[Do, 25.12.2025 – Weihnachtstage, Winterland, die Ideologen im Weißen Haus, Hirtenmaccheroni]

Heiligabend war nett. Meine Familie feierte bei meiner größeren Schwester und ihrer Familie. Es gab Steaks, wovon ich drei Stück aß, und danach noch eine große Portion Tiramisu. Statt einer großen Bescherungsrunde, wichtelten wir nur, das ist unter Erwachsenen wesentlich freundlicher und weniger hysterisch. Ich war das Wichtelkind (nennt man das so auf Hochdeutsch?) von meinem Schwager, der mir zwei Fünfkilohanteln schenkte. Ein sehr passendes Geschenk, weil mir die 7,5 Kilos, die ich jetzt habe, für manche Übungen zu schwer sind. Aber das wusste er nicht. Eigentlich konnte das niemand wissen, weil ich mit niemandem je darüber gesprochen habe. Es wunderte mich ein wenig, aber ich fragte nicht nach.

Da mein Vater in Meran geblieben ist, verabredeten wir uns für den Folgetag. Ich sollte um 11 Uhr in der Stadt sein. Er schlug vor, dass ich das Auto mitnähme, dann können wir einen Ausflug machen. Das ist auch für die Hündin die nettere Alternative. Als ich um 11 Uhr am Theaterplatz wartete, kamen er und meine kleine Schwester. Niemand von uns hatte einen Plan, wo wir hinfahren könnten. Dann fiel mir Pfelders ein, das ist ein kleines Dorf am Ende eines abgelegenen Tales, am Fuße der Texel-Gletscher. Dort wollte ich schon oft hin, weil sich der Ort als Ausgangspunkt für Wanderungen zur spektakulären Stettiner Hütte empfiehlt.

Pfelders liegt noch ein ganzes Stück unter der Baumgrenze auf 1600m aber wir fanden uns ganz überraschend in einem richtigen Winterland wieder. Während es sich nur 200m weiter unten im Talk lediglich wie ein Tag im Spätherbst anfühlte. Oben in Pfelders lag eine dicke Schneeschicht und es herrschte reger Wintertourismus.

Der Ort rühmt sich, autofrei zu sein. Davon ist aber nicht viel zu spüren. Mittlerweile wurden dort dermaßen viele Hotels gebaut, die es ihren Gästen natürlich erlauben, mit ihren Wagen bis zu den hauseigenen Parkplätzen an der Haustür zu fahren. Pfelders war noch vor 20 Jahren ein ziemlich verschlafenes und ärmliches Bergbauernnest. Davon zeugen heute nur noch die Häuser im Ortskern. Alles andere hat sich dem Tourismus unterworfen. Wie ganz Südtirol eigentlich. Aber über Pfelders las man noch vor wenigen Jahren positivere Geschichten. Es hätte sich vielleicht auch anders entwickeln können.

Nun.

Mir ist es egal. Ich rege mich darüber schon lange nicht mehr auf. Wir haben gerade andere Probleme. Zum Beispiel, dass die US Regierung Sanktionen gegen die Geschäftsführerinnen der HateAID verhängt hat. Weil sie wegen der beiden Frauen die Redefreiheit in Gefahr sehen. Genau. Weil sich Menschen gegen Hassrede einsetzen, ist die Redefreiheit in Gefahr. Dass das Unsinn ist, wissen sie im Weißen Haus natürlich, aber die Art, wie die US-Regierung ihre rechte, ideologische Agenda durchzieht und sich über uns Europäer lustig macht, sollte uns alle in Panik versetzen. Dummerweise schauen wir einfach nur zu. Dummerweise fällt uns nichts anderes ein, als uns zu empören oder, schlimmer noch: Haltung zu zeigen.

Wir haben keine Mittel. Von jedem Meme auf Social Media, das aufruft, Haltung zu zeigen, bekomme ich mittlerweile Hautausschlag. Wir müssten uns eigentlich alle von den amerikanischen Social-Media-Plattformen abmelden, das sind keine neutralen Plattformen mehr, es sind Propagandamaschinen geworden. Wir ahnen es alle, wir wollen es aber nicht glauben. Ich lese zunehmend von Künstlerinnen und Journalistinnen, dass sie keine Reichweite mehr haben, dass die Klicks und Likes zurückgehen, und gleichzeitig liest man, wie stark die AfD überall auf Social Media ankommt. Dabei habe ich noch nie ein positives AfD Reel in meiner Timeline gesehen. Noch nie! Die Techfirmen halten mich in meiner Blase fest.

