[Dienstag, 11.5.2021]

Heute ging es mir etwas besser. Es waren am Vortag ein halbes Dutzend ganz unterschiedliche, emotional sehr stressige Sachen innerhalb weniger Stunden passiert. Ich bin etwas beeindruckt, wie hart das an mein Nervenkostüm ging.

Es ist vermutlich ein Vorgeschmack dessen, was bei einem Burnout passiert. Wenn unterschiedliche, stressige Sachen gleichzeitig über einen längeren Zeitraum auf jemandem einwirken. Ich bin eigentlich sehr stressresistent, besser ausgedrückt würde ich sagen, ich empfinde so gut wie nie Stress, ganz selten nur, und wenn es passiert, dann weiss ich es immer ganz gut so zu handhaben, dass es mir nichts antut.

Für mich sind das immer Handhabe-Mechanismen. Für jede Art von emotionalen Stress gibt es einen Handhabe-Mechanismus. Wenn aber zu viele unterschiedliche dieser Situationen auftreten, dann kann man nicht genügend unterschiedliche Handhabe-Mechanismen aus der Hosentasche ziehen und es landet alles geradewegs und ungefiltert im Brustkorb.

Aber ich habe Eisbärensocken geschenkt bekommen. Ich finde es schön, dass Menschen an mich denken, wenn sie Eisbären sehen.

Apropos Eisbären. Da ich hier in unregelmäßigen Abständen die Webcam von Longyearbyen verlinke, finde ich, ist heute wieder ein guter Tag, sie zu verlinken. Und nachts scheint dort wieder die Sonne.

https://longyearbyen.kystnor.no/

Wir sprachen heute auch über unsere Reise dorthin. Norwegen hat das arktische Archipel während der Pandemie ja ziemlich vom Rest der Welt abgekoppelt, aber ab dem Herbst dürfte es wieder etwas zugänglicher werden. Es gibt unterschiedliche Meinungen dazu, welche die beste Jahreszeit für Spitzbergen sei. Am Speziellsten ist vielleicht die sogenannte blaue Jahreszeit im Frühjahr, jene Zeit, in der die Sonne immer knapp über oder knapp unter dem Horizont entschlangstreift. Oder auch die sogenannte goldene Jahreszeit, wo mit der Sonne das Gleiche passiert, aber dann noch ohne Schnee, weshalb die Farbtöne ins Orange, Braune, oder weil es besser klingt: ins Goldene getaucht sind. Am Uninteressantesten ist vermutlich der Sommer. Weil da 3 Monate lang einfach Tag ist. Allerdings kann ich es mir gut als Sommerresidenz vorstellen, wenn Berlin wieder zum Glutofen wird.
Wir planen grob Ende April / Anfang Mai. Da liegt noch viel Schnee, aber die Sonne scheint bereits 24 Stunden am Tag.

Zur Vorgeschichte:
Die Sache mit der Arktis
Die Sache mit der Arktis (fortgesetzt)
Die Sache mit der Arktis (Episode 3)

[Mittwoch, 12.5.2021]

Heute hatte ich viele Dinge nachzuholen, die in den letzten beiden Tagen liegengeblieben sind.

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Huch, morgen ist ja Feiertag.

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Am Abend kam ich wieder zu spät zum Spiel. Es ist das Nachholspiel gegen Schalke. Es waren bereits fünf Minuten gespielt. Das erste, was ich sah, als der Fernseher ein Bild anzeigte, war die gegnerische Mannschaft, die sich freudig feiernd in den Armen lag. Das ist kein schönes Bild im Abstiegskampf und machte ziemlich sofort ziemlich schlechte Laune.
Unserer Mannschaft fehlten 8 wichtige Spieler. Für die nächste Partie am Samstag werden drei weitere fehlen.

