[Mo, 8.7.2024 – Phantomschmerzen, Hängetag 2, Seitan]

Es ist so ungewohnt, die Hündin nicht bei mir zu haben. Wenn ich meinen Bürostuhl bewege, fürchte ich immer, über ihre Pfoten zu fahren, wenn ich nachts aufs Klo gehe, achte ich darauf, nicht auf sie zu treten, den Kühlschrank öffne ich leise, damit sie nicht glaubt, es gäbe etwas für sie, wenn ich nachts Reels auf Insta öffne und das Audio Krach macht, dann erschrecke ich mich mehr für sie, als dass ich selber erschrecke.

Jetzt ist sie weg. Meine Reaktionen bleiben aber. Dann fällt mir immer ein: Achso. Sie ist ja gar nicht da. Abstellen kann ich es nicht. Dafür müsste sicherlich etwas Zeit vergehen. Ich merke jetzt erst, wie doof das mit dem Stuhl ist. Ich sitze immer verkrampft, so kann man die Rollen gar nicht richtig nutzen. Vielleicht nehme ich die Rollen besser ab.

Heute hing ich einen zweiten Hängetag hintendran. Keine Verabredung, keine Aufgaben, keinen Plan. Ich habe ein sehr starkes Bedürfnis runterzukommen. Niemanden sehen, mich langweilen, hängen. Die letzten Wochen waren anstrengend. Bei Plants vs. Zombies schlage ich momentan alle meine Rekorde. Abends ging ich zu Edeka. Weil meine Augen so brannten, war der Einkauf unangenehm, ich schaute fast ständig nach unten. Es muss an der hellen Sonne gelegen haben, weil in der Wohnung geht es meinen Augen mittlerweile besser. Auch schaffte ich es relativ unkompliziert, meinen Augen die Salbe zu verabreichen. Ich hoffe, das Brennen ebbt ab. Morgen habe ich ein Bewerbungsgespräch, es wäre ganz nett, wenn ich nicht mit zwei roten Ampelleuchten im Gesicht auftauche.
Überhaupt: mich körperlich wohlfühlen. Das ist die Voraussetzung für ein gutes Auftreten. Ich testete die Hemden. Ich kleide mich in den letzten drei oder vier Jahren eher sportlich, Hemden gehören dummerweise seitdem nicht mehr zu meinem täglichen Outfit. Was ich sehr schade finde, andererseits will ich das gerade auch nicht ändern, mein Bauch sieht in engen Tshirts besser aus als in engen Hemden, wo die Knöpfe zahlreiche 8-er formen. Für ein Bewerbungsgespräch ziehe ich aber besser ein Hemd an. Und lange Hosen. Lange Hosen. Morgen wird es 32 Grad messen. Lange Hosen und lange Hemdärmel bei 32 Grad. Nach dem Gespräch werde ich Spiegeleier auf meinem Bauchvorsprung zubereiten können.

Blöde Metapher. Dass Spiegeleier immer herhalten müssen, wenn etwas auf einem Provisorium gebraten werden soll. Motorhauben, Steinplatten und jetzt auch Bäuche. Ich könnte genau so gut Seitanwürstchen auf meinem Bauch zubereiten.

[So, 7.7.2024 – Tag fast alleine]

Am Morgen reisten meine Schwiegereltern ab. Gestern war bereits meine Frau mit der Hündin nach Schweden gefahren.

Jetzt hatte ich einen Tag alleine. Ohne Besuch, ohne Hund, ohne Frau. Sogar ohne Lieferandoboten.

Bisschen geschrieben, bisschen gezockt, wieder versucht, die NAS ans Laufen zu kriegen, oft im Bett gelegen und Plants vs. Zombies auf dem Handy gespielt. Dabei führe ich wieder die Jade-Liga an, zum dritten Mal in Folge. Am Montagabend werde ich daher wieder viele Edelsteine und Minzen sowie Goldmünzen erhalten, um meine Pflanzen zu stärken.

Meiner Gesundheit geht es gerade nicht gut. Ich habe ein entzündetes Auge und Kopfweh. Beide Augen brennen. Ich habe das manchmal in unregelmässigen Abständen, ich weiss aber noch nicht, woher das kommt. Einmal hatte ich das Kissen in Verdacht. Milben oder so. Der Verdacht bestätigte sich aber nicht. Wenn man im Internet darüber liest, dann ist es vermutlich eine Bindehautentzündung. Weil das immer wieder einmal passiert, habe ich zwei Augenmittel, einmal Tropfen und eine Creme. Ich kann mir aber nichts selber ins Auge tröpfeln, schon gar keine Cremen. Das macht immer meine Frau für mich. Jetzt ist sie aber nicht da, ich werde es wohl lernen müssen.

