[Dienstag, 29.6.2021- Nationalmannschaft raus, Gefühle bei Niederlagen, Du gamla Du Fria]

Auf der Arbeit stauen sich manchmal mehrere Dinge an, die man nicht recht zu meistern weiss, die dann anwachsen und anwachsen. Heute habe ich dann drei solcher Dinge an einem Tag gelöst bekommen.

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Am Abend spielt Deutschland gegen England. Wir schalten kurz vor Schluss ein, damit wir nicht ganz den Anschluss an die Welt verlieren. Deutschland verliert 2:0. Ich kann die Enttäuschung rational nachvollziehen, aber sie trifft mich nicht. Ich weiss, wie sehr es mich runterziehen kann, ab der ersten Sekunde der Niederlage, mitten in der ersten Enttäuschungswelle hinein, die andere Mannschaft in Siegestaumel zu sehen, die Freude bei den Interviews, die Euphorie des Publikums, der Kommentatorinnen, selber steckt man mitten in dieser ganz rohen, noch unverarbeiteten Enttäuschung und alles prasselt ungefiltert ein.

Ich kenne das ja von Hertha, wenn die wichtigen Spiele verloren gehen, die Enttäuschung, die mich da überrollt, die Enttäuschung, die ich dort nicht kontrollieren kann. Aber wenn ich die Nationalmannschaft im Achtelfinale ausscheiden sehe, dann weiss ich genau, welche Gefühle bei welchen Bildern aktiviert werden würden.
Diese Egaligkeit. Sie ist so schön. Ich kann negative Emotionen beim Entstehen zusehen und sie tun mir nichts an.

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Nachher bleiben wir dran. Meine Frau ist Schwedin, es spielt Ukraine gegen Schweden. Eigentlich wollten wir es nicht schauen. Aber wir bleiben doch hängen, weil wir über Schweden reden, weil wir über meine letzte Reise in die Ukraine reden und schon sind wir mitten im Spiel. Dabei lerne ich, dass ich den Anfang der Nationalhymne immer falsch übersetzt habe. „Du Gamla du fria“. Ich dachte immer, das hiesse „Du alte, du kalte“, aber es heisst „Du alte, du freie“. Eigentlich wusste ich, dass „fri“ frei bedeutet, aber dieses auf deutsch so gut klingende Spiel alte/kalte gefiel mir unbewusst wohl so sehr, dass ich die vernünftigen Denkmechanismen ausgeschaltet liess.

Die Freie ist aber auch schön.

[Mittwoch, 30.6.2021 – Nasse Hose, Geigen-Feige]

Es regnet morgens leicht. Während der Fahrt ins Büro, nimmt der Regen etwas zu. Als ich im Büro ankomme, bin ich ziemlich durchnässt. Morgen soll es mehr regnen, morgen muss ich mir vielleicht eine Regenjacke überziehen. Erstaunlicherweise sind bei diesem Wetter mehr Frauen mit dem Fahrrad unterwegs als Männer. Es ist richtig auffällig. Dafür gibt es sicherlich eine soziologische Erklärung, wenn man lange genug darüber nachdenkt.

Im Büro hänge ich meine Stoffjacke zum trocknen auf, den Rest lasse ich einfach an. Die Hose wird im Laufe der nächsten halben Stunde trocknen. Mich stört eine nasse Hose nicht. Seit einiger Zeit versuche ich es näher zu betrachten was an mir nicht richtig ist. Eines der Punkte ist die nasse Hose. Viele Menschen mögen es nicht, nasse Hosen zu tragen. Das ist so. Ich kann es mir nicht erklären. Die einzige Erklärung die ich gefunden habe, ist etwas halbgar, sie beruht darauf, dass mein Körper immer warm ist, immer, eine nasse Hose hat bei mir also eher einen angenehm kühlenden Effekt und trocknet damit auch schneller mal aus oder die Feuchtigkeit nimmt schneller meine Körpertemperatur schneller annimmt, als umgekehrt. Aber die Erklärung ist halbgar.