Aber es zahlte sich aus, bis zum Ende zu schauen. Ich verlasse niemals ein Spiel vorzeitig, da ich gutgläubig genug bin, dass ich auch noch an zwei oder drei Toren in der allerletzten Minute glaube. Heute galt es nur aus einem 1:1 ein 2:1 zu machen. Und genau das machte unser zwanzigjähriger Nachwuchsstürmer Jessic Ngankam. Er fing den Pass ab, legte sich den Ball zurecht wie ein Champion, blieb auf engem Raum nervenstark und fand diese eine Lücke in die der Ball passte.
Mit solchen technisch feinen Toren rechne ich gar nicht mehr, da sie in unserer Mannschaft schlichtweg nie passieren.

Am Samstag müssen wir eigentlich nur ein Remis erzielen, wenn Bielefeld oder Bremen auch ein Remis erzielen, dann haben wir den Klassenerhalt geschafft.

Mit diesem Gefühl lege ich mich ins Bett und schlafe friedlich ein.

[Donnerstag, 13.5.2021]

Es ist mitten in der Nacht, es regnet. Ich öffne das Fenster. Und schlafe ein.

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Es ist ein Feiertag. Vatertag. Deutscher Vatertag. Himmelfahrt als Vatertag gibt es ja nur in Deutschland. In Südtirol feiert man den Vatertag im März, aber ich vergesse das Datum immer, es ist der Josefstag, was ja durchaus sinnvoll ist, wegen des Schreiners aus Nazareth, der religiöse Begründer der Patchworkfamilien.

Am Vatertag sollte man dem Vater Vatertagsgrüße schicken. Aber Vatertag ist einer dieser Tage, an die ich mich nicht gut selbstständig erinnern kann. Das ist einer dieser Tage, bei denen ich mit dem Flow mitschwimme und wenn es dann überall im Internet steht, fasse ich mir an den Kopf: oh es ist Vatertag, nicht vergessen, Vater anzurufen.

Das Problem mit dem deutschen Vatertag ist aber schon seit vielen Jahren jenes, dass der italienische Vatertag dann bereits stattgefunden hat und wenn ich anrufe, ich mir natürlich anhören muss, dass ich den Vatertag vergessen habe. Mittlerweile rufe ich deswegen am deutschen Vatertag nicht mehr an. Ich lerne.

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Während ich Sport betreibe, befinde ich mich oft in einem mentalen Zustand, in dem ich Zeit habe, mich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Wenn ich zuhause die immergleichen Fitnessvideos nachahme, scanne ich oft die Bücherwand ab, und da ich mich eher an jener Seite des Regales befinde, in der die Bücher meiner Frau eingeschoben sind, stoße ich immer wieder auf mir unbekannte Titel, die mich während des Sporttreibens wesentlich mehr interessieren als das Sporttreiben. Ich drifte dann gedanklich etwas ab und freue mich auf das Ende des Sports, damit ich gleich das entsprechende Buch aus dem Schrank ziehen kann.

Wenn die Sportübungen dann vorbei sind, bin ich aber mit den Gedanken wieder woanders. Das ist fast jedes mal so.

Diesmal hat mich aber ein Buchtitel, den ich schon öfter erspäht hatte, länger beschäftigt, bis über die Sportübung hinaus. Following the wrong god home. Von Catherine Lim. Dieser Titel. Das Following the god. Das Following home. Das Following the wrong god. Und das wrong.
Dieses innere Bild. Schwerer Regen. Die Demut über falsch getroffene Entscheidungen, die fehlende Kraft, davon loszulassen. Eine moralische Instanz. So stellte ich mir das vor, während ich crunches machte.

Meine Frau hatte das Buch vor etwa dreissig Jahren gelesen, sie wusste nicht mehr viel darüber zu berichten. Meist kein gutes Zeichen.
Als die Übungen vorbei waren, blieb ich liegen, robbte zum Schrank und zog das Buch hervor. Eine Liebesgeschichte im Singapur der Achtziger Jahre. Das Buch wird im Internet eher als langweilig bezeichnet.

