[Mittwoch, 19.1.2022 – Gilf, Pulverturm, Pokalderby]

Wenn man auf die Frage „Wie hast du geschlafen?“ mit einem Screenshot der Smartwatch-App antwortet.

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Am Morgen traf ich meine kleine Schwester zum Kaffee.

Sie erzählt mir von einem schönen Spaziergang zum sogenannten Passerfritz. Passerfritz war ein bärtiger Mann, der in den Auen an der Passer oberhalb der Passerschlucht wohnte. Ich dachte immer, das sei ein Obdachloser Exzentriker, wie auch der Falschauergeist, der in den Auen der Falschauer unterhalb von Lana wohnte. An den Falschauergeist kann ich mich noch erinnern, weil der immer mit Federn bekleidet in Bozen Menschen anpöbelte. Über den Passerfritz wusste ich allerdings nichts. Heute erfuhr ich aber, dass der Passerfritz eher ein Öko Freigeist war, der dort in seinem Wohnumfeld ein öffentliches Biotop schuf, das als Naherholungsgebiet fungierte. Er starb 1997 und die Auen tragen im Volksmund immer noch seinen Namen.

Meine Schwester erklärte mir, wie man dort hinkommt. Zuerst müsse man über die Winterpromenade ganz hinauf bis zur Gilf, zum Beginn der Schlucht und da gäbe es eine seltsame Brückenkonstruktion, so etwas wie eine Brücke über der Brücke, über die man gehen müsse und dann noch ein Stück weiter durch die Schlucht an der Passer entlang.

Ich würde heute meine Frau treffen, das war genau der Spaziergang, den ich mit ihr machen wollte.

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Danach traf ich also meine Frau. Zum ersten Mal seit wir hier sind. Wie schon vor einigen Tagen geschrieben, beschlossen wir, uns nicht zu treffen, da sie engen Kontakt mit alten Menschen haben wird und bei dieser hohen Inzidenzzahl, ist es die bessere Idee, sich einfach mal nicht zu treffen. Einen Spaziergang wollten wir uns aber nicht entgehen lassen.
Dennoch ist es seltsam, sich zu treffen, sich aber nicht zu berühren.

Wir liefen über die Winterpromenade hinauf. Es gibt an der Passer die Winterpromenade und die Sommerpromenade. Die Winterpromenade liegt auf dem sonnigen Ufer und wird von einer schönen, in Jugendstil gestalteten Wandelhalle begleitet. Die Sommerpromenade hingegen ist eine schmale und steile Parkanlage mit einem Wegegeflecht auf der schattigen Seite der Passer. Dort ist es im Sommer immer kühl.

Am Ende der Promenade gelang man zur Gilf. Ja, die heisst wirklich so. Und nein, es treiben dort keine sexy Omas herum. Zumindest nicht deswegen. Ich weiss gar nicht genau, was die Gilf ist und warum die so heisst, das werde ich jetzt auch nicht googeln, aber die Gilf ist für mich immer dieser tropisch anmutende Teil der oberen Winterpromenade. Es wird dort auf einmal dunkel und feucht und es wachsen Palmen und andere grossblättrige Pflanzen.

Trotz der abgelegenen Lage kiffte es sich dort wegen der vielen deutschen Touristen immer schlecht. Deswegen zogen wir uns meist auf die andere Seite der Passer zurück.

Meine Frau und ich suchten den Aufstieg zum Passerfritz, wir sahen zwar die seltsam überbaute Fussgängebrücke, wir verstanden aber nicht, wo das zum Passerfritz führen sollte. Also entschieden wir uns für den anderen Weg zum Pulverturm hinauf. Von dort aus kann man über ganz Meran und das Etschtal hinausschauen. Man kann den Pulverturm besteigen. Er ist zwar nur ein hohles Mauerwerk, aber innen gibt es eine metallene Treppe die zu einer Aussichtsplattform führt. Das wissen nur wenige Menschen, deswegen ist es da oben meist leer.

In der Sonne ist es immer angenehm warm, sobald die Sonne verschwindet kühlt es allerdings aus. Als die Sonne hinter den Bergen verschwindet, begleite ich meine Frau nach Hause und ich gehe zu meiner Mutter. Danach gehe ich zu meiner Schwester und den Neffen. Wir wollten Sushi essen und danach das Pokalspiel gegen Köpenick schauen.