Neulich saß ich neben unserer Problempflanze im Erkerzimmer. Unsere Problempflanze ist eine fünfzehnjährige Geigen-Feige. Sie ist unglücklich. Ich habe schon öfter glückliche Geigen-Feigen gesehen, die waren zwei Meter groß und trugen fünfzig oder mehr Blätter an ihren Stämmen. Unsere Geigen-Feige ist seit einem Jahrzehnt 1 Meter hoch und trägt genau ein einziges Blatt. Sobald ein neues Blatt nachsprießt, freuen wir uns, aber sobald das neue Blatt ausgewachsen ist, verabschiedet sich das ältere Blatt.

Neulich saß ich also neben unserer Problem-Feige im Erkerzimmer. Sie kommt aus der Tropen, sie mag es, wenn die Sonne auf sie reinbrennt und wenn die Temperaturen gluckern. Vermutlich mag sie es auch nicht, wenn sie nasse Hosen hat. Es ist meine Schuld, dass es ihr nicht gut geht.
Ich muss an die arktische Weide denken, das ist der nördlichste Baum der Welt. Die arktische Weide wird etwa 2 Zentimeter hoch. Was auch immer die für ein Problem hat, nasse Hosen stört sie wahrscheinlich weniger. Es kann durchaus sein, dass wir Lebewesen alle so unsere inneren Breitengrade haben. Wäre ich ein Baum, wäre ich dann wohl eine Kiefer.

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Ich war bei Zara um mir ein paar Tshirts zu kaufen. M ist mir zu groß geworden. Ich trage jetzt S. Morgen werde ich vermutlich das erste Mal seit etwa 20 oder mehr Jahren keine Adipositas mehr haben, ich bin dann nur noch übergewichtig. Dieser Satz fängt so großartig an, aber endet mit diesem seltsam downenden „nur noch übergewichtig“. Ich freue mich natürlich trotzdem, mag es nur, wenn Sätze schräg sind.

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Regen. Gleich werde ich mich ins Bett legen. Bei offenem Fenster. Draussen plätschert der Regen. Es gibt nicht beruhigenderes.

[Donnerstag, 1.7.2021 – Besuch]

Wir haben seit heute Besuch. Aufgrund der logistischen Änderungen in der Wohnung, habe ich nicht die Möglichkeit, mich näher mit diesem Pandemielog zu beschäftigen. Ich hole den Eintrag also am Freitag nach.

Ein wichtiger Fakt allerdings fürs Protokoll: heute habe ich eine Gewichtsmarkierung unterschritten. Heute früh war ich das erste Mal seit vermutlich zwanzig Jahren nicht mehr Adipös. Heute war ich nur noch übergewichtig. Ich will das hier stehen haben.

Und morgen habe ich meinen zweiten Impftermin. Auch eine sehr gute Sache.

[Freitag, 2.7.2021- Zweitimpfung, etc.]

Heute wurde ich zum zweiten Mal geimpft. Ich gehöre jetzt also einer anderen Statistik an. Finde ich gut.
Diesmal hatte ich einen männlichen Arzt. Es gab einen interessanten Unterschied zur Frau, die ich bei der Erstimpfung hatte und dem Mann von heute.

Die Frau: begrüßt mich freundlich, fragt, wie es mir geht, sagt „ah, sie wollen danach gleich wieder gehen und nicht noch 15 Minuten zur Beobachtung bleiben, das ist gut“ und ich sage: „Ja, ich habe gelesen, dass ich mir keine Sorgen machen muss.“ und sie erklärt mir die Sache mit den allergischen Schocks, während sie die Impfung präpariert und sagt auch, dass in der Regel nichts passiert, wenn es da schon früher keine Auffälligkeiten gab. Sie sagt, ich solle einen Arm auswählen, ich frage, welchen Unterschied das macht, sie sagt, keinen wirklich, aber vielleicht haben sie eine Schlafposition, die sie vorziehen, der Einstich wird ein paar Tage leicht schmerzen. Ich sage, dann nehmen Sie doch bitte den linken Arm, dann muss ich mich nicht umsetzen. Sie sagt: Haha. Und dann: Achtung jetzt desinfiziere ich Sie, das ist ein bisschen kalt, ich sage „ah“ und dann nimmt sie die Spritze und warnt mich vor den Pieks, sie sagt, das tut nix, und sticht hinein. Sie redet ständig mit mir, sogar während ich mich anziehe. Am Ende gehe ich und freue mich darauf, sie in sechs Wochen wiederzusehen.

