und jetzt der Weltfrieden

Ich verlasse das Büro um zweiundzwanzig Uhr irgendwas und schreite durch das eiskalte nächtliche Barmbek auf den Weg zur Ubahn.
Robert, Exil-Hamburger in Bayreuth hatte mir im halbstündlichen Rhytmus den Spielstand durchgetickert. Pauli 1:0 Bremen. Pauli 1:1 Bremen. Pauli 2:1 Bremen. Ich bin alles andere als ein Fussballfan, aber in meiner Brust wird es immer ein bisschen wohlig warm wenn ich mich in der Gewissheit wiege, dass es dem FC St.Pauli gut geht. Und wenn ich dann lese, dass dieser lausige und ewigpleite Drittligist zwei Tore gegen den grossen und mächtigen Werder Bremen schiesst, dann klingt das zwar wie ein schlechter Witz, aber da kann ich in aller Stille aus Freude eine Träne vergiessen. Und das heutige Spiel ist ja nicht Nix, immerhin Viertelfinale für irgendeinen ganz wichtigen Pokal. Aber eigentlich kümmert es mich nicht weiter.

Ich stampfe also durch den Schnee und dann höre ich Jubelschreie aus einer Wohnung irgendwo links oben. Ich stecke meinen Kragen noch höher und laufe weiter. Aus der Ferne, rechts, irgendwo jubelnde Männer. Und Klatschen. Etwas später ein überfülltes Auto das den Bolero hupt. Oder war es Heinos Haselnuss?

In der Ubahn ist es angenehm warm, ich ziehe mein Buch hervor und lese, jedoch werde ich ab der nächsten Haltestelle von zwei männlichen Zugestiegenen abgelenkt. Getuschel: Pauliboah … Bei jeder Haltestelle wird die Ubahn voller und das Getuschel lauter. …Pauli… hinter mir …Pauli… vor mir.
Später steigen zwei Fussballkenner ein und unterhalten sich wie Fussballkenner sich eben unterhalten müssen. Und von denen erfahre ich es: St.Pauli hat Werder Bremen mit 3:1 besiegt. Ich staune. Und muss ein bisschen lachen, bevor ich mich schnell zum Fenster drehe um mir eine kleine Freudenträne aus dem Auge zu wischen.
An der Hoheluftbrücke steigen zwei junge Studenten ein und setzen sich gegenüber mir. Sie sabbern schon vor lauter Partylaune. Der eine zückt das Mobiltelefon: Wir fahren aufn Kiez … ja 3:1 … gut, in einer halben Stunde vorm Mojo. Strahlende Gesichter. Haltestelle Schlump, die Türen gehen auf und ich höre aus entfernten Ubahngängen: Saanggg Paaaaaaauiiiiii, saaaaaang paaaaaaauiiiiii.

Sternschanze muss ich dann aussteigen. Mit mir wartet ein älterer Herr -Typ Lehrer in Rente- an der Tür. Kurz bevor wir in den Bahnhof einfahren schaut er mich an, fängt an zu strahlen und sagt leise und ein wenig schüchtern: “drei zu eins!”.

Ich lächle. Er lächelt.

Vielleicht kommt mit der Welt doch alles gut.

UPDATE: Auch von der Rückseite der Reeperbahn gibt es einen Bericht. [via Emma]

Neujahrslesung – die Audioversion

Eigentlich wartete ich darauf, dass Tonmeister DonAlphonso den gesamten Audiodump der Neujahrslesung in sein Weblog klatschen würde. Ich hätte das dann verlinkt und jeder könnte sich seine Favoriten anhören. Stattdessen beschloss er die Audiodateien aufzuteilen und vereinzelt zu schicken. Er hat gute Argumente, glaubt es mir, deshalb gibt es hier bei mir lediglich die Aufzeichnung meines eigenen Textes. Und weiter kann ich nur hoffen, nein, ich will BITTEN, dass die anderen Mitkämpfer das selbe tun. Ich möchte mir den ganzen Abend nämlich liebend gerne noch einmal in aller Ruhe, ohne Herzrasen und Alkohol im Blut anhören.