[Fr, 6.7.2024 – Goldbergvariationen]

Den Tag verbrachte ich vor allem mit Arbeit an dem Hausbesetzertext. Meine Frau war ihren letzten Tag im Büro, morgen wird sie bereits nach Schweden fahren. Meine Schwiegereltern haben ihren Flug erst übermorgen. Solange kümmere ich mich um sie. Auch rief mich mein Headhunter an. Er hätte einen Job für mich, so organisierte er für mich ein Bewerbungsgespräch am Dienstag. Am Dienstagabend treffe ich noch einen Freund auf ein paar Drinks. Am Mittwoch fahre ich dann nach Schweden weiter, oder vielleicht am Donnerstag. Es kommt darauf an, wie viel ich am Dienstag trinke.

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Mit Amelie in Hamburg redete ich auch über die Goldberg Variationen von Bach. Sie ist Pianistin und hat bei klassischer Musik bzw Barock ein sehr umfassendes Wissen. Wir kamen darauf, weil wir über Klaviere redeten. Dass ich wieder mit dem Spielen beginnen wolle, dann erzählte ich ihr davon, dass ich mir die erste Fuge von Bachs Wohltemperierten Klavier selbst beigebracht hatte, indem ich einfach Note für Note einstudierte. Ich kann nämlich nicht gut Klavier spielen, aber ich hatte als Kind zwei Jahre Unterricht bekommen und besitze einiges theoretisches Wissen über das Klavierspiel. Zum Üben war ich aber immer zu faul. Ich hatte einen Mozartfimmel und wollte so gut spielen können wie die Pianisten auf den Schallplatten, weil mir das aber nicht schnell genug gelang, verlor ich bald das Interesse und fixierte meine Obsession auf Schallplatten und Kassetten. Da meine bildungs- und musikfernen Eltern meine unerwartete Obsession für klassische Musik durchaus unterstützenswert fanden, kauften sie mir ein günstiges Klavier, auf dem ich zwar wenig übte, aber oft Akkorde spielte, zu denen ich dann sang. Das machte ich noch viele Jahre nachdem ich längst keinen Unterricht mehr erhielt. Ich spielte Akkorde, zu denen ich sang. Das kann ich immer noch.

Amelie hingegen ist eine richtig gute Pianistin. Und weil wir über Bachs Wohltemperiertes Klavier sprachen, kamen wir zu Bachs Goldberg Variationen. Ich meinte immer, ich wüsste viel über Bach. Ich besitze viele Aufnahmen zahlreicher Kantaten und Fugen. In diesem Blog gibt es sogar eine Kategorie namens „Motetten“, weil ich äusserst gerne Motetten sang. Als ich in Hamburg wohnte, war ich Teil eines Kammerchors, in dem wir häufig Motetten und Kantaten von Bach interpretierten, von unserem „Magnificat“ gibt es sogar eine Audio CD in einer fantastischen Qualität.

Aber die Goldberg Variationen kannte ich nicht. Ich kannte zwar den Namen. Es gibt verschieden Aufnahmen der Goldberg Variationen auf Youtube und Spotify. Ich dachte allerdings immer, es handle sich um einen Musiker namens Goldberg, der Stücke aus Bachs Werk neu interpretiere. Deswegen interessierte mich das nie. Bach will ich nur im Original. Nicht von Narzissten, die sein Werk verwursten,

Nun.

Jetzt weiss ich, dass das ein eigenständiges Werk von JS Bach ist, das sogar als eines der bedeutendsten Werke des Barocks gilt. Kann man niemandem sagen, dass ich das nicht wusste. Amelie empfahl mir einen Podcast, der sich eingehend mit dem Werk beschäftigt. Nächste Woche fahre ich wieder nach Schweden. Es ist eine lange Fahrt, ich werde alleine im Auto sitzen. Danach werde ich alles über die Goldberg Variationen wissen.

[Do, 4.7.2024 – Vitello Tonnato, Bargeld]

Zu Mittag traf ich den CEO meiner ehemaligen Firma zum Lunch. Zwar wurde er vor mir gekündigt, aber er muss immer noch ins Büro, bis ein Nachfolger gefunden und eingearbeitet ist. Der Nachfolger ist mittlerweile gefunden, er hat am 1. Juli angefangen und soll beide unsere Themen übernehmen. Also CEO und CTO in einem sein. Das wird sicherlich lustig. Er weigert sich aber bereits am dritten Tag, gewisse Themen zu verantworten. Ausserdem raucht er in seinem Büro. Das kommt bei den Mitarbeiterinnen seltsam an. Ich kann mich einer gewissen Schadenfreude nicht erwehren, möglicherweise sehen wir beide den Neuen aber auch nur aus einer sehr kantigen Perspektive. Es ist besser, loszulassen.

