[Mo, 17.11.2025 – Antarctica, Hörbuch, Hörparty]

Als ich gestern ein bisschen mit Frau Fragmente auf WhatsApp chattete, eröffnete sie mir, dass sie Mitte Dezember in die Antarktis fahren wird. Meine Gefühle flammten sofort zu einem Feuerkegel aus Neid auf. Kann man das so sagen? Zu einem Feuerkegel aufflammen? Das war jedenfalls das Gefühl, das ich hatte. Es war natürlich positiver Neid. Frau Fragmente gönne ich alles. Sie war vor mir auf Spitzbergen, vor mir am 80. Breitengrad (ich war nur am 79.) und nun fährt sie einfach so nach Antarctica. Auch wenn eine Reise zum antarktischen Kontinent für mich eher ein hypothetisches Ziel war und weniger ein konkretes Urlaubsvorhaben für die nächsten paar Jahre, ist das immer ein magischer Ort für mich gewesen. Schon als Kind verbrachte ich viel Zeit über Landkarten dieser eisigen Landmasse. Damals las ich auch von der Entdeckung des Südpols und der Tragödie um die Expedition von Robert Scott. Sicherlich habe ich auch schon einmal erwähnt, dass die Domain dieses Blogs in seinen Anfangstagen in 2003, den Namen antarctica.dhs.org trug. Frau Fragmente fährt da jetzt hin. Ich werde sie bitten, diesmal mehr davon zu berichten, als sie es auf ihrer Arktisreise tat. Das war damals schon etwas dünn. Ich habe keine Ahnung, ob es da überhaupt Internet gibt, ich werde einfach darauf bestehen.

Am Abend unternahm ich einen neuen Anlauf, die Novelle als Hörbuch einzusprechen. Ich weiß jetzt, wie man Markierungen setzt, damit ich die Audiodatei im Nachgang bearbeiten kann. Versprecher und Geräusper herausschneiden. Es soll schon ein wenig professionell klingen. Allerdings ist meine Stimme heute etwas belegt. Ich bin mir noch unschlüssig, ob das gut klingt oder nicht.

In Wirklichkeit übe ich damit für die Lesung am kommenden Montag in der Bademeisterbar. Isabel und ich lesen euch was vor. Kommt alle. Das wird ein toller Abend. Ja, ist ein Montag, ich weiß.

Hier alle Details:

[So, 16.11.2025 – Home, Regen]

Am Freitag trat ich von meinem Posten als Vorstand meines Hertha Fanclubs zurück. Seit der Sommerpause habe ich mir ein wenig Abstand von Hertha und dem Vereinsleben genommen. Mein Fanclub ist sehr aktiv und auch sehr groß. Die Halbherzigkeit, mit der ich seit einem halben Jahr an dem ganzen Biotop teilnehme, gibt mir das Gefühl, einen solchen Fanclub nicht mehr als Vorstand führen zu können.

Meine Frau ist erkältet und es geht ihr nicht gut. Wir konnten daher nicht viel gemeinsam machen. Aber sie schenkt sich immerhin einen Bubblewein, während ich Essen zubereite. Ich bin in diesen wöchentlichen 48 Berlinstunden einfach gerne zu Hause, ich muss auch nichts unternehmen. Wir schauen „Remnick“, diese Serie aus Alaska und danach „bay of Fires“ eine Serie, die in Tasmanien spielt. Wir wundern uns, dass Tasmanien nicht auf unserer gedanklichen Reiseliste stattfindet. Also googeln wir Tasmanien. Die Insel hat wirklich alle Zutaten, um unsere Begeisterung zu entfachen. Meine Frau hat irgendwann in 2027 oder 2028 oder 2029 einen Kongress in Sidney. Da könnte ich ja wieder als First Lady mitfliegen und wir nehmen uns zwei Wochen Urlaub für Tasmanien. Oder vielleicht 4 Wochen. Wenn man schon in Australien ist.

Draußen regnet es das ganze Wochenende lang. Meine Hündin und ich drehen lange Runden. Meine Regenjacke passt mir wieder besser. Ich hatte sie in einer relativ schlanken Phase gekauft und danach lange nicht tragen können. Jetzt sitzt sie wieder gut. Mit meinen schicken Gummischuhen sehe ich aber aus, als wäre ich im Fetischclub verabredet.