Ich habe ein schlechtes Gefühl. Die beiden Neffen sind Hertha zugeneigt, aber Hertha schreibt momentan einfach eine Kackstory. Wir haben einen seltsamen Investor, haben viele Millionen und spielen dabei schlecht und die ganze Welt findet uns lächerlich. Ich weiss genau, wie die Kommentatoren kommentieren werden, wenn wir ein schlechtes Spiel abliefern.
Und genau so geschieht es. Wir verlieren 3:2 und ich schalte mit dem Abpfiff den Fernseher aus.

[Samstag, 22.1.2022 – Rückreise]

Heute ist ein langer Reisetag. In Südbayern wird es schneien. In Sachsen auch. Immerhin habe ich Allwetterreifen. Und ich müsste auch Ketten dabeihaben. Das habe ich allerdings nicht gecheckt.

Die letzten Tage werde ich erst morgen zusammenfassen.

[Sonntag, 23.1.2022 – Schneestau, Tank leer und Mistery]

Ich komme mit dem Eintrag über den Freitag nicht voran. Eigentlich dachte ich, ihn heute zu Ende zu schreiben, aber je mehr ich über die Geschehnisse am Freitag aufschreibe, desto schwerer fällt es mir, davon zu berichten, oder das Geschehene in ein richtiges Licht zu rücken. Ich gebe für heute auf, ich werde den Eintrag vom Freitag morgen nachholen. Ausserdem geht es mir nicht besonders gut, ich habe mir in Südtirol irgendwas eingefangen, das mir leichte, aber kontinuierliche Kopf- und Augenschmerzen verursacht.

Die Autofahrt zurück nach Berlin war entsprechend anstrengend. Zudem sassen wir vor und hinter Kufstein etwa zweieinhalb Stunden im Schneestau fest. Und in der Nähe von Schleiz war plötzlich mein Tank leer. Ich verstand anfangs nicht, wie mein Tank leer sein konnte, normalerweise muss ich erst weit nach Leipzig tanken. Das hat vermutlich damit zu tun, dass ich in den 150 Minuten Stau den Motor laufen liess, damit wir im Auto nicht froren. Das verbraucht natürlich Benzin. Ich sah die Tankleuchte eher zufällig und der Stand der fahrbaren Restkilometer zeigte 0 Kilometer an. Ich riss den Wagen sofort nach rechts und nahm den Fuss vom Gas. Wir mussten jetzt irgendwie Glück haben um wenigstens von der Autobahn runterzukommen. Ich fuhr langsam und niedrigtourig, nach einer halben Ewigkeit durch ein finsteres Thüringen kam schliesslich eine Abfahrt. Meine Frau hatte inzwischen eine Tankstelle gegoogelt, die aber als geschlossen markiert war. Also mussten wir uns kurz sammeln und orientieren. Immerhin waren wir von der Autobahn runter. Ich parkte den Wagen irgendwo rechts und schaltete ihn aus. Wir ergoogelten schliesslich eine Tankstelle in 7 Kilometer Entfernung.
Das waren sehr, sehr lange sieben Kilometer, siebentausend Meter. Siebentausend Momente an denen wir ein Stottern des Motors erwarteten. Jedoch erreichten wir sicher und glücklich diese rettende Tankstelle. Eine SB Tankstelle mit angeschlossenem Kaufland. Das erscheint mir für die eigene Erinnerung erwähnenswert. Ein freundlicher Thüringen erzählte uns von den öffentlichen Toiletten rechts beim Eingang.

Die Nacht schlief ich schlecht. Alles wackelte in mir vom Fahren. 12 Stunden in einem Auto sitzen und mich so wenig zu bewegen, ist nicht gut für mich. Keine Ahnung, wie das die Profis machen.