Der Mann: ruft meinen Namen, begleitet mich in sein Zimmer, zeigt mir die Liege wo ich meine Sachen ablegen kann, sagt, ich solle meinen linken Ärmel hochkrempeln, desinfiziert den Oberarm und sagt: jetzt kommt der Pieks. Ich bekomme ein Pflaster und dann kann ich gehen. Ich sage im Gehen noch: „Ich wünsche ihnen viel Gesundheit.“ und finde diesen Satz total Über. Jetzt fühle ich mich Zweitgeimpft und rutsche in eine andere Statistik.

Ich will das gar nicht werten, auch wenn das manchmal durchscheinen mag. Es hat vermutlich auch nur zum Teil mit dem Geschlecht und der Erziehung zu tun. Ich mochte die Effizient des Mannes. Vor allem wie er mir die Entscheidung abnahm, einen Oberarm auszuwählen. Weil es eigentlich gar nicht wichtig ist.

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Am Donnerstagnachmittag kamen meine Schwiegereltern. Weil mein Arbeitszimmer dadurch besetzt wird, ist es an gewöhnlichen Arbeitstagen eher schwierig mich um diese Pandemielog-Tagebucheinträge zu kümmern.
Pandemie. Deswegen mache ich das ja, oder? Um in einigen Jahren zurückzublättern und nachzulesen, wie das so war, in dieser Pandemie, mit dem Stickerkleben und dem Haferkornreiskochen. Muss eine schlimme Zeit gewesen sein.
Was in einigen Jahren wahrscheinlich schwierig ist, sich zurückzuerinnern sind die Masken. Dass vieles, von dem ich hier berichte, mit Maske im Gesicht stattgefunden hat.

Jedenfalls fand ich heute früh deswegen keine Zeit, einen richtigen Eintrag zu schreiben, ich fuhr aber zeitig ins Büro, da ich ein größeres Meeting vorzubereiten hatte und als ich da so ganz alleine frühmorgens an meinem Schreibtisch saß, dachte ich: du musst das mit der Adipositas schreiben, das ist wichtig, das ist für das Protokoll. Und so schrieb ich ein paar Zeilen und las sie mit dem Headset auf meiner Arbeit ein.
Warum schreibe ich das auf? Ich habe mir diese Anekdote in meinen Notizen vermerkt. Ich glaube, es hat mich beschäftigt, dass ich seit Februar das erste Mal logistische Schwierigkeiten hatte, den täglichen Eintrag zu schreiben. Das kann jetzt etwas über mein langweiliges Pandemieleben aussagen oder auch einfach darüber, dass mein Arbeitszimmer zum Gästezimmer wird und wir schlichtweg seit Februar, bzw länger, keine Gäste mehr hatten.
Ist es interessante Info? Sicherlich.
Irgendwann in einer fernen Zukunft wird eine Maschine dieses Blog lesen und ein Psychogramm über mich erstellen.

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Jetzt wo ich den Bereich der Adipositas verlassen habe, bin ich etwas übermütig geworden. Ich hatte vergessen davon zu berichten, dass ich Anfang der Woche Tshirts kaufte, die nur in Größe S richtig passten. M fühlte sich bereits etwas zu groß an. An dieser Stelle muss ich erwähnen, dass ich Tshirts und Kleidung tendenziell sehr eng trage. Aus Gründen, die ich anderswo schon einmal erwähnte.
Aus Übermut bestellte ich vor drei Tagen also einen Wintermantel in Größe S und M bei Zalando. Wenn ich den Wintermantel in Größe S zuknöpfe, dann sehe ich aus, wie eine gespresste Wurst. Der Mantel in Größe M geht gerade so, aber nur wenn ich kerzengerade stehe und vorsichtig atme, würde ich aber 100g zunehmen, würde er aufreissen.
In Größe L kostet der Mantel aber 100 Euro mehr und deswegen werde ich wohl davon absehen. Es war ein schöner Gedanke, in einen Wintermantel der Größe S zu passen.

