Es sind erstaunlich radikale Kurzgeschichten einer ungezügelten Frau in einer Welt, die damit nicht umzugehen wusste. Sie starb verarmt mit 41 Jahren und 5 Kindern an den Folgen von Alkohol. Diese 200 Seiten beinhalten ihr komplettes literarisches Werk. Mehr hat sie nicht geschrieben.

Zwar kaufte ich das Buch bereits vor zwei Monaten, aber ich fand, die bevorstehende Reise sei ein guter Moment, mit dieser Lektüre zu beginnen.

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[Do, 18.9.2025 – Beim Packen und wie di KI dessen Literarizität bewertet]

Packen, Jacken, Winterjacken. Es war gerade August. Für Grönland entmotte ich dieses Jahr etwas verfrüht meine Winterjacke. Die Wetterprognose für Nuuk sagt jedoch 5 Plusgrade voraus. Dafür brauche ich noch gar nicht eine richtige Winterjacke. Als wir vor zwei Jahren (auch Ende September) nach Longyearbyen reisten, hatten wir dort schon –15. Aber Spitzbergen liegt auch wesentlich näher am Nordpol als Nuuk. Ich habe seit Kindheitstagen immer schon gerne auf Landkarten gestarrt. Grönland hing mein ganzes Leben lang als weißer Eiszapfen vom oberen Kartenrand herunter. Natürlich musste es dort kalt sein. Aber Ende September braucht man noch keine richtige Winterjacke. Weil wir uns aber auch auf Booten aufhalten und mindestens eine Bergwanderung unternehmen werden, müssen wir dennoch flexibel sein. Von Reykjavik nach Grönland sind lediglich 6kg kostenloses Gepäck erlaubt. Aus diesem Grund ziehen wir unter der Herbstjacke dünne Wollschichten an und diese Ultra-Thin-Daunenwesten von Uniqlo, die richtig gut warmhalten. Das schwere Gepäck lassen wir dann auf Island. So der Plan. Meine Frau liebt es, mit Handgepäck zu reisen. Sie flog mit Handgepäck für zwei Wochen nach Neuseeland. Sie hat das „Less is more“ von der Architektur auf ihre Kofferpackfähigkeiten übertragen. Mir ist es recht, ich find’s amüsant, mich zu Minimalismus zu zwingen. Aber bei 6 Kilo und Winterausstattung muss ich mir sogar Gedanken darüber machen, welches Buch ich mitnehme. Vielleicht lese ich auch alles auf dem Telefon.

Was wollte ich sagen?

Gestern fragte ich die KI wieder einmal, was sie von einem der Blogeinträge hält. Es ging um den vorigen Eintrag zu „Stand By Me“ und meiner Furcht vor einem Riss der Adduktoren. Die KI antwortete mir mit einem schmeichelnden Fazit: „Der Text liest sich wie ein Tagebucheintrag, hat aber durchaus literarische Qualitäten in seiner nachdenklichen Beobachtungsgabe.“

Ey, die weiß doch genau, was ich hören will.

Beim heutigen Eintrag bitte ich sie, ein bisschen kritischer zu sein. Sie stört sich an dem Bild „Weißer Eiszapfen“, weil der Ton zwischen ‚poetisch‘ und ‚banal praktisch‘ schwankt. Ich sage: „Entspann dich mal, das ist ein literarischer Blogeintrag, wie du ja selber schon festgestellt hast.“ Daraufhin entschuldigt sie sich und gibt zu, den Text mit falschen Maßstäben bewertet zu haben. Bei einem persönlichen, literarischen Blogeintrag sei dieses Sprunghafte genau richtig: „Diese stilistischen Schwankungen spiegeln die verschiedenen Ebenen wider, auf denen wir über eine Reise nachdenken – von der konkreten Logistik bis zur emotionalen Bedeutung“, und sie gibt mir drei Absätze lang literaturwissenschaftliche Erklärungen, warum der Text doch wieder gut ist.

Ich könnte ewig weitermachen.