Wir sassen im Essenza am Potsdamer Platz. Ich bestellte ein Vitello Tonnato als Vorspeise. Als ich das erste Mal in meinem Leben Vitello Tonnato ass, war ich dreizehn oder vierzehn Jahre alt, ich arbeitete damals zwei Sommer lang über den Ferien als Gehilfe des Hilfskochs in einem Restaurant in Corvara. Zwei Monate lang, sieben Tage die Woche, bei einem etwa 14-stündigen Arbeitstag in einem unheimlich stressigen Umfeld. Der Job hatte allerdings zwei Vorteile: Zum einen durfte ich Alkohol trinken wie die grossen Köche und mittags konnte ich so gut wie jeden Tag Vitello Tonnato essen. Vitello Tonnato löste Glücksgefühle in mir aus. Ich hätte mich damals von Käse, Vitello Tonnato und Tiramisú ernähren können. Gleichwohl wusste ich, dass Vitello Tonnato durchaus etwas Exklusives ist, das ich zu Hause sicherlich nicht jeden Tag zur Pastasciutta aufgetischt bekommen würde. Deshalb nutzte ich die beiden Sommer in jenem Restaurant richtig gut aus.

Anfangs wusste ich gar nicht, was das ist. Vitello Tonnato heisst wörtlich übersetzt „Gethunfischtes Kalb“. Ich dachte, das sei eine Wortschöpfung wie „Kalter Hund“. Erst nach einiger Zeit verstand ich, dass es sich tatsächlich um Kalbfleisch mit Thunfischpure handelt. Natürlich mit Kapern, Brühe und Majonnaise verfeinert, aber der Name bezog sich auf die beiden Tiere in der Speise.
Kalb mit Thunfisch, das klang für mich ähnlich inkompatibel wie AC/DC und Iron Maiden. Aber auf der Zunge entfaltete es sich wie eine grüne Weide in der Frühlingssonne.

Gestern schmeckte es mässig gut. Für meinen Geschmack war das Thunfischpure etwas salzlos. Ausserdem war es in der Menge zu wenig. Ich mag es, wenn der Vitello im Tonno badet.

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Weil mein Vater auf der Reise nur Bargeld bei sich trug, zahlte ich den Grossteil auf unserem Trip. Zurück in Berlin sollte ich alle Kosten zusammenzählen und so glich er den Fehlbetrag in Bargeld aus. Jetzt laufe ich mit grossen Bargeldmengen durch die Gegend. Ich bin das gar nicht mehr gewohnt. Berlin ist da ja zweigeteilt. Es gibt die Läden, in denen Bargeld verpönt ist und jene Läden, in denen Kartenzahlung als der Untergang der Zivilisation gilt.

Ich trage nur noch selten Bargeld mit mir herum. Ich habe das Zahlen mit Karte sofort geliebt. Am besten wurde es vor wenigen Jahren mit der Einführung von Google Pay und der Möglichkeit, mit dem Telefon zu zahlen. Nie wieder klimpernde und ausbeulende Münzen in den Hosentaschen. Ich hätte mir in den Jahrzehnten davor sicherlich eine Brieftasche zulegen können, aber Brieftaschen fand ich noch schlimmer als Bargeld. Das Geld lag bei mir immer lose in der Hose. Bei näherer Betrachtung wundert es mich, dass ich nie Geld verloren habe.

Jedenfalls habe ich jetzt tausend Euro in Bargeld. Und wieder klimpern Münzen beim Gehen in meiner Tasche. Ich hasse es. Aber immerhin kann ich jetzt wieder mal Bettlern die eine oder andere Münze geben.

[Di, 2.7.2024 – Hamburg 2]

Ich blieb lange im Bett liegen. Checkout war erst um 12 Uhr. Eine sagenhafte Zeit. Um 11:51 machte ich mich auf dem Weg zur Lobby, um mich aus dem Hotel abzumelden. Der Flieger meiner Schwiegereltern würde erst nach 16 Uhr landen, ich hatte also viel Zeit. Diese nutzte ich vor allem, um meinen alten Kiez zu besuchen. Ich wohnte 4 Jahre lang im oberen Teil der Bernstorffstrasse, nahe der Schanze. Im kleinen Haus mit der Nummer 166. Ich kenne noch die Postleitzahl 22767, zwei-zwei-simm-sechs-simm, Zahlen sind ja immer ein rhythmisches Konstrukt. Am Klingelschild las ich, dass von den damaligen Bewohnerinnen niemand mehr da wohnte. Natürlich. Über der Strasse hing ein grosses Banner, das das Bernstorffstrassenfest ankündigte. Daran erinnere ich mich gerne. Das Strassenfest war immer lustig. Einmal schrieb ich in 2005 in einem etwas aufgeregten Blogeintrag darüber. Wie ich Vinyl und Bücher auf der dortigen Flohmarkt verkaufte und den Schlüsselnotdienst rufen musste. Der Text ist durchaus lustig, er liest sich aber seltsam altmodisch, wie ich mich über Genderklischees belustige, indem ich mich selber etwas auf die Schippe nehme, aber dennoch den stolzen Mann spiele. Das war damals lustig. Heute weniger. Vielleicht lag es an der Zeit. Es ist schliesslich zwanzig Jahre her. Wie sich die Wahrnehmung auch ändert. Ich fürchte, dass in den Tiefen dieses Blogs viele ähnlich altmodische, dem Zeitgeist entsprechende Dinge liegen, die mir inzwischen unangenehm sind. Besser nicht zu viel reinschauen.

