[So, 26.11.2023 – warten ohne Telefon]

Heute früh machte ich einen fast zweistündigen Spaziergang mit einer Frau aus dem Park. Wir kennen uns schon seit einem Jahr, unsere Hundinnen mögen sich und auch wir verstehen uns prima. Kennengelernt hatten wir uns im Winter. Mit dicken Jacken und Mützen. Als es im April einmal plötzlich warm wurde und sie keine Mütze und keine dicke Jacke trug, kam sie auf mich zu und ich erkannte sie nicht.
Im Sommer sassen meine Frau, meine Hündin und ich einmal auf einer schattigen Bank an der Frankfurter Allee und liessen unsere Augen flanieren. Dann kam sie mit ihrer Hündin über die Strasse auf uns zu und wir plauderten ein wenig. Sie trug ein kurzes Tshirt und man sah, dass sie richtig muskulös ist. Das beeindruckte uns und seitdem nennen wir sie die blonde Frau mit den Muskeln. Mittlerweile kenne ich auch ihren richtigen Namen. Von den Muskeln bin ich dennoch beeindruckt.
Heute fehlte ihr Bargeld an der Bäckerei und ich traf sie, als sie auf dem Weg nach Hause war um Bargeld zu holen. Ich habe seltenst Bargeld dabei, daher bot ich ihr an, mit meinem Telefon zu bezahlen, also gingen wir die paar Schritte zurück zum Bäcker. Sie nahm mein Telefon mit rein zur Kasse und ich passte draussen auf die Hunde auf.
Warten ohne Telefon. Früher mussten wir das ja ständig machen. Es ist eine Probe mit der Geduld.

Danach spazierten wir sehr lange.

[Sa, 25.11.2023 – Grüne und Sozialdemokraten, Orange Day]

Am frühen Nachmittag kam meine Frau zurück. Ich holte sie vom Hauptbahnhof ab und liess dabei die Hündin zuhause um 30 Minuten lang Erwachsenenzeit zu haben. Mittlerweile kann ich schlecht nachvollziehen, warum Menschen Kinder erzeugen. Wenn mein Hund schon so viele emotionale Ressourcen von mir abgreift, würde ich mit Kindern meine Frau gar nicht mehr richtig wahrnehmen.

Nungut.

In den Niederlanden sind die Sozialdemokraten und die Grünen übrigens fusioniert. Das ergibt auf den ersten und auch den zweiten Blick durchaus Sinn. Ich fand es immer schon merkwürdig, dass eine Partei sich dem Umweltschutz verschreibt. Natürlich verfolgen die Grünen mehr als nur Schutz der Ökologie, aber die anderen Felder überschneiden sich schon in weiten Teilen den Werten der Sozialdemokratie. Nur halt mit einem etwas jünger wirkenden Elan und weniger Anzugskultur. Ich bin gespannt, ob das hier auch irgendwann geschehen wird. Zur Zeit scheinen sich die Parteien in Deutschland aber eher zu zersplittern.

Übrigens. Zum heutigen “Orange Day”, also dem Tag an dem es über Gewalt gegen Frauen gehen soll: Red Flags erkennen und Hilfe finden. Ich fand das einen guten Text.
Und all den Rechten da draussen möchte ich noch mitgeben, dass Gewalt gegen Frauen (und auch Kindern) meistens in den eigenen vier Wänden geschieht, und eben nicht unbedingt durch Horden von vermeintlichen Barbaren aus dem Süden, die in unser Land einfallen.

[Fr, 24.11.2023 – der traurige Clown, Barbaren]

An der Ampel gibt es diesen traurigen Clown. Meine Hündin mag den überhaupt nicht. Das ist an der Ampel, wenn man aus der Karl Marx Allee kurz vorm Alex links in die Otto-Braun-Strasse einbiegt. Dort steht man manchmal zwei Ampelphasen lang. Das hat sich dieser traurige Clown zunutze gemacht und läuft während den Rotphasen mit Melone, Gehstock und einem Charly-Chaplin-Walk zwischen den Autos. Er is weiss geschminkt, hat einen mit schwarzer Farbe traurig gemalten Mund und wenn er am Autofenster steht, nimmt er höflich seine Melone vom Kopf, in die man das übrige Kleingeld werfen soll. Ich habe notorisch niemals Bargeld dabei, ich zucke daher immer mit den Schultern.
Jedes Mal höre ich es auf dem Rücksitz knurren. Meine Hündin mag den überhaupt nicht.