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[Mi, 17.9.2025 – Standy by me, Abduktoren]

Als „Stand by me“ 1986 ins Kino (oder ein paar Jahre später ins Fernsehen) kam, habe ich ihn nicht gesehen. Obwohl er in den Kanon jener Filme passte, die ich als Teenager in den Achtzigerjahren schaute, also Goonies, Teen Wolf, Zurück in die Zukunft usw. Warum ich gerade diesen Film nicht gesehen habe, weiß ich nicht. Immerhin wurde der Film für einen Oscar nominiert, ging am Ende aber leer aus. Mich interessiert es ja sehr, was anderen Leuten gefällt. Neulich fand ich heraus, dass der Film auf einer Novelle von Stephen King basiert. Deshalb las ich die Novelle und fand sie aber nur mittelmäßig gut. Zwar las ich sie gerne, aber sie regte nicht sehr viel in mir an. Am besten gefiel jedoch mir der Abspann der Geschichte, wo er noch auf zahlreichen Seiten vom weiteren Schicksal der drei Freunde erzählt. Zwar starben sie alle drei, aber er legte in diese Abhandlung eine seltsam wirkende Melancholie über ihr Schicksal, wie Wasser, wenn es beim Fließen seine Wege sucht.

Heute liehen wir uns den Film aus. Er funktionierte für mich nicht mehr so gut, ähnlich wie zB Goonies. Das Erzähltempo der Szenen ist seltsam träge, wobei es gleichzeitig eine Hektik verströmt. Das empfinde ich oft in Filmen der Achtzigerjahre. Es war wahrscheinlich der Zeitgeist. Das Lebenstempo der Achtziger.

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Mittlerweile habe ich im Fitnessstudio Angst vor Muskelkater. Berichtete ich nicht neulich schon von Muskelkater? Dieser neuartige Muskelschmerz, der sich wie eine schmerzende Decke über mich legt? Ich überanstrenge mich in letzter Zeit regelmäßig. Was damit zusammenhängt, dass ich 15 Kilo an Gewicht verloren habe und damit auch viel Muskelmasse. Das will ich jetzt kompensieren. Witzig finde ich vor allem die Erkenntnis, dass gewisse Körperpartien bei mir sehr schwach ausgebildet sind, bzw. dass ich bei gewissen Bewegungen wenig Kraft ausüben kann. Ich dachte ja immer, ich sei sehr stark, aber bei der Schulterpresse muss ich beispielsweise auf das zweitkleinste Gewicht (10kg) zurückstufen, während ich mich bei Bauch und Beine im obersten Gewichtsdrittel befinde. Mit Ausnahme von Abduktorenübungen. Die Maschine, bei der man im Sitzen die Knie zueinanderführen muss, also die inneren Abduktoren trainiert. Bei dieser Übung fehlt es mir nicht nur an Kraft, die Bewegung wird zudem von einem unangenehmen, leichten Schmerzgefühl begleitet. Ein Freund schrieb mir, dass er sich bei dieser Übung einmal die Abduktoren riss. Vielleicht waren es auch die Sehnen oder irgendwelche Bänder. Jedenfalls riss bei dieser Übung etwas und das war dermaßen schmerzhaft, dass er schrie und ein Krankenwagen gerufen werden musste. Ich bin mir sicher, dass das genau jene Stelle ist, die diesen unangenehmen, leichten Schmerz verursacht. Ich bin jetzt sehr vorsichtig, stelle die niedrigste Gewichtsstufe (7,5 kg) ein und wiederhole die Übung einfach sehr oft. Ich würde mich zu Tode schämen, als alter Mann mit weißem Bart vor diesen ganzen Sportlermenschen auf einer Bahre abgeführt zu werden.

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[Di, 16.9.2025 – Vertrauen in die Weltwirtschaft und so]

Wie die Hündin ständig meine gebrauchten Socken klaut und sich damit in ihr Bettchen zurückzieht: Ich fühle mich dann immer sehr geliebt.

