Auch heute war wieder ein sehr anstrengender und vor allem auch langer Tag im Büro. Am Abend bereite ich die Geburtstagsgeschenke für meine Frau vor. Sie hat morgen Geburtstag, ich habe mir frei genommen.
Hier noch die nachgeholten Tagebucheinträge von letztem Donnerstag und Freitag.
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Am Donnerstag traf ich wieder meine kleine Schwester zum Kaffee am Morgen. Danach gehe ich zu meiner anderen Schwester und den Kids. Die beiden Jungs und ich verbunkern uns in ihren Zimmern an der Playstation. Das Rumhängen mit den beiden ist eine total feine Sache. Man kann alles besprechen und sie interessieren sich für wirklich alles und man kann so viel blödes Zeug quatschen. Leider habe ich die zehnjährige Nichte diesmal etwas aussen vor gelassen. Weiss nicht, warum, es geschah einfach so. Sie will aber nach Berlin zum Studieren kommen und dann werden wir zusammen Bubbletea trinken. Den Bubbletea werden wir sicherlich durch einen anderen Drink ersetzen, aber das habe ich nicht gesagt.
Danach gingen meine größere Schwester und ich wieder auf einen langen Spaziergang an den Hängen über Obermais.
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Am nächsten Tag fahre ich zu meinem Vater. Er ist der einzige aus der Familie, der noch oben auf dem Berg wohnt. Von Meran aus, fährt man ungefähr eine Stunde. Die kleine Schwester und ich treffen uns um halb acht am Theaterplatz und fahren gemeinsam los. Es ist noch dunkel. Eine Stunde später, oben auf dem Berg, ist heller Tag. Wir frühstücken. Seine neue Freundin ist auch da. Sie ist nett. Sie ist netter als die vorige Freundin.
Meine Beziehung zu meinem Vater ist okay. Es fällt mir immer schwer, sie zu bewerten. Sie ist nicht entspannt, das war sie noch nie, aber wir haben uns irgendwie gefunden und es funktioniert, so lange wir nicht zu viel Zeit miteinander verbringen. In meiner Jugend und auch Kindheit bin ich ihm immer eher aus dem Weg gegangen, aber trotzdem war er mir nie gleichgültig. Vermutlich würde er sich einen innigeren Kontakt wünschen, aber ich denke, es gibt schlichtweg nicht die Chemie für Innigkeit. Obwohl er ein lustiger und auch warmherziger Charakter ist. Es fehlt etwas in der Chemie zwischen uns beiden und ich kann es nicht genau bezeichnen.
Nach dem Frühstück gehen wir alle vier ins Dorf. Wir besuchen meine Tante Zita und den Onkel Seppl. Zu Tante Zita muss ich vielleicht ein paar Worte vorab sagen. Über Tante Zita sagen immer alle: sie spinnt.
Sie nimmt ihre Beziehung zu Gott sehr ernst. Genauer gesagt zu Jesus und Maria. Sie betet in jeder freien Minute Rosenkränze und führt ein gottgefälliges Leben. Sie kann kaum über etwas anderes reden. Würde sie nicht in einem katholischen Alpendorf leben, hätte man ihr möglicherweise längst den permanenten Aufenthalt in einer Klinik nahegelegt, aber sie wohnt eben im Haus neben der Kirche, ihr Mann war jahrzehntelang Messner und so lässt es sich ganz gut leben.
Fairerweise muss man sagen, dass ihr sogenanntes Spinnen ein weitgehend unterhaltsames Spinnen ist. Sie hat eine herzliche Art und wenn sie über Gott redet, nimmt sie eher den Habitus eines Wanderpredigers in „Life of Brian“ ein und sie scheint es unterhaltsam zu finden, dass niemand sie ernst nimmt.
Zita ist die einzige meiner zahlreichen Tanten und Onkels, die ich immer wieder mal aus eigenem Antrieb heraus besuche. Schon seit ich ein Kind bin, war sie mir immer ganz besonders zugewandt. Sie war die Patentante meiner größeren Schwester, dennoch widmete sie ihre Aufmerksamkeit immer nur mir. Und zwar dermassen auffällig, dass sich meine Schwester oft zurückgesetzt fühlte. Ich sagte meiner Schwester immer, ach die ist eben so. Das sagte ich, weil halt niemand sie ernst nimmt. Ich habe das nie wirklich reflektiert, ich fand Zita einfach nur sehr schrullig, aber auch irgendwie lustig, obwohl sie ganz offensichtlich einem religiösen Wahn verfallen war. Sie war dennoch fast immer gut gelaunt und sie hatte einen phantastischen, roten Holundersirup. Bei den anderen Tanten und Onkeln war es immer ernst und sie redeten schlecht über andere Leute.