Im Regen treffe ich die S mit ihrer Hündin. Wir laufen eine ganze Weile zusammen. Sie überlegt, aus Berlin wegzuziehen. Zu ihren Eltern nach Dresden. Sie ist Berlinmüde und ihre Eltern sind alt. Sie hat noch Lust, etwas Zeit mit ihrer Mutter zu verbringen. Neulich war sie wieder im Berghain und hat gemerkt, dass Feiern nichts mehr bringt. Sie wird nächstes Jahr 50, sie ist dem Ganzen entwachsen. Und die Stadt ist schmutzig und niemand kümmert sich um nichts mehr. Bei dem Thema kann ich sie wirklich nicht aufmuntern. Ich versuche aber, sie nicht noch weiter runterzuziehen. Sie würde mir fehlen. Ich drehe immer gerne meine Runden mit ihr.

Sonntagabend steige ich ins Auto und fahre zurück nach Hamburg.

[Fr, 14.11.2025 – Raumschiff]

Wieder Hörbuchdilemma. Im Büro lud ich mir eine andere Joseph-Conrad-Version von „Herz der Finsternis“ herunter. Dieser Sprecher liest tatsächlich angenehmer und lebendiger. Aber trotzdem fängt mich der Text nicht ein. Ich weiß nicht, was da mit Joseph Conrad und mir los ist. Schon beim Buch verlor ich ständig nach einigen Sätzen die Aufmerksamkeit. Dann versuchte ich es mit dem Hörbuch Anfang der Woche, da gab ich dem Vorleser die Schuld, jetzt will es aber auch mit einem guten Sprecher nicht funktionieren. Tatsächlich verliere ich immer schon nach wenigen Sätzen die Konzentration. Zuerst schob ich es auf mich und wechselte testweise zu einem Hörbuch von Martin Suter. Dem konnte ich problemlos zuhören. Zurück zu Joseph Conrad, und schon drifteten meine Gedanken ab.

Dabei interessierte mich, was es mit der Finsternis auf sich hat, mit den menschlichen Abgründen, irgendeine emotionale Erkenntnis. Immerhin hat der Text viele Menschen bewegt und erschüttert.

Außerdem will ich „Apocalypse Now“ sehen. Damit fing das eigentlich an.

Frau Fragmente empfahl mir „Project Ave Maria“. Anspruchsvolle Science-Fiction. Das ist genau das Richtige für lange Autofahrten in der Dunkelheit. In meiner App „BookBeat“ war das leider nicht in meinem Standard-Abo enthalten, ich hätte also extra dafür zahlen müssen. Dafür fand ich Murakamis „1Q84“, das ich zwar als Buch besitze, aber weil es so schwer ist, nie gelesen habe. Das Hörbuch dauert über 30 Stunden! [man denke sich hier irgendeinen Ausruf zwischen Entsetzen und staunen]. Bei einer Fahrt, die 3 Stunden dauert und zwei Mal die Woche stattfindet, wovon ich aber nur 2 bis 2,5 Stunden Hörbuch höre, bin ich nach etwa fünfzehn Fahrten damit durch. Dann sind wir schon in 2026.

Auf der Fahrt zurück regnete es. Wir Autofahrerinnen werden alle zu Komplizen. Achten mehr auf die Lichter vor uns, niemand drängelt, wir fahren fast alle nur 120, alle hinterm Steuer in ihren Kokons verpuppt. Mit Podcasts, Musik oder Hörbüchern. Erst kurz vor Berlin wurde es wieder trocken. Wie immer.

Eines der Highlights der Woche ist für mich wirklich die Fahrt zurück nach Berlin. Die Fahrt durch die Dunkelheit, wie in einem Raumschiff. Ich sehe nichts von der Landschaft, ich sehe nur die Lichter, die roten und die weißen, etwas weiter weg mal ein angeleuchteter Staub, vom Nebel vielleicht, dahinter liegt Orion mit Beteigeuze und Sirius, Andromeda und die weiter entfernten Galaxien. Dort, ganz am Ende, warteten schließlich meine Frau und meine Hündin auf mich. Sie werden sich auf mich freuen. Es wird ein kaltes Bier geben und Oliven, wir werden uns in den mit Lichterketten erleuchteten Erkner setzen und uns von den Dingen erzählen.