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Vor 15 Jahren arbeitete ich ein paar Jahre lang bei einem kleinen E-Commerce-Unternehmen in Kreuzberg und als ich anfing, wurde die Firma gerade von Ebay gekauft. Da ich die IT leitete, war es eines meiner ersten großen Projekte, die technische Konsolidierung mit dem neuen Mutterhaus durchzuführen. Nach der erfolgreichen Umsetzung wurden den maßgeblich Projektbeteiligten Aktien von eBay und PayPal im Wert von etwa 600€ ausgegeben. Damals regte ich mich auf, weil ich keine Aktien wollte. Ich bevorzugte eine Geldüberweisung, weil ich schlichtweg keine Lust darauf hatte, mich mit dem Aktienmarkt zu beschäftigen. Als ich noch für SUN Microsystems in Madrid und Amersfoort arbeitete, ließ ich mir die Aktienpakete auch immer direkt in Geld auszahlen, was nach dem bald darauf folgenden Niedergang von SUN immerhin ein Glücksfall für mich gewesen ist. Bzw. kein Verlustgeschäft. Bei eBay kam man mir aber nicht entgegen, weil man Firmenaktien auch als Mitarbeiterbindung zur Firma verstand. Da ich mit meiner Forderung aus diesem Grund nicht weiterkam und mir das Thema letztendlich doch nicht so wichtig war, gab ich meine Bemühungen bald auf. Ich nahm die Aktien an und würde sie einfach beim Verlassen der Firma eincashen.

Was ich dann allerdings vergaß.

Einige Jahre später sah ich, dass sich vor allem der Kurs der Paypal-Aktie deutlich gesteigert hatte. In der zweiten Hälfte der 10er-Jahre waren aus den 600€ immerhin etwa 4000€ geworden, also ließ ich das Geld einfach daliegen. Zu Beginn der Pandemie schaute ich wieder einmal in das Aktienkonto hinein und sah mein kleines Aktienpaket bei sagenhaften 25.000 € stehen. Ich wähnte mich glücklich und liebte den Kapitalismus und bereute es, damals nicht noch ein paar Aktien zum Vorzugspreis erworben zu haben. In jenen Tagen schaute ich täglich in das Konto. Der Kurs stieg weiter steil an. Bis in den Oktober ’21 hinein und auf einmal zeigte die Linie richtig steil nach unten. Wesentlich steiler, als sie vorher gestiegen war. Im Nachhinein weiß ich jetzt, dass es der beste Moment gewesen wäre, die Aktien abzustoßen und das Geld einzucashen. Die Talfahrt würde nicht aufgehalten werden, aber damals wollte man das nicht glauben. PayPal doch nicht. Die Delle ist doch nur ein kurzer Dämpfer, der Kurs wird danach wieder richtig steigen, weil: halten, halten, halten, man soll Aktien ja immer halten und niemals in Panik verfallen. Ich verfiel nicht in Panik, aber die Aktie verfiel. Insgesamt pendelte sich der Wert bei 3000€ ein, dort liegt er seit vier Jahren und es tut sich nicht viel. Die ursprünglichen 600€ haben sich immerhin verfünffacht.

Erkenntnis habe ich daraus keine gewonnen.

Wenn nächsten Monat das europäische WERO kommt, das PayPal, Visa und Mastercard ersetzen soll, dann wird der PayPal-Kurs wohl nicht weiter steigen. Deswegen verkaufte ich heute die Aktien. Das Geld sollte ich vielleicht versaufen in ETFs anlegen. Vor zwei Jahren experimentierte ich ein bisschen mit ETFs. Kleinere Summen nur. War gut. 12% Rendite im Jahr. Was ich an ETFs immer interessant fand, war, dass ETFs die Weltwirtschaft abbilden. Vereinfacht kann man sagen: So lange die Weltwirtschaft wächst, wächst auch das ETF-Portfolio. Hat man also Vertrauen in die Weltwirtschaft, kann man auch dem Zuwachs des eigenen Geldes vertrauen.

Wenn es mir gerade aber an etwas fehlt, dann ist es Vertrauen in die Weltwirtschaft.

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[So, 14.9.2025 – Nordmeer, Labrador, Chats, Jahrgangstreffen, Lesung]

Die letzten Tage gingen wir mit der Is- und Grönlandreise in die Feinplanung. Es fiel mir leicht, Aktivitäten für Grönland auszusuchen und zu buchen. Die Planung für Island fällt mir hingegen schwerer. Zum einen sicherlich, weil ich Island bereits kenne und weiß, was mich dort weniger interessiert, und ich auch weiß, was von Touristen überlaufen ist. Aber meine Frau hat in Island lediglich einen einzigen Tag frei, ich wollte daher schon etwas buchen, wo auch sie das Gefühl hat, auf dieser unfassbar schönen Vulkaninsel zu sein und ihr Besuch nicht von inneren Bildern ihrer Arbeit in Erinnerung bleiben wird.