Am Sonntagvormittag gingen wir dann auf einen langen Spaziergang. Später schauten wir diese Serie, die überall so gut besprochen wird. Archive 81. Sie wird als Meisterwerk des Serienhorrors gefeiert.
Sie ist ach wirklich gut, sie ist allerdings keine Horrorserie, sondern eher Mistery. Das ist ein großer Unterschied. Aber ich mag Mistery ohnehin besser als richtigen Horror, insofern ist das schon OK.
Die Serie wird übrigens durch einen ganz phantastischen Soundtrack durchzogen, der mich ständig an die Orgelpassagen von Philip Glass in Koyaanisqatsi erinnerte. Lustigerweise fällt der Name Koyaanisqatsi in einem der Dialoge zwischen den Schauspielerinnen.

Das Spiel Hertha BSC gegen den FC Bayern München erwähne ich heute mal nicht.

[Montag, 24.1.2022 – Montag nach dem Urlaub]

Wie immer, wenn ich eine Woche weg bin, ist der darauffolgende Montag ein vollgepackter Tag im Büro. Mein Kalender ähnelt einem dicht genähten Flickenteppich. Zudem bin ich derzeit schlecht gelaunt. Das ist ein schlechter Mix. Und natürlich habe ich es heute nicht geschafft, den Eintrag über den Freitag fertigzuschreiben.

Man könnte jetzt denken, am Freitag sei etwas tragisches oder traumatisches passiert, aber das ist es nicht. Es geht um den Besuch bei meiner Tante. Ein harmloser Besuch bei einer schrulligen Frau. Eine Anekdote, als hätte man sie extra fürs Blog gemacht. Der Besuch war kurz und lustig, das hätte ich so aufschreiben können. Während des Aufschreibens kamen aber erst die seltsamen und eigentlich tragischen Momente zum Vorschein, die ich in einer Runde unter lachenden Verwandten nicht wirklich wahrgenommen habe. Damit hadere ich gerade. Die Lustigkeit von der Tragik zu trennen.

[Dienstag, 25.1.2022 – Dienstag und Donnerstag und Freitag]

Auch heute war wieder ein sehr anstrengender und vor allem auch langer Tag im Büro. Am Abend bereite ich die Geburtstagsgeschenke für meine Frau vor. Sie hat morgen Geburtstag, ich habe mir frei genommen.

Hier noch die nachgeholten Tagebucheinträge von letztem Donnerstag und Freitag.

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Am Donnerstag traf ich wieder meine kleine Schwester zum Kaffee am Morgen. Danach gehe ich zu meiner anderen Schwester und den Kids. Die beiden Jungs und ich verbunkern uns in ihren Zimmern an der Playstation. Das Rumhängen mit den beiden ist eine total feine Sache. Man kann alles besprechen und sie interessieren sich für wirklich alles und man kann so viel blödes Zeug quatschen. Leider habe ich die zehnjährige Nichte diesmal etwas aussen vor gelassen. Weiss nicht, warum, es geschah einfach so. Sie will aber nach Berlin zum Studieren kommen und dann werden wir zusammen Bubbletea trinken. Den Bubbletea werden wir sicherlich durch einen anderen Drink ersetzen, aber das habe ich nicht gesagt.

Danach gingen meine größere Schwester und ich wieder auf einen langen Spaziergang an den Hängen über Obermais.

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Am nächsten Tag fahre ich zu meinem Vater. Er ist der einzige aus der Familie, der noch oben auf dem Berg wohnt. Von Meran aus, fährt man ungefähr eine Stunde. Die kleine Schwester und ich treffen uns um halb acht am Theaterplatz und fahren gemeinsam los. Es ist noch dunkel. Eine Stunde später, oben auf dem Berg, ist heller Tag. Wir frühstücken. Seine neue Freundin ist auch da. Sie ist nett. Sie ist netter als die vorige Freundin.

Meine Beziehung zu meinem Vater ist okay. Es fällt mir immer schwer, sie zu bewerten. Sie ist nicht entspannt, das war sie noch nie, aber wir haben uns irgendwie gefunden und es funktioniert, so lange wir nicht zu viel Zeit miteinander verbringen. In meiner Jugend und auch Kindheit bin ich ihm immer eher aus dem Weg gegangen, aber trotzdem war er mir nie gleichgültig. Vermutlich würde er sich einen innigeren Kontakt wünschen, aber ich denke, es gibt schlichtweg nicht die Chemie für Innigkeit. Obwohl er ein lustiger und auch warmherziger Charakter ist. Es fehlt etwas in der Chemie zwischen uns beiden und ich kann es nicht genau bezeichnen.

