[Donnerstag, 30.12.2021 – Schloss, Detektivspiel]

Heute sind wir zum Schloss gelaufen. Meinem Rücken geht es wieder besser. Er hat den dreistündigen Spaziergang gut vertragen. Ich würde jetzt gerne etwas kluges über das Schloss sagen, ich bin diesbezüglich aber sehr ambivalent. Zum einen finde ich gut, dass der riesige Parkplatz bebaut wurde, denn, wenn man mal vom Kultstatus des Palastes der Republik absieht, war der Rest einfach ein riesiger, öder Parkplatz. Und nein, ich bin kein Fan von einer weiteren Grünanlage. Ich fand es gut, dass man dort wieder eine große Struktur aufbaut, allerdings hätte ich mir etwas aufregenderes, wilderes, berlinerischeres gewünscht, als barocke Fassaden. Immerhin ist das Schloss architekturhistorisch der wichtigste Bau des nordeutschen Barockes. Dennoch fühlt es sich sehr nach Kaiserromantik an und Kaiserromantik ist so unberlinerisch geworden wie [man möge ein unberlinerisches Adjektiv hier einfügen]

Abends spielten wir ein Detektiv-Brettspiel von der Firma „Hidden Games“. Ein Mann stirbt unvermittelt und man bekommt einen anonymen Brief mit gesammelten Fakten. Das Spiel bekam ich letztes Jahr zu Weihnachten von einem Freund geschenkt. Ich liebe Brettspiele. In meinem Haushalt ist die Liebe zu Brettspielen leider 50 zu 50 verteilt. Wir hatten dann natürlich großen Spass. Mussten die anderen 50% des Haushaltes auch zugeben.

[Freitag, 31.12.2021 – Silvester]

Der Vater eines früheren Schulfreundes hiess Silvestro. Als Kind bemittleidete ich ihn sehr. Sein Namenstag fiel auf San Silvestro. Namenstage hatte bei uns Katholen immer eine Bedeutung. Wie ein kleiner Geburtstag. Man bekam ein kleines Geschenk. Und es wurde gratuliert. Silvestro heissen war also eine ähnliche Kategorie, wie zu Weihnachten Geburtstag zu haben. In späteren Jahren lernte ich Menschen kennen, die zu Silvester Geburtstag hatten. Damit relativierte sich das Mitleid mit dem Vater meines Schulfreundes wieder.

#
Es ist mittlerweile fast Tradition geworden, dass wir mit den Nachbarn von gegenüber und einem weiteren befreundeten Paar, samt Sohn, Silvester begiessen. Diesmal würde auch eine gemeinsame Freundin dabei sein, die mittlerweile in Chile wohnt. Es hätte ein schönes Fest sein können. Wir essen normalerweise etwas, der Gastgeber ist ein fantastischer Koch, und wir hätten getrunken, hätten einen tollen Abend gehabt und würden uns um 12 Uhr Glückwünsche für das neue Jahr gegeben haben.

Morgens wachte meine Frau aber mit einem Kratzen im Hals auf. Später nahmen wir die Temperatur ab, sie war leicht erhöht. Es wurde nicht besser. Coronatest war negativ. Die Erfolgsquote bei Omikron liegt allerdings bei unter 50%. Da es sich über Mittag nicht verbesserte, war es an der Zeit die Pläne umzuschmeissen. Es ist in diesen Zeiten nicht sehr verantwortlich, sich mit Krankheitssymptomen unter Menschen zu begeben. Und man mag sich gar nicht vorstellen, dass man Freunde leichtsinnig ansteckt, die sich dann durch einen schweren Krankheitsverlauf schleppen.

Es gibt für mich nur zwei Varianten, Silvester zu feiern: entweder mit den Nachbarn oder gar nicht. Wobei: das schönste Silvester hatten wir vor etwa 10 Jahren zusammen mit anderen Freunden auf Amrum. Da wurden wir eingeschneit und für mehrere Tage vom Festland abgesperrt.
Sonst sind mir Silvesterfeiern immer sehr zuwider. Diese Aufgekratztheit der Leute. Also blieben wir zuhause. Um Mitternacht winkten wir zum Balkon der Nachbarn. Sie schickten uns Fotos aus der Küche.