Die Sorgen eines Mannes – [mp3, 4.3MB – 10min 34sek]

Es ist schon ein wenig peinlich sich das anzuhören. Die Nerven zittern in der Stimme mit, ich habe mich in einem Stück durch versprochen, verhaspelt, ja sogar die Rechtschreibefehler habe ich mitgelesen und natürlich alles viel zu hastig. Aber es ist meine Dokumentationspflicht.

Ahnengalerie – mütterlicherseits (eine Chronik)

(Weil die Kaltmamsell wieder Familiengeschichte erzählt, fiel mir ein, dass ja noch immer die Fortsetzung meiner Ahnengalerie aussteht. Der zweite Teil behandelt die Familie meiner Mutter.)

Der Unterkapiller Hof ist ein altes Bauernhaus in den Bergen nördlich von Bozen, auf einem steilen Hang oberhalb eines Dorfes. Das Dorf zählt 640 Einwohner und liegt auf 1100 Metern Meereshöhe. Weil es so schwer zu erreichen ist, baute man in 1905 eine Güterdrahtbahn und später in 1955 eine Personenseilbahn. Es gab natürlich auch ein Landweg, der war aufgrund der Steilheit aber nur für Fussgänger geeignet. Der Fussweg wurde mit dem Aufkommen von Autos verbreitet, bekam Ende der siebziger Jahre eine Lage Asphalt. Ich kann mich erinnern, wie wir in meiner Kindheit diese Asphaltpiste hinauffuhren. Es war immer Thema, dass die Strasse so schlecht sein. Bei Regen, bei Schnee, immer. Ein paar Mal kamen wir mit dem Auto nicht weiter, weil die Räder durchschleiften. Es gab auch Tage, an denen die Strasse gesperrt war.

Zwischen 1985 und 1990 wurde dann die sogenannte Panorama-Strasse gebaut. Die Panorama-Strasse war eine ganz gewöhnliche Bergstrasse, aber eben mit richtigen Kurven, statt der vorigen sich steil nach oben schlängelnden Asphaltlage.

Mein Grossvater war der Unterkapiller Bauer. Ein schwarzhaariger Kerl mit ernsten, tiefgelegenen schwarzen Augen. Ich kannte ihn eigentlich nur noch als alten, kranken und immer schlechtgelaunten Mann, der seinen Mund nur öffnete wenn man etwas für ihn erledigen sollte. Wenn er nicht anwesend war und man irgendwas angestellt hatte, dann wurde immer aufgeregt getuschelt “Ja bist du denn verrückt, wenn das der Opa sieht!” oder “Lass das ja den Opa nicht wissen”. Ein Mann vor dem sich alle fürchteten.
Er war der zweitälteste Sprössling seiner Familie. Die älteste war seine Schwester Mathilde. Der Unterkapiller Hof wurde von seinem Vater erbaut. Es ist heute ein bisschen schwierig nachzuvollziehen wie es genau um die Erbschaft des Hofes bestellt war. Normalerweise muss die älteste Tochter wegheiraten und bekommt der älteste Sohn den Hof. Aus einem Grund, den ich leider nicht recherchieren konnte, sollte Mathilde den Bauernhof erben und der Alois, wie auch die anderen Söhne, sich mit kleineren Anteilen der Ländereien abfinden. Es kam dann zu einem bitteren Streit woraus Mathilde als Verliererin hervorging und von einem Tag auf den anderen nach Schenna bei Meran zog, wo sie eine Stelle als Kindermädchen anging. Dies geschah irgendwann in den zwanziger oder dreissiger Jahren. Seitdem hat Mathilde nie wieder einen Fuss ins Dorf gesetzt. Erst ihre Töchter suchten in den achtziger Jahren (als diese selbst schon ältere Frauen waren) Kontakt zur alten Familie in den Bergen.

Der Unterkapiller Alois heiratete meine Grossmutter Maria, die selbst zwei geerbte Wiesen mit in die Ehe brachte. Sie gebar ihm nicht viele Kinder. Lediglich vier. Alles Mädchen. Eine Enttäuschung für einen Patriarchen. Maria war eine pragmatische Frau mit einem sehr grossen Herzen und diente vor allem als beruhigender Gegenpol gegenüber dem Vater. Es gab im Hause Unterkapill niemals offenen Streit zwischen Vater und Mutter. Auch wenn die Mutter nie ein böses Wort fallen liess wenn der Vater ausrastete, so hatte der Mann grossen Respekt vor dieser Frau. Wenn sich die Töchter nämlich im Schutze der Mutter aufhielten, da waren sie auch sicher vor ihm. So ist es überliefert.