Heute sitze ich wieder in einem längeren Call mit dem Geschäftsführer in Amsterdam und diesmal reden wir über die Wahl und Wilders. Der Geschäftsführer ist homosexuell und das ist natürlich das erste, das ihn persönlich tangiert und worauf er in den letzten Jahren ganz besonders geachtet hat. Wilders und seine Partei sind nie stark als homo- oder transphob aufgetreten, sie haben aber in den Abstimmungen immer gegen die Interessen der Community gewählt. Wilders’ Rhetorik ist hauptsächlich auf Migration und den Islam gerichtet, damit punktet es sich besser. Erschreckend ist auch, dass seine Partei in den grossen Städten erfolgreich war. In Rotterdam, in Den Haag, im Süden sowieso, aber auch in Dordrecht und Tilburg. Davon ausgenommen sind nur Amsterdam und Utrecht, sowie die nordischen Städte, also Groningen und Leeuwaarden und ein paar kleinere Städte in der Randstad, zB Leiden und Haarlem.

Migration, Migration, Migration. Die Angst vor den keulenschwingenden und rodenden Barbaren. Man hat der Angst so wenig entgegenzusetzen.

Abends kommen spontan zwei Freunde vorbei und wir schauen das Spiel gegen Hannover. Es ist ein gutes Spiel, aber am Ende geben wir eine 2:0 Führung aus der Hand und es endet 2:2. Es wird nichts mit dem Aufstieg. Aber das habe ich schon ein paarmal gesagt.

[Do, 23.11.2023 – Wilders, Cider]

Der Morgen begann mit Kaffee und dem Wahlsieg von Wilders in den Niederlanden. Wilders kam erst ins Bild nachdem ich aus den Niederlanden weggezogen war. In meinen letzten beiden niederländischen Jahren 2001/2002 gab es bereits eine ähnliche Figur namens Pim Fortuyn, ein charismatischer Islamhasser aus dem rechten Spektrum, der allerdings einen ungewöhnlichen Mix an Standpunkten vertrat. So stand er gegen die Monarchie, was in den Niederlanden eine ungewöhnliche Position war, und er setzte sich gegen die multikulturelle Gesellschaft ein, aber dafür warb er wiederum für eine offene Gesellschaft. Sicherlich auch, weil er selber schwul war. Ausserdem versprach er dem Volk, dass man nach der Wahl wieder Tierpelze tragen darf. Seiner Partei traute man für die Parlamentswahlen 20% bis 30% der Stimmen zu. Kurz vor den Wahlen wurde er allerdings von einem Tierrechtler auf einem Parkplatz erschossen.

In der darauffolgenden Nacht zog ein wütender Mob von Fortuyn-Untersützern durch Den Haag. In den besetzten Häusern rechnete man mit Angriffen. Ich wohnte damals bereits zur Miete, ich betrieb aber noch diese Internetwerkstatt in der besetzten Ubica am Utrechter Ganzenmarkt. Einige aus meinem Team zogen für die Nacht in die Werkstatt. Es blieb aber alles ruhig.

Heute hatte ich einen längeren Call mit den Amsterdamern. Ich wollte nach dem Befinden fragen, aber ich vergass das Thema. Mache ich morgen.

Am Abend traf ich mich mit Benny. Er kam zu mir ins Büro, weil er aus dem tiefen Westen kam und ich war heute mit dem Auto im Büro. Also fuhren wir gemeinsam mit dem Auto nach Friedrichshain. Danach spazierten wir mit der Hündin runter zum Boxhagener Platz, assen einen Schawarmateller beim Syrer und gingen danach ins Hops&Barleys. Wir wollen dort schon lange mit unseren Frauen hingehen um deren Cider zu trinken. Bennys Frau liebt Cider. Ich hatte über deren selbstgegärten Cider geschwärmt und so war vor einiger Zeit der Plan entstanden, ins Hop&Barleys zu gehen um Cider zu trinken.
Heute gingen wir dann ohne Frauen hin und tranken Bier. Nun.