#
2022 wird mindestens genau so toll wie 2021. Ich schicke allen viele Glückwünsche.

[Samstag, 1.1.2022 – Neujahrstag]

Früher dauerte es immer ein paar Tage oder Wochen, bis ich das neue Jahr auch automatisch richtig schrieb. Früher schrieb man aber auch ständig das Datum mit der Hand irgendwo hin. Auf Listen, auf Zetteln, auf Formularen. Heutzutage macht das ja meistens die Maschine. Seit Februar letzten Jahres schreibe ich aber täglich dieses Coronatagebuch und damit auch jeden einzelnen Tag die Jahreszahl in die Überschrift. Ausserdem spreche ich es jeden Tag neu ein. Zwanzigeinundzwanzig. Ich ahne, dass ich anfangs noch oft die Aufnahme löschen und von vorne beginnen muss.

Obwohl wir kaum etwas getrunken haben, verbrachten wir den Neujahrstag als hätten wir einen Kater. Das muss ein Automatismus sein. Ausserdem ist der Neujahrstag ist ja immer ein Katertag, oder? Die ganze Stadt sieht aus, als hätte sie Mundgeruch.

Vorsätze: keine.

An Neujahr muss ich seit einigen Jahren immer an dieses junge Paar denken. Ich hatte die beiden in der ersten Januarwoche kennengelernt. Ich wohnte an der Prenzlauer Allee und stand kurz vor dem Auszug. Es kamen potentielle Nachmieterinnen vorbei, u.a. auch diese beiden. Sie hatten die Silvesternacht in Venedig verbracht und wurden am frühen Morgen durch die Hausverwaltung kontaktiert, dass die Wohnung ausgebrannt sei. Sie hatten aufgrund des milden Winters ein Fenster auf Kipp gelassen und waren verreist, ohne das Fenster wieder zu schliessen. In der berliner Silvesternacht verirrte sich schliesslich eine Rakete durch das gekippte Fenster und setzte die Wohnung in Brand. Wie banal die Umstände von Unfällen oft sind. Hinzu kam, dass sich die Versicherung quer stellte und aufgrund von Fahrlässigkeit nicht zahlen wollte. Wie das ausging, weiss ich nicht.

[Sonntag, 2.1.2022 – Telefonat mit Neffen und Schwester]

Von dem dreistündigen Spaziergang am Freitag habe ich eine großflächige Blase übrig behalten. Es ist das ungewohnte Schuhwerk. Ich merkte bereits auf dem Rückweg, dass sich etwas Wundes unter meinem Fusse anbahnt.

Ich telefonierte heute länger mit meinem Neffen. Dem Kleinen. Sein größerer Bruder ist der mit dem Skiunfall. Dem geht es übrigens wieder besser. Er wurde frühzeitig aus dem Krankenhaus entlassen, damit er den Weihnachtsabend mit der Familie verbringen kann. Das hat offenbar alles geheilt. Heute erzählte der fröhlich, dass alles gut sei und er nächste Woche leider schon in die Schule müsse.
Der jüngere Bruder, von dem man sagt, dass er mir sehr ähnlich sei, hatte technische Probleme mit seinem Telefon. Wir googelten gemeinsam herum und stöberten durch die Foren, konnten das Problem aber nicht beheben.
Danach übernahm seine Mutter, also die Schwester und wir plauderten lange über alles Mögliche. Vor allem hatte sie eine Geschäftsidee. Beim Durchdeklinieren dieser Idee fanden wir aber raus, dass wir wahrscheinlich weniger verdienen würden als bisher, also verwarfen wir das Ganze wieder. So ist das mit den Ideen.

Die Coronatests bei meiner Frau und mir sind negativ geblieben. Es ist also wohl nur ein Schnupfen.

[Montag, 3.1.2021 – der erste Arbeitstag im neuen Jahr]

Der erste Arbeitstag im neuen Jahr. Im Dezember begann ich irgendwann die Themen nach Dezemberthemen und Januarthemen zu sortieren. Ich habe viele Themen ins Januartöpfchen gelegt. Heute dann das Töpfchen aufgemacht und Bäm. Kaum eine freie Minute bis zum Ende des Tages.

Heute begannen auch ein paar neue Mitarbeiter. Mittlerweile schaffen wir es, die neuen Kolleginnen sehr herzlich zu empfangen. Mit schön hergerichtetem Schreibtisch, Schokohasen und es wird gemeinsam in der Küche gekocht. Dabei ist das Tragen von Masken mittlerweile eine Selbstverständlichkeit.