Mein Grossvater war kein gerngesehener Mann. Zwar verweilte er gerne im Wirtshaus, hatte sogar ein überraschendes Talent die Zieharmonika zu bespielen, jedoch war er von Natur aus einer der gerne stritt und grobe Mittel anwendete um an Ländereien zu kommen. Von meinem Grossvater sagt man er habe nur einen einzigen Freund gehabt und selbst diesen habe er abgrundtief gehasst. Dieser Freund war ein anderer Bauer dem ein ähnlichen Ruf vorauseilte wie ihm selber.

Die beiden ältesten Schwestern Liesl und Rosl waren Zwillinge. Ein ungleiches Paar. Liesl war stark, klug und von gutmütiger Natur. Rosl hingegen war immer etwas kränklich, etwas einfältig und ein ziemlich launischer und jähzorniger Charakter. Liesl und Rosl wurden faktisch harten Arbeit auf dem Hof erzogen. Beide sind sie bis ins Alter ledig geblieben. Meine Mutter erzählte zwar, dass sie beide mehrmals kleinere Geschichten mit Männern hatten, die jedoch vom Grossvater unterbunden wurden. Später machte im Dorf das Wort die Runde man solle sich von den Unterkapiller Mädchen fern halten, weil man sich da nur Scherereien einbrockte.

Auf dem Hof wohnte auch Tota, eine jüngere Schwester meines Grossvaters. Inwiefern sie sich mit meinem Grossvater verstand ist mir nicht ganz klar, da ich sie als sehr liebenswürdige Frau in Erinnerung habe. Auch Tota blieb ledig, was vielleicht erklärt warum sie auf dem Hof mit dem Alois wohnen blieb.
In den dreissigern oder vierzigern hatte sich einmal eine junge Magd aus dem Pustertal ins Dorf verirrt. Diese tat einige Jahre lang ihren Dienst gegen Kost und Behausung auf verschiedenen Bauernhöfen und im Wirtshaus und landete schliesslich auch auf dem Unterkapiller Hof. In der Zeit auf Unterkapill wurde sie schwanger. Man weiss nicht von wem, oder jedenfalls will das niemand wissen. Diese junge, ledige und mittellose Frau war überfordert und war im Stich gelassen und hatte neben der Auswegslosigkeit in ihrem Leben wahrscheinlich auch das, was man heute eine postnatale Depression nennt. In den ersten Tagen nach der Geburt wollte sie das Kind vom Balkon schmeissen. Man begann das Kind vor ihrer Mutter in Schutz zu nehmen, bis Tota sich dazu entschloss, das Kleinkind aufzuziehen.
Das Kleinkind hiess Vrona und wuchs zusammen mit meinen Tanten auf Unterkapill auf. Die junge Magd verliess das Dorf, einige Jahrzehnte später fand sie aber wieder den Kontant zu ihrer Tochter Vrona.

Danach kam Marianne zur Welt. Erst eine grossen Enttäuschung für meinen Grossvater, weil es wieder ein Mädchen war, aber auf irgendeiner Weise schaffte es Marianne sich ins das ohnehin schon kleine Herz ihres Vaters einzuschleichen.