[Samstag, 3.7.2021 – Nebenwirkungen, Spatzen]

Ich habe auch nach der Zweitimpfung wieder Nebenwirkungen, ich schlafe nämlich wieder selig wie ein Lämmchen. Vermutlich wird es auch diesmal leider nur eine Woche lang andauern. Ey, meinetwegen kann man mich jetzt jede Woche impfen.

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Am Morgen bringe ich die Schwiegereltern zu einem Termin in die Friedrichsstrasse. Ich fühle mich so erwachsen dabei. Schwiegereltern mit dem Auto irgendwo hin bringen. Das hat mein Vater früher immer gemacht, als ich ein Kind war. Seit ich den Führerschein habe, hat sich mein Erwachsensein bis zum Mond aufgeplustert.

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Ein paar Stunden später hole ich sie wieder ab. Sie saßen in einem Restaurant und erzählten belustigt von sehr scheulosen Spatzen, die ihnen das Essen streitig gemacht hatten. Scheulos und furchtlos. Sie stahlen offenbar den Reis vom Teller.
Am Nachbartisch, und auf den benachbarten Stühlen saßen etwa ein dutzend Spatzen, unserem Tisch zugewandt, beobachtend, bedrohlich, wie Geier.

Ich erzählte von meinen positiven Erfahrungen mit dem berliner Spatz.

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Wir verbringen einen ruhigen und entspannten Nachmittag zuhause. Reden, trinken Tee. Ich musste noch eine Kleinigkeit arbeiten.

[Sonntag, 4.7.2021 – Tuberkulose, Britney, Klima]

Am Sonntag nicht viel gemacht. Ich habe sehr sehr lange alleine mit meinen Schwiegereltern gefrühstückt. Es war überaus unterhaltsam. Am Ende redeten wir über Tuberkulose. Dann musste ich doch mal mein Telefon hervorziehen und prüfen, was Tuberkulose eigentlich genau ist. Tuberkulose ist offenbar weit mehr verbreitet, als wir so dachten. In Berlin jährlich etwa 6000 Fälle. Das hat uns doch alle erstaunt, da wir Tuberkulose eher als historische Krankheit abgespeichert hatten, die den schlechten Trinkwasserbedingungen im 19. Jahrhundert zuzuschreiben war.

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Ich kaufe mir jetzt ein Tshirt mit Britney Spears drauf. Das habe ich in einer Insta Story bei Ines Anioli gesehen.

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In Kiruna, Schweden, nördlich des Polarkreises hat es heute 30 Grad, in Berlin 27, in London 17.

[Montag, 4.7.2021 – bad hair daY]

Am Morgen packten meine Schwiegerelten für die Reise nach Schweden und sie nahmen meine Frau mit. Wie jeden Sommer. Nächste Woche werde ich ihnen folgen. Ich weiss aber noch nicht genau an welchem Tag. Eigentlich sollte ich den Impfschutzes wegen bis zum 16. warten, aber da ich am 24.7. wieder zurück in Berlin sein muss, würde ich gerne schon früher fahren, vielleicht am Mittwoch. Ich weiss es noch nicht genau, ich entscheide spontan.

Ich fuhr früh ins Büro, da ich einen Termin vorbereiten musste.
Es ist ein Bad Hair Day. Meine Haare sind zu lang, da ich den Friseurinnentermin verpasst hatte und danach schlichtweg vergass, einen neuen Termin zu organisieren. Ich sehe mich den ganzen Tag in der Webcam, ich sehe furchtbar aus, das Haar wellt und lockt und sieht wie ein Helm aus. Zwischen zwei Calls am Nachmittag greife ich zum Telefon und erfrage einen Termin für eine neue Frisur. Es wird Donnerstag werden.

Am Abend habe ich einen langen Termin. Ich bin happy, nicht so viel Alkohol getrunken und auch nur moderat gegessen zu haben. Das kenne ich gar nicht von mir. Ich muss mal sehen wie ich das über die Zeit bringe. Wie meine Fussballmannschaft. Ein 1:0 über die Zeit bringen. Leider sind das die langweiligsten Spiele.

Aber Bad Hair day. Den ganzen Abend lang.