[Mi, 12.11.2025 – Bewegung, Digitale Souveränität]

Ich zog im Fitnessstudio dann doch nicht das Herthatrikot an. Es roch nicht mehr gut.

Fittix Fühlsbüttel. Ich lief eine halbe Stunde lang zu Fuß an einer dunklen Hauptstraße entlang. Die Hauptstraße ist etwas heller beleuchtet, als die Nebenstraßen, aber es ist immer noch düster. Halbe Stunde hin und halbe Stunde zurück. Eine Stunde beim Fitness. Dann habe ich ganze zwei Stunden Bewegung absolviert. Eigentlich gut für mich, aber der zeitliche Aufwand scheint mir etwas übertrieben. Der Abend ist danach nämlich vorbei. Das muss ich anders lösen. Vor allem, wenn ich irgendwann wieder soziale Kontakte pflege. Andererseits kann ich auf diese Weise endlich mein Podcast-Backlog abbauen.

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Ein Premium Abo von LanguageTool gekauft. Ich nutze es schon seit Längerem für Rechtschreib- und Grammatikkontrolle. Neuerdings tendierte ich allerdings eher zu Quillbot, weil mir die Benutzeroberfläche mehr zusagte. Heute sah ich, dass LanguageTool aus Potsdam kommt, dann bämm, kaufte ich mir ein Abo. Ich bin voll für europäische digitale Souveränität. Mir ist nicht verständlich, warum das in den großen Medien so wenig ein Thema ist. Man sieht neuerdings ja, wie erpressbar wir europäische Staaten sind, wie abhängig wir von den amerikanischen Plattformen geworden sind. Man las vor Monaten darüber, wie wichtig europäische digitale Souveränität geworden ist, aber in der Praxis spüre ich wenig davon.

Vor zwei Tagen kaufte Rumble einen der wenigen deutschen Cloudanbieter. Rumble ist eine Trump-nahe Videoplattform, hinter der Geldgeber wie Thiel und JD Vance stecken. Die Strategie ist ja so offensichtlich. Alle wichtigen Plattformen übernehmen, auf denen sich entweder Inhalte verbreiten lassen oder um Monopole und Abhängigkeiten zu schaffen. Es wundert mich, für wie wenig Entsetzen das im öffentlichen deutschen und europäischen Diskurs sorgt. Die Medien berichten darüber nüchtern, aber es geht in den vielen Koalitionsreibereien unter.

Dass ich jetzt monatlich 4,99€ für Textkorrektur nach Potsdam überweise – tja. Wie beende ich jetzt diesen Satz?

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[Di, 11.11.2025 – Adiposi, Licht, Polizeihaftigkeit, Muckis]

Heute früh sagte es mir die Waage: Ab sofort habe ich keine Adipositas mehr. Ab jetzt bin ich nur noch übergewichtig. Ich liebe es, diese Linie anzuschauen, die nach unten führt. Ich liebte auch immer fallende Aktienkurse. Früher zumindest. Jetzt bin ich erwachsen. Sieht aber trotzdem gut aus.

Hamburg ist übrigens gar nicht so dunkel, wie letzte Woche angedichtet. Dieser Tage hängt eine dichte Wolkendecke über der Stadt und das Licht fängt sich darin wieder. Das hellt alles auf. Indirektes Licht. Das lernt man schon als junger Mensch, wenn Frauen zu Besuch kamen: Du brauchst mehr indirektes Licht. Indirektes Licht macht das Haus schön.

Der Inder, mit dem ich mir die Firmenwohnung teile, will wissen, in welchem Stock sich mein Büro befindet, in welchem Flügel es liegt, ob es ein Einzelbüro ist und an wen ich reporte. Er versucht aus mir herauszukitzeln, ob er hierarchisch über mir steht, oder nicht. Wir werden nicht wirklich warm miteinander. Letzte Woche saßen wir eine Weile zusammen in der Küche. Ich hatte gerade einen Salat gegessen und er kochte sich ein Gurkenomelett. Die Konversation geriet ständig ins Stocken. Ich sagte etwas, er äußerte eine starke Meinung dazu, ich stimmte ihm zu, fügte jedoch ein „aber“ hinzu, worauf er mit einem „aber“ einen obendrauflegte, immer mit einem polizeihaften Absolutheitsanspruch. Und schon verlor ich die Lust auf das Gespräch. Das ging ein paar Mal so. Dass ich ein Einzelbüro habe, gefiel ihm nicht so.