Ich bin mir sicher, dass es in einigen Jahren leaken wird, wie der Algorithmus für die ideologische Agenda im Weißen Haus manipuliert wurde. Ich meine: Wir reden hier von Musk und Zuckerberg, die faktisch den Algorithmus kontrollieren, der einem Großteil der Gesellschaft zur Meinungsbildung dient. Es gibt schon einen Grund, warum sich Musk den Kauf von Twitter 44 Milliarden kosten ließ, und ich möchte Zuckerbergs Video vom 7.1., also dem Tag nach Trumps Inauguration, noch einmal zusammenfassen. Er sagte faktisch:

  • „We’re in a new era now“
  • Europa schränkt die Redefreiheit an

Ich komme mir schon vor wie ein Verschwörungstheoretiker, wenn ich so rede.

Am Abend wollten mein Neffe und ich Sushi essen gehen. Er hatte sich bei den Großeltern aber dermaßen den Bauch vollgeschlagen, dass er bat, den Termin zu verschieben. Wahrscheinlich kommt er im Februar nach Berlin. Wir werden dort sicherlich eine Gelegenheit dazu finden. Mittlerweile hatte ich mich auch schon bei meiner Mutter etwas breitgemacht und war gar nicht unglücklich darüber, nicht mehr in die Stadt gehen zu müssen. Also machten wir uns ein paar Tortellini und ein bisschen Gemüse.

Habe ich schon die Hirtenmaccheroni erwähnt, die ich in Pfelders aß? Nein, erwähnte ich noch nicht. Hirtenmacceroni auf einem Berg sind die beste Sache der Welt.

So. Ich gehe jetzt ins Bett.

[Di, 23.12.2025 – unter alten Freunden]

Es ist ein bisschen spät geworden. Sabine hatte eingeladen, wir sollten uns alle in Sinich treffen, alle, also alle Freunde von früher, zumindest jene, die gerade im Lande sind, oder jene, die noch leben. Es war wirklich ein schöner Abend unter alten Jugendfreunden. Wir waren damals ein Freundeskreis aus Punkliebhaberinnen, Künstlerinnen und anderweitig interessierten Menschen. Die meisten sind weggezogen. Alan nach Galway und ist dort jetzt Musiker, die meisten gingen zum Studieren nach Wien, einige aber auch nicht. Philipp ging nach Paris und ist mit seinem Youtube Kanal berühmt geworden, auf dem er in den letzten sechs Jahren auf unterhaltsame Weise die Renovierung eines Chateaus in der Normandie dokumentiert.

Es war ein wirklich schöner Abend und ich fand die Zeit, mit allen gebührend zu reden, und wir stellten auch fest, dass wir uns viel öfter treffen sollten, aber gut, das sagt man ja immer.

[Mo, 22.12.2025 – Interspar, Mottennest, Podcast der Lesung]

Wir fuhren heute zu Interspar in die Romstraße. Da fahren wir bei jedem unserer Besuche hin. Das Interspar ist so etwas wie Kaufland oder Real. Ein riesiger Supermarkt. Es bereitet uns viel Freude, einen so großen Supermarkt zu besuchen, in dem es so viele andere Dinge zu kaufen gibt, als bei uns. Beachtlich ist die Auswahl an Käse und an Wurst, und es gibt ein gesamtes Regal, zwanzig oder so Meter lang, in dem ausschließlich Panettone angeboten wird.

Die Vergesslichkeit meiner Mutter wird natürlich nicht besser. Trotzdem kommt sie gut durch den Alltag. Problematisch wird es eher, wenn ihre Routinen durchbrochen werden, weil dann zu viele Dinge gleichzeitig passieren. Zum Beispiel, wenn ich zu Besuch komme. Das würde sie natürlich nie sagen.

Sie kann sich übrigens nicht mehr daran erinnern, dass ich vor zwei Monaten ihr Mottenproblem löste, indem ich nach hartnäckiger Suche und reichlich eigener Erfahrung, das Mottennest fand. Ich spiele im Leben meiner Mutter ja wirklich keine große Rolle mehr. Deswegen legitimiere ich meine Existenz mit solchen heroischen Taten, wie ein Mottennest zu finden. Solche Taten führen ein langes Leben als Anekdote. Aber auch das verschwindet jetzt.