[Freitag, 14.5.2021]

Morgens klingelte ein Paketdienst. Ein Paket für meine Frau. Erdbeeren in Schokolade. Ich wusste gar nicht, dass es sowas gibt. Erdbeeren in Schokolade. Das fühlt sich falsch an. Aber der Inhalt gibt optisch viel her, es sieht wie eine sehr edle Pralinenschachtel aus, große, erdbeerförmige Pralinen in verschiedenen Schokoladentönen. So sehen Geschenke aus.
Ich darf mich über den Inhalt hermachen und ich stelle mit einigem Erstaunen fest, dass die Mischung funktioniert, also Erdbeeren mit Schokoladenkruste.

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Heute ist der letzte Tag, an dem man Whatsapp benutzen kann, ohne den neuen Datenschutzbestimmungen zugestimmt zu haben. Ich habe lange darüber nachgedacht, Whatsapp von meinem Telefon zu nehmen. Es wäre ein guter Zeitpunkt, weil bereits so viele Leute wegen des Kommunikationsdesasters bezüglich der neuen Datenschutzbestimmungen aufgeschreckt waren. Und es ist eigentlich wirklich an der Zeit, allen Facebook Companies den Rücken zu kehren. Es hat eine Trendwende stattgefunden, dass man sich nicht mehr ständig ausspionieren lassen will.

Dennoch werde ich Whatsapp vorerst nicht löschen. Zum einen habe ich noch keinen Backup der Chats erstellt und habe auch gerade keine Lust mich mit Whatsapp-Backups auseinanderzusetzen und zum anderen verwende ich ja noch weitere Apps von Facebook Companies, also Instagram und Facebook selbst, es wäre daher lediglich Augenwischerei, mich von Whatsapp aus Datenschutzgründen zu verabschieden.
Instagram verwende ich fast ausschließlich um Stories der Einwohner von Longyearbyen zu schauen und Facebook verwende ich noch zum Facebookstalken von Leuten und um automatisierte Videoempfehlungen anzuklicken, die ich dann in total verblödeten Launen schaue, also lustige Tiervideos, lustige Fails, lustige Pranks. Totaler Käse.

Mit Facebook ist in den letzten paar Jahren etwas passiert. Ja, die laufende Erzählung, dass nur noch die alten Leute auf Facebook sind, mag da mitgewirkt haben, aber irgendwo über diesem blauen Browserfenster scheint auch immer die selbstverliebte Fresse von diesem Zuckerberg zu hängen. Sogar meine Mutter will Facebook nicht nutzen, „weil da immer alle mitlesen“. Dass Whatsapp auch mit dringt hängt weiss sie nicht und, dass Google und die sogenannten anderen ja nicht unbedingt besser sind, sei mal dahingestellt. Finde es dennoch schön zu sehen, was mit Facebook passiert ist oder zu passieren scheint.

Ausserdem: wenn ich einen Blogeintrag auf Facebook verlinke, gibt es vielleicht 5 Klicks, höchstens zehn. Wenn ich den gleichen Eintrag auf Twitter verlinke, gibt es etwa zehnmal so viele. Früher war das umgekehrt.
Das mag sicherlich auch ein meiner persönlichen Blase liegen und Twitter ist viel mehr eine Blase von Leuten, als Insta oder Facebook, die gesellschaftlich wesentlich breiter und diverser sind.

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In unserem Fanclubshop gibt es übrigens neue Ware. Vor allem die Pixelfahne finde ich gut. Und natürlich das „Liberté, Egalité, BSC“.

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Heute war ein guter Tag im Büro. Wenn niemand arbeitet und unterbricht, ist das gut fürs Gemüt.

[Samstag, 15.5.2021]

Es ist Samstag, der 15. Mai. Ich habe den Whatsapp Datenschutzbestimmungen immer noch nicht zugestimmt und kann es immer noch uneingeschränkt nutzen. Wenn eine Firma wie Facebook eine Sache nicht will, dann ist das schrumpfende Nutzerzahlen. Ich will sehen wie das vollzogen wird. Heute wurde bekannt gemacht, dass sich das Ultimatum um mehrere Wochen verschieben wird. Ich schaue einfach untätig zu. Ich sitze mitten drin und schaue einfach zu. Einer Firma beim Zögern zuschauen, wie sie nicht über ihre eigenen Geschäftsprinzipien springt. Das ist pure Schönheit.