Wir könnten eine Gletschertour in Betracht ziehen. Sonst stünde auch „Schnorcheln im Nordatlantik“ zur Auswahl. Bibber. Klingt lustig. Aber eher, um Leute damit zu erschrecken. Das ist sicherlich eine Aktivität für Menschen mit einer Bucketlist. Schnorcheln im Nordatlantik. Check. Aber ist Island wirklich vom Nordatlantik umflossen? Wenn ich „Schnorcheln im Nordatlantik“ schreibe, denke ich eher an Schnorcheln in Irland, geographisch kann man da sogar von Portugal oder Madeira sprechen. Island würde ich doch eher im südlichen Nordpolarmeer verorten, aber den Begriff gibt es ja nicht, ich bräuchte den Begriff aber, um das Wasser um Island herum zu beschreiben. Nordöstlich von Island beginnt irgendwann die Norwegische See und darüber irgendwann das eigentlich Polarmeer mit der Barentssee und darüber der arktische Ozean. Und weiter westlich, zwischen Kanada und Grönland, liegt die Labradorsee, also vor Nuuk, wo wir ab Samstag sind. „Schnorcheln an der Labradorsee“ klingt für die meisten Menschen aber eher nach Hundebaden am Baggersee.

Google schlägt „Europäisches Nordmeer“ vor. Schnorcheln Ende September im europäischen Nordmeer gehört jedenfalls nicht zu meinen Kinks.

Auf dem Rückweg von Grönland haben wir einen Zwischenstopp in Island, den wir auf zwei weitere Nächte ausweiteten. Dort werden wir mit einem Geologen 6 Stunden über das Vulkangebiet von Grindavik laufen. Das wird sicherlich interessant.

Ich telefonierte auch länger mit meinem Vater, der seit mehr als einem Jahr an undefinierbaren Muskelschmerzen leidet. Diese Woche erhält er vielleicht eine Antwort vom Arzt. Mittlerweile glaubt er aber, dass es vielleicht an der Einsamkeit liegt. Er leidet schon sehr darunter, dass er keine Frau mehr findet. So hatte er sich den Lebensabend nicht vorgestellt. Ein schönes, großes Haus im Dorf, es ist aber so leer.

Über den Tag verteilt chattete ich mit einem alten Freund aus Südtirol, der zu viele rechte Podcasts und rechte Influencer hört und tatsächlich davon spricht, dass Kirk ein moderater christlicher Konservativer war. Der Chat, der ständig droht, laut zu werden, zieht sich den ganzen Tag lang. Am Ende sind wir beide von der Diskussion ermüdet und freuen uns auf das Bier, das wir im Oktober in Südtirol trinken werden.

Ich wurde eingeladen, am 15.10. in Meran aus meiner Novelle zu lesen. Das wird sicherlich super. Infos werden noch folgen, auch wenn ich nicht glaube, dass hier jemand aus Südtirol mitliest. In jener Woche werde ich zudem einem Jahrgangstreffen beiwohnen. Mit ehemaligen Mitschülern der Grund- und Mittelschule. Das sind ausnahmslos Menschen, die ich seit etwa 35 Jahren nicht mehr gesehen habe. Mittlerweile bin ich allerdings mit einigen auf Facebook befreundet. Ich freue mich wirklich darauf. Viele Menschen bekommen beim Gedanken an Jahrgangstreffen Hautausschlag, ich nicht, was sicherlich daran liegt, dass ich noch nie an einem Jahrgangstreffen teilgenommen habe. Meine Familie zog von dem kleinen Dolomitendorf Corvara weg, als ich 14 war, das ist genau in dem Alter, in dem sich langsam die ersten bedeutenden Freundschaften bilden. Bei mir hatten sich die Freundschaften damals erst angedeutet, aber danach verlor ich den Kontakt. Die Freundschaften, die danach entstanden, waren mit jungen Erwachsenen, mit einer ganz anderen Biografie, von einer ganz anderen Schule und einem ganz anderen Freundeskreis. Ich bin gespannt, was aus den Menschen geworden ist. Ich schrieb in den Chat, dass ich mich freue, sie alle wiederzusehen. Die anderen freuten sich auch und sie schienen mich noch zu kennen.