Auch wurde der Hauptverteiler der Telekom in ein Hotel umgebaut. Ich frage mich, was man mit der Telekomtechnik gemacht hat. Ich war damals ungemein stolz, so nah an einen Hauptverteiler zu wohnen. Das war zu jener Zeit nicht unwichtig, als es mit der immer noch neuen DSL Technologie vorteilhaft war, eine kurze Kupferleitung zum Hauptverteiler zu haben. Ich arbeitete damals bei Hansenet, dem lokalen DSL Anbieter. Dort sah ich, dass meine Kupferleitung nur 147m lang war, damit hatte ich eine fantastisch saubere Leitung. Der Hauptverteiler befand sich in dem roten Backsteingebäude an der Ecke Stresemann- und Juliusstrasse. Ein grosser, fensterloser, mit Technik vollgestellter Bau.

Und tja. Da wohnen jetzt Touristen drin. Ich habe keine Ahnung, was man mit der Technik gemacht hat. Möglicherweise braucht man heute weniger Raum dafür.

Die ersten Monate wohnten wir im Eckhaus der Hein Hoyer / Simon von Utrecht Strasse. In den Seitenstrassen der Reeperbahn war es damals wesentlich abgefuckter als heute. Beim Verlassen unseres Hauses stiegen wir oft über schlafende Obdachlose und überall fand man Spritzbesteck. Ganz St. Pauli hat sich ziemlich rausgeputzt. Ich glaube, ich meine das positiv. Es scheint mir, als wäre es immer noch eine okaye Mischung. Und die Mischung ist ja immer wichtig. Wenn es kippt, dann kippt es. In der Hein Hoyer Strasse ist heute mehr los, früher waren da nur Copyshops, Massagesalons und schummrige Reisebüros sowie Eckkneipen. Heute sind Restaurants und Cafés hinzugekommen. Das gab es damals nicht. Dafür musste man schon ein Stück gehen. zB zur Trattoria Remo’s am Paulinenplatz. Die gibt es immer noch. Dort hat mir einmal eine Taube ins Essen geschissen. Die Aussentische waren alle an der Wand aufgereiht und irgendwo in dieser Mauer wohnte eine Taube. Tage später sah ich noch Taubenschiss an jener Stelle. Damals verstand ich den Sinn von Markisen. Komischerweise hat der Laden immer noch keine Markisen.

Hamburg hat etwas sehr Freudvolles. Ich habe es noch nicht richtig erfasst. Es fehlt dieser Stadt dieser ganze Ost-Mief, der in Berlin immer schlimmer und immer bedeutungsvoller wird. Diese graue, braune, immer grösser werdende AfD-Miesepetrigkeit, die sich vom Osten her ins Berlin voranfrisst. Auch die grünen- und SPD-Bezirke haben mittlerweile eine beachtliche AfD-Quote, ich bilde mir ein, das überall zu spüren. In Hamburg spüre ich nichts davon. Ich weiss, es ist alles subjektiv und ich kann es, ausser an der sehr niedrigen hamburger AfD-Quote, auch an keinen Fakten festmachen, aber es herrscht eine Geschäftigkeit überall in der Stadt, eine Offenheit, da kommt vielleicht die Kultur des Handels hervor, ich weiss es nicht. Ähnlich empfinde ich die Stimmung auch in Amsterdam, aber dort noch wesentlich stärker.

Hamburg ist allerdings auch wesentlich deutscher als Berlin. Graffitys bzw Sprüche an Wänden sind auf deutsch. Sticker auch. Das sieht man in Berlin kaum noch. Hier ist es meist auf englisch. Auf einen Telekomkasten in der Susannenstrasse wurde gesprüht: „Lass uns hier stehen und knutschen“. In Berlin würde stehen: „Lets lie down here and fuck“. Frei übersetzt.