Jetzt habe ich auch die Hanteln in die Wohnung gebracht. Dann kann ich abends Muckis machen. Sie wiegen 7,5 kg pro Stück. Eigentlich sind sie zu schwer für den Heimgebrauch, aber ich überschätze mich gerne. Ich bin wirklich froh, immer ein friedlicher Typ gewesen zu sein, ich hätte mich sonst sicherlich in jede Schlägerei geschmissen. Morgen gehe ich zu Fitx in Hamburg. Ich habe mein Herthatrikot dabei. Das werde ich morgen anziehen. Nicht, weil ich in eine Schlägerei geraten will. Auch nicht, weil ich mich überschätze. Ach doch, vielleicht überschätze ich mich.

[So, 9.11.2025 – Bewusster, Abschiede, Hörbuch]

Die Hündin freute sich wirklich sehr über meine Ankunft. Auch meine Frau freute sich, aber die Hündin kriegte sich vor Freude gar nicht mehr ein.

In Berlin zu sein, ist jetzt ein bisschen anders. Ich habe gerade das Bedürfnis, die Zeit bewusster zu nutzen. Ich hänge nicht so viel im Netz rum, rede mehr mit meiner Frau. Am Samstagabend kochten wir ein veganes Kohlgericht von dieser berühmten indischen Veganerin aus dem Netz. Gemeinsam zu kochen ist immer so schön. Wir öffnen uns ein paar Drinks, machen Musik an und reden über die Dinge, während wir ein aufwendiges Gericht zubereiten. Diesmal gerieten wir in einen Streit, der ziemlich schnell ziemlich hochkochte. Es dauerte eine Weile, bis wir einander verstanden und einander verziehen. Aber immerhin versöhnten wir uns diesmal bewusst und auch schnell. Würde ich noch in Berlin wohnen, dann hätten wir den Streit zwar beigelegt, ihn aber immer noch ein bisschen in das Wochenende hineinköcheln lassen, bis die Zeit irgendwann ihren Schatten über alles legt. Diesmal nicht. Diesmal versöhnten wir uns und sprachen uns aus. Wie früher, als wir noch ein junges Paar waren. Es tut uns vermutlich gut, nach so vielen Jahren etwas Abstand zu gewinnen.

Heute fuhr ich dann wieder nach Hamburg. Die Hündin hat jetzt verstanden, dass der große rote Koffer bedeutet, dass ich mich wieder für längere Zeit aus dem Staub mache. Sie weicht nicht von meiner Seite, will mir bis ins Treppenhaus folgen. Ich befehle ihr, zurück in die Wohnung zu gehen, sie versteht es nicht, schüttelt sich. Das rührt mich sehr. Aber ich bin momentan generell sehr rührselig. Ist gar nicht mein Ding.

Auf der Rückfahrt beschließe ich, nicht mehr „Die Zeitmaschine“ zu hören, da ich nach der Hälfte des Hörbuches das Gefühl habe, die Message verstanden zu haben, und dabei festgestellt habe, dass sie mich nicht besonders interessiert. Deswegen hörte ich Joseph Conrads „Herz der Finsternis“. Ein Buch, das ich zum Lesen furchtbar fand, dem ich jetzt als Hörbuch eine neue Chance geben will. Das werde ich auf meinen wöchentlichen Reisen sicherlich mit mehreren Büchern so händeln. Dummerweise fand ich das Hörbuch ähnlich furchtbar wie das Buch. Immer diese von hinten aufgezogenen Sätze. Hinzu kommt, dass es sich bei der Aufnahme um eine Low-Budget-Produktion handelt, mit einem Sprecher, der nicht sehr mitreißend spricht. Nach drei Stunden kam ich im Hörbuch dort an, wo ich auch beim Lesen schon gewesen war. Ich will das aber jetzt weiterhören, ich will wissen, was es mit diesem Text auf sich hat. Für die Fahrt nach Berlin am Freitag besorge ich mir aber eine bessere Hörbuchversion.

[Fr, 7.11.2025 – Marquéz, Wells, Mond]

Die zweitbeste Sache an Hamburg ist ja, dass hier keine ollen FC-Köpenick-Sticker kleben. Mit St.Pauli oder dem HSV kann ich gut leben.