[Mi, 22.11.2023 – in der Zahnarztpraxis, Hündin an andere Wohnung gewöhnen]

Zu Mittag hatte ich wieder einen Termin bei den Damen, die Herrpfeiferhihi sagen. Das sind die Damen in der Zahnarztpraxis. Heute stellte ich fest, dass ich da wirklich gerne hingehe. Sie sind immer sehr gut gelaunt und freundlich. Auch heute wieder. Ich war zu spät dran, weil ich getrödelt hatte. Deswegen rief ich 5 Minuten vor dem Termin an, dass ich mich um zehn Minuten verspäten würde. Die Dame am Telefon gab sich betont wohlwollend: aber Herr Pfeifer, das ist doch schön, jetzt wissen wir, dass sie zehn Minuten zu spät sind, dann ist doch alles gut.
Das sagte sie tatsächlich so.

Als ich ankam, eilte als erstes die Frau der Prophylaxe zu mir und sagte, es sei schön, dass ich wieder einmal da sei, dann liess sie mich für ein paar Minuten bei den anderen Wartenden Platz nehmen. Danach lief ich am Behandlungszimmer vorbei und die Ärztin schaute aus ihren Büchern auf und winkte mir zu. Und dann begegnete ich der Assistentin, die sagte: hallo Herrpfeiferhihi.

Die Frau der Prophylaxe nahm mich als erstes in die Mangel. Sie ist eine kleine, kugelige Frau mit einem altmodischen, aber an Amy Winehouse erinnernden Dutt. Ich erkundigte mich nach ihrem Sohn, der war ja Veganer geworden, sie sagte, sie hätte jetzt selbst Hafermilch probiert und sie meinte, das sei schon sehr lecker und sie kaufe gar keine Kuhmilch mehr, man könne ja schliesslich den Kühen keine Kälber wegnehmen und die mit Milchpulver füttern, das ist doch eigentlich pervers.

Als die Zahnärztin kam, musste ich es heute mal so sagen. “Ich muss das jetzt mal so sagen, Frau Doktor”. Sie hielt bereits die Werkzeuge in der Hand. “Bei Ihnen sind alle immer durchgehend freundlich und gut gelaunt. Ich finde das wirklich schön.”
Die Ärztin bedankte sich, die Assistentin wurde rot. Die Zahnärztin setzte natürlich trotzdem ihr Werkzeug in meinen Schädel. Das ist Teil des Deals.

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Am späten Nachmittag war ich mit der Nachbarin vom Nebenhaus verabredet. Wir wollten die Hündin mit der Wohnung vertraut machen. Damit ich sie ab und zu dort abgeben kann. Die Nachbarin hat immer wieder mal freie Monate, wo sie viel Zeit hat, einen Hund aufzunehmen. Ausserdem wünschen sich ihr Sohn und ihre Tochter einen eigenen Hund und so stellt meine Hündin einen guten, temporären Kompromiss dar.

Die Idee war es, wie damals mit Frau Casino, dass ich die Hündin bringe und dann für eine halbe Stunde weggehe. Das tat ich und es funktionierte einwandfrei. Sie ist so entspannt, das macht es einfach.

[Di, 21.11.2023 – Vulverina]

Kurz vorm Schlafengehen schaute ich auf die Wetterangaben. Berlin 1 Grad Plus. Longyearbyen 2 Grad Plus. Morgen wird es in Berlin die zwei Grad nicht überschreiten, in Longyearbyen drei Grad. Plusgrade.

Heute früh fuhr meine Frau wieder beruflich für ein paar Tage weg. Mit der läufigen Hündin ist das natürlich nicht besonders ideal. Ich kann wegen des Blutens nicht ins Büro und sie braucht mehr Zuwendung. Allerdings scheint die kritische Phase, also die Stehtag-Phase, bereits vorbei zu sein. Sie bellt interessierte Rüden, die an ihrer Vulva schnuppern, sofort weg.

Ich dachte bisher immer, dass Vulvas von Hunden Brosche heissen. Aber wenn ich das ergoogle, dann stimmt das offenbar nicht. Mir gefiel es immer, dass Menschen mit Broschen herumlaufen, dessen Namen der Einzigartigkeit von läufigen Hündinnen angelehnt ist. Es wird lange dauern, bis ich diesen Kontext innerlich nicht mehr herstelle.
Dafür nenne ich meine Hündin während der Läufigkeit Vulverina. Wegen Wolverine. Sie ähnelt Wolverine in gewissem Masse, vor allem im Gesicht. Und sie hat ständig ruhelose Phasen, rammelt zehn Minuten lang an ihrem Bettchen und gerät dabei völlig ausser Atem. Ihre Vulva ist in dieser Phase angeschwollen wie eine dicke Brosche. Und da haben wir die Brosche wieder. Ich glaube schon, dass sich das davon ableitet. Das fand ich einfach zu schön.