Meine Hündin mag sie. Und sie mag meine Hündin.

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Die Aufzeichnung der Lesung in der Bademeisterbar ist jetzt übrigens verfügbar. Entweder über den Podcatcher eurer Wahl unter „Immer.Bärbel“ oder hier zum direkten Hören.

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Isa und ich als Reel:

[So, 21.12.2025 – Bayreuth, Mistel, Krankenhaus, Wintersonne]

Wir fuhren vorgestern bis Bayreuth, checkten dort in ein Hotel nahe der Innenstadt ein und gingen danach ins Liebesbier, ein perfekt gestyltes Lokal von der Maisels Brauerei, die direkt gegenüber ihre Stammbrauerei unterhält. Dort tranken wir das Urban Pale Ale und ich aß einen veganen Burger, und plötzlich kam es uns vor, als hätten wir Berlin gar nie verlassen. Glücklicherweise bestellte meine Frau ein Dorschfilet mit Gerstenrisotto. In jenem Moment kam uns das sehr bodenständig vor, während ich das gerade aufschreibe, klingt es allerdings nicht mehr so bodenständig wie ursprünglich, I mean, Gerstenrisotto, ich liebe sowas ja, aber–

Immerhin schliefen wir danach gut.

Am nächsten Tag ging ich früh mit der Hündin raus und wir machten einen langen Spaziergang an der Mistel, dem kleinen Bach, der durch Bayreuth fließt. Es ist in Wahrheit weniger ein Bach, sondern ein Rinnsal, das sich aber als breiter, verwilderter, grüner Streifen durch die Stadt schlängelt. An dessen Ufer gibt es einen breiten Weg für Joggerinnen, Fahrräder und Hunde, sowie deren Halterinnen. Mein Lieblingstier fand es dort super. Ich lernte sogar zwei Menschen kennen, bzw. ich geriet mit denen in angeregtes Geplauder. Weiß auch nicht, warum. Meine Frau behauptet, ich sei so ein chatty husband, also ein plaudernder Ehemann, ich wusste gar nicht, dass es eine solche Kategorie gibt, aber auf Insta ist das tatsächlich ein Thema. Ich fühle mich von den dort vertretenen chatty husbands jedenfalls nicht gut wiedergegeben. Zudem bin ich wirklich nicht sehr gesprächig, ich quatsche nur oft fremde Menschen an. Das ist etwas ganz anderes.

Am späten Nachmittag kamen wir in Meran an. Wir aßen etwas, tranken etwas, und dann fielen wir müde ins Bett.

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Heute ist Wintersonnenwende. Dieses Jahr genau um 16:02. Leider war die Sonne da schon hinter den Bergen.

Am Vormittag saßen meine kleine Schwester, meine Mutter und ich an der Meraner Winterpromenade vorm Café Darling. Die Wintersonne leuchtete uns an und es war so warm, dass ich die Jacke ausziehen musste.

Später fuhren meine größere Schwester und ich nach Bozen zu meinem Vater, der gerade an den Arterien operiert worden war. Wir trafen ihn gut gelaunt im Wartezimmer an, wo er gerade mit drei anderen Herren Karten spielte. Er bat mich gleich, ein Problem mit seinem Handy zu lösen. Er kann sein Telefon kaum noch nutzen, weil es von Werbung und Scam zugemüllt ist. Es kostete mich eine ganze Stunde, um es wieder einigermaßen brauchbar zu machen. Wir vereinbarten, dass ich mich an Heiligabend weiter drum kümmere.

In der Zwischenzeit meldete sich ein Freund von ihm, der am Tag davor meine Novelle gelesen hatte. Es war ein älterer Herr aus seiner Seniorenrunde. Offenbar hatte er das Buch auf dem Nachttisch meines Vaters gesehen und mit nach Hause genommen. Er begann um 9 Uhr abends zu lesen und konnte es bis tief in die Nacht nicht mehr weglegen. Als er erfuhr, dass ich gerade im Krankenhaus zu Besuch war, stieg er in den Bus und fuhr ins Krankenhaus, um mit mir über die Geschichte zu reden. Er bat mich, mich mit ihm an einen kleinen Tisch mit zwei Stühlen zu setzen, dort stellte er mir viele Fragen. Er sagte sehr viele nette Dinge über den Text und bezog sich auf Details, die ihn ganz offensichtlich beschäftigten.