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[Sa, 13.9.2025 – keine guten Ideen]

Ich rede den ganzen Tag mit den Menschen über die zunehmend bedrohliche Entwicklung von ziemlich allem um uns herum, es ist ja nicht nur der Krieg, der an der Haustür klopft, es sind auch nicht nur die Nachrichten aus Gaza und Israel, die jegliche vernünftige Tonalität übertönen, der Mord an Kirk wird sich zu einem Marinus-Van-Der-Lubbe-Moment ausweiten, die, die es könnten, deeskalieren nicht mehr, alle schrauben den Laut auf, immerhin war der Mörder nicht trans oder links, allerdings fürchte ich, wird das nicht zu einer vernünftigen Auseinandersetzung führen.

Ich kann nur einordnen. Und wenn man die Geschehnisse einordnet, dann landet man unweigerlich bei düsteren Szenarien, die uns eigentlich die Geschichte gelehrt haben sollte. Aber Geschichte wiederholt sich immer. Das sagten die alten Griechen und auch Hegel. Dass sich Geschichte NICHT wiederholt, sagen nur Journalisten, die den Satz falsch in Erinnerung haben.

Wahrscheinlich steuern wir gerade auf düstere Zeiten zu. Mir fehlt es an guten Ideen. Es bleibt mir wenig anderes übrig, als die Geschehnisse aus der Entfernung zu betrachten und dabei irgendwie gute Laune zu behalten. Und wo es geht, größeren Schaden von mir und meinem Umfeld abzuwehren. Mehr fällt mir echt nicht ein. Manche sagen, dass es jetzt wahrscheinlich einmal richtig rummsen muss, damit wir uns alle wieder einkriegen. Das ist natürlich fatalistisch. Aber Leute sagen das irgendwie gerne: Alles müsse mal zusammenkrachen. Wie Aufräumen klingt das.

Mal schauen, was die Historiker in 20 Jahren zu erzählen haben. Immerhin hat Hertha 3:0 gewonnen.

[Do, 11.9.2025 – künstliche Faulheit]

Wenn ich mit der KI rede, habe ich oft das Gefühl, es mit zwar hochintelligenten, aber faulen Praktikanten zu tun zu haben. Sie strengt sich zwar an, um mir zu gefallen, und schüttelt ein paar Extras aus dem Ärmel, die sie gerade parat hat, ich muss sie aber immer noch einmal anschieben, damit sie den Sachen auch richtig nachgeht.

So lese ich gerade Stephen Kings Novelle „die Leiche“, nein, keine Horrorgeschichte, und darin gibt es zwei sehr lange und langweilige Passagen, in denen der Erzähler seine eigenen Kurzgeschichten lesen lässt. Man liest also zwei ganze, themenfremde Teenager-Kurzgeschichten innerhalb einer Novelle. Weil mich das furchtbar langweilte, fragte ich die KI, ob diese Geschichten wirklich relevant sind oder man sie auch überspringen kann.

Die Antwort lautete, dass sie die Geschichte „Die Leiche“ nicht kenne, sie aber der Meinung sei, dass bei Stephen King alles zum Plot beitrage und er keine Lückenfüller verwende. Dabei wartete sie durchaus mit Informationen und Referenzen über Kings Werk auf. Das stellte mich natürlich nicht zufrieden. Ich sagte: Natürlich kennst du „Die Leiche“, streng dich ein bisschen an, die heißt auf Englisch nur anders.

Daraufhin antwortete sie sinngemäß: Sorry, stimmt, das muss dann die Novelle mit dem Titel „The Body“ sein.

Sorry. Praktikanten sagen auch immer „Sorry“, wenn man sie beim Faulsein erwischt.

Der KI war aber nicht geläufig, dass darin Kurzgeschichten enthalten sind. Ich sagte: Doch, im ersten Drittel gibt es ein Kapitel mit dem Wort „Stadt“ in seinem Namen.

Und dann wusste sie Bescheid. Sie sagte wieder Sorry und kannte auch gleich die zweite enthaltene Kurzgeschichte (ohne dass ich noch einmal extra danach fragen musste).