Auf dem Hinweg letzten Sonntag wollte ich eigentlich das Hörbuch „100 Jahre Einsamkeit“ von Gabriel García Márquez hören. Seit der letzten Schwedenreise habe ich nämlich das Hörbuchhören auf langen Autofahrten für mich entdeckt. Nach einer Stunde überforderten mich allerdings die vielen verschiedenen Figuren. Ich konnte all die Buendías, Arcadios und Amarantas nicht mehr auseinanderhalten. Die Restkonzentration, die ich für das Steuern eines Wagens brauche, belegt offenbar dieselben Gehirnareale wie literarische Figuren, wenn sie über meinen Gehörkanal eindringen. So meine Interpretation. Also stoppte ich das Tonband und hörte stattdessen einen Militärpodcast. Ich werde es wohl doch als Buch lesen müssen. Der Schinken steht schon seit ein paar Jahren in meinem Regal, aber ich zog immer andere Lektüre vor.

Die ganze Woche in Hamburg habe ich kaum gelesen. Ich habe auch kaum geschrieben. Nicht mal eine Seite pro Tag. Abends war ich immer müde. Mental müde. Vor dem Einschlafen las ich Murakamis „Kafka am Strand“. Nach einer Woche bin ich auf Seite 25 angelangt und ich habe keine Ahnung, was ich da gelesen habe.

Heute auf der Rückreise hörte ich H. G. Wells‘ „Zeitmaschine“. Klassiker der Science-Fiction. Ich dachte: Weniger Figuren. Das klappte tatsächlich.

Ich störe mich etwas am Duktus des Erzählers, wie er die zukünftige Gesellschaft (im Jahr 802.701 n. Chr.!) beschreibt und sie mit der heutigen Gesellschaft (London 1891) vergleicht. Wie er ständig über die „Verweiblichung“ der Gesellschaft redet, könnte er genauso gut Reden für Friedrich Merz schreiben. Das Unangenehme daran ist möglicherweise jedoch der Epoche zuzuschreiben, in der der Text entstanden ist. Wells hatte ungewöhnliche politische Ideen zur Zukunft der Menschheit, die auf den ersten Blick durchaus interessant klingen, aber er hing kurzzeitig auch sozialdarwinistischen Ideen nach. Ich habe mich noch nicht näher damit beschäftigt.

Gestern war Vollmond. Heute auf der Reise zurück nach Berlin begleitete mich der Mond die ganze Strecke lang. Er hing tief am nördlichen Himmel. Die Nacht war wolkenfrei. Er begleitete mich die ganzen drei Stunden lang. Immer links neben mir. Oft schaute ich hinüber zu ihm. In den meisten Sprachen hat der Mond einen weiblichen Artikel. Nicht auf Deutsch. Komisch eigentlich. Im Mondlicht wehen eigentlich ja immer die Kleider der enigmatischen Frauen. La Luna erscheint mir da wesentlich sinnvoller. Heute war er aber ein bisschen wie ein Beschützer. Ein nächtlicher Begleiter. Während wir durch die dunkle norddeutsche Tiefebene fuhren.

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5 Tage.

[Mi, 5.11.2025 – Meilensteine, Budni]

Ich habe mich schon lange nicht mehr so wenig bewegt wie hier. Ich laufe zwei Minuten von der Wohnung ins Büro. Und zwei Minuten vom Büro zurück in die Wohnung. Tagsüber sitze ich und abends sitze ich. Gestern hatte ich vom vielen Sitzen Nackenschmerzen. Deswegen machte ich einen Spaziergang zu Lidl, das ist nur ein paar Gehminuten entfernt, aber ich nahm einen großen Umweg durch das dunkle Hamburg und lief dabei mit gestrecktem Hals, so wie ich das in den Nackenübungsvideos gelernt habe. Es half tatsächlich ein bisschen.

Hamburg ist nach Sonnenuntergang echt dunkel. Aber das sagte ich bereits gestern. Die Straßenlampen sind vermutlich als Meilensteine gedacht und weniger als Beleuchtungsutensil. Jede Meile eine Laterne. Damit kann man gut Entfernungen messen.