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In letzter Zeit spazierten wir ein paarmal durch den St.Petri Friedhof an der Friedensstrasse. Meist eher zügig und auf den breiten Wegen, als kleiner Umweg um zur Landsberger Allee zu gelangen. Heute sind wir von den großen Pfaden abgekommen und wurden von der Schönheit der verwilderten Teile des Friedhofs überrascht. Wir schlenderten sehr langsam durch fast vollständig zugewucherte Bereiche. Riesige, marmorne Familiengräber, aus denen Bäume wachsen.
Ich bin im Friedhofswesen nicht so bewandert und weiss daher nicht, warum solche riesigen Gräber noch stehen. Abgesehen vom historischen Wert natürlich, aber Kirchengemeinden und ihre Friedhöfe sind am Ende keine karitativen Einrichtungen und wenn das Nutzungsrecht abläuft, werde Gräber schließlich auch entfernt. Ich frage mich daher, ob diese Familien vor 100 jahren einfach einen großen Batzen Geld in die Hand genommen und sich ein langes Nutzungsrecht erkauft haben. Die meisten Toten in diesen Gräbern sind zwischen den beiden Weltkriegen verstorben. In seltenen Fällen wurde noch jemand in den Fünfzigern nachbestattet.

Ich denke mal, dass Familien hier etwas Bleibendes haben wollten. Für die Nachfolgenden Generationen, in Erinnerung bleiben, vielleicht auch ein Ort in dem ihre noch unbekannten Nachfahren einen letzten Ruheort finden würden, zurück nach Hause. Seit den Zwanzigern wollte sich da niemand mehr begraben lassen. Seit Jahrzehnten interessiert das Grab niemanden mehr. Jetzt wachsen die Bäume. Aber das Grab ist noch da. Die Inschriften, die Namen, das Sterbedatum, die Symbole. Diese Familien müssen einst vermögend gewesen sein. Womöglich haben sich die Nachfahren abgekehrt.

Ich wünschte, ich hätte einen Friedhofswächter fragen können.

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Auf Friedhöfen auch immer dieses Gefühl der Versöhnung mit dem Sterben. Der Tod wird immer nur in den Einzelschicksalen übermächtig und finster. Auf Friedhöfen sieht man die einzelnen Schicksale immer in einem breiteren Zusammenhang. Dieses Gefühl, dass wir alle einfach sterben werden, ist sehr beruhigend und hat eine gewisse Leichtigkeit.

Aber dann das Grab des Vierzigjährigen. Auf dem Grab befindet sich Spielzeug. Unter seinem Namen steht eingraviert: Du warst mein Superheld.

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Um halb vier ist das Spiel gegen Köln. Uns reicht ein Unentschieden um die Klasse zu halten, wenn Bremen oder Bielefeld auch ein Unentschieden spielen. Und genau so passiert es.
Nach dem Spiel bin ich sehr erleichtert. Eine harte Saison geht zu Ende. Die zweite harte Saison in Folge. Ich kann mich jetzt langsam an die vielen dramatischen Einzelgeschichten dieser Saison erfreuen. Die Niederlagen, die Pleitenserien, die Entlassung der Geschäftsführung, des Trainers, die Quarantäne. Die Saison war nicht ganz so dramatisch wie die vorige Saison mit Klinsmann und Facebook live, aber ich will hier jetzt keine Ansprüche stellen.

In meiner Facebook- und Twittertimeline wird der Klassenerhalt gefeiert. In der Berichterstattung nach dem Spiel wird oft eine Szene wiederholt, in der Cunha dem Trainer Pal Dardai eine große Schachtel mit Zigarren überreicht. Unser Trainer tritt später per Videocall im Sportstudio auf. Er sitzt grinsend in seinem Garten und zieht an einer Zigarre. Ein ikonisches Bild.