Einer der Neuen kommt aus dem Iran. Dieser brachte einen riesigen Sack Pistazien mit. Die Pistazie ist offenbar eine Kulturpflanze aus dem Iran. Das wusste ich gar nicht. Er verteilte mehrere Töpfe mit Pistazien im Büro. Ich bekam einen eigenen Topf zugewiesen. Ich kann mich dann nur schlecht bremsen. Jetzt habe ich vom vielen Schälen wunde Finger.

[Dienstag, 4.1.2022 – Pistazientopf, Völkerwanderung]

Ich habe heute wieder ständig in den Pistazientopf gegriffen. Irgendwann bin ich aufgestanden und habe den Topf zu einem anderen anwesenden, dünnen Entwickler gebracht. Soll der doch zunehmen.

Mehr ist heute nicht passiert. Ich habe Django Reinhardt ein bisschen aus den Augen verloren. Das schaue ich mir morgen an.

Dafür bin ich in meinen Recherchen etwas abgerutscht, da Django Reinhardt Sinti war, landete ich nach einer hohen zweistelligen Zahl von Wikipediatabs beim Thema „Völkerwanderung“. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, als wir in dier Schule die Völkerwanderung durchnahmen, also übersetzte ich den Begriff. Auf italienisch heisst „Völkerwanderung“ nämlich „Invasione dei barbari“.
Immer diese Frage der Perspektive.

Überhaupt: vorgestern diesen interessanten Podcast zum Thema Geschichtstheorie gehört. Also warum wir welche Helden aus der Geschichte kennen, warum zB in unserer Wahrnehmung Kolumbus der Entdecker Amerikas ist und nicht zB die Wikinger oder überhaupt, die ersten Siedler und warum welche Geschichte groß wurden. Es geht um die Deutungshoheit und um die Hoheit der Erzählung. Auch als Propagandamittel, auch als Erzählung des Abendlandes. Natürlich weiss ich, dass Geschichte immer ein Problem mit der Perspektive hat und auch immer missbraucht wurde, aber hier geht es in 66 Minuten mit viel Detailreichtum um genau das. Nicht nur aus historischer Sicht interessant, sondern auch politologischer und soziologischer Sicht.

[Mittwoch, 5.1.2022 – Pistazien wieder, Quadratmeterpreis, Fransziskus]

Weil ich gestern den Pistazientopf zu einem Mitarbeiter auf den Schreibtisch gestellt habe, ging ich heute in jeder freien Minute zu dem Mitarbeiter und griff nach den Pistazien. Der ist total langsam, so leert sich der Topf nie. Andererseits hat es schon seine Gründe, warum er so schlank ist.

Der neue Mitarbeiter schaute sich heute eine Wohnung für sich und seine dreiköpfige Familie an. Fünfzig Quadratmeter für 1600€. Ich habe gar nicht gefragt, ob das kalt oder warm ist. Was da draussen an Unverschämtheit herumläuft.

Dann der Papst, der wiedermal einen Appell an die Paare schreibt, sie mögen doch mehr Kinder zeugen und nicht Katzen oder Hunde als Ersatz dafür nehmen. Ich wollte etwas tweeten, irgendwas lustiges oder spöttisches, aber das regt mich so sehr auf, dass ich nur Schimpftiraden äußern kann und es daher lieber sein lasse. Der alte Single sollte besser dafür sorgen, dass er seine Priester den Katzen und Hunden aussetzt, anstatt Kindern. Sorry für die Katzen und Hunde.

Sonst geht es auch so:

[Donnerstag, 6.1.2022 – nur Höhen und Tiefen]

Ich habe mich heute über sehr viele Sachen ärgern müssen und ein paar Sachen waren ausserordentlich gut. Es gab nur Höhen und Tiefen.

Da es berufliche Themen sind, ist das alles leider nicht blogbar.

Immerhin habe ich nicht nach Pistazien gegriffen. Den ganzen Tag lang nicht.

[Freitag, 7.1.2022 – Homeoffice, Lichtenberg]

Furchtbare Nacht, furchtbar geschlafen.

Immerhin blieb ich heute im Homeoffice. Da ich gegen Mittag einen privaten Termin in Lichtenberg wahrnehmen musste, war es einfacher, zuhause zu bleiben. Ich konnte also fast bis zum ersten Meeting schlafen, so bekam ich wenigstens ein bisschen von der furchtbaren Nacht nachgeholt.