Wenn mein Grossvater schon ein Herz von der Grösse einer getrockneter Knoblauchzehe hatte, so trug Marianne ein grosses schwarzes Loch in ihrer Brust das das Blut durch ihren Körper pumpte. Marianne war das Mädchen das von der Arbeit verschont blieb und in die Stadt geschickt wurde. Sie sollte Kindermädchen werden. Wenn Marianne von der Stadt nach Hause kam, war sie die grosse Lady, die sich bedienen liess, die ihre Wäsche mitbrachte, die dann Liesl und Rosl waschen durften und wenn man sich gegen ihre Aufträge wehrte, bekam man es mit dem Vater zu tun, der nach der Überlieferung auch gerne Stöcke einsetzte wenn es darum ging seinen Willen durchzusetzen. In den allermeisten Fällen reichte verständlicherweise ein zurechtweisendes Wort.
Mit Marianne hatte ich in meiner Kindheit viel zu tun. Sie war eine schöne, grosse, immer edel gekleidete Frau mit schwarzen Augen. Ich kann mich als Kind an viele Szenen erinnern in denen in der Küche Streit um Rosl ausbrach. Weil Rosl irgendwas verbockt hatte, weil sie halt ein wenig dumm war, wobei Marianne und ihr Bozner Ehemann Toni (Bäckergeselle, Lederjacke, Schlägertyp) mit Fäusten auf Rosl einschlugen. Gebrochene Nase, Prellungen, Veilchenaugen.
Marianne brauchte Platz da oben auf Unterkapill. Ihr Leben als Putzfrau in Bozen, in Ehe mit einem faulen und etwas dumpfbäckigen Bäckergesellen war nicht gerade ein Leben nach ihren Vorstellungen. Später werden wir erfahren, dass es ihr hauptsächlich darum ging als Alleinerbin des Bauernhofes dazustehen.

Als letzte wurde meine Mutter geboren. Wieder ein Mädchen. Der Erzählung meiner Tanten nach (Liesl und Rosl) sei mein Grossvater darüber derart böse geworden, dass er bei der Nachrichtenverkündung auf Anwesende eingeprügelt und das weibliche Geschlecht mit Flüchen belegt habe.
Meine Mutter war als Kind lange und viel krank, war ein Nesthäkchen, musste viel umsorgt werden und war immer der Mutter und Liesls kleiner Liebling. Es gab diese beiden Pole: Grossmutter, Liesl und meine Mutter, und auf der anderen Seite Grossvater, Rosl und Marianne. Tota und Vrona zogen in den siebziger Jahren in eine geerbte, stillgelegte Mühle unten am Dorfeingang.

Mitte der sechziger Jahre geschah ein kleiner Zwischenfall der das Leben meiner Grossmutter für immer verändern sollte. Während alle draussen auf der Wiese arbeiteten, war sie als einzige im Heustadel damit beschäftigt, Platz zu schaffen für das Heu das am Abend nachkommen sollte. Durch eine kleine Unachtsamkeit fiel sie durch eine Luke vom oberen Geschoss in das Untere, ein kleiner Fall nur und wenn man im Stadel stürzt, landet man in der Regel weich auf Heu. Diesmal aber nicht. Sie konnte nicht mehr aufstehen. Dort blieb sie mehrere Stunden liegen und rief immer wieder laut um Hilfe. Hilfe kam aber erst als die anderen vom Feld nach Hause kamen. Die Männer, die beim Heueinzug halfen, hievten meine Oma erstmal auf eine Bank und versuchten sie zum Sitzen zu bringen. Kurz vor ihrem Tod hat sie mir mal gesagt, dass sie bei diesem ersten Sitzversuch einen Knacks im Rücken spürte und dass das wohl der fatale Moment gewesen sei, der sie für den Rest des Leben an den Rollstuhl fesselte.
Es dauerte ganze zwei Tage bis die Rettungssanitäter aus der Stadt mit der Seilbahn nach oben kamen um sich ein Bild des Zustandes meiner Grossmutter machen zu können. Sie fühlte ihre Beine nicht und in dem Moment war wohl klar, dass sie ins Krankenhaus musste.

Liesl und Rosl waren für mich immer zwei Riesinnen. Grosse und starke Frauen mit den Pranken eines Bären. Als Grossvater krank wurde und die schwere Arbeit auf den Wisen nicht mehr erledigen konnte, arbeiteten Liesl und Rosl alleine. Und zwar mit den Händen. Grossvater war ein Mann der alten Schule. Als Automobile und Traktoren in den Bergen ihren Einzug hielten, versperrte er sich dagegen. Selbst als er der körperlichen Arbeit nicht mehr gewachsen war und die beiden Zwillinge die Anschaffung eines Traktors überlegten, wurde dies einfach verboten. Die Wiesen mussten weiterhin mit der Hand gemäht und die Heuballen mit den Pferden in den Stadel transportiert werden.