Nach dem Frühstück gehen wir alle vier ins Dorf. Wir besuchen meine Tante Zita und den Onkel Seppl. Zu Tante Zita muss ich vielleicht ein paar Worte vorab sagen. Über Tante Zita sagen immer alle: sie spinnt.

Sie nimmt ihre Beziehung zu Gott sehr ernst. Genauer gesagt zu Jesus und Maria. Sie betet in jeder freien Minute Rosenkränze und führt ein gottgefälliges Leben. Sie kann kaum über etwas anderes reden. Würde sie nicht in einem katholischen Alpendorf leben, hätte man ihr möglicherweise längst den permanenten Aufenthalt in einer Klinik nahegelegt, aber sie wohnt eben im Haus neben der Kirche, ihr Mann war jahrzehntelang Messner und so lässt es sich ganz gut leben.
Fairerweise muss man sagen, dass ihr sogenanntes Spinnen ein weitgehend unterhaltsames Spinnen ist. Sie hat eine herzliche Art und wenn sie über Gott redet, nimmt sie eher den Habitus eines Wanderpredigers in „Life of Brian“ ein und sie scheint es unterhaltsam zu finden, dass niemand sie ernst nimmt.

Zita ist die einzige meiner zahlreichen Tanten und Onkels, die ich immer wieder mal aus eigenem Antrieb heraus besuche. Schon seit ich ein Kind bin, war sie mir immer ganz besonders zugewandt. Sie war die Patentante meiner größeren Schwester, dennoch widmete sie ihre Aufmerksamkeit immer nur mir. Und zwar dermassen auffällig, dass sich meine Schwester oft zurückgesetzt fühlte. Ich sagte meiner Schwester immer, ach die ist eben so. Das sagte ich, weil halt niemand sie ernst nimmt. Ich habe das nie wirklich reflektiert, ich fand Zita einfach nur sehr schrullig, aber auch irgendwie lustig, obwohl sie ganz offensichtlich einem religiösen Wahn verfallen war. Sie war dennoch fast immer gut gelaunt und sie hatte einen phantastischen, roten Holundersirup. Bei den anderen Tanten und Onkeln war es immer ernst und sie redeten schlecht über andere Leute.

Als ich erwachsen wurde schrieb sie mir viele Jahre lang immer zum Markustag eine Postkarte. Wo auch immer ich gerade wohnte. Und alle paar Jahre ging ich sie besuchen. Eine halbe Stunde mit ihr zu verbringen, ist immer nett, es ist sehr oberflächlich, aber es ist ein nettes Plaudern bei rotem Holundersaft, man erzählt wie es einem geht, man klagt über Nackenschmerzen, man erfährt allerlei über das Dorfleben und wer wieder gestorben ist, nach einer halben Stunde kommt aber meistens der Heiland ins Gespräch, dann geht man besser wieder, weil man die Kontrolle über die Gesprächsführung verliert.

Sie weiss es und sie erwähnt das auch. Sie sagt, sie wolle nicht immer nur über Gott reden, das wolle ja niemand mehr hören, aber- und dann macht sie es eben doch.

Tante Zita verlässt zur Zeit nicht das Haus. Wegen des Viruses. Im Haus beschütze Gott sie davor, sagt sie. Aber sie empfängt den ganzen Tag Besuch. Ohne Masken.
Wir gehen also zu Tante Zita. Überraschungsbesuch. Jetzt war ich schon lange nicht mehr da, sicherlich schon seit 10 Jahren nicht mehr. Sie scheint ziemlich erschrocken, als sie mich im Treppenhaus hinter meinem Vater auftauchen sieht. Erschrocken aus Freude. Sie hält sich die Hände vors Gesicht, daraufhin folgen viele theatralische Minuten. Es ist etwas unangenehm.

Dann deckt sie Kekse auf, Schokolade, Kaffee und nochmal Kekse und nochmal Kekse. Sie wiederholt, wie schön es sei, dass ich da bin, dann versichert sie allen Anwesenden, dass sie auch meine beide Schwestern liebe und versichert das auch meiner anwesenden Schwester, sie liebe natürlich alle ihre Neffen und Nichten, alle genau gleich viel, exakt genau gleich, aber- es folgen dann ganz viele „abers“. Meine Schwester guckt mich etwas seltsam an, ich gucke etwas seltsam zurück.