Dann der erste Call am Morgen. Ich zog mir ein Hemd über und setzte mich vor die Webcam. Huch, wer ist der Waldschrat auf meinem Bildschirm?

Wochentags um 11 Uhr vormittags am Eingang einer Einkaufspassage in Lichtenberg. Die Passage hat eine gefühlte Leerstandquote von 70%. Armut ist in weiten Teilen Berlins ja nicht so sichtbar, sogar wenn Gruppen obdachloser Menschen in Neukölln auf Plätzen sitzen, da verkommt Armut zwischen Karstadtpublikum, Hipstern, Gangstas im BMW (um mal ein paar Klischeebilder zu nennen), eher zu einem Teilstück eines „heterogenen“ Berlins. Aber um 11 Uhr Vormittags vor einer sterbenden Lichtenberger Einkaufspassage kriecht die Armut aus allen Ecken hervor und in die Menschen über. Ich war früher oft in dieser Ecke, es war da immer schon so.

Die Armut geht ins Lebensumfeld über, das Lebensumfeld geht in Armut über, die Armut geht ins Lebensumfeld über.

[Samstag, 8.1.2022 – the long dark, Sommerschlaf, schwarzer Reis]

Nach der schlimmsten Nacht, diesmal die beste Nacht gehabt. So ist das eben.

Heute viel rumgehangen. Küche, Wohnzimmer, Internet, Kleinigkeiten gemacht. Dann um 1530 die Bundesliga Konferenz geschaut. Hertha spielt ja erst Morgen.

Später spielte ich „The Long Dark“. Ein Open World Spiel in dem man in der Kanadischen Arktis überleben muss. Zur Sicherheit spielte ich den Modus ohne Bären, am dritten Tag lief ich aber schon ziemlich geschwächt über ein offenes Schneefeld und wurde von einem Rudel Wölfen angegriffen. Wölfe. Dass mich Wölfe einfach so angreifen, hatte ich nicht erwartet. Hätte ich das gewusst, hätte ich sie vorher im Spielmodus ausgeschaltet.
Ich schaffte es, den angreifenden Wolf zu töten, ich brauchte aber lange, bis ich mich davon erholte. Dafür zog ich mich in einer verlassene Hütte zurück und verbrachte dort mehrere Tage schlafend und ruhend. Nach so wenigen Tagen weiss man noch nicht, wie man sich ein Feuer macht, die Kälte ist für eine erfolgreiche Genesung nicht sehr förderlich. Immerhin war ich im Besitz von Dosenfleisch und mehreren Tüten Kartoffelchips.

Ich googelte „Wölfe Winterschlaf“, schliesslich musste ich wissen, ob es da mit rechten Dingen zuging. Wölfe halten offenbar tatsächlich keinen Winterschlaf. Bären auch nur bedingt. Es ist eine schäbige Welt.

Es gibt übrigens sowas wie Sommerschlaf. Das war mir neu. Aber nachvollziehbar. Manche Tiere graben sich im Sommer einfach ein. Das Bedürfnis kenne ich im Sommer, wenn es die dreissig Grad übersteigt. Möglicherweise bin ich mit Erdhörnchen näher verwandt als mir lieb ist.

Habe ich eigentlich von schwarzem Reis erzählt? Ich liebe ja diese „Post the last blabla in your gallery“-Stories auf Instagram. Ab und zu mache ich mit. Heute ging es um das letzte Essensfoto in de Gallerie. Bei mir war das der schwarze Reis, den ich zu Silvester kochte. Als wir letzten Herbst in Südtirol waren, fanden wir schwarzen Reis in den Supermarktregalen. Neugierig wie wir sind, kauften wir es und weil wir zu Silvester ja in der letzten Minute absagen mussten, kochte ich ein Reis-Bis. Die eine Hälfte des Bis war ein Basmatireis mit Zwiebeln und die andere Hälfte schwarzer Reis mit Zwiebeln, Paprika und Erbsen. Man bereitet schwarzen Reis zu wie auch normalen Reis. Er bleibt etwas bissfester als zB Basmatireis, aber genau das mag ich an Reis. Und er kommt mit eine leichten Nussigkeit. Lustigerweise erinnert er mich an gekochten Haferkörnern. Was ich jedenfalls sagen will: schmeckt.