Auch besuchte ich meinen früheren Buchladen am Schulterblatt. Dort hing ich eine Weile rum. Ich las in Mariana Lekys letztem Erzählband. Die Texte sind sehr kurz, oft nur vier oder fünf Seiten lang. Ich konnte mich aber nicht recht dafür begeistern. Auch wenn ich sie wirklich gerne mögen möchte, ihre Texte sind sehr zeitgenössisch und, wie soll ich sagen, modern. Ich kann die lobenden Kritiken immer gut nachvollziehen, damals hatte ich Liebesperlen gelesen und hatte auch den Roman „Die Herrenausstatterin“ angefangen, aber ihre Figuren interessieren mich nie. So stand ich da im Buchladen, las die ersten vier Geschichten und dachte wieder: die Figuren interessieren mich nicht.

Tja. So ist das manchmal.

Gegen drei Uhr fuhr ich zum Flughafen und holte meine Schwiegereltern ab. Ich war in den vier Jahren Hamburg nie am Flughafen. Eigentlich seltsam. Aber damals flog ich ja nicht. Ich kann mich erinnern, dass ich von Madrid aus mit dem Zug nach Hamburg kam. Zuerst den Nachtzug von Madrid nach Paris. Dann in Paris gefrühstückt und weiter nach Köln, wo ich in den Zug nach Hamburg umstieg. Das waren siebenundzwanzig Stunden. Pro Richtung. Und ich fuhr die Strecke vielleicht zehn Mal.

Dafür kenne ich den Hauptbahnhof ziemlich gut.

[Mo, 1.7.2024 – Hamburg]

Heute machte ich mich also auf den Weg nach Hamburg. Ich werde morgen meine Schwiegereltern vom Flughafen abholen. Das klingt jetzt etwas hanebüchen, aber daran sieht man auch, wie schlecht die deutsche Hauptstadt an das Flugnetz angeschlossen ist. Die Schwiegereltern haben einen fixen Termin in Berlin und um den Aufenthalt einigermassen kurz zu halten und auch preislich nicht alle Budgets zu sprengen, gab es schlichtweg keine guten Optionen. Also erweiterte ich die Suche auf umliegende Städte. Der Hamburger Flughafen entpuppte sich für diesen Besuch als Alternative, also bot ich schlichtweg an, nach Hamburg zu fahren. In Hamburg bin ich immer gerne, ich würde am Vorabend anreisen, eine Freundin treffen, in einem schönen Hotelbett schlafen und lange am Frühstücksbuffet sitzen, wo ich die Nachrichten des Morgens lesen werde.

Am frühen Abend traf ich Amelie im Kraweel. Sie besucht jetzt einen Apnoe Tauchkurs und hatte ihre Ausrüstung dabei. Sie erzählte mir von der Magie des Luftanhaltens. Ich kann ihren Schilderungen gut folgen und die Begeisterung nachvollziehen. Nicht atmen zu können, löst bei mir allerdings eher Beklemmungen aus. Ich weiss aber auch, dass mir ziemlich alles Spass macht, wenn ich mich wirklich darauf einlasse.

Eigentlich kenne ich viele Menschen in Hamburg, schliesslich wohnte ich vier Jahre lang in dieser Stadt. Die meisten sind natürlich Freunde meiner Exfreundin, die ich aus ebenjenen Gründen nicht mehr treffe. Die Freunde aus Blogzeiten sind mittlerweile eher Bekannte geworden und keine richtigen Freunde mehr. Es ist meine Schuld, dass ich diese Freundschaften nicht pflegte. Als ich Hamburg vor 16 Jahren verliess, ging ich völlig in meine neue Heimat Berlin auf und schaute wenig zurück. Es ist nicht das erste Mal, dass mir das passiert. Das ging mit meinem Weggang aus Südtirol, Niederlande und Madrid genau so. Ein Umzug löst bei mir eine sehr starke Euphorie oder auch Identifikation mit der neuen Heimat aus. Allerdings fällt es mir generell sehr schwer, Freundschaften über eine Distanz aufrecht zu erhalten. Irgendwann ist so viel Zeit vergangen, dass ich mich auch einfach nicht mehr traue, die Leute anzuschreiben. Erst recht nicht kurzfristig mit einem „Hallo, ich bin heute zufällig in Hamburg, hast du Lust auf einen Drink“.
Mit Amelie geht das allerdings, mit ihr war die Freundschaft immer sehr geradlinig und auf eine unkomplizierte Weise echt.
Was natürlich nicht bedeutet, dass die anderen Freundschaften nicht echt gewesen wären, aber mir fällt gerade keine bessere Beschreibung ein.