Das Telefon klingelt mehrmals, sie wimmelt den Anrufer ab, es ginge jetzt nicht „Ihr Markus“ sei gerade da.
Später zeigt sie mir dann ein Foto, das sie immer in ihrer Brieftasche trägt. Es ist ein Foto von mir, darauf bin ich etwa 4 oder 5 Jahre alt. Dass sie ein Foto von mir in ihrer Brieftasche mitführt, hatte mir bereits mein Vater erzählt. Ich fand das damals schrullig und nahm das nicht ganz ernst.
Sie versichert mir, dass sie mich und meine Frau (und natürlich auch alle Nichten und Neffen) in ihren Gebeten mit einschliesst. Ich sage, höhö, deshalb geht es mir so gut, und ich sage, dass es mir vor zwei Jahren aber nicht besonders gut ging, da habe sie wohl nicht genug für mich gebetet. Sie lacht und sagt laut: NEIN. Das kann nicht sein. Dann will sie, dass ich noch mehr Kekse esse.

Man muss über Tante Zita allerdings wissen, dass sie nicht immer so religiös war. Sie war in jungen Jahren ausgesprochen wild und unzahm. Das sagen alle Tanten und Onkels und werden auch nicht müde, dies zu betonen. Sie wurde für damalige Verhältnisse spät schwanger, nach meinen Berechnungen muss sie schon Ende dreissig gewesen sein. Ihre Tochter kam auf die Welt, sie verstarb aber nach wenigen Tagen.
Dann klopfte der Glauben an Zitas Tür. Und sie liess ihn ein.

So die Geschichte. Wie das genau ablief, weiss ich nicht. Das wurde auch immer eher unemotional erzählt und es schien auch nie wirklich eine Rolle zu spielen. Aber als Kind erschien mir das immer sinnvoll. Vorher war sie wild, dann verliert sie ihr Kind und geht zu Gott. Ich fragte mich nie, ob es ein Akt der Verzweiflung war, der Buße, der Selbstkasteiung, aber ich kannte das aus dem Religionsunterricht: es passiert etwas tragisches, dann betet man zu Gott.

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Der Besuch wird mich danach lange beschäftigen. Ich weiss das alles nicht, ich weiss nicht, was da passiert ist, ich habe mit ihr darüber nie gesprochen. Es ist auch nicht so, dass ich wirklich Erwachsenengespräche mit ihr führe, vermutlich bin ich bei ihr halt immer noch der kleine Markus, nur jetzt eben mit Bart, der sich aber immer noch über den roten Holundersaft freut. Ich bleibe manchmal den Leuten verbunden und weiss gar nicht genau warum. Das ist öfter so. Bei Zita merke ich aber, dass ich gar nichts über sie weiss. Im September fahre ich wieder in die Berge, ich werde sie wieder besuchen. Vielleicht lehne ich diesmal aber den roten Holundersaft ab.

[Mittwoch, 26.1.2022 – Geburtstag meiner Frau]

Heute nahm ich mir einen Tag frei, weil meine Frau Geburtstag hat. Mein Geburtstag ist übermorgen, deswegen verreisen wir zu unseren Geburtstagen meistens. Die letzten Jahre waren wir in London, Amsterdam, aber auch auf Madeira und Malta. Madeira Ende Januar ist eine sehr feine Sache. Immer perfekte 18 bis 23 Grad.

Die letzten drei Jahre sind wir zuhause geblieben. Die letzten zwei Jahre war Pandemie. Dieses Jahr haben wir darüber nachgedacht, zu verreisen, aber so richtig Lust hatten wir nicht. Ausserdem waren wir gerade eine Woche in Südtirol, das Erholungsbedürfnis ist eher niedrig und ich habe letzte Woche wieder so viel gegessen und getrunken und überhaupt. Zuhause zu bleiben ist schon gut.