[Dienstag, 6.7.2021 – auslese]

Am Abend hatte ich wieder ein Firmendinner, aber es ist diesmal nur kurz. Um 19:00 verabschieden wir uns und ich fahre nach Hause.

Zuhause habe ich viel Zeit und räume das Blog auf, etwas das ich schon seit langem machen wollte. Durch die vielen Tagebucheinträge habe ich das Gefühl, dass eine große Menge an Text entsteht und die Einzeltexte, von denen es früher viel mehr gab ein bisschen in den dunkleren Tiefen des Blogs verschwinden. Ich habe die Texte nie sonderlich gut verschlagwortet oder kategorisiert, wodurch es einfach wie ein chronologischer Textteppich wirkt.
Vor einigen Jahren hatte ich einmal mit einem sogenannten Mixtape begonnen, in dem ich so etwas wie ein Best-of in einer Liste zusammenzufassen begann. Neulich lagerte ich diese Liste in die [Auslese] aus und heute setzte ich da ein paar Texte aus dem Archiv in diese Liste. Ich merke aber, dass sich in den achtzehn Jahren ziemlich viel angesammelt hat, das wird also eine ganze Weile dauern. Aber es ist ein Beginn.

Einige Texte finde ich heute schwer zu lesen, vor allem die Texte die Fiction sind, wie „mein alternatives Leben„. Ich weiss noch wie die Anfrage reinkam, ob ich mich an eine Textreihe für das Opac Magazin beteiligen möchte, ein Text in dem ich einfach aufschreibe, wie mein alternatives Leben aussehen würde. Und so entstand in den darauffolgenden Stunden dieser spontane, lange Text, den ich später oft vor Publikum vortrug und noch später sogar in eine Anthologie mit aufgenommen wurde. Ich finde es mittlerweile seltsam, von mir selbst geschriebene Fiction zu lesen, ich kann kaum überhaupt kaum noch Fiction lesen, außer vielleicht Shetland Krimis, von mir selbst aber, ein fiktives, unechtes ICH, mit fiktiven, erdachten Figuren, weiss nicht, momentan finde ich das total gestelzt, künstlich, unecht, irrelevant. Vielleicht geht diese Phase auch wieder vorbei. Diese seit Jahren dauernde Phase.

Oder der pornographische Text. Den nehme ich immer wieder von der Liste runter, dann wieder rauf, dann wieder runter. Damals, als ich den Text im Blog veröffentlicht hatte, wurde er ein paar Wochen später von einer jungen Frau aus dem Rheinland gelesen. Sie schrieb mir, sie hätte den Text gelesen und gut gefunden. Sie würde nach Berlin kommen und möchte mit mir essen gehen. Eine Woche später kam sie nach Berlin und wir schliefen das ganze Wochenende miteinander.

Ich spreche jedenfalls „mein alternatives Leben“ ins Mikro ein. Wahrscheinlich werde ich das mit allen Texten in der Auslese machen. Archivpflege oder um das Ganze in Stein zu meisseln.

[Mittwoch, 7.7.2021 – aufräumen]

Am Morgen einen langen Call mit Amsterdam gehabt, wo wir ins philosophische abgedriftet sind. Mein Gesprächspartner äußerte sich sehr Zivilisationspessimistisch. Darüber, dass unsere liberale westliche Welt sich gerade auf dem Rückzug befindet und andere, konservative Weltanschauungen übernehmen werden. Es ist eine Beobachtung, die sich mir auch seit einiger Zeit vors Sichtfeld schiebt, er schaffte es aber dermaßen gut in Worte zu fassen, dass es mich etwas runterzog.

Den Rest des Tages schaffe ich viele Dinge, die sich angestaut hatten, von meinem Schreibtisch. Ausserdem habe ich jetzt das Budget für eine extra Stelle, die ich unbedingt brauche.
Ich schaffe es bis 16:30 nicht, Mittag zu essen. Danach gehe ich zu den Foodtrucks am Potsdamer Platz und esse ein köstliches Bibimbap, ich bleibe aber den Rest des Tages seltsam verfressen, ich hätte am liebsten jeglichen Scheiss online bestellt.