Später begleitete ich sie zu ihrem Tauchkurs in der Schwimmhalle am Millerntorstadion. Dann machte ich mich auf den Rückweg ins Hotel, vielleicht würde ich noch ein Bierchen im Brewdog an der Reeperbahn gönnen, einfach weil ich Lust auf ein Hazy Jane hatte und ich neugierig auf die Einrichtung war, ob dieser Bretterlook vom Frankfurter Tor auch in einem anderen Raum funktioniert.
Auf dem Rückweg ins Hotel lief ich am Heiligengeistfeld vorbei. Dort hat man die Fanmeile aufgebaut. Es liefen gerade die letzten Minuten von Frankreich gegen Belgien. Ich hatte nichts mehr vor, eigentlich wollte ich mir keine Spiele dieses Turniers ansehen, aber dann zog mich diese Fanmeile irgendwie in sich hinein. Ich betrat das riesige Gelände und wollte mir die volle Dröhnung geben. Die riesigen Boxen, die riesigen Leinwände. Dodi in Übergrösse im belgischen Trikot.
Die Meile war aber fast leer. Nur versprenkelte Menschen, die es mit Belgien oder Frankreich hielten.
Nach dem Spiel standen Klaus und Klaus live auf der Bühne und sangen „An der Nordseeküste“. Ein Ohrwurm aus meiner Kindheit. Ich wusste gar nicht, dass die beiden noch lebten.
Während ich den beiden lauschte, erinnerte ich mich an deren Performance im deutschen Fernsehen der Achtzigerjahre. Wie ich als Kind den beiden lustigen Matrosen zuhörte. Die beiden haben sicherlich meine positiven Gefühle zur Nordsee und Nordeuropa beeinflusst.

Ein kühler Sturm zog auf. Gestern war Berlin noch so warm, dass ich schlecht schlief und heute wehte ein kalter Wind, für den ich zu leicht gekleidet war. Also ging ich ins Brewdog an der Reeperbahn und bestellte mir ein Hazy Jane, mit dem ich eine Hälfte von Portugal gegen Slowenien schaute.

[So, 30.6.2024 – Sonntag und so]

Diese Nächte, in denen es die 20 Grad nicht unterschreitet, schlafe ich immer schlecht. Und diese Hitze tagsüber lähmt mich. Heute wurde es immerhin nicht ganz so warm wie angekündigt und gegen vier Uhr zog ein seltsames Hexenwetter auf, das die ganze Stadt ein wenig herunterkühlte. Fünfundzwanzig Grad ist super und nachts wird es die 20 Grad wieder unterschreiten.

Die Hündin wollte heute aber nicht raus. Das war schon am Morgen so. Sie sträubte sich bereits auf der Treppe und vor der Tür verweigerte sie sich vehement. Dabei hob sie ihre rechte Pfote an, als wäre sie verletzt. Deswegen machte ich die Leine los und ging demonstrativ ohne sie weiter in Richtung Park. Nach etwa zwanzig Metern folgte sie mir schliesslich, dabei humpelte sie leicht. Irgendwas schien nicht zu stimmen. Dann machte sie immerhin Pipi, aber sie signalisierte mir, dass sie nicht mehr möchte. Wenn die Blase leer ist, habe ich ein Nachsehen, also kehrten wir um.

Zuhause überprüften meine Frau und ich ihre rechte Pfote. Allerdings konnten wir nichts Verdächtiges erkennen, dafür schnitten wir die Pfoten von Fell frei, vielleicht ist das einfach nur unangenehm. Beim Mittagsspaziergang das gleiche Bild: Sie wollte nicht. Und abends wieder. Obwohl sie sich dann immerhin für eine Runde um den Block überreden liess.

Was weiss ich. Morgen sind wir vielleicht schlauer.

Heute war ein sehr fauler Tag. Eigentlich wollten wir an diesem Wochenende etwas unternehmen. Wir hatten uns in den letzten drei Wochen wenig gesehen und kaum Zeit füreinander gehabt. Übermorgen kommen bereits ihre Eltern und am Wochenende darauf fährt sie nach Schweden.
Wir unternahmen aber nichts. Wir hingen nur das ganze Wochenende zu Hause rum. Das ist aber auch schön.

Am Abend fand ich heraus, dass an diesem Wochenende das Wettlesen um den Bachmannpreis in Klagenfurt stattfand. Es hat sich durch die Reise völlig meiner Wahrnehmung entzogen.

Ab morgen muss ich mich jedoch wieder aufraffen, sonst werde ich noch träger. Morgen werde ich ausserdem nach Hamburg fahren, schon deswegen muss ich mich aufraffen. Vielleicht lasse ich mir unterwegs ein paar Texte aus Klagenfurt vorlesen.