[Sonntag, 16.5.2021]

Heute nicht viel gemacht. Ein bisschen gelesen, aber ich habe derzeit auf nichts Lust. Es liegen noch viele ungelesene Bücher herum, aber es hat sicherlich einen Grund, warum ich diese noch nicht gelesen habe. Deswegen wieder zu Roberto Bolaño gegriffen. Erstaunlicherweise habe ich den Überblick verloren, was ich von Bolaño gelesen habe und was nicht. Es liegen Bücher von ihm herum, in den Regalen und im Reader, vor allem die Bände mit kurzen Geschichten haben es mir angetan, ich weiss nie genau in welchem Buch, bei welchem Text ich gelandet bin, ich finde mich aber immer wieder schnell zurecht. Diese Beiläufigkeit, mit der seine Geschichten in die Tiefe gehen, auch in die Abgründe, mit der Banalität von Biografien der Menschen, seine Texte fühlen sich oft wie Biografien an, beiläufig und etwas plaudernd erzählt unter einem schattenspendenden Baum im Vorgarten eines mexikanischen Landhäuschens.

Das tausendseitige Buch 2666 habe ich nicht zu Ende gelesen. Im dritten Teil von 2666 hatte ich irgendwo aufgehört, auch aus Angst davor, mich dem monströsen, vierten Teil hinzugeben, in dem über 400 Seiten hinweg Frauenmorde geschildert werden. Ich denke, das muss ich mir nicht geben. Auch wenn ich glaube, dass Bolaño das kunstfertig und nicht sensationslüstern aufgeschrieben hat, denke ich trotzdem, dass ich mir das nicht geben muss, vor allem nicht über 400 Seiten hinweg. Ich mag auch keine Krimis und Thriller mehr, in denen Frauenmörder zum Thema gemacht sind. Außer Gillian Andersson ermittelt wieder in High Heels durch Belfast, dann mache ich eine Ausnahme.

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The Song of cold. Gestern als wir so herumalberten, fiel mir der Song of Cold wieder ein. Jene eindrückliche Performance von Klaus Nomi als eine Art kristallenes Geschöpf aus dem Eis. Von the Song of Cold kenne ich nur diesen Auftritt von Klaus Nomi, den ich als Kind oder Teenie mehrmals im Fernsehen gesehen hatte. Für mich war das damals Achtzigerjahre Art-Pop / New Wave. Heute fand ich heraus, dass das Lied von Henry Purcell ist. Hochbarock. Vermutlich hat die Ästhetik dieses Auftritts alles überstrahlt.
Klaus Nomi war in dem Video bereits mit dem damals noch nahezu unbekannten Virus HIV infiziert und starb ein Jahr später völlig unbehandelt.

Das hat mich den ganzen Tag beschäftigt.

https://www.youtube.com/watch?v=Uf6ViwumljY

[Montag, 17.5.2021]

Von The Cold Song gibt es übrigens einige gute Coverversionen. U.a. von Laibach und von Sting, wobei mir die von Sting nicht unbedingt gefällt, er macht das auf eine Sting-art, die ich nicht so gelungen finde, dennoch bin ich erstaunt, dass er sich an die Interpretation dieses Liedes gesetzt hat. Es treffen zwei musikalische Seelen aufeinander, die für mich so gar nicht zueinander passen. Aber gerade deswegen muss man so etwas unbedingt probieren. Hat halt nicht so gut geklappt, wie ich finde.
Ich werde jetzt nicht alle Coverversionen des Cold Song hier im Blog einbetten, ich will es mit Medien und Bilder nicht gleich übertreiben. Die Kernkompetenz dieses Blogs ist immer noch schwarzer Text auf weissem Hintergrund.

Das Lied hat es mir echt angetan. Seit Sonntag ist es in meinem Ohr. Hier eine deutschsprachige Version. Ich bin ja überhaupt kein Purist und erst recht kein Traditionalist. Ich bin begeistert darüber, wie die deutsche Sprache zu diesem Lied passt. Und wie das repetitive „e“ (das sich anhört wie ein penetrantes „i“) ab Minute 01:24 der Kälte in diesem Lied eine Unbedingtheit mitgibt.