Am Abend räume ich dann wieder im Blog auf. Kategorisiere und Verschlagworte. Das hätte ich schon vor zehn Jahren machen sollen. Es ist wie ein inneres Leben sortieren.
Da ich am Freitag Besuch bekomme, beschliesse ich irgendwann die Wohnung aufzuräumen, statt des Blogs.

[Donnerstag, 8.7.2021 – Frisur, Salamisocialclub]

Heute war mein Frisurtermin. Ich wusste nicht mehr, wann ich mir meinen letzten Haarschnitt verpassen liess, ich nenne nämlich immer das letzte Datum und sage, dass mein Haar auf das entsprechende Datum zurückgeschnitten werden soll. Das erleichtert die Dinge. Aber glücklicherweise habe ich das Blog. Ich suchte nach Frisur, Friseur, Friseurin, Haar, Haare, Friseurinnen, aber ich fand keinen relevanten Eintrag dazu. Ich weiss dann nicht mehr, welches Suchwort mir den 23.3. ausspuckte. Da kam der Frisurtermin darin vor. Ich habe diesen Eintrag jetzt absichtlich mit vielen relevanten Wörtern vollgetippt, damit ich diesen Eintrag in einigen Monaten leichter finde. Ich sollte keine dreieinhalb Monate warten. Nach zwei Monaten bin ich immer am glücklichsten mit der Frisur, aber danach geht es ganz schnell abwärts. Ich glaube zweieinhalb Monate müsste die perfekte Zeit sein. Ich habe das jetzt hier dokumentiert und werde es beobachten.

Ich war wieder bei Juliane. Die macht sich immer lustig über die Dinge. Sie hat mich einmal Waldschrat genannt, als ich wieder einmal über die zweieinhalb Monate drüber war (es waren vermutlich 4 oder 5), und sagt immer: also diese Augenbrauen… Ich finde sie trotzdem immer sehr unterhaltsam. Sie macht sich auch über sich selbst lustig. Über ihre Haare, die sie bändigen muss, über ihren alten Gebrauchtwagen, sie macht sich lustig darüber, dass sie Angst hat keinen Parkplatz zu finden, dass sie lieber Bahn fährt, aber dass man das ja niemandem sagen kann, jetzt wo alle wissen, dass sie einen Führerschein hat.
Auch die anderen sind nett, ich habe keine Präferenzen, aber sich mit Juliane über die Dinge zu belustigen, ist, ähm, lustig.

Mit dem neuen Haarschnitt fühle ich mich wie ein anderer Mensch. Bei den Calls sehe ich mich endlich wieder als einen Menschen, und nicht eine verwilderte Ziege mit Lesebrille.

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Mit Exkolleginnen getroffen. In meinem Bekanntenkreis trifft man sich seit einigen Jahren ganz oft im BRLO am Gleisdreieckpark. Ja, das ist eine wirklich tolle Location und die brauen da okayes Bier. Weil das immer so ist, dass man sich im BRLO trifft, schlug ich diesmal spontan den Salami Social Club in der Frankfurter Allee vor. Und hier möchte ich einmal Werbung für den Salami Social Club machen. Für wenn man keine Lust mehr auf den ewigen traditionellen Pizza Einheitsbrei hat. Ich zum Beispiel. Mich öden Pizzerie an, die irgendeinen Hoheitsanspruch über Tradition und Echtheit haben, dass der Rand soundso zu sein hat und die Dicke des Teiges soundso.
Die Betreiberinnen des Salami Social Club sind ein wilder Mix aus internationalem Friedrichshainer Publikum und sie machen köstliche Sauerteig-Pizza mit Blutwurst oder Fenchel oder Kürbis und auch vegane Varianten und einige sind mit dieser phantastische Pesto-Majonaise überzogen. Und sie gehörten zu den ersten, die vernünftiges, hangemachtes Bier aus Franken, Berlin und den USA zapften.

Das Lokal ist sehr klein, es ist immer voll und kuschelig. Momentan kann man natürlich nur draussen sitzen oder mit der Pizza zu den Wiesen am Frankfurter Tor spazieren. In wenigen Wochen öffnen sie aber neue Räumlichkeiten direkt neben an, wo sich früher der Gemüseladen befand.