Liesl war eine grosse, starke und kluge Frau. Liesl las gerne Bücher und zeichnete. Ausserdem unterhielt sie lange Jahre eine Brieffreundschaft mit ihrer ehemaligen Deutschlehrerin, die ins ferne Innsbruck gezogen war. Sie war es auch, die meiner Mutter das Lesen schmackhaft machte. Jedoch war ihr das Leben einer geistig gebildeten Frau nicht gegönnt. Erstens fehlte ihr die formelle Bildung, und zweitens ruhte auf ihr die gesamte Last des Unterkapiller Baurnhofes, nachdem der Vater die schwere Arbeit nicht mehr erledigen konnte. Sie wurde dann die eigentliche Unterkapiller Bäuerin.
Die Männer machten ihr schon lange nicht mehr den Hof. Früher stellte sich ihr Vater dazwischen, und mit voranschreitender Zeit war sie den Männern vermutlich einfach in allen Belangen überlegen. Kein guter Mix, sich einen Bauern zu angeln. Sage ich jetzt mal so. Und andere Männer gab es nicht. Und wenn sie ihre seltenen Besuche in die Stadt unternahm, war sie mit ihren grossen Pranken, ihrem sonnengegerbten Gesicht das aussah wie Leder und ihrem äusserst grobknöchigen Gang vielleicht nicht das, was man in der Stadt eine begehrenswerte Frau bezeichnen würde. Zumindest damals.

Liesl war die einzige die es fertig brachte Marianne zum Schweigen zu bringen. Grossmutter hatte das nie geschafft. Grossvater wollte das erst nie, und als er viele Jahre später irgendwann merkte, dass Marianne dringend eine richtige Tracht Prügel verdiente, hatte er seine Autorität längst verloren.
Liesl griff ein wenn Rosl verprügelt wurde, Liesl sprach Machtworte und gab Marianne mehrmals zu verstehen, vom Hof zu verschwinden.

Eines Tages, mitte der achtziger Jahre bekam Liesl hohes Fieber. Das Fieber ging nicht mehr weg. Als sie dann aufhörte zu essen und dramatisch abmagerte schickte man sie ins Krankenhaus. Milzkrebs. Zwei Monate später war sie tot.

Der Bauernhof wurde unrentabel und wurde deshalb geschlossen. Als Geschlossen bezeichnet man einen Hof, wenn er kein wirtschaftlicher Betrieb mehr ist, sondern lediglich der Selbstversorgung dient. Steuerrechtliche Gründe. Man beschränkte den Betrieb auf zwei Kühe für die Milch, ein oder zwei Schweine für den halbjährlichen Speck und Hennen für Eier und gelegentliche Hühnersuppe.
Rosl, die sich ohnehin schon nur mehr der Pflege der Eltern widmete, konnte nach Liesls Tod den Hof nicht mehr alleine bearbeiten.

Ab jenem Tag hatte Marianne zwei freie Hände. Oder Ellbogen. Oder Fäuste. Aus dieser Zeit stammen die meisten Momente bei denen wir Kinder aus dem Haus auf die Wiesen zum Spielen geschickt wurden, weil es wildes Geschrei und lautes Gepolter in der Küche gab. Schon nach wenigen Jahren fingen auch Mariannes Söhne an (beide etwas jünger als ich), sich beim Bearbeiten von Rosl zu beteiligen. Weil darum ging es immer. Rosl würde spinnen, gehöre ins Irrenhaus, hätte dies und jenes zu verschulden und würde sich dauernd gegen Marianne auflehnen. Mein Vater, meine Mutter und Grossmutter nahmen Rosl in Schutz, oder versuchten wenigsten das allerschlimmste zu verhindern. Gegen Marianne, Toni und die beiden Söhne kam man nicht so einfach an. Grossvater sass in der Ecke und schwieg. Mich erschraken diese Gewaltkonflikte immer sehr und fühlte mich bei solchen Szenen viel zu unmündig um einzugreifen. Stattdessen sass ich mit meine beiden kleinen Schwestern draussen am Bach.

Grossvater wurde immer kränker. Einmal sagte er beim Essen in die Runde, Marianne würde uns noch einmal alle erschlagen wenn sie ihren Willen nicht bekäme. Ein Jahr später, 1995, starb er. Der Bauernhof gehörte nun Grossmutter.