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Heute war ich aussergewöhnlich früh im Büro und ich war der Letzte, der es wieder verliess.

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An meinem Auto ist eine Verwarnung der Polizei angebracht, dass mein TÜV seit Februar abgelaufen ist. Ich ahnte es schon seit Längerem, dass die Frist bald ablaufen würde, aber ich vergesse seit einem Jahr auf die Plakette zu schauen. Ich saß das letzte Mal im Januar in meinem Auto. TÜVs, Reifenwechsel, Autoversicherung, Inspektionen und all diese Dinge kosten mich mehr als ich für Benzin ausgebe.
Es ist wirklich eine Verschwendung. Zumal im Coronajahr auch die langen, schönen Autoreisen ausgefallen sind. Ausgenommen die Reise nach Schweden im letzten Sommer.

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An dieser Stelle stand ursprünglich ein Textstück, in dem ich über Homeoffice schrieb und warum ich allen Menschen, die sich für hundert Prozent Homeoffice einsetzen, dringend davon abraten möchte. Während des Schreibens merkte ich aber, dass der Text den Rahmen sprengt und ich mehr Raum dafür brauche. Und auch ein paar Tage mehr.

[Dienstag, 18.5.2021]

Seit Corona brauche ich kaum noch meine Kredit- bzw Bankkarten. Das meiste bestelle ich online und viele Läden unterstützen mittlerweile Googlepay. Meine Kreditkarte habe ich seit mehr als einem Monat nicht mehr gesehen. Nun habe ich einen TÜV Termin für Mittwoch angesetzt. Und wenn es ein Gewerbe gibt, wo ich bevorzugt auf Bargeld, aber mindestens auf eine Karte angewiesen bin, dann ist es das Hinterhofautoreparaturgewerbe in Berlin. Am liebsten immer Bargeld. Es gab schon solche Firmen, die keine Kartenzahlungen anboten. Bei Beträgen, die eigentlich immer dreistellig sind.

Jetzt finde ich natürlich meine Karten nicht. Hölle.

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Nach der Arbeit mit Klaus verabredet gewesen. Wir trafen uns im Volkspark Friedrichshain und setzten uns auf eine Bank im Grünen, machten ein paar Schritte, setzten uns wieder hin. Undsoweiter. Die längste Zeit verbrachten wir bei den Beachvolleyfeldern. Menschen beim Sport zusehen. Auch so ein Ding. Es gibt beim Beachen diese Leute, die es wichtig finden, immer drei Bälle im eigenen Feld zu spielen bevor der Ball wieder über das Netz gebracht wird. Ich hasste solche Leute immer. Bis ich einmal mit jemandem in einer Mannschaft spielte, der das nie machte, sondern bei jeder Gelegenheit den Ball ins andere Feld schlug. Das nervte mich. Dann sagte ich zu ihm, komm lass uns mal immer drei Zuspiele machen bevor wir den Ball übers Netz befördern.

Seitdem hasse ich solche Leute nicht mehr.

Wir redeten über Lebensentwürfe. Über Biografien von Menschen, unsere eigene, waswärewenn-Szenarien. Ein sehr schönes Thema. Wir reden natürlich über Hertha, über die Hoffnungen vor jeder Saison. Über dieses seltsame Ausgeliefertsein. Sein anderer Lieblingsverein, der VfB Lübeck ist gerade gestern in die Regionalliga abgestiegen. Abstiege sind grausam. Abstiege in die Regionalliga sind noch grausamer.

Es ist am Abend noch ein bisschen kühl und wenn man draussen sitzt, lässt die Körperwärme schnell nach. Vor allem für mich, Winterboy, der ja immer glaubt, dass man ab März nur noch Tshirts tragen darf. Wenn es uns zu kalt wird, drehen wir ein paar Runden. Die Heizung anschalten. Funktioniert prima.