[so war das mit dem Auto]

Vor der Reise entschieden wir uns dafür, das Auto meines Vaters zu nutzen. Es sei noch neu, so sagte er, es täte dem Auto ganz gut, wenn es ein paar Kilometer abspulen könne. Mein Auto ist wesentlich älter, es hat aber auch wenige Kilometer, was vor allem damit zu tun hat, dass ich nicht so viel damit fahre. Ich habe aber wenig Interesse daran, Kilometer auf die Uhr zu bekommen. Das Auto hatte ich mir vor zwei Jahren hauptsächlich aus zwei Gründen gekauft: Ich wollte nicht mehr schalten und ich wollte einen Tempomaten. Das sind für mich die zwei wichtigsten Kriterien bei einem Auto. Nun stellte sich heraus, dass das Auto meines Vaters genau diese zwei Bedingungen nicht erfüllte: Es hatte keinen Tempomaten und kam mit einer Gangschaltung.

Es gibt wenige Sachen, die ich so schwachsinnig finde wie zu schalten. Ich will mich nicht mit solchen Routinen abgeben müssen, schalten kann auch die Maschine, das muss ich nicht selber machen, ich will mich aufs Steuern beschränken. Mein Vater hingegen bezeichnet Autos mit Automatikgetriebe als Spielzeug. Ihm ist es wichtig, zu jeder Zeit die Kontrolle über Motor und Fahrgestell zu haben. Ähnlich verhält es sich bei der Geschwindigkeit. Wenn irgendwo 80 km/h steht, dann stelle ich 80 ein und kümmere mich nicht weiter um die Geschwindigkeit, ausser es kommt eine enge Kurve oder es ändert sich die Geschwindigkeitsbegrenzung. Mein Vater hingegen weiss, wie schnell 80 km/h sind und drückt entsprechend auf das Pedal.

Wenn ich mit dem Fuss fahre, passe ich hingehen meine Geschwindigkeit meist den anderen Autos an oder ich schalte auf mein Gefühl um. So geschah es auch, dass ich auf den leeren norwegischen Hochplateaus meist mit 140 oder 150 Sachen dahinrauschte. Das passierte mehr oder weniger überall. Ich fuhr eigentlich überall mindestens 100, meine Gefühle liessen das zu. Natürlich ist das nicht gut, aber wenn ich den Tempomaten verwende, kann ich die Gefühle aussen vor lassen und fahre die vorgegebene Geschwindigkeit. Mir sind Emotionen ohnehin zuwider.

Irgendwann wird das rechte Gaspedal-Bein auch schlichtweg taub. Es verharrt immer in der gleichen Position und die Wade verschmilzt mit dem Plastik der Mittelsäule. Wir fuhren gemeinsam 6000 Kilometer, davon lehnte ich mindestens 3000 Kilometer lang mit meiner rechten Wade am Plastik der Mittelsäule an. Ich möchte wissen, ob männliche Autofahrerinnen an dieser Stelle überhaupt noch Beinhaare haben.

Mein Fahrverhalten führte öfter zu Diskussionen. Weil ich Schalten so geisttötend finde, verwende ich eigentlich nur die Gänge 1, 2 und 5. Ich starte mit dem ersten Gang, dann nehme ich den zweiten Gang, um ein bisschen Speed zu kriegen und schliesslich lasse ich das Auto in den fünften Gang einrollen.
Weil ich Schalten aber nicht mehr gewöhnt bin, würgte ich das Auto regelmässig ab. Vor allem an stark befahrenen Kreuzungen sah das nicht immer elegant aus. Das Gefühl für den Schleifpunkt ist mir etwas abhandengekommen.

Entsprechend erleichtert war ich heute, als ich nach 3000 Kilometern Kupplung in mein eigenes Auto steigen konnte, um einen grossen Einkauf zu erledigen. Ich merkte jedoch ziemlich schnell, dass ich verdächtig oft zum Schaltknüppel griff. Es sind immer die Automatismen. Und nur 100 Meter weiter, bei einem Zebrastreifen passierte es dann: Ich wollte mit voller Wucht auf die Kupplung drücken. Weil es bei einem Automatikgetriebe an jener Stelle aber nur eine Bremse gibt, legte ich mitten auf der Strasse eine äusserst harte Vollbremsung hin. Das Auto hinter mir hatte rechtzeitig reagiert, es wäre aber fast in mir aufgefahren.

Es ist das erste, was man bei einem Automatikgetriebe gesagt bekommt: Das linke Bein ist ab sofort taub. Nur das rechte arbeitet.

[Fr, 28.6.2024 – Nordkapreise Ende, und die letzten Tage]

Sobald wir in Berlin ankamen, waren wir beide kaputt. Da wir um 5 Uhr morgens starteten, kamen wir bereits um halb sieben Uhr abends an. Meine Frau hatte uns Pasta e Ceci gemacht. Nach dem ersten Teller setzte das postprandiale Koma ein und wir fielen ins Bett.