Auch führe ich ja wieder Protokoll über die Läufigkeit in einem Google Sheet, also dem online Excel von Google. Diesmal scheint alles schneller zu gehen. Wir sind jetzt bei Tag 18, sie begann bereits an Tag 16, interessierte Rüden wegzubellen. In der letzten Läufigkeit begann sie damit erst ab Tag 22. Aber das Protokoll war letztes Mal nicht sehr gut konzeptioniert. Zwischen Tag 10 und Tag 22 hielt ich sie letztes Mal nämlich strikt von anderen Rüden weg. Das mache ich diesmal nicht so. Diesmal teste ich eigentlich jeden Tag. Das macht einen Vergleich schwer. Allerdings habe ich jetzt bessere Daten für die nächste Läufigkeit. Falls wir sie diesmal nicht sterilisieren lassen. Aus Gründen der Datenerhebung liesse ich ihren Hormonhaushalt lieber intakt, mir macht das ja Spass. Andererseits sieht man auch wie das Tier unter den Hormonschüben keine gute Zeit hat. Mal sehen.

[So, 19.11.2023 – Weihnachtsfilme, Nationalschiessen]

Das wiederholte viele Essen setzt mir einigermassen zu. Schon auf dem Rückweg vom Alt-Wien hatte ich einen kugeligen Bauch. Wir liefen die knapp zweieinhalb Kilometer zu Fuss nach Hause, was immerhin meinen Verdauungstrakt in Bewegung brachte. Heute früh war ich aber wieder geschlaucht. Ich vertrage es wesentlich besser zu trinken als zu viel zu essen. Das könnte meinem Übergewicht ja durchaus zuträglich sein, tut es aber nicht, weil ich viel zwischendurch esse. Das steckt mein Körper gut weg.

Ich war also den ganzen Tag ziemlich müde. Aber das passte auch zum Tag, schliesslich liegt die Hündin immer noch in einer hormonell bedingten Trägheit den ganzen Tag herum, das Wetter ist auch kein Wetter, das notwendigerweise Aktivität hervorrufen will, also schauten wir ein paar Dinge im Fernsehen. Es beginnt ja wieder die Zeit der Weihnachtsfilme.

Oh, gestern war Nationalfussball im Olympiastadion. Deutschland gegen die Türkei. Es war wohl ein Fest des Nationalismuses. Wolfsgrüsse, Hitlergrüsse. Zum Glück kackt die deutsche Nationalmannschaft gerade ab, da verstummen immerhin die Rechten auf der deutschen Seite. Aber egal ob gewonnen oder verloren wird, irgendein Nationalnarrativ kann immer bedient werden.

[Fr/Sa, 17./18.11.2023 – im fliessenden Strom aus Blech, Mitgliederversammlung, Schnitzel]

Ich vergass zu erwähnen, dass meine Frau am Donnerstag auf Dienstreise fuhr und ich mit der läufigen Hündin alleine war. Das ist normalerweise kein so grosses Problem, ich würde einfach zuhause bleiben. Ich kann sie nämlich nicht gut ins Büro mitnehmen, da sie ja ständig blutet, was auf einem Teppichboden nicht sonderlich gut kommt. Am Donnerstag musste ich wegen der grossen Präsentation allerdings unbedingt ins Büro. Aufgrund des Bahnstreiks fürchtete ich mich allerdings vor der Fahrt in der Ubahn. Meine Hündin ist in der Ubahn zwar sehr entspannt, aber ich erwartete überfüllte Waggons in denen man mit einem Hund keinen Platz findet, weil alle einander auf den Füssen stehen.
Also nahm ich das Auto. Für die Strecke brauche ich üblicherweise 20 Minuten. Weil wegen des Streiks die halbe Welt auf das Auto umgestiegen zu sein schien, dauerte die kurze Fahrt etwas mehr als anderthalbe Stunden. Zwischen Straussberger Platz und Leipziger Strasse hing ich in einem fast drei Kilometer langen Organismus aus Blech fest. Ich weiss bis heute nicht, wie ich es schaffte, von der vierspurigen Karl-Marx-Allee links in die dreispurige Otto-Braun-Strasse abzubiegen. Ich war Teil eines trägen fliessenden Stroms aus Lava, Gehupe, genervten Menschen und Blech.