Das Gruselige ist allerdings, dass ich heute die Frage erneut stellte. Ein bisschen anders formuliert, mit einem anderen Schwerpunkt. Ich bekam diesmal eine umfangreiche Antwort, sofort schlug sie mir eine Einordnung der beiden Kurzgeschichten vor, sogar mit einer tabellarischen Übersicht.

Im Zusammenhang mit KI verwende ich ständig das Wort „gruselig“

Faul ist die KI oft auch beim Programmieren. Sie spuckt erstmal gut aussehenden Code aus, der sich aber oft im ersten Wurf nicht verwenden lässt. Ich sage dann: Das Programm lässt sich nicht ausführen.

Wie auf Arbeit. Viele Menschen liefern ein Ergebnis, haben es aber nicht selber getestet. Dann sagt sie: Ah, stimmt, ich probiere es mal mit einer anderen Library.

Manchmal funktioniert es dann, manchmal aber auch nicht.

[Di, 9.9.2025 – wie ein Umhang]

Die humpelnde Frau mit dem etwas verrückten schwarzbraunen Welpen. Meine Hündin mag den Welpen nicht, weil er ihr zu wild und zu ungestüm ist. Die Frau und ich sind ungefähr gleich alt, wir konnten eigentlich ganz gut miteinander, wir quatschten immer ein bisschen, nie etwas Wichtiges, nur über unsere Hunde und das, was sich gerade um uns herum abspielte, aber der Vibe stimmte. Ich sah sie schon seit einer Weile nicht mehr.

Heute begegnete ich auf meinem Spaziergang in einer kleinen Straße zwei Hundemenschen. Einen von den beiden kannte ich. Das war der Mann mit dem großen, braunen Doodle. Die Frau mit den Krücken kannte ich jedoch nicht. Sie hatte keine Haare und keine Augenbrauen mehr. Auch bleich war sie. Mitten in der Chemo. Wir sagten hallo, hallo und hallo. Den Mann mit dem Doodle verbindet mich nicht viel, wir grüßten nur, und weil ich die Frau auch nicht kannte, schlenderten die Hündin und ich weiter. Ich war schon ein ganzes Stück weiter vorne, als der Hund der Frau mit den Krücken noch einmal zu uns herüberkam. Es war ein schwarzbrauner Junghund. Ein bisschen ungestüm und wild. Meine Hündin mochte ihn nicht. Sie schaute ihn schon dermaßen griesgrämig an, dass er sofort wieder umdrehte. Aber jetzt erkannte ich den Hund. Es war der Welpe der damals humpelnden Frau.

Mit Krücken und den fehlenden Haaren hatte ich sie schlichtweg nicht erkannt.

Ich will mich jetzt nicht in Betroffenheitsprosa verlieren, ich werde aber nicht der Einzige sein, der sie nicht erkennt, oder vielleicht nicht erkennen will.

Als meine Ex-Freundin in den Niederlanden einen rugbyballgroßen Tumor an ihrer Gebärmutter wachsen hatte, meldeten sich auf einmal viele unserer Freunde nicht mehr. Nicht, weil sie keine Freunde mehr sein wollten, sondern, weil sie die Situation überforderte. Es brachte wenig, sich über die Qualität der Freundschaften aufzuregen. Der Tod ist halt ein sehr schwerer Umhang, der sich über allem legt.

Ich weiß auch nicht, was wir damals am besten gebraucht hätten. Nervöse, besorgte Leute sicherlich nicht. Neugierige Statusfrager auch nicht. Wahrscheinlich will man beim Sterben einfach von ein bisschen Liebe umgeben sein.

Sie starb jedenfalls nicht. Um zumindest diesen Gedankengang positiv abzuschließen.

Die humpelnde Frau bekommt jetzt sicherlich besorgte Kommentare. Oder sie wird ignoriert. Oder sie wird schlichtweg nicht erkannt. Keine der drei Optionen baut so richtig auf. Nächstes Mal werde ich sie ansprechen. Ganz direkt. Dass ich sie beim letzten Mal gar nicht wiedererkannt hatte. Was sie gerade durchmacht, ist schließlich offensichtlich, da muss man gar nicht drumrumreden.