Die Arbeitstage sind aber lang, deswegen stört es mich gar nicht. Ich will es nur erwähnen. Als ich heute das Büro verließ, ging ich vier Kilometer zu Budni. Immerhin beschwerte sich heute meine App nicht mehr, da ich die gestrichelte Linie von 6000 Schritten überschr– öhm, überschritt. Ich musste mir nur Socken und Unterhosen kaufen, aber vielleicht mache ich das jetzt jeden Abend. Spaziergang zu Budni. Das hat für mich etwas Nostalgisches. Budni gibt es in Berlin nicht. Jeden Abend einen Spaziergang zu Budni und die App beschwert sich nicht. Die Strecke ist schön, ein bisschen dunkel vielleicht, und ich kann dabei Podcasts hören. „Mehrere Fliegen auf einmal“, würde eine Redewendeschleuder sagen.

Bei Budni musste ich Unterhosen und Socken kaufen. Ich hatte lediglich drei Unterhosen und drei Paar Socken mit nach Hamburg genommen. Aber sechs T-Shirts und fünf Hemden. Eine seltsam inkonstistente Verteilung. Dabei weiß ich, wie routiniert ich sonst mein Gepäck plane. Ich zähle immer die Tage, während ich die Kleidungsstücke wie Scheiben in den Koffer slice. MoDiMiDoFrSaSo. Ging eigentlich nie schief. Liefert mir diese Anekdote eine Erkenntnis? Nein. Dient sie einer protokollarischen oder statistischen Auswertung? Nein. Ist sie lustig? Nein. Werde ich den Absatz löschen? Nein.

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VIOW

[Mo, 3.11.2025 – HH]

Jetzt also Part-time-Hamburger.

Ich kam gestern Abend in der Stadt an. Es war bereits dunkel. Als ich heute morgens in die Firma ging, war es gerade erst hell geworden und als ich die Firma am Abend wieder verließ, war es wieder dunkel. Ich ahne, dass Hamburg eine sehr dunkle Angelegenheit wird.

Nach Feierabend mietete ich mir einen E-Roller und fuhr 3km zu Mediamarkt, um mir einen Adapter für meine Tastatur zu besorgen. Die Kassiererin fragte mich nach meiner Postleitzahl. Ich sagte: „Oh, ich bin heute erst nach Hamburg gezogen. Ich weiß gar nicht, wie meine Postleitzahl lautet.“ Die Kassiererin war sichtlich erfreut darüber, dass ich in ihre Stadt gezogen war. „Wie schön!“ sagte sie. Die Postleitzahl sei ja gar nicht so wichtig. „Willkommen in Hamburg und hoffentlich haben Sie hier viel Spaß“, sagte sie und strahlte mich an.

Dann ging ich auch zu Kaufland, weil ich mir etwas zu essen besorgen musste. Die Gegend, in der sich die Firmenwohnung befindet, ist nicht sonderlich belebt. Die Wohnung hat eine kleine Gemeinschaftsküche. Die teile ich mir mit einem Inder, der heute auch den ersten Arbeitstag hatte. Wir unterhielten uns kurz im Hauseingang, fanden aber keinen Grund, uns näher kennenzulernen.

Hamburg ist so dunkel. Das hatte ich vergessen. Die Straßen in Hamburg sind nachts noch dunkler als in Berlin. Schon damals, als ich vor 23 Jahren von Madrid nach Hamburg zog, fiel mir vor allem die Dunkelheit in den Straßen auf. In Madrid sind die Straßen nachts gut ausgeleuchtet, die Nächte wirken freundlich. Hamburg empfand ich als leicht bedrohlich. Das Gefühl von damals war wieder da. Berlin ist nachts auch dunkel. Hamburg aber noch wesentlich mehr.

Icch muss mich nocch organisieren. Wann, wo und wie esse ich zu Abend? Wie mache ich das mit Frühstück? Auch muss ich mich mit den zwei Hausständen noch eingrooven. Die Tastatur, die ich mitgenommen habe, maccht aus jedem „c“ ein „cc“ oder haut sie irgendwo rein, wo sie nicht passen. Für die letzten Sätze habe ich den Fehler mal drin gelassen, damit man sieht, wie besccheuert sich die Tastatur verhält. Hätte ich doch meine geliebte Royal Kludge aus Berlin mitgenommen. Zur Sicherheit hatte ich noch eine weitere Notfalltastatur eingesteckt, falls ich auf dieser PureWriter nicht tippen mag. Ich war nur zu faul, sie auszupacken, das werde ich aber noch tun, da mich dieser Bug mit den cc’s total nervt. Aber die Notfalltastatur war wirklich nur ein Notfall und ist die Ersatztastatur einer Ersatztastatur einer Ersatztastatur.