Am Abend beim Japaner durften wir aufgrund der Hündin nicht zu nahe an der offenen Küche sitzen. Die Hygienevorschrift. Aber sie wurde lieb behandelt, sie bekam Wasser und Liebe.

Am Freitag hatte ich einen anstrengenden Tag, aber immerhin im Homeoffice. Abends fand die Mitgliederversammlung meines Fanclubs im Fanhaus an der Cantianstrasse im Prenzlauer Berg statt. Weil die Mitgliederversammlungen immer so lange dauern, nahm ich das Tier natürlich mit. Das fand sie gut. Es gab im Fanhaus viel zu erkunden und sie spazierte durch die Reihen der Anwesenden, wo sie sich Streicheleinheiten abholte. Einem folgte sie aufs Klo. Das fand der aber nicht so lustig, weil sie sich offenbar am Pissoir zwischen seine Beine stellte. Pissoirs fand sie immer schon spannend. Diskretion ist aber nicht ihr Ding. Deshalb pfiff ich sie immer zu mir wenn jemand aufs Klo ging.

Heute kam meine Frau wieder. Wir machten einen langen Spaziergang im Kiez und setzten uns ins Backaro an der Proskauer Strasse, wo wir uns draussen auf den Stühlen bei spätherbstlichen Hochnebelwetter mit wärmenden Decken einen sommerlichen Aperol Spritz gönnten.

Um acht Uhr waren wir mit den Nachbarn von gegenüber und Freunden verabredet. Wir assen Schnitzel im Alt-Wien in der Hufelandstrasse. Auch Frau Wortschnittchen war dabei, die jetzt wieder aus Chile zurück nach Deutschland gezogen ist. Gefühlt war sie vor 10 Jahren verreist, aber offenbar waren sie nur sechs Jahre lang weg. Es war schön, sie wiederzusehen. Ausserdem hat sie einen vier Jahre alten Hund. Unsere Hunde hatten sich bereits kennengelernt als meine Frau und ich in der Arktis urlaubten, da Frau Casino und Frau Wortschnittchen gemeinsam spazieren gegangen waren. Aber heute hatten wir beide unsere Tiere zuhause gelassen. Auch das andere befreundete Paar hat sich einen Hund zugelegt, der im Dezember bei ihnen einziehen wird.

Deswegen redeten wir ständig über Hunde.

[Do, 16.11.2023 – Lampenfieber, Bezirzen, saure Reisspeisen]

Die Präsentation ging gut. Vor solchen Präsentationen kann man aufgrund von Nervosität wenig mit mir anfangen. Ich bin Bühnen nicht gewohnt und mag sie auch nicht unbedingt. Ich wäre ein schlechter Redner, ich hätte immer Lampenfieber. Früher, als ich noch öfter Lesungen gab, konnte ich vor Aufregung den ganzen Tag nichts essen. Lesungen fanden immer abends statt, das waren immer viele Stunden ohne Nahrung. Nur Alkohol vertrug ich. Aber der Alkohol tat meinem Sprachzentrum nicht gut. Was ich allerdings lange nicht verstand.
Immerhin fand die heutige Präsentation um 11:30 statt, das brachte meinen Ernährungshaushalt also kaum durcheinander.

Nach Feierabend gingen wir mit der Datenschutzbeauftragten aus Amsterdam etwas essen. Ich bat einige der Jungs mitzugehen, weil ich es irgendwie daneben fand, alleine mit einer attraktiven Mittezwanzigjährigen essen zu gehen. Ich finde sie wirklich super, sie ist sehr kompetent und wir hatten auch schon viel Spass auf der Canal Pride in Amsterdam, aber dennoch wollte ich, dass die anderen Jungs mitkommem. Zum einen, weil ich nicht der Typ Manager bin, dem es gut gelegen kommt, in seiner Machtfülle junge Frauen auszuführen und sich bezirzen zu lassen, aber ich mag es auch schlichtweg nicht, von jungen Frauen bezirzt zu werden. Junge Frauen flirten oft aus Höflichkeit und ich will nicht alleine mit einer Frau ausgehen, die sich irgendwie verpflichtet fühlt, höflich nett zu mir zu sein. Ausserdem gebe mich bei attraktiven, jungen Frauen immer betont desinteressiert, einfach weil ich es nicht mag, wenn junge Frauen ihre Junge-Frauen-Waffen ausfahren. Einerseits weil das bei mir ohnehin nicht besonders Anklang findet, aber ich will mich schlichtweg nicht dazu verhalten müssen.