Berlin empfing uns mit 32 Grad. Wie sehr ich das hasste. Bereits in Schweden stieg die Temperatur stark an. In Östersund zeigte die Wetter-App 27 Grad an. Meine Schwester, die sich gerade in Sardinien am Strand befindet, berichtete, sie hätten dort nur 26 Grad.

Mein Vater wollte einen Tag Pause einlegen und in Berlin bleiben. Deswegen dachten wir, am Folgetag ein bisschen durch die Stadt zu spazieren, Museumsinsel besuchen, Reichstag etc., aber schon am Vormittag entschuldigte er sich und zog es vor, noch einmal zurück ins Bett zu gehen. Auch am Nachmittag zwei Mal. Ich nahm das dankend an, ich war zu kaputt für touristisches Programm, aber ich hätte es ihm zuliebe natürlich durchgezogen. Zwar konnte ich nicht schlafen, aber zumindest konnte ich auf dem Sofa rumdösen. Zehn Tage Autofahrt. Ich wusste nicht, wie anstrengend das ist. Auch wenn die Reise gut war und sehr speziell, will ich nie wieder so viel Zeit in einem Auto verbringen. Sollte ich in Zukunft einmal eine ähnliche Strecke zurücklegen, dann nur mit drei Wochen Urlaub und langen Aufenthalten an mehreren Orten.

Ich hätte gerne ein paar Tage mehr in Alta und Umgebung verbracht, sowie in Umeå und Luleå. Auch Östersund. Aber Östersund ist immerhin erreichbarer. Und natürlich fehlt mir jetzt Hammerfest, aber damals war ich einfach schon mental mit der Reise durch.

Über den letzten Reisetag gibt es nicht viel zu berichten. Es war vor allem ein dreizehnstündiger Marathon. Auf diesem letzten Abschnitt erzählte er mir viel über die Vergangenheit. Ich wollte ganz spezifische Dinge wissen, vor allem über meine Zeit als Kind und über seinen beruflichen Werdegang. Da kamen erstaunliche Dinge zum Vorschein, wovon ich einige sicherlich in den nächsten Wochen aufschreiben werde.

Unserer Beziehung hat die Reise möglicherweise gutgetan, auch wenn sich im Alltag oder im direkten Umgang miteinander vermutlich nichts ändern wird. Aber wir haben jetzt dieses gemeinsame Erlebnis, an das wir noch lange denken werden. Ich glaube, wir haben in diesen zehn Tagen mehr Zeit miteinander verbracht als in den 49 Jahren davor.
Mein Vater wirkt oft wie eine groteske Version von mir. Alle meine schlechten Eigenschaften kommen in ihm vor, aber in einer verstärkten Form. Auch einige meiner guten Eigenschaften, diesen machen ihn wiederum sehr sympathisch.

Meine Frau wirft mir manchmal mangelndes Problembewusstsein vor. Das, was sie damit meint, nenne ich hingegen Optimismus. In den letzten zehn Tagen mit meinem Vater dachte ich oft: Dieser Mann hat ein krasses mangelndes Problembewusstsein. Wenn ich ihn in den Situationen darauf ansprach, sagt er, ich solle nicht immer so pessimistisch sein, er sei Optimist.

Was ich an der Reise mochte, ist, wie er mit der Hündin umging. Wir kommen aus einer tierfremden Familie. Wir hatten keine Haustiere, erst recht keine Hunde. Aber er liebte meine Hündin, tat ständig etwas mit ihr. Er wurde allerdings nicht müde zu sagen, dass er nie einen Hund haben möchte.

Was noch mehr: Skandinavien ist EM-freie Zone. Das war mir vorher gar nicht bewusst. Die einzige Berührung mit der EM war in Jokkmokk. Als wir die Unterkunft betraten, sass ein älteres Ehepaar im Aufenthaltsraum. Ich blieb kurz stehen, um Paarung und Spielstand zu checken. Es spielten Dänemark gegen England und es stand 1:1. Ich wechselte ein paar Sätze mit dem Paar. Die beiden waren Schweden und hielten zu Dänemark.

Mein Vater ist mittlerweile wieder zurück in Südtirol. Er fotografierte den Kilometerstand, das Display zeigte 7691 Kilometer. Wenn man die Strecke nach Berlin rausrechnet, dann bleiben für mich 6000 Kilometer übrig.
Wir telefonierten kurz. Es war 19Uhr. Mein Vater wollte wissen, ob die Hündin schon gegessen hatte. Im Ernst. Er wollte wissen, ob sie schon gegessen hatte. Immerhin war es 19Uhr. Er weiss, wann sie zu essen bekommt. Das rührte mich sehr.

Ich bin immer noch müde.