[Mittwoch, 19.5.2021]

Morgens war ich dann beim TÜV. Ich hatte eine der Karten gefunden, die EC Karte, die ich nie verwende, von der ich ausserdem die PIN nicht mehr wusste. Ich hatte ein paar mögliche Zahlenkombinationen im Kopf, die ich zu probieren gedachte. Zur Sicherheit lieh mir meine Frau ihre Karte.
Beim Zahlen trug ich zwei Mal eine falsche PIN ein, ich ahnte es, dass ich meinem Gedächtnis bei alten PINnummern nicht vertrauen sollte. Dann zog ich die Karte meiner Frau, mit alles funktionierte.

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Am Abend war ich auf der Trauerfeier von Rémi im Friedhof Baumschulenweg. Rémi war Mitglied in meinem Fanclub und er war der Initiator der 1892-Liter Wasser Aktion letzten Sommer, bei der wir während der Hitzewelle Wasserflaschen an Obdachlose in Berlin verteilten. Ich hatte in diesem Zuge viel mit ihm zu tun, er war ein richtiger Menschenfreund, der einem immer mit einer unverstellten Herzlichkeit begegnete. Ich kannte ihn nur noch ohne Haare. Mit seiner Art wirkte er aber immer so, als wäre das bald vorbei, da müsse er jetzt eben durch. Dabei kannte er schon die Prognosen.

Etwa ein Dutzend Freunde trafen sich vor dem Friedhof. Wir hatten nur einen Pin auf Googlemaps, der uns das Grab anzeigte. Wir folgten dem Pin, suchten eine längere Zeit, verliefen uns, es wurde etwas hoffnungslos, weil wir irgendwann in Grüppchen verteilt, ziemlich planlos über den Friedhof irrten. Dass es ein anonymes Grab war, machte es nicht besser, aber am Grab sollte eine kleine Herthafahne wehen, immerhin ein auffälliger Hinweis. Jemand berichtete von einem Foto, an dem eine etwas abgebrochene Bordsteinkante abgelichtet war, aber Bordsteinkanten gab es auf so einem Friedhof viele. Wir mussten irgendwann sehr lachen. Über den Gedanken, wie er über uns lachen würde, hätte er gesehen, wie wir auf der Suche nach seinem Grab, orientierungslos über den Friedhof irrten.
Nach einer Weile schickte uns jemand das besagte Foto. Aufgrund eines Steinkreises im Hintergrund des Bildes und der Optik der Umgebung, befand sich das Grab auf einem eher offenen Feld. Schliesslich fanden wir es, ganz irgendwo anders, als da wo der Pin markiert war.

Die ganze Gruppe stand eine Weile schweigend vor dem Grab. Einige Leute richteten die Schleifchen des Kranzes und die blauweisse Fahne, die der Wind etwas in Mitleidenschaft gezogen hatte.
Nach einer Weile fing jemand an von einer Auswärtsfahrt mit Rémi zu RB Leipzig zu erzählen. Jemand anders erzählte unterhaltsame Anekdoten über seine lustige Verschrulltheit, wenn er auf Rechtschreibfehler hinwies. Wohlgemerkt als Franzose. Eine erzählte davon, wie er sich für sie und ihre Familie bei deren Wohnungsbrand eingesetzt hatte, wie er Unterstützung in Bewegung setzte. Oder seine Freude im politischen Diskurs, wie unermüdlich er war, auch mit Gegnern, über Politik zu streiten, wie er den europäischen Gedanken hochhielt, auch als Leitfaden in seinem Twitterprofil.

Bei ihm kam dann das große Drama. Irgendwo müsste es auch noch diese Banner geben, das mal im Stadion hing, als er gerade im Krankenhaus lag. KÄMPFEN FRANZMANN.
Es folgten viele Geschichten über diesen liebevollen, lebensfrohen Franzmann, während wir da so standen, im Halbkreis, und auf dieses anonyme Grab schauten.