Am Morgen bereitete ich ein üppiges Frühstück zu. Danach gingen wir in den Tierpark. Also den Tierpark im Osten. Den Tierpark haben wir mittlerweile richtig zu mögen gelernt. Wir schauen gerne Tieren zu. Früher mochte ich den Westzoo lieber, weil aufregender und halligalliger, seit wir aber im Ostzoo waren, sind wir nie mehr in den Westzoo gegangen. Diese Weite. Eher ein Wald mit Gehegen, weniger ein Zoo. Wir beginnen die Runde immer bei den Eisbären und danach verlaufen wir uns ein wenig.

Diesmal hatte das Haus des Regenwaldes nach langer Renovierung geöffnet. Da waren wir noch nie. Wir sahen viele Schlangen und Echsen. Und seltsame Vögel. Und auch Vampire.

Später standen wir eine ganze Weile bei den Giraffen. Was für Tiere. Giraffen waren mit bisher nie besonders aufgefallen. Wenn man sie zu lange anschaut, sieht man, dass das eigentlich Fabelwesen aus einem LSD-Trip sind. Diese haarigen Hornkuppen, diese lange Wimpern, diese dunklen Augen, dann, wie sie mit der Oberlippe immer blubblubb machen, und die Flecken auf den Wangen und wie sie da so stehen, lang gezogen nach oben und mit ihren Ohren wackeln. Irre.

Am Abend haben wir japanisch bestellt. Kein Sushi, sondern japanische Gerichte. War sehr gut.

[Donnerstag, 27.1.2022 – Mozarttag]

Der 27.1. ist Mozarttag. Es ist der Tag vor meinem Geburtstag und Mozarts Geburtstag. Den habe ich als Kind immer mitgefeiert. Vorgeglüht. Komischer Brauch. In meinem kleinen Alpendorf war ich vermutlich der einzige Mensch, der Mozart hörte. Meine musikalisch und kulturell nicht besonders interessierten Eltern wussten nicht so recht, was sie mit meiner Liebe zu Mozart anfangen sollten, sie liessen mich aber gewähren. Mit sechs oder sieben wohnte für kurze Zeit ein Arzt neben uns, der einmal klassische Musik auflegte. Als ich das hörte, schien ich vor dem Plattenspieler erstarrt zu sein. So etwas hatte ich noch nie gehört.

Mit sieben oder acht, wandte ich mich zwar mehr der Schwere von Beethoven zu, aber der Umstand, dass Mozart einen Tag vor mir Geburtstag hatte, fand ich ungemein toll. Man schenkte mir eine kleine Gipsbüste von Wolfgang Amadeus. An seinem Geburtsag trug ich diese Büste herum, stellte sie überall auf und hörte, nunja, Mozart.

So ist das.

Wenn meine Frau und ich an unseren Geburtstagen frei nehmen oder verreisen, dann ist der Tag dazwischen immer der sogenannte Mozarttag. Also der Tag an dem keiner von uns beiden Geburtstag hat. Deswegen irgendwie ein leerlaufender Tag, aber da er nun einen Namen hat, ist es wieder OK.

Heute war also Mozarttag. Es war ein langer Mozarttag im Büro.

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Ha, über den 27.1. habe ich vor 11 Jahren schon einmal geschrieben. Wir teilen unsere Geburtstage ja mit einigen illustren Leuten. Nicht immer Leute, die einen guten Fussabdruck in der Geschichte gelassen haben.

[Freitag, 28.1.2022 – Geburtstag]

Vielen Dank für die Geburtstagsglückwünsche.

Es war das erste Mal seit langer, langer Zeit, dass ich an meinem Geburtstag arbeiten gegangen bin. Am Montag fand ich heraus, dass ich gar nicht anders hätte können. Heute fand nämlich ein wichtiges Firmenmeeting statt, in dem ich etwa eine Viertelestunde lang reden musste, daher hätte ich mich so oder so ins Arbeitsgeschehen einschalten müssen. Mal abgesehen davon, dass ich den Redebeitrag vorbereiten musste.

Ich holte unterwegs eine große Schachtel Donuts bei Brammibals in der alten Potsdamer Strasse. Das sollen offenbar die besten Donuts westlich des Rheins sein, Leute sollen von ziemlich weit her kommen nur um ihre Zähne in Brammibals Donuts zu versenken.
Sie schmeckten dann auch ausgesprochen gut. Euphorischer kann ich darüber nicht schreiben, da sich Süßwaren mir nicht ganz erschliessen. Also ich mag Süßes schon, aber es gibt da wenig Steigerungspotenzial. Süß halt. Cremigkeit vielleicht und die Viskosität. Aber wenn alles immer so süß schmeckt, dann überschattet das immer alles gleich.