Als ich erwachsen wurde schrieb sie mir viele Jahre lang immer zum Markustag eine Postkarte. Wo auch immer ich gerade wohnte. Und alle paar Jahre ging ich sie besuchen. Eine halbe Stunde mit ihr zu verbringen, ist immer nett, es ist sehr oberflächlich, aber es ist ein nettes Plaudern bei rotem Holundersaft, man erzählt wie es einem geht, man klagt über Nackenschmerzen, man erfährt allerlei über das Dorfleben und wer wieder gestorben ist, nach einer halben Stunde kommt aber meistens der Heiland ins Gespräch, dann geht man besser wieder, weil man die Kontrolle über die Gesprächsführung verliert.
Sie weiss es und sie erwähnt das auch. Sie sagt, sie wolle nicht immer nur über Gott reden, das wolle ja niemand mehr hören, aber- und dann macht sie es eben doch.
Tante Zita verlässt zur Zeit nicht das Haus. Wegen des Viruses. Im Haus beschütze Gott sie davor, sagt sie. Aber sie empfängt den ganzen Tag Besuch. Ohne Masken.
Wir gehen also zu Tante Zita. Überraschungsbesuch. Jetzt war ich schon lange nicht mehr da, sicherlich schon seit 10 Jahren nicht mehr. Sie scheint ziemlich erschrocken, als sie mich im Treppenhaus hinter meinem Vater auftauchen sieht. Erschrocken aus Freude. Sie hält sich die Hände vors Gesicht, daraufhin folgen viele theatralische Minuten. Es ist etwas unangenehm.
Dann deckt sie Kekse auf, Schokolade, Kaffee und nochmal Kekse und nochmal Kekse. Sie wiederholt, wie schön es sei, dass ich da bin, dann versichert sie allen Anwesenden, dass sie auch meine beide Schwestern liebe und versichert das auch meiner anwesenden Schwester, sie liebe natürlich alle ihre Neffen und Nichten, alle genau gleich viel, exakt genau gleich, aber- es folgen dann ganz viele „abers“. Meine Schwester guckt mich etwas seltsam an, ich gucke etwas seltsam zurück.
Das Telefon klingelt mehrmals, sie wimmelt den Anrufer ab, es ginge jetzt nicht „Ihr Markus“ sei gerade da.
Später zeigt sie mir dann ein Foto, das sie immer in ihrer Brieftasche trägt. Es ist ein Foto von mir, darauf bin ich etwa 4 oder 5 Jahre alt. Dass sie ein Foto von mir in ihrer Brieftasche mitführt, hatte mir bereits mein Vater erzählt. Ich fand das damals schrullig und nahm das nicht ganz ernst.
Sie versichert mir, dass sie mich und meine Frau (und natürlich auch alle Nichten und Neffen) in ihren Gebeten mit einschliesst. Ich sage, höhö, deshalb geht es mir so gut, und ich sage, dass es mir vor zwei Jahren aber nicht besonders gut ging, da habe sie wohl nicht genug für mich gebetet. Sie lacht und sagt laut: NEIN. Das kann nicht sein. Dann will sie, dass ich noch mehr Kekse esse.
Man muss über Tante Zita allerdings wissen, dass sie nicht immer so religiös war. Sie war in jungen Jahren ausgesprochen wild und unzahm. Das sagen alle Tanten und Onkels und werden auch nicht müde, dies zu betonen. Sie wurde für damalige Verhältnisse spät schwanger, nach meinen Berechnungen muss sie schon Ende dreissig gewesen sein. Ihre Tochter kam auf die Welt, sie verstarb aber nach wenigen Tagen.
Dann klopfte der Glauben an Zitas Tür. Und sie liess ihn ein.
So die Geschichte. Wie das genau ablief, weiss ich nicht. Das wurde auch immer eher unemotional erzählt und es schien auch nie wirklich eine Rolle zu spielen. Aber als Kind erschien mir das immer sinnvoll. Vorher war sie wild, dann verliert sie ihr Kind und geht zu Gott. Ich fragte mich nie, ob es ein Akt der Verzweiflung war, der Buße, der Selbstkasteiung, aber ich kannte das aus dem Religionsunterricht: es passiert etwas tragisches, dann betet man zu Gott.
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Der Besuch wird mich danach lange beschäftigen. Ich weiss das alles nicht, ich weiss nicht, was da passiert ist, ich habe mit ihr darüber nie gesprochen. Es ist auch nicht so, dass ich wirklich Erwachsenengespräche mit ihr führe, vermutlich bin ich bei ihr halt immer noch der kleine Markus, nur jetzt eben mit Bart, der sich aber immer noch über den roten Holundersaft freut. Ich bleibe manchmal den Leuten verbunden und weiss gar nicht genau warum. Das ist öfter so. Bei Zita merke ich aber, dass ich gar nichts über sie weiss. Im September fahre ich wieder in die Berge, ich werde sie wieder besuchen. Vielleicht lehne ich diesmal aber den roten Holundersaft ab.
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