Es folgten dann drei oder vier ruhige Jahre. Marianne liess sich oben auf dem Berg kaum noch blicken. Grossmutter kam öfter ins Krankenhaus und immer wieder hiess es sie würde es nicht mehr lange schaffen. Sie hatte groben Gedächtnisverlust, und war recht oft nicht mehr bei Sinnen.
Wenige Monate vor Grossmutters Tod, tauchte Marianne wieder auf und machte sich wieder auf dem Unterkapiller Hof breit. Rosl lebte wegen Grossmutters langen Krankenhausaufenthalten meist alleine auf dem Hof.
Mindestens einmal pro Woche die selbe Szenerie: Marianne erschien auf Unterkapill in Begleitung ihrer Söhne oder ihres Mannes, provozierte Rosl, dann klingelte bei meiner Mutter das Telefon, heulende Rosl am Apparat und meine Mutter musste einschreiten. Einschreiten hiess eine ganze Stunde Berg hinunter- und Berg hinauffahren.
Irgendwann schaffte es Marianne Rosl zu provozieren und die Carabinieri herbei zurufen wonach Rosl in eine geschlossene psychiatrische Anstalt eingewiesen wurde. Sie galt als gemeingefährlich, aggressiv und musste mit Pillen therapiert werden.
Kurz darauf wurde von Marianne ein Testament von Grossvater vorgelegt in dem stand, dass er ihr den gesamten Unterkapiller Hof vermacht hatte.
Meine Mutter konnte noch rechtzeitig meine Grossmutter davon überzeugen, sie solle ihre gesamten Ersparnisse auf Rosls Konto überweisen. Einige Tage später starb sie.

Epilog:
Marianne übernahm daraufhin den Unterkapiller Hof. Meine Mutter kaufte mit Grossmutters Geld eine kleine Wohnung für Rosl unten im Dorf. Als sie aus der Psychiatrie entlassen wurde, durfte sie Unterkapill nicht mehr betreten.

(Photos in den Kommentaren)

13:05 im Büro

13:05 im Büro.
“Mek du bist schon wieder zu spät”
“Ja stimmt, aber ich habe heute eine Super Ausrede. Wollt ihr sie hören?”
“Nein.”

Schade eigentlich, weil nach “verschlafen”, “platten Reifen” und “U-Bahnprobleme”, ist das heutige: “Ich habe wegen der Kälte 5 Minuten gebraucht das Schloss aufzukriegen”, wirklich eine tolle Entschuldigung. Mal was anderes eben.

(Abgelegt unter “Lorem Ipsum”)

Marketingmaschine Mamma

In dem kleinen Dolomitendorf aus dem in entstamme, bin ich vermutlich gerade dabei berühmt zu werden. Nun ist dies in einem Dorf mit ein paar hundert Seelen keine besondere Leistung, immerhin habe ich es in meiner Jugend geschafft in kürzester Zeit berüchtigt zu werden, und schliesslich wird dort jeder Bauer berühmt, der es hinbekommt eine suizidfreie Familie zu halten – aber dass aus jenem Dorf ein Schreiberling entspriessen würde, damit war nun wirklich nicht zu rechnen gewesen.
Ich bin natürlich kein nennenswerter Schriftsteller, auch wenn ich mittlerweile schon ganze sechs Finger zum Tippen benutze, seit meine Mutter jedoch von der Lesung, letzte Woche in Berlin, Wind bekommen hat, ist alles anders geworden. Die ganze Welt ausserhalb der Berge. Für meine Mutter jedenfalls.
Marketingmaschine Mamma kam ins Rollen. Eine Wucht von einer Walze. Glückwünsche von dem Nachbarn und von dem anderen Nachbarn, Glückwünsche von der Tochter des Wieser-Bauern, Glückwünsche von der Rosa aus dem Wirtshaus und sogar dem Herrn Lehrer schien die Mundklappe nicht mehr schliessen zu wollen. Der sagte ja schon immer, dass die Schuld an meiner ganzen Misere, bloss die grünen Haare gewesen seien.