Ich bekam mehrere Geschenke von meinen Mitarbeitern. Das hat mich schon ziemlich berührt, das hatte ich nicht erwartet.

Nach diesem sehr anstrengenden Tag hatten wir einen festlichen Abend mit gelieferten Essen vom Libanesen geplant. Meine Frau hatte ein paar experimentelle Biere für mich gekauft und so hingen wir in der Küche herum, während wir auf die Essenslieferung warteten. Ich bekam auch drei Geschenke, am meisten freute ich mich lustigerweise über eine Tasse. Also eigentlich gilt die Abmachung, dass Tassen, Gläser und Möbel nur wohl bedacht und in gegenseitigem Konsens in den Haushalt eingeführt werden, aber diese Tasse war ein für mich sehr lustiger Scherz. Wer hier länger mitliest, weiss, dass wir am Sonntag zum Frühstück meistens die neuesten Vlogs von Cecilia Blomdahl aus Longyearbyen schauen. Auch wenn ihr Vlog mittlerweile schon sehr influencerlike geworden ist und die interessanten Inhalte ausgegangen sind, schauen wir einfach weiter. Letztes Jahr begann sie mit Merch und liess eine Tasse mit ihrem Hund Grim anfertigen. Darauf ist der Kopf ihres Hundes abgebildet und der Text sagt: Grim says hi.
Die Tasse amüsierte uns die ganzen Monate über durch ihre etwas seltsame Banalität. So eine Tasse würde uns natürlich nie ins Haus kommen.

Jetzt weiss ich nicht, warum ich mich gerade über diese Tasse freute. Als wäre das arktische Internet zu mir ins Haus gekommen.

[Samstag, 29.1.2022 – sehr düsterer Tag, abends Charlottenburg]

Was für ein grauer und düsterer Tag. Es wurde heute nie wirklich hell. Ein perfekter Tag um das Haus nicht zu verlassen. Ich liebe solche Tage ja. Allerdings weiss ich nicht, was Menschen mit Kindern an solchen Tagen machen. Was man so hört, soll es eher anstrengend sein.

Es soll ein schwerer Sturm aufziehen. Draussen heult es.
Wir frühstücken lange und machen so unsere Dinge.

Am späteren Nachmittag fahren wir nach Charlottenburg zu einem Freund meiner Schwiegerfamilie. Wir überbringen einen Karton Wein und bleiben beim Abendessen. Es gibt schwedische Fischsuppe. Ich stellte mich darauf ein, dass ich nachher noch Hunger haben würde, ich meine, Suppen haben mich noch nie gesättigt, eine Einladung zum Suppe essen klang eher wie auf einen Tee vorbeikommen. Nach dem dritten Teller Suppe war ich allerdings satt bis ich ins Bett ging.

U.a. sollten wir in seine Büchersammlung schauen. Er will seinen Haushalt etwas ausdünnen und will uns so viele Bücher schenken, wie wir tragen können. Er arbeitete lange Jahre in verschiedenen Ländern als Architekt, er hat daher viele beeindruckende Fotobände über Architektur. Wir nehmen einige verschiedene Bücher mit, zB ein schweres und schön designtes Buch über TXL und über die Geschichte der Architektur sowie die Geschichte Berlins.

Ah: für Coronaprotokoll: das werde ich sonst in 20 Jahren vergessen haben. Diese improvisierten Trennfolien/Trennscheiben aus durchsichtigem Plastik in Taxis. Und in der Mitte mit einem ausgeschnittenem Rechteck und einer aufgeklebten Klappe, durch die man Karte oder Geld reichen kann. Meistens hängen die Trennwände nur lieblos. Letztes Jahr in Amsterdam gab es einen Taxifahrer, der das allerdings sehr ernst nahm und die Ränder mit Panzertape abgeklebt hatte. Zum Zahlen verliess er das Auto. Mal sehen, wie lange man diese Trennwände noch anwenden wird.