Anfangs war ich ein wenig verschämt, aber es freute mich dann schon sehr.

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[Fr, 19.12.2025 – Autobahn]

Diesmal eine kürzere Woche in Hamburg. Am Freitag Homeoffice und zu Feierabend los in Richtung Süden.

So der Plan. So haben wir es dann auch durchgeführt.

Ansonsten habe ich keine Notizen der letzten beiden Tage. Nur von der surrealen Erscheinung auf der Autobahn. Auf der Rückfahrt geriet ich in einen riesigen Stau. Alles stand still. Ich fand es nicht so schlimm, ich hörte das Hörbuch und befand mich gedanklich ohnehin ganz woanders. Draußen war es finster. Dann klopfte es an meinem Autofenster. Ich schaute in die Finsternis hinaus. Es stand ein riesiger Mann mit einer Glatze und einer grimmigen Miene neben meinem Auto. Ich ließ ungläubig die Scheibe hinunter. Ich wollte fragen: Bist du der Tod? War er aber nicht. Er fragte mich freundlich, ob ich ihm Platz machen könnte, er würde gerne rechts ausweichen. Da gäbe es nämlich eine Abfahrt.

Ich machte ihm schließlich Platz.

[Mi, 17.12.2025 – Hundevideos, beautiful beard, Autorant, Gummibärchen aus Holz]

Dienstags und mittwochs geht meine Hündin immer mit der Hundesitterin und einer Hundegang auf einen langen Spaziergang im Wald. Die Sitterin postet am Abend dann immer Storys des Ausflugs auf ihrem Insta. Dienstagabend und Mittwochabend, wenn ich in meiner Hamburger Firmenwohnung zurückkehre, warte ich dann immer sehnsüchtigst auf die öffentlichen Videos meines Lieblingstieres und bekomme bei ihrem Anblick dann Gefühle. Es ist etwas anderes, als wenn meine Frau mir Fotos oder Videos von ihr schickt.

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Der Inder ist diese Woche wieder im Nebenzimmer. Gestern sah ich seinen Wohnungsschlüssel auf dem Küchentisch liegen, ich war mir aber sicher, dass er nicht in seinem Zimmer saß. Ich arbeitete den ganzen Abend lang am Text, irgendwann hörte ich ein lautes Poltern. Hier in diesem dunklen Gewerbegebiet ist lautes Poltern meist kein gutes Zeichen, ich verstand allerdings schnell, dass es der Inder sein könnte. Also lief ich die Treppe hinunter und fand ihn dort ziemlich verzweifelt vor. Er hatte offenbar schon eine ganze Weile geklopft. Er fand nämlich seinen Schlüssel nicht mehr. Daraufhin sagte ich ihm, wo er diesen liegengelassen habe. So gingen wir in die Küche und in der ganzen Aufregung, die er mitbrachte, gerieten wir in einen angenehmen Gesprächston, der ganz anders war als noch vor zwei Wochen, als ich ihm eine unangenehme Polizeihaftigkeit unterstellte. Vermutlich war er damals einfach noch aufgeregt und hatte das Gefühl, er müsse sich irgendwie profilieren, was weiß ich. Heute quatschten wir bis halb eins. Ganz ohne Alkohol und Essen. Ich wusste gar nicht, dass das geht.

Letzte Woche auf der Weihnachtsfeier hatte er übrigens einen Kollegen mitgebracht. Auch er war Inder. Der hatte einen unfassbar schönen Bart. Irgendwann, da war ich schon ein wenig angetrunken, ging ich zu ihm hin und sagte: You have an impressively beautiful beard. Er sagte: But you too!
Danach waren wir beste Freunde.

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Was sonst noch? In meinen Notizen steht „Reichweite kleine E-Autos“. Zu dem Thema wollte ich eigentlich ein wenig ranten, weil es mich so aufregt, dass kleine E-Autos immer bedeutend weniger Reichweite haben, als die großen und teuren. Ich möchte nämlich ein kleines Auto, weil ich keine großen Autos brauche und ich in der Stadt wendiger sein will. Aber kleine Autos werden immer zu City-Flitzern degradiert und automatisch ein bisschen überheblich als Frauenauto belächelt, das man gut für den Einkauf oder die Fahrt in die Kita verwenden kann. Ich war mit meinem kleinen Auto aber schon am Nordkap und fahre ständig damit nach Schweden und nach Südtirol. Ich wüsste nicht, wozu ich so ein großes Auto brauche. Aber mit der Reichweite der kleinen Autos komme ich nicht mal auf meinen wöchentlichen Fahrten von Hamburg nach Berlin, ohne einen Ladenzwischenstopp aus.