Stolz bin ich hingegen darauf, dass ich an eine zweite Waage gedacht habe. Um mein Gewicht weiterhin zu protokollieren, bestellte ich einfach wieder meine alte Waage. Jetzt habe ich zwei identische Waagen. Eine für jede Stadt. Dummerweise zeigt die neue Waage 400g weniger an als die alte. Ich wusste, dass Personenwaagen eigentlich keine richtigen Waagen sind. Diesen großen Unterschied zwischen zwei identischen Modellen hätte ich allerdings nicht erwartet.

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[Sa, 1.11.2025 – Jesus]

Mit Menschen, die in Ostdeutschland groß geworden sind, kann man nicht über Jesus reden. Sage ich jetzt mal so. Dabei bin ich selbst Atheist. Das funktionierte schon gestern Abend nicht und auch nicht heute mit jeweils zwei unterschiedlichen Personen. Während ich die ganze Zeit versuchte, auf die historische Person Jesus und seine Bewegung einzugehen, sahen meine beiden Gesprächspartnerinnen immer nur: Priester, Kinderschänder, Machtausübung, Reichtum. Das ist natürlich auch eine Realität, hat aber nur wenig mit diesem Wanderprediger aus Galiläa zu tun, der den Armen half und sagte, man solle seinen Nächsten wie sich selber lieben.

„Ja, aber –“

Das waren unfassbar anstrengende Gespräche. Dabei war es mir wichtig, zu verstehen, wie soziale Bewegungen größer und bedeutender werden und irgendwann zu einer Macht werden und ab wann sie korrumpierbar werden und wann sie dann von irgendetwas Neuem ersetzt werden. Nun wurde unsere monotheistische Religion in Europa nie ersetzt, es gab jedoch Kriege wegen der Ausrichtung der Kirche. Ersetzt wurde das Christentum wiederum in vielen heutigen muslimischen Ländern. Mohammed war ja auch ein Rebell. Das ist mir alles wichtig zu verstehen. Wie die Dinge entstehen, wie sie kommen und gehen. Die Bedeutung der Kirche heute interessiert mich dabei weniger. Meine Gesprächspartner sahen aber immer nur: Priester, Kinderschänder, Machtausübung, Reichtum.

Allerdings kommt meine Dogwalkerin auch aus Ostdeutschland. Die ist hingegen Jesus-Fan geworden. Neulich hat sie einen „I love Jesus“-Sticker auf ihr Auto geklebt. Weil mich das überraschte, fragte ich nach. Sie sei nie gläubig gewesen, sagte sie, aber jetzt hatte sie sich ein wenig mit Jesus beschäftigt und festgestellt, dass das ein richtig cooler Typ war. Wie sie das sagte. Als säße Jesus bei Lagerfeuerpartys mit seinen Jüngern vorm Feuer und spielte auf seiner Gitarre. Aber ich verstand schon, was sie meinte. Auferstehung, Wunder, hin oder her, die Diskussion ist ja eh Käse und kann nicht rational geführt werden. Erstmal muss festgehalten werden, dass Jesus vor allem ein charismatischer Rädelsführer war, der sich für die Ausgestoßenen einsetzte und sich gegen die Konventionen stellte. Den Teil finde ich ungemein spannend. Hätte es damals die Wissenschaft schon gegeben, wäre er vielleicht Sozialpolitiker geworden.

Weil ich relativ wenige Details über die frühe Christensekte wusste, öffnete ich zuhause dutzende Tabs mit Jesusdokus. Nach ein paar Stunden war ich längst abgedriftet und bei der Bronzezeit im Jahr 1177 v Chr. gelandet, weil mich das Ende der Zivilisation in der Bronzezeit plötzlich mehr interessierte. Irgendwann war es spät und ich müde. Morgen ist mein letzter Tag in Berlin. Am Sonntagabend fahre ich nach Hamburg, quartiere mich erstmal in der Firmenwohnung ein und beginne einen neuen Abschnitt.

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