Frauen ab Mitte vierzig hingegen können das gerne tun, die haben raffiniertere Waffen, für die bin ich wesentlich empfänglicher.

Der Officemanager wählte das Sticks ‘n’ Sushi in der Potsdamer Strasse direkt gegenüber dem Wintergarten. Das soll das beste Sushirestaurant der Stadt sein. Das waren wirklich sehr gute Speisen mit saurem Reis. Offenbar gehört das Lokal zu einer dänischen Kette, die sich als Mischung aus japanischer Tradition und dänischem Anarchismus definiert. Dem Gedanken kann ich folgen.

[Mi, 15.11.2023 – Hundemotiv]

Ich hatte davon gar nicht erzählt. Anfang Oktober traf ich im Park ja wieder jene Frau aus Israel mit ihren Töchtern, wonach die älteste Tochter die Hunde auf der Wiese zeichnete. Sie zeichnete auch meine Hündin. Worüber ich nicht berichtete, war die Tattoohaftigkeit dieses Motives und was danach geschah.
Ich bin jetzt nicht der Typus, der sich eine nostalgische Tätowierung seiner Hündin auf den Unterarm stechen lässt, aber beim Anblick dieses von Kinderhand gezeichneten, kleinen, stylisierten Hundes, spürte ich sofort eine Identifikation. Das ist bei Tätowierungen oft so. Symbolik und Identifikation. Statt Esoterik ist es Symbolik und Identifikation.

Wir sprachen dann allerdings nicht über die Zeichnung. Erst zuhause gärte in mir der Gedanke, diese Zeichnung, oder zumindest etwas ähnliches stylisiertes, stechen zu lassen. Nun treffe ich nicht immer die gleichen Menschen im Park, und diese Frau sehen ich ganz besonders selten, vor drei Tagen machte ich aber eine Extrarunde zu einem anderen kleinen Park, da kam sie mir mit ihrer Hündin entgegen. Wir quatschten wieder ein wenig, ich wollte wissen, wie es ihren Eltern geht und wir redeten über die vielen ideologischen Fronten, die sich neuerdings geöffnet haben. Sie erzählte mir, wie bedroht sie sich derzeit fühlt, auch von linker Seite, sie verstand sich immer als links und jetzt kann sie mit vielen linken Menschen kaum noch über ihre Herkunft sprechen, weil die Gespräche oft aggressiv werden und sie immer mit dem “Aber Israel” fortgeführt werden. Dabei muss sie sich ständig rechtfertigen, wobei es schon seinen Grund hat, warum sie vor 14 Jahren Israel verliess. Sie und ihr Mann meiden es, in Friedrichshain auf der Strasse Hebräisch zu sprechen. Ja, genau, in Friedrichshain. Und derzeit den Herrmannplatz zu besuchen kommt ihr natürlich erst recht nicht in den Sinn.

Danach sprach ich sie auf die Zeichnung ihrer Tochter an. Ich erzählte ihr, was mir daran gefiel und dass ich mir überlegte, die Zeichnung tätowieren zu lassen. Sie fand das lustig, sie hatte auch eine Tätowierung ihrer früheren Hündin und sie verstand, was ich daran mochte. Ich bat sie, mir die Zeichnung zukommen zu lassen, ich würde sie gerne noch einmal sehen.
Es dauerte ein paar Tage, es war offenbar nicht ganz einfach, die Zeichnung wiederzufinden, aber heute bekam ich die Fotos der Zeichnungen. Es gefiel mir noch besser als in der Erinnerung. Ich glaube ich mache das diesen Winter. Ich habe ja noch zwei andere Motive, die ich mir ohnehin machen lassen werde. Dann kann ich alles in einem Termin unterbringen.

Sonst ist heute nicht viel passiert. Ich arbeitete den ganzen Tag in einem Tunnel, auch noch später am Abend, auch weil ich morgen wieder die lange Präsentation halten werde, die ich vor ein paar Wochen bereits in Amsterdam gehalten hatte. Dabei musste ich noch mehrere Änderungen einarbeiten.

Und plötzlich war der Tag zu Ende.