Genau darüber wollte ich ranten. Habe ich dann aber nicht gemacht.

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Etwas kontextlos, aber ich möchte diese Nebelkrähe hier im Blog haben. Ich fotografierte sie letzten Sonntagmorgen auf der Hunderunde. Ein paar Leute fragten mich auf Insta, was die Krähe da im Schnabel hält. Ich sagte, es sähe aus, wie ein Gummibärchen aus Holz. Genau das dachten auch die Menschen, die die Frage gestellt hatten.

[Di, 16.12.2025 – All in]

Am Montag war ich mit einem Ex-Kollegen aus. Als ich anfing, war er noch nicht so lange in der Firma, er wurde aber bereits Ende November wieder entlassen. Wir verstanden uns jedoch auf Anhieb. Er ist ein sehr wacher und analytischer Geist, mit dem ich gute und äußerst anregende Gespräche führen konnte. Da er in Uhlenhorst wohnt, bat ich ihn, mir seine Lieblingsbars in seiner Nachbarschaft zu zeigen. Obwohl ich vier Jahre in Hamburg wohnte, ist diese Ecke der Stadt wirklich ein blinder Fleck für mich. Ich bin ja eher mit dem Hamburger Berg sozialisiert, also St. Pauli, Altona, Eppendorf, Eimsbüttel, und ich war gestern völlig überrascht davon, wie sehr Hamburg hier Amsterdam ähnelt. Die hohen Herrenhäuser und die flachen Brücken mit den Kanälen. Das kannte ich gar nicht von hier. Ich fand Hamburg ja immer erstaunlich wasserlos, wenn man bedenkt, dass es die große Hafenstadt der Republik ist und für Schiffe sowie die Elbe und Barkassenrundfahrten bekannt ist. Ich war nach dem Umzug nach Berlin schließlich richtig erstaunt, wie viel Wasser es wiederum in Berlin gibt, da überquert man ständig Kanäle und Wasserläufe. In Hamburg hingegen, wird man von der Elbe und den Containerschiffen regelrecht überrumpelt. Hamburg ist zwar wesentlich maritimer, ich mag das auch, aber das liegende Wasser in Berlin, erinnerte mich doch eher an Amsterdam oder die Niederlande, wo ich damals ja mehr oder weniger herkam.

Uhlenhorst also. Und Winterhude. Da gibt es die Kanäle und Brücken.

Wir trafen uns an der Alsterperle und liefen mit einem Wegbier am Wasser entlang bis nach Winterhude zum Mühlenkamp. Dort auf dem Weg gibt es einen Aussichtspunkt, von dem aus man über die Außenalster hinweg die Hamburger Skyline überblicken kann. Vorn das Wasser, hinten die Türme. Der Michel, St. Katharinen, das Rathaus, der Fernsehturm und die leuchtenden Lichter, die sich im Alsterwasser spiegeln. So kannte ich diese Stadt gar nicht.

Mein Ex-Kollege ist ausgesprochener Kapitalist und politisch im konservativen Weltbild verankert, er ist jedoch ein überzeugter Demokrat und einem offenen politischen Diskurs zugeneigt. Ich empfinde es als einigermaßen wohltuend, mich mit ihm über die aktuelle Weltlage zu unterhalten. Er öffnet mir Perspektiven, die mir vorher nicht ganz klar waren. Er ist Volkswirt, entsprechend entsetzt ist er über die ausgebliebene Rentenreform und die vielen sinnlosen Staatsausgaben. Andererseits ließ er sich wiederum bei sozialen Themen von mir einfangen. Aber wie das eben immer ist: Die Wahrheit bei Politik liegt immer in der Mitte. Derzeit gibt es aber nur linke und rechte Blöcke. Mit dieser Erkenntnis bemängelt er auch die Blockbildung in der CDU, seiner Partei, die auch in diesen beiden Blöcken aufgeteilt ist, bei der es aber momentan keine vernünftige Mitte mehr gibt. Die CDU als in Teilen links zu bezeichnen, fand ich eine sehr gewagte These, aber ich verstehe schon, was er meint, dort gibt es auch diese Unversöhnlichkeit in den Blöcken.