Frau Mutter hatte nur ein wenig Schwierigkeiten wenn es zur Terminologie kam. Telefonisch teilte sie mir mit, dass sie ja nicht immer nur vom Schreiben reden konnte, weil Schreiben konnte ja jeder, ob nun die Rechnungen beim Metzger geschrieben wurden oder die versoffenen Laggl im Wirthaus die Punkte beim Kartenspielen auf den Zettel schrieben. Schreiben, ja, ach das kann jeder, aber wie nannte man das nochmal das was ich machte?
Ich beruhigte sie, Mamma, das ist alles nicht so wichtig, ich schreibe bloss ein bisschen und einigen Leuten gefällt das. Heute mit dem Internet geht das alles ganz einfach.
“Ja, aber du hast doch in Berliiiiien gelesen!”
Sie bohrte weiter und wollte wissen wie sich das nennt. Ich hatte einmal ganz beiläufig das Wort “bloggen” erwähnt und ich wusste, dass das das Wort war das sie suchte. Um meinen Frieden zu bekommen hätte ich ganz einfach dieses Wort nennen können, jedoch wusste ich ohnehin schon, dass sie es abstreiten würde, dieses Wort jemals aus meinem Mund gehört zu haben. Das Wort das sie suchte musste nach grosser, weiter Welt und Klugheit klingen. Weil “bloggen”, das klang wie Pommes Frites mit Ketchup oder Majo.
Ich dachte noch kurz daran mir einen kleinen Scherz zu erlauben und sagen ich sei Online-Publizist. Bei diesem Wort zog es jedoch ganz übel an meinem hintersten Backenzahn und ich musste den Term augenblicklich aus meinem Kopf verbannen. Das tat weh.
“Ach Mamma, du übertreibst, das ist nichts besonderes, ich übe mich halt ein bisschen in Gedichten und Literatur und-”
“Literatuuuuuuur!” hörte ich dann im Hörer, gefolgt von einem tiefen Aufatmen.

Und schon war das Stichwort gefallen das die nächsten Wochen durch mein heimatliches Dorf geistern wird.

Klösse im Hals

Ich habe ja diese Schwäche für Liebesfilme. Gestern lief der zweite Teil von Auberge Espagnol im Kino bei mir in der Strasse und jetzt habe ich Liebeskummer. Bestimmt hat es Kelly Reilly gar nicht schlecht mit mir gemeint, aber ihre Liebeserklärung hat mich völlig fertig gemacht.
Dieser wunderbar stimmige Monolog dieser traurigen, nicht besonders schönen, aber irgendwie herzerweichenden jungen Frau am Bahnhof in St.Petersburg.
Wie sie ihrem neuen Geliebten die Liebe bekundet, wie sie ihm verzweifelnd vor Glück sagt, welch ein Segen er für sie sei. Obwohl sie im Geheimen weiss, dass er sie am anderen Ende der Reise betrügen wird.
Wie sie ihm ihr ganzes Herz vor die Füsse schmeisst, aufreisst und in kleinen Stücken darbietet, und vielleicht hofft, dass er noch aus dem Zug steigt bevor sich die Türen schliessen.
Diese Tränen die nicht wissen ob sie aus Freude oder aus Verzweiflung kullern. Wie sich dann die Türen schliessen, sie ihm die Freudestränen hinterherwinkt und sich selbst nur noch an der Verzweiflung festzuhalten weiss.
Diese Aufnahme von ihr, den Bahnsteig zurücklaufend, jeder Schritt ein kraftloserer als der nächste, weil das Herz, das hat sie ihm gerade mitgegeben, auf seine Reise in sein eigenes Glück.
Richtig weh tat das.

Jetzt verprassen die beiden wahrscheinlich gerade ihre Gage für den Film, und ich – ich habe seit gestern schweren Liebeskummer.

Ich würde ja gerne etwas schreiben,

aber(#) (nichts für zarte Gemüter)

(Achwas, so schlimm ist es um mich nicht bestellt, aber mein Berliner Männerschnupfen ist seit gestern mutiert, zu einem zeitverzögerten Lampenfieber mit Trommelgewirbel, ergo Trommelfellentzündung [Dieses geniale Wortspiel habe ich gerade selbst erfunden, ich schwöre es])