Nach der Entlassung hat er beschlossen, sein Leben in Deutschland aufzugeben und nach Bali auszuwandern. Dort wird er eine Weile von seinen Rücklagen leben und versuchen, sich eine Remote-Beratungsdienstleistung für deutsche Firmen aufzubauen. Er ist Finanz- und Buchhaltungsspezialist und stellt sich vor, Dienste als Interims-CFO oder sogar als externer CFO anzubieten. Ich rechne dem Modell durchaus Chancen zu. Währenddessen wird er von etwa 1500 bis 2000 Euro monatlich in Bali leben, zum einen, weil die Lebenskosten dort günstig sind, aber auch, weil er, wie er sagt, Minimalist ist und nicht viel zum Leben braucht. Zudem hat er ein glückliches Händchen mit Aktien und er hat ein ziemlich stringentes Vorgehen, wie er in sein ETF-Portfolio investiert. Er macht es nämlich so: Er achtet darauf, wenn es Kurseinbrüche gibt. Sobald sich der Kurs um 20 % erholt hat, steckt er immer wieder Geld hinein. Nicht alles, nur ein bisschen. Du musst immer den perfekten Tiefpunkt erwischen, sagt er. Er ist gerade 36 Jahre alt, die Finanzierung seiner Rente hat er bereits durchgeplant.

Sein Weltbild ist allerdings sehr düster. Er will weg aus Westeuropa, weil er mit einem Kollaps der Sozialsysteme und damit einhergehenden Unruhen rechnet. Außerdem ist er fest davon überzeugt, dass Deutschland innerhalb der nächsten 3 bis 5 Jahre von Russland angegriffen wird. Er will auf Bali sitzen, wenn das passiert. Einen finanziellen Plan dazu hat er auch. Wenn Krieg in Europa ausbricht, werden die Aktienkurse dramatisch einbrechen. Sobald er das Gefühl hat, dass sie den Tiefpunkt erreicht haben, spätestens aber, wenn sie sich wieder um 20 % erholt haben, geht er all-in. Dann setzt er sein ganzes Geld auf den Weltmarkt. Du musst immer den perfekten Tiefpunkt erwischen.

[So, 14.12.2025 – Hundekuchen, Juicy Textstellen]

Morgen wird unsere Hündin vier Jahre alt. Weil ich morgen aber nicht in Berlin bin, hat sie eben heute schon Geburtstag, Sie weiß ohnehin nicht, was wir da für ein Theater veranstalten, aber sie bekommt zu einem Kuchen geformtes Nassfutter mit Lachscreme und Hundekekse. Das ist immer Party.

Wir arbeiteten auch an den schwedischen Lebkuchenkeksen weiter. Heute buken wir sie. Meine Frau kritisierte meine Arbeit. Offenbar machte ich sie zu dick. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das schlecht ist. Sie sind dann vielleicht nicht traditionell, aber sie sind immer noch solide. Schmecken tut mir Lebkuchen ohnehin nicht. Isst denn überhaupt jemand gerne Lebkuchen?

Auf dem Rückweg von Hamburg hörte ich wieder 1Q84 von Murakami. Er hat diese onkelige Art, über den Busen von jungen Frauen zu schreiben, mit der er die Nervenenden unter meiner Haut irritiert. Ich brauche dann immer eine ganze Weile, bis ich mich davon erhole.


Überhaupt sind die Sexszenen bei Murakami für mich nie besonders stimmig. Dafür sind mir seine Figuren alle zu asexuell. Es irritiert mich immer, wenn diese asexuellen Charaktere plötzlich Sex haben. Ich habe fast alles von ihm gelesen, ich fand nur eine Sexszene einigermaßen stimmig. Das war in Norwegian Wood oder Naokos Lächeln, ich weiß nicht mehr in welchem von beidem. Als diese mysteriöse, zurückhaltende Jugendliebe, als sie sich nach einigen Jahrzehnten wiedersehen, den Wunsch äußert, den Penis des Protagonisten in den Mund zu nehmen. Das war ein sehr poetischer Moment, aber auch wieder asexuell, sehr nüchtern. Trotzdem in sich stimmig.

Aber bitte nicht den Brüste von jungen Frauen, die sich unter dem weißen T-Shirt abzeichnen, beschreiben.

Dabei finde ich Sex in Texten durchaus gut. Neulich kaufte ich mir „Quicksilver“, einen Band aus dieser Romantasy-Reihe, der wegen der Sexszenen so gelobt wurde. Es gibt Foren auf Reddit, in denen sich Leute über die Juicy Stellen austauschen. Dort tummeln sich Spezialisten, die die juicy Kapitel auflisten, damit die Suchenden schneller fündig werden. Das ist offenbar ein Ding. Ich las nur das erste Kapitel von Quicksilver aus einer dieser Listen, fand das Ergebnis jedoch etwas ernüchternd. Später stellte sich allerdings heraus, dass die darauffolgenden Kapitel aus dieser Liste Jucyiger sind, ich hätte nur weiterlesen müssen. Aber das habe ich immer noch nicht nachgeholt.

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[Sa, 13.12.2025 – Das Cello, Pepperkakan]

Der Kater hält an.

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Ich möchte meiner Frau diese Geschichte aus Ferdinand von Schirachs Verbrechen zu Ende vorlesen, aber sie schläft immer nach wenigen Sätzen ein und ich beginne dann jedes Mal von vorn. Mittlerweile habe ich sie mehrmals gelesen und finde sie so eindrücklich, dass ich sie daran teilhaben lassen muss. Die Geschichte heißt „Das Cello“ und handelt von einer zwanzigjährigen Frau namens Therea, die Cello spielt. Es ist die Tochter eines vermögenden Bauunternehmers aus Frankfurt, der sich aber nicht für sie und ihren kleinen Bruder Leonhard interessiert, weil er sie zu weich findet. Die Mutter starb, als Theresa und Leonhard im Kinderalter waren, und danach gab es keine feste Mutter mehr in ihrem Leben. Die beiden Geschwister hatten immer nur sich. Als Theresa zwanzig Jahre alt ist, beschließen sie und Leonhard, den Vater zu verlassen, und ziehen um die Welt. Theresa gibt Cello-Konzerte und Leonhard blättert die Noten um. Sie haben nur sich. Nach mehreren Jahren sind sie für einige Tage auf Sizilien, dort fahren sie auf einer Vespa, mit dieser stürzen sie und Leonhards Kopf platzt auf. Im Krankenhaus können die Ärztinnen immerhin sein Leben retten, die Prognosen sind aber schlecht, Leonhard wird nicht lange leben können. Nun schaltet sich auch der Vater ein und lässt den Sohn in die Charité nach Berlin bringen, wo sie weitere Operationen an ihm durchführen. Leonhards Gehirn und Körper sind schwerbeschädigt, er kann sich nichts länger als 4 Minuten merken und sein Körper ist von Urin durchtränkt, es bilden sich ständig Nekrosen und es müssen ihm nach und nach Körperteile entfernt werden. Bald vergisst Leonhard auch, dass er vergesslich ist, vergisst seine Schwester, es gibt für ihn nur diese schöne Frau, die ihn pflegt und ihm mit dem Cello vorspielt. Währenddessen will er masturbieren. Die Schwester soll während des Spielens unbekleidet sein. Abend für Abend. Sein Zustand verschlechtert sich, Theresa bleibt ihm aber zur Seite. Sie haben nur sich. Mittlerweile kommt auch der Vater wieder, einmal im Monat. An einem Tag lässt Theresa ein Bad ein, sie gibt ihrem Bruder Barbiturate und sie gehen gemeinsam in die Wanne, wie früher, als sie Kinder waren, das waren sie gewohnt. Er schläft ein und wacht nicht mehr auf. Theresa wird des Mordes angeklagt, gibt alles zu, kommt ins Gefängnis. Dort nimmt sie sich das Leben. Als der Vater von ihrem Tod erfährt, holt er einen Revolver aus dem Tresor, steckt ihn in den Mund und drückt ab.

Ich schlug meiner Frau vor, dass ich ihr die Geschichte am Tag vorlese, sie sagte, sie werde aber schon müde, wenn sie den Umschlag dieses Buches nur sehe. Und mittlerweile kennt sie ja schon die Geschichte, weil ich ihr so oft gesagt hatte, was für eine eindrückliche Geschichte sie da verpasst. Eine Geschichte, wo sie am Ende alle tot sind. Na super.

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Am Nachmittag bereiteten wir Pepperkakan zu. Schwedischen Lebkuchen. Ich gab einen Block Butter in die Schüssel, eine Unmenge Zucker und viel Sirup. Danach zählte ich jede einzelne Kalorie, die ich in dem Topf verrührte. Es waren drei Millionen fünfhundersiebenunddreissigtausend vierhundertzweiunddreissig.

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[Do, 11.12.2025 – süßer Sekt, mehlige Äpfel]

Ich vertrage offenbar keinen Alkohol mehr. Zugegebenermaßen trank ich in der letzten Nacht ein ziemliches Durcheinander, von süßem Sekt, Aperol Spritz, Rotwein, Espresso Martini, Rotwein, Rotwein, Rotwein, Rotwein, Glühwein bis hin zu Bier. Aber eigentlich stecke ich so etwas gut weg. Natürlich hatte ich unter solchen Umständen immer einen Kater, mit einem Kater weiß ich aber umzugehen. Was neuerdings hinzukommt, ist eine Gelähmtheit, eine Kraftlosigkeit, als wäre der Kater nicht in mir drin, sondern als wäre ich selbst ein dicker, unbeweglicher Kater mit Muskelschwund und Arthritis. Ich kann mich zu nichts aufraffen, meine Gelenke sind verrostet, alles kostet Kraft und ich will nur schlafen, schlafen, schlafen. Früher hatte ich einfach nur einen Kater. Kopf, Gliedmaßen, Wahrnehmung: Alles ist verbrannt. Das fand ich leichter zu handhaben. Vielleicht kommt es daher, dass ich seit geraumer Zeit weniger trinke, der Gewöhnungseffekt hat nachgelassen. Wenn das so ist, dann empfinde ich das als eine gute Sache.

Glücklicherweise bekam die gesamte Belegschaft heute einen Erlass von Arbeitsstunden. Offizieller Arbeitsbeginn war erst 12 Uhr. Das finde ich sehr sympathisch. Und mir kam das heute wirklich sehr gelegen. Ich aß am Vormittag zwei Äpfel, einen Kanzi und einen Royal Gala. Ich bin bei Apfelsorten sehr mäkelig geworden, ich weiß nicht, wann das anfing, früher, als ich Apfelpflücker war, gab es ja nur Stark- und Golden-Delicious, zumindest in Südtirol war das so. Stark mochte ich schon damals nicht, obwohl die aussahen, wie klassische Äpfel, also rot, mittlerweile mag ich ja fast nur noch Kanzi und Cosmic Crisp, und in Hamburg gibt es einen überraschenden Mangel an mir genehmen Äpfeln. Zumindest in jenem Hamburg, in dem ich einkaufe, das ist hauptsächlich Lidl, aber auch ein kleiner Rewe. Es gibt Gala, Gala, Gala, Royal Gala und die immer etwas vergoren schmeckenden Pink Ladys. Neben den braunen Äpfeln, die als Bratäpfel angeboten werden, aber an die traue ich mich wirklich nicht ran. Deswegen brachte ich mir Kanzi aus Berlin mit, die verwechselte ich heute früh allerdings mit den noch übrig gebliebenen, mehligen Galas. Direkt beim Reinbeißen in diese Masse aus süßem, hartem Mehl verging mir sofort die Lust, auch noch darauf herumkauen zu müssen. Ich weiß, es gibt viele Menschen, die mit den neuen Sorten fremdeln, Gala ist strenggenommen auch eine neue Sorte, aber eine wenig gelungene, wie ich finde, und vielleicht kenne ich die richtigen alten Sorten gar nicht, auch wenn ich mich wegen meiner Apfelpflücker-Vergangenheit oft als Apfelkenner ausgebe, so habe ich in Wirklichkeit doch keine Ahnung davon, manchmal spiele ich mich nur ein bisschen auf, ohne es zu merken, es ist mir dann erst später peinlich, jetzt zum Beispiel. Was ich aber sagen will: Für mich war die Geschichte mit der Schlange im Garten Eden immer wenig überzeugend, wie sie da Eva diesen roten Apfel gab. Ich meine: Damals gab es ja nur alte Sorten, no way, dass Eva sich so einen mehligen Apfel aufschwatzen ließ. Immerhin hat der Vatikan das Buch Genesis mittlerweile als historisch inkorrekt eingeordnet, und eine symbolische Lesart der Apfelgeschichte empfohlen.

Mehlige Äpfel. Symbolik. Weiß jetzt auch nicht.

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Update: die ganze Wahrheit über Streuobst. (aus dem Archiv, März 2006)